Passau. Wer sich die Menschen von heute und deren Verhaltensweisen im öffentlichen Raum einmal genauer ansieht, dem dürfte schnell auffallen, dass gefühlt jeder Zweite nicht mehr ohne sein Smartphone vor die Türe tritt. Insbesondere bei Jugendlichen – häufig auch schon bei Kindern – ist zu beobachten, wie sie in meist gebückter Haltung ihre Geräte vor sich hertragen. Der Passauer Medienexperte Dr. Frederik Weinert bezeichnet sie als „Smombies“ (Kofferwort aus „Smartphone“ und „Zombie„). In seinem aktuellen Buch „Hilfe, mein Kind ist ein Smombie. Unsere Kids im digitalen Rausch“ setzt er sich mit dieser Spezies genauer auseinander.
Herr Weinert: Was ist ein „Smombie„? Wo ist er anzutreffen? Und: Wie sollte man sich ihm gegenüber verhalten?
Der Smombie gehört zu einer höchst interessanten Gattung. Es handelt sich um Menschen, die nur noch auf ihr Smartphone starren und die Umwelt um sich herum gar nicht mehr wahrnehmen. Vor allem Kinder und Jugendliche sind betroffen. Im Straßenverkehr kann das richtig gefährlich sein. Und im Alltag ist es auch schade, denn viele Menschen unterhalten sich gar nicht mehr, weil das Smartphone viel wichtiger zu sein scheint.
„Doch Smombies sind auch nur Menschen…“
Wer einen Smombie entdeckt, muss allerdings vorsichtig sein. Die Smombies sind so vertieft in ihre Handy-Spiele, Facebook und YouTube, dass sie sich bei einem freundlichen Hallo erschrecken könnten. Und wenn der Handy-Akku auf null Prozent geht, werden sie regelrecht hibbelig. Doch Smombies sind auch nur Menschen – also sollten wir sie an die Hand nehmen, um beispielsweise die Natur im wunderschönen Bayerischen Wald zu erkunden.
Im Ernst: Wie gefährlich sind die digitalen Medien für die Kids von heute?
Extrem gefährlich! Doch ich verstehe die Kids. Es macht natürlich sehr viel Spaß, Games zu zocken und mit bunten Emojis zu kommunizieren. Immer ist etwas los und wenn das Handy-Display blinkt, ist das ein gutes Gefühl: Jemand denkt wieder an mich. Dieses Gefühl kann süchtig machen. Eine mehrstündige Wander- oder Radtour ohne Smartphone ist dann kaum noch möglich, weil etwas fehlt.
Cyber-Mobbing ist eine große Gefahr, denn durch das Smartphone mit Internetzugang sind die Täter und Opfer immer online und erreichbar. Auch Videospiele an der Konsole sind riskant, beispielsweise das Spiel „Fortnite“. Ich kenne eine Mutter, deren Kind ausziehen wollte, um woanders regelmäßig Fortnite zu spielen. Das Spiel ist ab zwölf Jahren freigegeben, beinhaltet jedoch Waffengewalt als einzige Form der Konfliktlösung. Egal ob Soziale Medien, Games oder Apps: Ich empfehle Eltern und Pädagogen, die Medienwelten der Kinder immer selbst zu testen.
Welche Rolle spielen die sogenannten Sozialen Medien?
Gerade die soziale Komponente macht Netzwerke wie Facebook, Instagram und WhatsApp so verführerisch. Große Freundeslisten, viele Follower und Likes sind Statussymbole. Die Kids wollen überall dabei sein. Vor allem die Jüngeren bewundern Kinder, die schon etwas älter sind und in den Sozialen Medien etwas „vorweisen“ können. Deshalb haben die Kids viele Online-Freunde, die sie persönlich gar nicht kennen. Man trifft sich in geschlossenen WhatsApp-Gruppen oder Gaming-Apps wie Discord. Ich bin mir sicher, dass die meisten Eltern einige Apps gar nicht kennen. Gefährlich ist der soziale Druck, denn: Wer viel online ist und in WhatsApp-Gruppen Witze reißt, gilt als cool. Soziale Medien, in denen es um Likes geht, sollten für Kinder unter 16 Jahren verboten werden.
„Viele Menschen driften in die Virtualität ab“
Immer mehr Leute betrachten die sog. Sozialen Medien nicht als sozial, sondern – im Gegenteil – als asozial. Wie sehen Sie das?
Es kommt immer auf die Menschen an. Wen laden wir zu unserem Geburtstag ein? Mit wem treffen wir uns, um eine gute Zeit zu haben? Das sind meist liebe Menschen. In den Sozialen Medien kann uns beinahe jeder kontaktieren, also kommen wir immer mit Menschen in Kontakt, mit denen es einfach nicht passt. Zu viele Menschen nutzen das, um sich verbal zu duellieren oder andere Menschen runterzumachen. Das ständige Gejammer über die Sozialen Medien verstehe ich allerdings nicht. Wer Facebook oder Instagram nicht mag, kann sich ja löschen und die Freunde anrufen und fragen, was es für Neuigkeiten gibt. Viele glauben allerdings, dass die Nutzung von Facebook eine soziale Pflicht ist. Das zeigt, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt.
Stichwort: Kommunikation. Ist die Menschheit auf diesem Gebiet eigentlich noch zu retten? Oder ist Kommunikation im Sinne von Austausch von real-gesprochenen Worten, Mimik, Gestik, Haptik etc. irgendwann völlig obsolet?
Viele Menschen driften in die Virtualität ab. Allerdings kann sich jeder von uns jederzeit mit echten Menschen treffen. Ich bin gerne in der Natur und sitze abends gerne mit Freunden am Feuer. Das Smartphone habe ich dann nie dabei. Damit will ich sagen, dass wir alle Einfluss auf die Zukunft nehmen können. Was interessiert mich Silicon Valley, wenn ich es in Niederbayern schön habe? Es gibt nämlich auch viele Menschen, die das Wandern und die Bodenständigkeit neu für sich entdecken. Das finde ich gut.
In Ihrem Buch stellen Sie die Frage: „Sind Online-Freunde gefährlich für mein Kind?“ Welche (kurze) Antwort haben Sie darauf?
Online-Freunde können sehr gefährlich für das Kind sein. Ich spreche da vom Rotkäppchen-Wolf-Phänomen. Denn wir wissen ja nicht, wer sich wirklich hinter dem Profil verbirgt. Ist das ein cooler Mensch oder der Wolf im Schafspelz? Das Vorspielen von Tatsachen und Gefühlen ist ein Social-Media-Trend. Genau deshalb plädiere ich für ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren.
„Influencer verhalten sich im Internet sehr berechnend“
Instagram scheint – etwas übertrieben ausgedrückt – vor lauter hochgradig narzisstischen Teenies, die schmollmundige Selfies im Stundentakt produzieren, überzuquellen. In welche Richtung bewegen wir uns da?
Die Kids wollen auf Instagram und Snapchat ihre fünf Minuten Ruhm. Einige wenige werden zu Influencern, die meisten bleiben Follower – und machen jeden Blödsinn mit, etwa Selfies auf Bahngleisen und das berühmte Duckface. Die Selfies sind so stark überarbeitet, dass viele Kids wie Außerirdische aussehen. Das führt zu einer Selbstverfremdung – und irgendwann halten sich die Kids lieber im Netz auf, wo sie immer hübsch, perfekt gestylt und lustig sind. Influencer sind die neuen Stars und Idole und nehmen – wie der Name schon sagt – einen krassen Einfluss auf die Erziehung. Viele Eltern fühlen sich machtlos – daher gebe ich ab Oktober Kurse zu diesem Thema.
Stichwort: Influencer. Macht es heute Sinn meinen Kindern zu empfehlen eine Karriere als Influencer anzustreben? Oder sollen sie lieber „was G’scheits“ lernen?
Man wird nicht einfach so Influencer. Das ist ein Prozess über Jahre mit hochwertigen Bildern. Hochwertig bedeutet allerdings, dass die Bilder in der Community ankommen. Und ein Schmollmund-Selfie zieht eben mehr als ein Kuschelfoto mit der Oma. Ich habe Respekt vor der Ausdauer vieler Influencer, halte von der Zurschaustellung des eigenen Lebens jedoch nicht viel. Wichtig ist ein guter Schulabschluss. Hinzu kommen Softskills wie Empathie und soziales Miteinander. Influencer verhalten sich im Internet sehr berechnend. Sie sind sehr nett, weil sie dich als Fan binden wollen. Ich mag es lieber ehrlich und direkt. Gerade in handwerklichen Berufen sind die Menschen geradeaus – und das gefällt mir.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Handyfahrplan“: Was ist darunter zu verstehen?
Ein Handyfahrplan ist ein Regelwerk für Kinder und Eltern, damit die Handynutzung einwandfrei abläuft. Ein solcher Fahrplan befindet sich in meinem Smombie-Buch. Eltern sollten ihren Kindern nicht einfach zum Geburtstag oder zu Weihnachten ein Smartphone in die Hand drücken, sondern einen liebevollen Regelplan erstellen: Beim Essen kein Telefon, keine Bilder in Badekleidung verschicken, keine Sozialen Medien, in denen es um Likes geht – und respektvoller Umgang miteinander auf WhatsApp. Konsequenz ist wichtig, das ist mein Rat an Pädagogen und Eltern. Ich helfe gerne weiter.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
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In Zusammenarbeit mit dem Tectum-Verlag verlost da Hog’n 3×1 Exemplar von Frederik Weinerts Buch „Hilfe, mein Kind ist ein Smombie“. Teilnehmer an der Verlosung senden dazu eine Email (samt Kontaktdaten) mit dem Betreff „Smombie“ an info@hogn.de. Die Gewinner werden rechtzeitig bekannt gegeben und informiert. Teilnahmeschluss ist Freitag, 11. Oktober 2019.
–> Die Gewinner stehen fest. Über je ein Smombie-Exemplar dürfen sich freuen: Birgitt Menzel aus Wuppertal, Karin Walter aus Aschaffenburg und Sigrid Grimbs aus Neureichenau. Viel Freude damit!