Freyung-Grafenau. „Sie kann sich ja gerne damit beschäftigen, wenn sie nichts anderes zu tun hat, aber dann soll sie das für sich behalten und nicht in der Öffentlichkeit posten“, schrieb eine aufgebrachte Hog’n-Leserin kürzlich unter einem journalistischen Kommentar über zwei Mütter, die Bilder ihrer Kinder auf Instagram veröffentlichen. Gemeint ist die Autorin des Textes, die mit ihrer Kritik eine regelrechte Kommentarflut ausgelöst hat. Öffentliche Posts in sozialen Netzwerken sind jedoch keine Privatsache und dürfen sehr wohl von Journalisten bewertet und eingeordnet werden.
Journalisten waren früher die so genannten Gatekeeper der Nachrichtenübermittlung: Sie entschieden, welche Nachrichten und Themen an die Öffentlichkeit gelangten. Was in der Zeitung stand, im Fernsehen oder im Radio lief, war relevant.
Wandel in der Medienwelt verstärkt Kontrollfunktion
Heute ist das anders. Das Internet hat die gesellschaftliche Kommunikation grundlegend verändert. Heute, in Zeiten von Facebook, Instagram, Twitter und Co. kann jeder veröffentlichen, was er veröffentlichen will. Es braucht dazu weder ein Studium noch ein Volontariat. Es braucht lediglich ein Smartphone und einen Internetzugang. Das aktuelle Beispiel des Youtubers Rezo zeigt, dass ein gut gemachter Clip auf Youtube in Kürze mehrere Millionen Menschen erreichen kann.
Wir sind es mittlerweile gewohnt, dass nicht nur ausgebildete Journalisten unser Bild von der Welt und den aktuellen Geschehnissen prägen, sondern fast jeder die sozialen Medien nutzt, um sich mitzuteilen. Dabei verwischt nicht nur die Grenze zwischen Information und Werbung. Im Internet kursieren Gerüchte, es passieren Grenzüberschreitungen und Dinge werden veröffentlicht, die kein Schlussredakteur zuvor eingehend geprüft hat.
Hier kommen die „traditionellen“ Medien wieder ins Spiel: Sie üben seit jeher eine Kontrollfunktion in der gesellschaftlichen Kommunikation aus. Sie ordnen die Flut an Informationen und sie werfen einen kritischen Blick auf gesellschaftlich relevante Themen. Journalistische Kommentare sind für diesen kritischen Blick ein entscheidendes Element: Hier darf der Journalist einen klaren Standpunkt beziehen, sofern er seine Meinung fundiert begründet.
Ein öffentliches Social-Media-Profil ist keine Privatsache
Wer sich dazu entschließt, auf Youtube, Snapchat, Instagram oder Facebook einen öffentlichen Account einzurichten und damit für die ganze Internet-Welt öffentlich zugängliche Inhalte verbreitet, der muss sich bewusst sein: Dieser Account ist dann keine Privatsache mehr.
Dadurch, dass in sozialen Netzwerken viel Privates öffentlich gemacht wird, verwischt die Grenze zwischen „öffentlich“ und „privat“ in den Köpfen der Menschen. Auch wenn die meisten es als ihr „Hobby“ ansehen, über Privates zu berichten, üben sie dieses Hobby öffentlich im Internet aus. Sie entscheiden sich dafür, ihr Privatleben für eine breite Masse zugänglich zu machen und müssen im Umkehrschluss natürlich auch damit rechnen, dass nicht nur Fans und Follower ihre Inhalte sehen und liken, sondern dass das, was sie machen, auch auf Kritik stoßen kann. Jeder, der in der Öffentlichkeit auftritt – sei es in der Politik, beim Sport oder eben in den sozialen Netzwerken – kann zum Thema eines öffentlichen Diskurses werden.
Zur Verdeutlichung: Wenn ich zuhause Musik mache, ist das meine Privatsache. Wenn ich sie auf einer öffentlichen Bühne aufführe, ist es wahrscheinlich, dass nicht jeder Zuhörer sie gut findet – und dass auch negative Kritiken dazu verfasst werden können. Wer sich auf die öffentliche Bühne begibt, muss daher lernen, mit Kritik umzugehen. Er muss vor allem eines verstehen: Die Kritik soll nicht die Person, die auf der Bühne steht, „fertig machen“, sondern deren Werk bewerten.
Mit einer anderen Meinung konfrontiert zu werden – und das öffentlich – ist unbequem und meist unangenehm. Das erlebt irgendwann jeder, der in der Öffentlichkeit steht oder etwas öffentlich tut. Auch wir Journalisten selbst. Richtig nahe gehen kann Kritik natürlich dann, wenn man viel Persönliches veröffentlicht. Dann nimmt man auch Kritik persönlich. Wer viel Herzblut in etwas steckt, fühlt sich von Kritik schnell als Person im Ganzen verletzt.
Ein weiteres Problem an öffentlichen Accounts auf Social-Media-Plattformen ist der Umgang mit persönlichen Daten: Wer viele Daten preisgibt, bleibt nicht anonym. Vom Benutzernamen, unter dem sich die meisten dort anmelden, lässt sich rasch auf die reale Person hinter dem Account schließen, wenn beispielsweise Vornamen und Wohnorte genannt werden – oder wenn sogar der volle (Klar-)Name auf Fotos zu lesen ist.
Alle Seiten sollen zu Wort kommen
Wenn Medien also ein Thema als gesellschaftlich relevant einstufen und darüber berichten, müssen sie betroffene Personen nicht erst um ihr Einverständnis fragen. Trotzdem muss ein guter Journalist sich eine umfassende Meinung bilden, bevor er einen Artikel veröffentlicht. Dazu gehört, alle Personen zu befragen, die etwas zu dem Thema zu sagen haben (könnten).
Alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, funktioniert aber in vielen Fällen nicht. Auch wenn man den Personen die Möglichkeit gibt, sich zu äußern, nehmen viele diese nicht wahr. Etwa aus Angst davor, dass sie am Ende falsch dargestellt werden. Sie nehmen sich dadurch jedoch die Chance, ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Wenn sich jemand einem Journalisten gegenüber nicht äußern möchte, sich zuvor aber öffentlich im Internet via entsprechender Postings seiner Umwelt mitgeteilt hat, wird der Journalist auf diese Quelle zurückgreifen (müssen) – und sich ansonsten eine eigene Meinung bilden, ohne die Meinung der betroffenen Person unmittelbar zu kennen.
Und der Effekt journalistischer Kommentare?
Auch wenn Kommentare unbequem und unangenehm sein können für denjenigen, dessen sozial-mediales Tun und Schaffen kritisiert wird: Sie sind notwendig, um zu gesellschaftlich relevanten Themen entsprechende Diskurse auszulösen. Ein journalistischer Kommentar soll niemals allen die Meinung des Autors aufzwingen: Jeder Leser ist frei darin, sich seine eigene Meinung zu bilden. Oder seine Meinung wiederum frei im Internet zu äußern. Denn selten wird es zu einem Thema nur eine Meinung geben.
Ein journalistischer Kommentar löst im besten Fall eine rege, sachliche Diskussion aus. Leider bricht im Netz stattdessen immer häufiger eine Art Shitstorm los, der nicht selten in persönlichen Angriffen und Beleidigungen endet. Wer einen erfolgreichen Instagram- oder Youtube-Account betreibt, hat viele Fans, die sich auch gerne für den Blogger bzw. Vlogger in die Kommentar-Schlacht werfen. Diese Fans leben in ihrer Filterblase – und es stört sie natürlich, wenn Kritik an dem geäußert wird, was sie gut finden. Diese Filterblase platzt nicht gerade leicht.
Einen Effekt hat ein journalistischer Kommentar trotzdem in den meisten Fällen. Dieser hier soll im Idealfall eines bewirken – dass jeder, der im Internet Dinge preisgibt, also seine „Privatsphäre-Einstellungen“ auf öffentlich stellt, eines versteht: Er darf öffentlich für das kritisiert werden, was er im Netz ver-öffentlicht.
Je freier man im Internet Dinge publizieren darf, die man selbst gut findet, umso wichtiger wird es, dass Medien nicht nur die „reale Welt“ kritisch beleuchten, sondern auch deren digitales Pendant kommentieren. Wenn dies passiert, braucht es auch keine strengeren Regeln für „den digitalen Bereich“, wie CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sie jüngst gefordert hat…
Kommentar: Hog’n-Redaktion