Sie besteht zu 56,3 Prozent aus Zucker, diese dunkelbraune Schoko-Creme, die ich mir jeden Morgen auf mein Frühstücksbrot streiche. Seit meiner Kindheit. Und weil ich sie mir nicht verbiete, verbiete ich sie auch meinem Sohn nicht. Der Kindergarten aber tut es. Ich kann nachvollziehen, wenn im Kindergarten Süßigkeiten nicht erlaubt sind. Gut finde ich strenge Verbote jedoch nicht.
Eines gleich vorweg: Dieser Artikel ist kein Plädoyer für ungesunde Ernährung. Sondern für einen entspannten Umgang mit dem Thema Essen. Ich habe nachgemessen: Ich streiche meinem Sohn etwa vier Gramm Haselnuss-Creme auf sein Toastbrot. Also 2,252 Gramm Zucker. „Körnerharmonie“ nennt sich seine Lieblingstoast-Sorte: Vollkorn, kein Weißbrot. Dazu isst er gerne Gurken, Erdbeeren, Trauben. Bei uns frühstückt die ganze Familie jeden morgen gemeinsam. Und schlemmt neben Nutella-Brot querbeet alles: von Käse und Wurst über Müsli bis hin zu Obst und Gemüse. Und genau deshalb ist der süße Brotaufstrich bei mir erlaubt: Weil er nur ein kleiner Bestandteil eines gesunden Frühstücks ist. Und weil mein Sohn eben alle anderen Brotaufstriche nicht mag. Weder Butter, noch Frischkäse – auch keine Marmelade.
Als Mama wollte ich von Anfang an alles richtig machen
Mein Sohnemann war schon als Baby ein sehr wählerischer Esser: Damals hab ich ihm die gesamte Auswahl an frisch aus Bio-Gemüse selbst zubereiteten Breien angeboten. Nach frustrierenden Wochen, in denen ich dreiviertel dieser Dinge selbst als Beilage zu meinem Mittagessen verspeist hatte, weil ich es meinem Baby einfach nicht schmackhaft machen konnte, versuchte ich es mit Baby-Led-Weaning: Weich gekochtes Gemüse als Fingerfood. Dazu durfte er alles probieren, was bei uns auf dem Teller lag. Das einzige, was er liebte: tatsächlich Mehrkornbrei vermischt mit Obstpüree.
Mein Sohn weiß genau, was ihm schmeckt – und nur das isst er auch. Wer kein Kind wie ihn zu Hause hat, tut sich leicht mit Ratschlägen à la „Wenn ihr ihm nichts anderes anbietet, dann kriegt er schon Hunger und isst das, was er essen soll“. Sätze wie diese widerstreben mir zutiefst. Essen soll etwas Schönes sein. Genuss. Nicht immer nur Regeln und Zwang. Doch heutzutage gibt es Unmengen an Informationsmaterial für Eltern. Genaue Essenpläne verschiedenster Institutionen, was ein Baby ab welchem Alter in welchen Mengen essen soll.
Ich als Mutter hatte von Anfang an das Gefühl: Ich mache es nicht richtig. Weil ich auch mal nachgebe, wenn mein Kind etwas unbedingt haben möchte. Weil ich Zucker im ersten Lebensjahr nicht komplett vom Speiseplan ferngehalten habe. Weil ich nicht versuche, mein Kind ständig zu überreden, den Teller leer zu essen – oder zum Gemüse statt nur zu den Nudeln zu greifen. Aber ist das alles wirklich so verwerflich? Ich finde es schlimmer, wenn das Essen per se beiden Seiten keinen Spaß mehr macht: Dem Kind, weil es nie kriegt, was es möchte, Und den Eltern, die alles versuchen, um mehr Abwechslung ins Essen des Kindes zu bekommen -und am Ende damit scheitern.
Nun geht mein Sohn in den Kindergarten und darf dort nicht all das essen, was er zu Hause essen darf. Die Erzieherin will den Buben und Mädchen beibringen, dass Süßes nicht gesund ist. Sie erklärt mir, dass es schwierig sei, wenn eines der Kinder Süßigkeiten in der Brotzeitdose liegen hat – und ein anderes nicht. Deshalb: Gleiche Regeln für alle. Und wenn Süßes verboten ist, gelte das eben auch für den Hauch von Nutella auf dem Vollkorntoast.
Welche Regeln stellen andere Kindergärten beim Essen auf?
Ich will wissen: Wie regeln andere Kindergärten das mit den Süßigkeiten? Und wähle sechs Kindergärten zufällig aus, verteilt im gesamten Landkreis Freyung-Grafenau. Jede Erzieherin, mit der ich spreche, versichert mir als erstes: „Wir legen Wert auf gesunde Ernährung!“
„Ein Kindergarten ist eine öffentliche Einrichtung“, erklärt mir die Leiterin einer größeren Institution. Und dort gebe es nunmal Regeln. Deshalb sehe man es nicht gerne, wenn jemand seinem Nachwuchs ausschließlich süße Riegel oder Pudding in die Brotzeitdose packt. Nach einer ausgewogenen Brotzeit noch eine Kleinigkeit zum Naschen sei in diesem Kindergarten aber kein Problem. Auch gegen Nutella auf Vollkorntoast hätte sie nichts einzuwenden.
Alle Kindergärten, bei denen ich nachfrage, überlassen es den Eltern, was in die Brotzeitbox hinein kommt. Wenn allerdings ein Kind ausschließlich Milchschnitte oder Monte mitbringt, suche man das Gespräch mit den Eltern. Auf Elternabenden werde zudem darauf hingewiesen, was eine gesunde Brotzeit ausmacht. Problemfälle gebe es selten. Neidisch seien die Kinder nicht auf die Leckereien anderer: Vielmehr würden sie mit ihren Freunden teilen, wie man mir berichtet.
„Heute hatte ein Junge ein Schüsselchen Wurstsalat als Brotzeit dabei“, berichtet die Leiterin eines weiteren Kindergartens und lacht. Sie meint: „Wenn’s schmeckt, warum nicht? Er isst ja nicht jeden Tag Wurstsalat.“ Der Wurstsalat ist ein gutes Stichwort. Er ist keine Süßigkeit – aber ist er gesund? „Wir wollen unseren Kindern einen gesunden und bewussten Umgang mit Lebensmitteln beibringen“, sagt eine andere Erzieherin. Und das bedeutet: Die Kindergartenkinder sollen nicht nur lernen, dass Zucker ungesund ist. Auch Ketchup, Salami, Weißbrot oder Wurst sei nicht gut, wenn man sich ausschließlich davon ernährt.
Am gesündesten: eine gesunde Einstellung zum Essen
Im Grunde ist es ganz einfach: Es gibt Nahrungsmittel, von denen darf ich viel essen. Und es gibt Nahrungsmittel, bei denen sollte ich mich bremsen. Erlaubt ist bei mir aber im Prinzip alles. Frei nach dem Motto: Die Menge macht das Gift.
Ich habe mal einen Fernsehbericht über eine junge Frau gemacht. Sie leidet unter Orthorexie, einer Form von Magersucht. In diesem Krankheitsfall steht jedoch nicht im Vordergrund, sich schlank zu hungern, weil man dünn sein will. Diese junge Frau wollte sich so gesund wie möglich ernähren. Und hat am Ende nur noch Champignons gegessen. Denn alles andere enthält aus ihrer Sicht entweder zu viel Zucker, zu viel Fett, Geschmacksverstärker, Glutamat, Lactose, Gluten, Milchzucker, Histamin… Die Liste der Lebensmittel, denen etwas Schlechtes nachgesagt wird, ist lang. Jene junge Frau hatte sich irgendwann in all diesen Informationen verheddert und völlig die Orientierung hinsichtlich der Frage verloren, was eigentlich gesunde Ernährung ausmacht.
Dass es nicht gerade einfach ist, Kindergartenkindern ein „richtiges“ Essverhalten beizubringen, steht außer Frage. Die Erzieherinnen bemühen sich sehr: In einigen Kindergärten wird kostenlos Obst und Gemüse angeboten, dazu Milchprodukte. In unserem Kindergarten bauen die Kleinen im Sommer selbst Gemüse an, das dann einmal die Woche im Topf landet. Dann kochen und essen alle gemeinsam.
An den anderen Tagen bringen die Buben und Mädchen ihre eigene Brotzeit mit. Und hier bin ich nach Gesprächen mit Erzieherinnen aus anderen Kindergärten nach wie vor der Meinung: Es sollte generell den Eltern überlassen werden, was die Kinder zu sich nehmen. Wenn die Kindergärtnerinnen beobachten, dass ein Kind sich völlig ungesund ernährt, sollten sie dies mit den Eltern besprechen – und nie dem Kind zum Vorwurf machen. Von größeren Problemen mit uneinsichtigen Eltern konnte mir keine Erzieherin berichten. Klar hat mal jemand Kuchen oder Kekse dabei. Aber Kuchen gibt es auch in unserem Kindergarten – zu besonderen Anlässen, wenn beispielsweise jemand Geburtstag hat.
Mein Sohn greift übrigens auch beim Kuchen oft nicht zu. Er ist bei allem wählerisch, auch bei Süßigkeiten. Nur eine ganz bestimmte Sorte Schokolade mag er und nur einen ganz bestimmten Kuchen mit Kirschen drin. Seine kleinen Brüder dagegen essen einfach alles, was man ihnen anbietet. Von dem einen mehr, von dem anderen weniger – doch nichts bleibt unversucht. Seit meine Zwillinge angefangen haben zu essen, weiß ich, dass das Thema Ernährung auch ganz entspannt ablaufen kann.
Gesunde Ernährung kann man auch ohne Verbote lernen
Für mich steht fest: Wir leben im Schlaraffenland. Es gibt Unmengen an Essen und es ist enorm wichtig geworden, seinen Kindern aufgrund des Überangebots Orientierungshilfen zu bieten. Was tut meinem Körper gut? Ich möchte ihnen vermitteln: Essen ist Genuss. Und wer mit Genuss ist, der stopft nicht Unmengen an Ungesundem in sich hinein. Kinder machen es einem alles andere als leicht, ich weiß das. Doch mit Verboten oder Sätzen wie „Du isst, was auf den Tisch kommt“ erzielt man nur schlechte Stimmung – und erreicht das Gegenteil von dem, was man als fürsorgliches Elternteil eigentlich möchte.
Analyse: Sabine Simon
Mein Sohn ist mit einigen Komplikationen und viel zu früh zur Welt gekommen, was zur Folge hatte, dass es einige Wochen dauerte, bis wir aus dem Krankenhaus durften. Innerhalb der Krankenhauszeit habe ich für mich wahrnehmen können, wie das Pflegepersonal auf der Station immer wieder ziemlich effektiv schreiende Neugeborene beruhigen konnte. Mit Glucose. Auch mein Sohn hat hier im Laufe seines Aufenthalts eine große Anzahl an Glucosegaben erhalten.
Zuhause gab es dann auch eine Situation, in der mein Sohn ein wenig gerastet ist und unter Berücksichtigung seines Monitors und der damit verbundenen, ständig anschlagenden Alarmfunktion habe ich verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht, ihn zu beruhigen. Ich hatte aber keine Glucose zuhause (wie vermutlich 90% der Stahdardhaushalte), was ich hatte war Nutella. Also nahm ich eine minimale Menge mit einem kleinen Löffel und gab sie ihm unter die Zunge. Resultat war die direkte Beruhigung meines Sohns und zwei große Augen, die mich anstarrten.
Innerhalb der folgenden 3 Jahre habe ich mich bemüht 3 Faktoren bei der Ernährung einzuhalten… so wenig zucker- und fetthaltige Dinge wie möglich zu geben und so wenig einseitig wie möglich anzubieten. Immer mit Ausnahmen, um ihm einen maßvollen Umgang mit Zucker und Fett zu ermöglichen. Spätestens mit Eintritt in den Kindergarten werden Kinder mit eben diesen „Möglichkeiten“ konfrontiert und es galt für mich eine Reizerhöhung durch Sanktionierung ausgelöst, zu vermeiden.
Auch ich als Papa wollte von Anfang an alles richtig machen.
Ersetzt habe ich im Sinne meines Sohns, meine bis dato vorhandene Nutella Leidenschaft durch Honig. Er fragt heute immer wieder gerne mal nach einem Nutella Brot und bisher habe ich es auch fast immer geschafft, ihn auf ein Honigbrot umzustimmen. Er mag es, wie vermutlich die meisten Kinder, eben auch gerne süß. Standardprogramm Gemüse, Obst, etc. lief bei mir auch mehr oder manchmal weniger erfolgreich ab.
Es ist die Zwickmühle in der Kindergarten-Träger stecken, zum einen sollten genau diese Einrichtungen im Sinne der Kinder schon genau darauf achten, dass Kinder sich ausgewogen und gesund ernähren, das umfasst die Mahlzeiten, die in den Einrichtungen ausgegeben werden, aber auch entsprechende, wenn notwendig, Beratungsleistungen in Richtung Eltern, zum anderen sind sie viel zu sehr auf das Godwill der Eltern angewiesen, um die Harmonie halten zu können.
Ich würde hier vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen, in dem ich Kinder, deren Eltern ein Zucker“verbot“ ausgesprochen haben, unterstütze, dieses im Kindergarten auch einhalten zu können und sie nicht durch zu viel Offenheit, zur Isolation zu verdammen. Orientiert an dem Argument der gesünderen Ernährung, wäre die Umsetzung zu rechtfertigen.
Ich weiß, dass es unfassbar schwer ist, seine Kinder vor der klassischen Zuckerfalle zu bewahren, und dennoch ist es in den ersten Jahren wichtig, ein paar Basics einzuhalten, um eine Abhängigkeit von dem „Stoff“ zumindest solange wie möglich hinauszuzögern.
Betrachtet man bei Nutella die Kombination aus hohem Zucker- und Fettgehalt, bleibt Nutella ein klassischer knockouter, weil diese Kombination hochgradig abhängig macht, nicht nur, aber ganz besonders in ganz jungen Jahren. Eine Abhängigkeit von Nutella lässt sich erklären und ist auch nachvollziehbar, sie zu rechtfertigen versuchen, sollte man nicht tun.
Zucker und Fett in hohen Anteilen, findet sich wie selbstverständlich in viel zu viel Nahrung, unter anderem in Kombination gerne in Wurst, viel Fett in Käse und selbst in beschriebener Körnerharmonie (Golden Toast) findet sich Zucker wieder.
Ausgewogene Ernährung ist neben schön und genussreich auch Lebensgrundlage.
Das ist letzendlich nur meine Perspektive, vielleicht ein leichtes Contra zu ihrem Text, dennoch bin ich mir bewusst darüber, dass sich nicht selten Realität und Theorie voneinander unterscheiden können.