Freyung-Grafenau. Für manch „moderne“ Mama ist es eine Selbstverständlichkeit, Fotos von ihren Kindern ins Internet zu stellen. Die ein oder andere geht noch einen Schritt weiter – und berichtet etwa auf der Social-Media-Plattform Instagram aus dem alltäglichen Nähkästchen – so wie „landmama87“ und „jasmin_maria_k“ zum Beispiel. Beide stammen aus dem Landkreis Freyung-Grafenau. Hog’n-Redakteurin Sabine Simon hat sich deren Instagram-Profile einmal genauer angeschaut – und war nicht ganz so begeistert wie die tausenden Follower der beiden…
Ja, wir Hog’n-Redakteure machen es auch: Wir berichten ab und an über unsere Kinder. Elternsein ist spannend, Elternsein ist eine Herausforderung. Als Eltern liest man gerne mal, wie andere das mit dem Elternsein machen. Deshalb berichten wir etwa darüber, wie wir Schwangerschaft und Geburt erlebt haben. Oder wir diskutieren über die Sinnhaftigkeit des Impfens. Oder wir machen uns Gedanken über die Art und Weise, wie wir unsere Kinder ernähren wollen – und teilen diese Gedanken mit unseren Lesern.
Größtmögliche Öffentlichkeit in den sozialen Medien
Im Netz über sein Kind zu schreiben und dadurch anderen Eltern Tipps und Informationen an die Hand zu geben: unserer Meinung nach völlig legitim. Das machen auch die bloggenden Instagram-Mamas aus der Region. Sie erzählen zum Beispiel, dass sie mit ihren Kindern auf einem schönen Spielplatz waren. Der Unterschied zwischen uns und den Social-Media-Müttern? Wir Hog’n-Redakteure wägen vor der Veröffentlichung jedes Wort genau ab. Die entscheidenden Fragen lauten dabei: Ist das Informationsinteresse anderer Eltern erfüllt? Und: Verletze ich die Intimsphäre meines Kindes?
Bloggerin „landmama87“ dagegen postet jeden Tag ein Video auf Instagram, ihre so genannte „Story“. Diese Story-Videos sind – im Gegensatz zu den dauherhaft auf der Profil-Seite eingestellten Videos – lediglich 24 Stunden einsehbar. Dann werden sie durch ein neues ersetzt. Diese Videos können also alle, die zufällig oder bewusst darauf stoßen, begutachten und weiterleiten. Manchmal redet die junge Mutter sich darin beispielsweise von der Seele, wie anstrengend die Kinder wieder waren. Doch: Hat sie sich dabei eingehend Gedanken darüber gemacht, ob sie ihren Kindern auf irgendeine Art damit schaden könnte? Als kritischer Betrachter ihres Profils kommt man da schnell ins Zweifeln.
„landmama87“ hat vor Kurzem in einem ihrer Clips berichtet, ihr Sohn habe einen wunden Po. Die Erzieherin im Kindergarten vermute, dass eine Pilz-Erkrankung dahinterstecken könnte. Zwei Sätze später hat sie Werbung gemacht für eine Wundschutzcreme aus der Apotheke. Dabei hat sie anderen Mamas die Creme angepriesen, obwohl sie noch gar nicht wusste, ob sie überhaupt wirkt. Die Apothekerin habe die Creme empfohlen, „landmama87“ blendet auf Instagram den Link zum Hersteller ein. Gibt es dafür Geld? Verdient sie mit dem Post über den wunden Po ihres Sohnes Geld?
Wir hätten ihr diese Fragen gerne gestellt. Sie wolle sie aber nicht offiziell beantworten, wie sie in einem Vorab-Gespräch unserer Redaktion gegenüber mitteilt. Das Paradoxe demnach: Bei Instagram gibt sie ihren Familienalltag einer großen Öffentlichkeit preis – vor einem Artikel im Onlinemagazin da Hog’n scheint sie allerdings zurückzuscheuen: Davor, dass Kritik geäußert wird? Davor, dass Leser ihr im realen Leben einen Vorwurf aus dem machen könnten, was sie online tagtäglich tut? Ihr sei durchaus bewusst, wie sie in dem Vorab-Gespräch berichtet, dass nicht jeder ihre Aktivitäten im Netz gut finde. Sie kenne auch die Gefahren, behauptet sie.
Sie hatte ein paar „komische“ Abonnenten…
Erst seit einem halben Jahr gebe es den Instagram-Account „landmama87“. Zuvor hatte die junge Mutter zweier Söhne unter einem ähnlichen Namen („lamama2.0„) Beiträge verfasst. Beim Durchsehen ihrer Follower seien ihr ein paar „komische Leute“ aufgefallen – das habe sie „etwas stutzig gemacht“, wie sie beim ersten Post auf ihrem landmama87-Profil ihrer Gefolgschaft mitteilte. Weiter schreibt sie:
„Ich liebe es euch an unserem Leben teilnehmen zu lassen, jedoch muss ich auch an unsere Sicherheit denken vor allem an die meiner Kinder. Ich möchte die Gesichter meiner Kinder nicht unkenntlich machen müssen und deswegen habe ich mich dazu entschlossen „neu“ anzufangen und die Leute, die mir folgen einfach besser kontrollieren.“
Wenn „landmama87“ jedoch Fotos ihrer Kinder im Netz unverpixelt veröffentlicht, kann jeder sie finden, der bei Instagram angemeldet ist. Denn ihr Profil ist öffentlich* (UPDATE siehe Ende des Artikels). Das bedeutet: Jeder, der Instagram nutzt, kann sämtliche ihrer Inhalte einsehen. Wer „landmama87“ folgen will, wird automatisch als Abonnent akzeptiert. Bei einem privaten Konto müsste der Inhaber des Profils zuerst sein Ok geben – erst dann hätte man vollen Zugriff auf alle Inhalte – und könnte die News dort verfolgen. Aber wer möglichst viele Abonnenten haben möchte, braucht natürlich ein öffentliches Profil. Über 9.800 Abonnenten folgen der Instagram-Mama mittlerweile.
Warum macht man das? Weil man allen zeigen will, wie toll das Kinderzimmer eingerichtet ist und wie schick die Kleinen gekleidet sind? Weil man unter einer Art Profil-Neurose leidet und das regelmäßige, virtuelle Schulterklopfen in Form von „Herzchen“ und „Likes“ mittlerweile so dringend nötig hat wie die tägliche Ration Essen und Trinken? Weil Konsum in unserer Gesellschaft von größter Bedeutung ist? Instagram-Mama „jasmin_maria_k“ schrieb vor Kurzem: „Momentan könnte ich mich echt pleite shoppen.“
Influencer – reichweitenstarke Social-Media-User
Instagrammer mit vielen Abonnenten werden von Firmen auch dafür belohnt, wenn sie Produkte loben, anpreisen, unter ihren Fans bekannt machen. Häufig gibt es dafür so genannte #giveaways: Geschenke.
Dann erhalten die sog. Influencer – so werden User bezeichnet, „die aufgrund ihrer starken Präsenz und ihres hohen Ansehens in einem oder mehreren sozialen Netzwerken als Träger für Werbung und Vermarktung in Frage kommen“ (Wikipedia), große Pakete, deren Inhalt sie wiederum unmittelbar auf Instagram präsentieren. „landmama87“ bekam vor Kurzem etwa eine komplette Urlaubs-Ausrüstung samt Taucherbrille, Flossen, Schwimmbrett, Hüpfball, Wurfspiel und Ball zugeschickt. In dem von ihr erstellten Story-Clip kam ziemlich deutlich rüber, dass sie dafür nichts bezahlt hatte.
Auch in anderen Story-Videos betreibt „landmama87“ so genanntes Unboxing, das heißt: Sie öffnet Pakete, zeigt ihrer Fangemeinde, was sie alles im Internet für ihre Kinder bestellt hat. Oder berichtet vom Schuh-Shopping: Dass sie sich mehrere Paar Sommerschuhe gekauft hat – und Hausschuhe für ihren Sohn. Im Video blendet sie den Link zum Onlineshop ein, damit alle, die die Schuhe gut finden, sogleich wissen, wo sie sie finden. Sind das noch Tipps einer shopping-begeisterten Mutter – oder ist das schon (Schleich-)Werbung?
Werbung auf Instagram: Hochaktuell und umstritten
Das Thema Werbung auf Instagram ist ein hochaktueller wie brisanter Streitpunkt. Gegen prominente Instagram-Mütter wie Cathy Hummels (Ehefrau von Bayern-Fußballer Mats Hummels) etwa laufen Prozesse, bei denen ihnen Schleichwerbung vorgeworfen wird, weil sie ihre Posts nicht immer als „Werbung“ kennzeichnen, wenn sie Produkte etwa auf Instagram anpreisen.
Cathy Hummels hat ihren Prozess gerade gewonnen, sie gilt als „Influencerin“ und damit als so einflussreich, dass sie – ähnlich einer Frauenzeitschrift – Produkte loben kann, ohne dies als Werbung zu markieren. Natürlich nur dann, wenn sie auch wirklich kein Geld dafür bekommt.
Doch wann geben Instagrammer tatsächlich nur Tipps und Ratschläge? Und wann schlagen sie aus ihren Postings Profit? Das beurteilen im Streitfall Gerichte. Grundsätzlich gültige Vorgaben, wann es sich um Werbung handelt und der Post entsprechend gekennzeichnet werden muss, gibt es nicht.
„landmama87“ kennzeichnet immer wieder mal ihre Posts als „Werbung/Kooperation“. Was wiederum bestätigt, dass sie daran Geld verdient oder Produkte kostenlos erhält. Rein rechtlich macht sie in Sachen Werbungskennzeichnung demnach vieles richtig. Allerdings bleibt die Frage: Macht sie auch im Hinblick auf die Rechte ihrer Kinder alles richtig?
Kinder haben ein Recht am eigenen Bild
Generell gilt im Internet: Fotos von anderen darf man nur dann veröffentlichen, wenn deren Einverständnis vorliegt. Jeder hat ein „Recht am eigenen Bild“. Ein Recht, das zu den Persönlichkeitsrechten gehört. Auch Kinder haben es. Kinder können jedoch noch nicht für sich selbst entscheiden, daher übernehmen das ihre Erziehungsberechtigten. Achtung: Sobald ein Kind acht Jahre alt ist, darf es mitentscheiden. Sobald es vierzehn Jahre alt ist, entscheidet das Kind, nicht mehr die Eltern.
Ein paar Jahre können die Instagram-Mamas also wohl noch alleine entscheiden, ob sie Bilder ihrer Kinder in diversen Lebenslagen online stellen. Trotzdem sollte sich jede Mutter (und freilich auch jeder Vater) fragen: Was wird mein Kind zu diesem Bild sagen, wenn es einmal älter ist? Wird es ihm peinlich oder unangenehm sein?
Die Kampagne #DeinKindAuchNicht will genau dies den Eltern auf durchaus abschreckende Weise vor Augen führen: Die Bloggerin Toyah Diebel stellt hierbei Kinderfotos nach, wie man sie allzu oft im Internet findet: breiverschmierte Gesichter, nackte Haut, beim Schlafen, auf dem Klo. Nur sind in diesem Falle nicht Kinder auf den Bildern zu sehen, sondern Erwachsene. Und ja: Plötzlich wirken die Fotos ziemlich peinlich. Und vielen wird dabei womöglich bewusst, was Eltern eigentlich instinktiv wissen sollten: Auch Kinder haben Privatsphäre. Wir müssen sie achten und dürfen nie davon ausgehen, dass es schon okay sei, Fotos mit ihnen unverfremdeterweise ins Netz zu stellen.
Kommentar: Sabine Simon
*UPDATE I, 23. Mai 2019, 13 Uhr: „landmama87“ hat ca. eineinhalb Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels ihr Instagram-Profil auf „Privat“ umgestellt.
UPDATE II, 23. Mai 2019, 15.55 Uhr: Das Instagram-Profil von „landmama87“ ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr online: „Diese Seite ist leider nicht verfügbar“, heißt es dort. Auch der Vorgänger-Account „lamama2.0“ ist nicht mehr einsehbar.
UPDATE III, 24. Mai 2019, 09.30 Uhr: Das Instagram-Profil von „landmama87“ ist – in etwas ausgedünnter Form (einige Bilder und Videos wurden offensichtlich entfernt) – wieder verfügbar und öffentlich einsehbar.
da Hog’n
Reaktionen, Diskussionen und Meinungen zum Thema auf der Hog’n-Facebook-Seite:
https://www.facebook.com/dahogn/posts/3257907757568338?__xts__[0]=68.ARA39VhEtyXAotGNmDLWOk380SZ6Om2VQN4EGf61iwJwAmEl2luxlE8ruuQcQsBecmZ97AYSvtzHJYE_lK0YZyRi5M5q2o86ha95HIy4YsEzDE-xU7DnDmv0j7PxDrzv5VjKLGiSNKrfSC4KrUxr2cqn6nnp0U6jtPLg-9OZ7GtHhLYkLVmWMqfZ7aj2JqOhpEEdPNeNRBGsUy7_UfHcNrb5seAh6OOUdacsdWv1E0DHtIo3M0vjuyTcGcf0V8xt7S9G4xhR1k9pb-0dWSxhFAdQgTR-YvNktay6piwAo85vSlYO8j1ElZVeQb7LSqXZpDASTJPXXws_I1DwOKsTsDWS1A&__tn__=-R
Liebe Hog’nianer,
meine größte Anerkennung für diese perfekt ausgearbeitete Analyse.
M.E. trefft Ihr mit diesem (auch selbstkritisch hinterfragten) Artikel die Auswüchse der heilsversprechenden Digitalisierung in Mark und Bein.
Exakt so stelle ich mir verantwortungsvollen und kompetenten Jounalismus vor.
Und ganz offensichlich (eure Artikel-updates) trägt eure Arbeit Früchte.
Großartig!
Mein Glückwunsch!
An dieser Stelle gerne mit ein paar ergänzenden Sätzen und weiterführenden Links zum Thema:
Ich schreibe dies als Informatiker, der die technischen Hintergründe mit all ihren Facetten kennt und im Blick hat.
… immer auch verbunden mit der Frage: Wie sozial sind denn „social medias“ tatsächlich? … Alleine beim allmächtigen „fb“, dem „Wasserkopf“ hinter „instagram“ und „Wart´sAb“: Werbeeinnahmen bei rund 5 Euro pro Nase und Viertel Jahr mal 1.5 Milliarden Nutzer … jeder mag sich das bitte selbst ausrechnen, wieviele Menschen man in einer gemeinschaftlich getragenenen Weltgesellschaft damit sehr gesund ernähren könnte.
Ich sehe mich im Spannungsfeld einer „George Orwellschen Gesellschaft“ mit den (hoffentlich) bekannten Ausblühungen einerseits und dem von mir selbst ins Leben gerufenen Netzwerkprojekt, welches überwiegend digital publizierte „bayerische Schmankerl“ vorstellen und fördern will andererseits. Ein „Influencer auf bayerisch“? (Ein leidenschaftlich aufgebautes „Werbe-Portal“ zum Beinahe-Null-Tarif … eigentlich selbstmörderisch)
zur Sicherheit der „abgelegten Kinderbilder“ und vieler weiterer sensiblen Daten (auch in angeblich geschützten Bereichen):
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Moeglicherweise-Kontaktdaten-von-49-Millionen-Instagram-Nutzern-oeffentlich-4428378.html
https://www.heise.de/security/meldung/Facebook-Hunderte-Millionen-Passwoerter-im-Klartext-gespeichert-4342184.html
Speziell zu den verbreiteten „social-medias“ könnte hier eine nicht endende Liste an bereits aufgedeckten, und ich unterstelle: vermutlich sogar gezielten „Schlampereien“ stehen.
Schon mal was von „wayback-Maschinen“ gehört? … ganz klar, auch hier gilt „Fluch und Segen“, wenn es darum geht „alte posts und pics“ wieder ans Tageslicht zu fördern:
http://web.archive.org/
Übrigens:
Ich schreibe das als „Social-Media-Überzeugungs-NICHT-Täter“, der im neuen Sprachgebrauch allenfalls als „digitaler online looser“ gebrandmarkt ist.
Und ich schreibe das mit einem so breiten Grinsen im Gesicht, dass ich meine Mundwinkel schon um die Ohren wickeln kann :-)
Abschließend:
Es ist mir eine große Ehre, dass ich mit einer 30 Sek. „Hörprobe“ eines ganz fantastischen bayerischen Kabarettisten dieses Grinsen untermauern darf:
https://musi.gmachtin.bayern/?m=321&i=1