Haidmühle. Eineiige Zwillinge sind eine absolute Besonderheit (sowie Seltenheit). Und sie fallen auf, weil sie sich so ähnlich sehen. Aber sind sie wirklich „identisch“? Im dritten und letzten Teil unserer Zwillingsserie erzählt Hog’n-Autorin Sabine Simon davon, wie sie ihre beiden knapp zweijährigen Jungs unterscheiden kann – und wirft dabei einen Blick in die Zukunft: Wie ähnlich werden die beiden sich wohl in ihrem Leben entwickeln?
Werden wir die beiden ständig verwechseln? Diese Frage haben wir uns vor der Geburt unserer Zwillinge natürlich gestellt. In den ersten Tagen nach der Entbindung trugen die beiden ihre Klinikarmbändchen. Zunächst bestand also die Möglichkeit sich zu vergewissern, wer denn jetzt wer ist. Und weil es in der ersten Zeit tatsächlich schwierig war, sie zu unterscheiden, bekam einer der beiden zu Hause dann ein grünes Bändchen um den Arm, der andere ein blaues.
Exakt gleich groß, fast exakt gleich schwer
Eindeutige körperliche Unterscheidungsmerkmale gab und gibt es kaum. Einer unserer Jungs hatte nach der Geburt einen kleinen Blutschwamm am Arm, der andere am Bein. Die sind aber längst verschwunden. Mittlerweile kann man sie nur noch anhand eines Schneidezahns eindeutig identifizieren: Bei einem der Zwillinge ist dieser nämlich geteilt, beim anderen nicht.
Und trotzdem wissen wir Zwillingseltern immer, wer gerade vor uns steht. Worin unterscheiden sie sich? Das zu beschreiben, fällt einem gar nicht leicht. Ihre Kopfform ist etwas unterschiedlich: Der eine hat einen etwas runderen, der andere einen etwas länglicheren Kopf. Mimik und Gestik sind inzwischen ebenfalls so unterschiedlich, dass wir oft gar nicht verstehen, warum andere sie nicht unterscheiden können.
Nur wenn beide nackt sind oder exakt die gleichen Klamotten tragen, ist dies auf den ersten Blick auch für uns Eltern nicht einfach. Denn der Körperbau der beiden ist erstaunlich ähnlich: Sie sind exakt gleich groß und bis auf wenige hundert Gramm gleich schwer. Sie haben einen Haarwirbel an derselben Stelle. Gleiche Finger, Füße, Nabelform. Nur eben Kopf- und Gesichtsform sind leicht unterschiedlich.
Dass ich sie nie verwechseln würde, darüber war ich mir ab einem bestimmten Zeitpunkt sehr sicher. Als sie etwa sechs Monate alt waren, waren wir im Schwimmbad – und hatten irgendwo zwischen Umkleidekabine und Schwimmbecken die Schnuller der beiden vertauscht. Als dann einer vor mir saß, war ich total verwirrt: Ich war mir sicher, welcher der beiden es war – durch den ungewohnten Schnuller aber gleichzeitig irritiert. Ein Blick auf den damals noch vorhandenen Blutschwamm zeigte mir: Ich brauche nun kein Bändchen und keinen farbigen Schnuller mehr, um zu wissen, wer wer ist.
Verwechslungen passieren natürlich trotzdem – auch dem Opa, der die beiden tagtäglich sieht. Vor Kurzem hat er mit einem der beiden lange im Keller geschraubt und gewerkelt – und war sich die ganze Zeit sicher, dass er den anderen dabei hat. Grund für die Verwirrung waren die Schuhe: Die hatten die Zwillinge nämlich kurz zuvor getauscht…
Wir betonen eher die Unterschiede, nicht die Gemeinsamkeiten
Und der Charakter? „Wer ist denn der bravere?“ werde ich regelmäßig gefragt. So einfach in Schubladen stecken lassen sich die Zwillinge aber nicht. Brav sind beide – doch manchmal auch sehr wild, sehr wütend, sehr laut. Mal hat der eine einen schlechten Tag, mal der andere. Einer der beiden ist emotionaler, das ist schon mit zwei Jahren klar. Der andere dafür wagemutiger.
Genau die gleichen Klamotten tragen meine Zwillinge übrigens selten. Ein paar Shirts haben wir im Doppelpack geschenkt bekommen, manchmal kauft man auch für beide das Gleiche zum Anziehen – zum Beispiel wenn es die Schuhe in der passenden Größe eben nur in der gleichen Farbe gibt. Meistens aber betonen wir eher die Unterschiede anstelle der Gemeinsamkeiten. Und das beginnt eben bereits bei der Kleidung.
Liegt das an unserer individualisierten Welt? Wollen wir als Eltern nicht riskieren, dass unsere Zwillinge zu wenig Selbstwertgefühl entwickeln? Dass es problematisch sein kann, wenn man nie als Individuum gesehen wird, sondern immer nur von „den Zwillingen“ die Rede ist, bestätigt mir eine Freundin, die selbst eineiiger Zwilling ist. „Wenn einer von uns Mist gebaut hat, waren es die Zwillinge“, erzählt sie aus ihrer eigenen Kindheit.
Sie und ihre Schwester seien immer sehr „symbiotisch“ gewesen, berichtet sie: „Ich habe meine Schwester sehr gebraucht.“ Beide wollten immer das Gleiche haben. Bis ins Erwachsenenalter hinein haben sie alles gemeinsam gemacht – nach der Schule das gleiche studiert, später denselben Beruf ergriffen. „Meine Schwester hat sich ein Studienfach ausgesucht und für mich war klar: Das ist auch für mich das Richtige“, sagt sie.
Werden auch meine Zwillinge sich derart ähnlich entwickeln? Bisher haben sie zumindest beim Essen die gleichen Vorlieben. Und auch in ihrer Entwicklung sind sie fast gleich: Krabbeln und laufen gelernt haben sie jeweils nur etwa zwei Wochen versetzt. Beim Sprechen lernen scheint der eine dem anderen immer einen leichten Vorsprung zu lassen – die Art und Weise, wie sie anfangen sich mitzuteilen, ist aber genau die gleiche.
„Erkennst du denn jetzt am Geschrei, wer das ist?“ Diese interessante Frage eines Freundes konnte ich zuerst gar nicht beantworten. Weil ich noch nicht darüber nachgedacht hatte. Aber es ist tatsächlich so, dass die beiden schon mit knapp zwei Jahren eine etwas unterschiedliche Tonlage haben.
Außen- und Innenminister: Jeder Zwilling hat seine Rolle
Eine spannende Frage wird sein, ob Erzieher und Lehrer die Zwillinge in Zukunft auseinander halten können. Werden sie in der Schule Streiche spielen wie „Das doppelte Lottchen“? Werden sie unterschiedliche Noten bekommen – oder in denselben Fächern stark bzw. schwach sein? „Unsere Lehrer konnten uns bis zum Schluss nicht wirklich unterscheiden“, ist sich meine Freundin sicher: „Wir haben exakt die gleiche Abinote!“
Sie erzählt noch etwas Interessantes: In der Zwillingsbeziehung zu ihrer Schwester sei sie der „Außenminister“: Sie kommuniziere oft für beide nach außen, sei die Extrovertiertere. Die Schwester dagegen sei der „Innenminister“, der die Beziehung der Zwillinge untereinander regele. Auch bei meinen Söhnen ist das bereits erkennbar: Einer erzählt, der andere hält sich Fremden gegenüber lieber im Hintergrund.
Schön ist zu wissen, dass die beiden immer eine sehr nahe Bezugsperson haben werden. „Wir verstehen uns, ohne viel zu sagen“, sagt meine Freundin über sich und ihre eineiige Zwillingsschwester. Ihre Beziehung ist nach wie vor eng, sie telefonieren meist mehrmals pro Tag und holen vor wichtigen Entscheidungen immer die Meinung der anderen ein. Ihr Lebensweg hat sich irgendwann doch etwas auseinander entwickelt. Mittlerweile wohnen sie über 200 Kilometer weit voneinander entfernt. Ich bin sehr gespannt, wie das alles bei meinen eineiigen Jungs ablaufen wird…
Sabine Simon