Bayern ist großartig. In vielerlei Hinsicht. Es baut tolle Autos (die sogar das Wort „Bayern“ im Namen tragen). Es braut schmackhaftes Bier (auch das trägt teilweise „Bayern“ im Namen). Es ist das Bundesland mit der größten Wirtschaftsleistung. Hat bildhübsche Seen, Weiden, Wiesen – und die Alpen. Die Menschen sind herzlich und aufgeschlossen – und falls nicht, dann meinen sie’s bestimmt nicht so. Und: Diese von Gott geküsste Region hat es fertig gebracht das Saufen, Raufen und unterm Biertisch Schnackseln als „Brauchtum“ in alle Welt zu exportieren. Ein diskursiver Eingriff, der seinesgleichen sucht.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel war zwar kein Bayer, aber nichtsdestotrotz ein intelligenter Mann. Er bemerkte einst, dass „alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen“. Stimmt, bemerkte Karl Marx, ebenso nichtbayerischer, aber intelligenter Herkunft. Aber Hegel habe „vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. Das fasst das ganze Schlamassel eigentlich ganz gut zusammen…
Das mag einer Größenwahn nennen, wir nennen das Vernunft
Bayern, das klingt für viele (insbesondere für die, die nicht dort leben) nach Alpenflair, Kuhglocken, Lederhosen, Brezn – und Bier aus gläsernen Eimern. Nach Dirndlgwandt, Schuahplattln, Weißwurst und Maibaum. Nach einer homogenen, friedlich-kooperativen, blau-weißen Einheit. Irgendwo südlich von dem Gebiet, in dem halt die Preissn leben. Da es die bayerische Erziehung quasi als conditio sine qua non mit sich bringt, dass die geographischen Kenntnisse irgendwo nördlich von Nürnberg unscharf werden, weiß jetzt auch keiner so genau, wo da die Grenze zu ziehen ist. Das tut aber auch eigentlich nichts zur Sache.
Bayern, das sind Holzhäuser mit Geranienkästen und Frauen mit Kopftüchern, die auch nicht im entferntesten mit dem Islam in Verbindung stehen; umso mehr mit harter Feld- und Hausarbeit, wenig Anerkennung und gutbayerischem Watsch’n-Patriarchat. Wir nennen das nicht Gewalt, Unterdrückung oder gar Sexismus, sondern einfach „Tradition“ – und dann ist das auch in Ordnung so. Bayern hängt Kreuze in Amtsstuben aus dem einfachen Grund auf, dass es unter der jahrzehntelangen Regentschaft einer Partei steht, die nach Angaben ihres Generalsekretärs dem Christentum deutlich näher ist als die Kirche selbst. Das mag einer Größenwahn nennen, wir nennen das Vernunft. Bis zum heutigen Tage ist uns der Prozess der Säkularisierung in Teilen suspekt. Auch das mit der Aufklärung, einer nach Freiheit und Gleichheit strebenden menschlichen Entwicklung, mag noch nicht ganz bis an den Alpenrand vorgedrungen sein. Sei’s drum, mia sann sowieso mia – Arschlecken!
Bayern, ein Volk aus Römern, Kelten und Asyltouristen
Und außerdem: Früher war sowieso alles besser! Weil früher… da war’s halt einfach besser. Damals, als die ganzen Zuagroastn noch nicht da waren, also noch nicht zuagroast sind, sondern einfach Dahoamblimme waren. Das würde öffentlich so wohl keiner sagen, aber: Als Bayern halt noch rein war. Ohne viel Kultursimsams von außen, als eine Watsch’n noch als durchaus vernünftiges Erziehungsmittel galt. Als man „Neger“ auch noch außerhalb der Diskurssphären einer Dorfwirtschaft auszusprechen vermochte. Als „näähschionaal Rooaahming“ noch von Briefträgern übernommen wurde. Als Schwule noch nicht existierten und das Exotischste im Dorf ein Schwabe mit Englischkenntnissen war. Damals halt…
Wann das genau war?
Auch wenn manche Bierzeltszenerie den Eindruck erwägen könnte, individuelle Überbleibsel eines bajuwarischen Urvolkes seien bis heute erhalten geblieben, hat so etwas wie die „Bayerische Schöpfung“ nie stattgefunden. Eine Bayernversion von Adam und Eva, im Stile von Hänsel und Gretel quasi, blieb uns verwehrt. Auch wenn uns ein Baum der Erkenntnis manchmal nicht schaden würde. Bayern, das war ein zutiefst heterogenes Mischvolk aus Kelten und Römern, aus Umherwanderndenen (so manch‘ bayerischer Ministerpräsident würde heute sagen: Asyltouristen), geprägt von verschiedensten Sprachen und Kulturen, von unterschiedlichen Religionen und Glaubensbekenntnissen. Die vielbeschworene „Einheit des bajuwarischen Volkes“ wurde vollzogen auf Bestreben eines übereifrigen Lederhosen-Wittelsbachers namens Maximilian II. Kultur und Brauchtum dienten damals einzig dem Zweck sich den deutschen Einigungsbestrebungen zu widersetzen.
Von libido, Lederhosen und Alexander Dobrindt
Um zu verhindern, dass sich Deutschland Bayern sozusagen einverleibt, war es dem damaligen Herrscher ein großes Anliegen, die nie dagewesene bayerische Einheit zu befeuern – einzig um des Nationalgefühls willen. Nach Machart einer Dobrindt’schen Leitkultur verordnete Maximilian II. die kulturelle Einheit sozusagen von oben. Von libido ergriffene Bajuwaren und Bajuwarinnen, die sodann in Tracht vor den Altar traten, sollten von nun an staatliche Zuschüsse erhalten. Das Tragen von Lederhosen und Dirndl, so Maximilian II., der das Bayerische Königreich von 1848 bis 1864 regierte, sei für das bayerische Einheitsgefühl „von großer Wichtigkeit“.
Dieses identitätsstiftende „Mia sann mia – aber fix nix anders!“ wirkt bis heute fort. Das Innen definiert sich vor allem durch die Abgrenzung vom Außen. Also in letzter Zeit vermehrt von Muslimen, traditionell aber eher von Preiss’n. Weil die sind anders. Also schlechter. Und deswegen san mia schon per definitionem besser. Logisch. Prost!
Der Preiss, der kann halt einfach nichts. Außer vielleicht sich in halbwegs verständlichem Deutsch artikulieren. Aber für den, der sowieso nur innerhalb Bayern kommuniziert, ist das auch geschenkt. Der Preiss, der hat kleinere Biergläser. Im Extremfall trinkt er daraus Pils. Ihm ermangelt es eines geschwungenen Laugengebäcks. Und seine Möchtegern-Fußballclubs sind gegen unseren von urbayerischen Genen triefenden Hauptstadtverein gnadenlos unterlegen. Grund genug, um damit die Überlegenheit der eigenen Kultur, des eigenen Volkes zu begründen. Hegemonie, das weiß man, war schon seit jeher blau-weiß.
Der Kurt, der Kommunismus und die Kirche
Um dieses von Maximilian II. auf den Weg gebrachten, aus Kultur, Tradition und Brauchtum zusammengezimmerten Überlegenheitsgefühl auch eine einigermaßen gesunde Halbwertszeit zu garantieren, entschloss man sich den ganzen Wahnsinn zu institutionalisieren. 70.500 Quadratkilometer voll gegärtem Hopfensaft und bajuwarischer Leibeskraft transformierte Kurt Eisner am 8. November 1918 in einen Freien Volksstaat Bayern. Kurt Eisner war so etwas wie ein Sozialdemokrat. Und weil Geschichte bekanntlich einen guten Sinn für Humor hat, sich in Teilen als humoristisch-beachtlicher Zyniker hervortut, wurde ausgerechnet Bayern im Jahr 1919 zu einer kommunistischen Räterepublik. Nur für ein paar Wochen, dann war’s vorbei mit dem Klamauk, aber trotzdem irgendwie ein zutiefst irritierender Gedanke. Als würde man seine Hochzeitstorte mit Senf bestreichen; im Großen und Ganzen scheint das ganze Gebilde stimmig – aber irgendwas passt nicht.
Egal! Eisners Röte und derlei egalitäre Ejakulationen waren es wohl, weshalb man heute nur noch selten über dieses Happening spricht. Die Rolle des Urvaters – und dessen grandiose Happenings – schreibt man lieber einer anderen Gallionsfigur bayerischer Geschichte zu, aber dazu später mehr.
So viel zur Tragödie.
Federführend an der Farce beteiligt ist jener Verein, der konservativ bis reaktionär – gefühlt seit Menschengedenken – an der Spitze dieses wundervollen Freistaates steht, seine Finger und Fuchtel in so ziemlich alles reinsteckt, was auch nur im geringsten mit Machtansprüchen zu tun haben könnte, und trotzdem nach der offenbar längst überfälligen „konservativen Revolution“ verlangt. Nein, nicht die Kirche – das Original: die CSU.
„Vox populi, vox Rindvieh“: Straußens Wort in Bayerns Ohr
Den Staffelstab erzwungener kultureller Einheit reichte der gute Maximilian II. über einige monarchische Zwischenstationen – vorbei an Eisner – direkt weiter an Urvater Strauß. Franz Josef, für den „das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten das schönste Amt der Welt ist“ (bzw. gewesen ist, denn Strauß ist tot – Anm. d. Red.), war von seinem Freistaat und der zugehörigen Partei, man könnte sagen, zumindest schwach bis mäßig, nicht zu dolle, aber doch mit ein wenig Schmackes, in Teilen angetan:
„Man braucht den Namen CSU gar nicht zu erwähnen, man braucht nur von der großen bayerischen Partei zu reden. Dann hat jeder vor sich: Bayern, die weiß-blaue Rautenfarbe, das Bild unserer Landschaft, das Bild unseres Himmels und den Begriff der christlich-sozialen Union.“
Selbstbewusst, aber für CSU-Verhältnisse definitiv noch im Rahmen. Damit die Weißwurst-Einheit auch weiterhin bestehen bleibt, legte der Ur-Demokrat Strauß ein Engagement bisher unbekannten Ausmaßes an den Tag. Für sein „Vox populi, vox Rindvieh“ gab er daher die Devise aus: „Unser Ziel muss es sein – und bleiben -, dass ohne die CSU in Bayern nicht das politische Geschick Bayerns und Deutschlands gestaltet werden kann.“ Dass das vox Rindvieh dabei nicht viel mitzudiskutieren hat, sondern dass der Hirte persönlich übernimmt, versteht sich dabei von selbst. Oder wie der Ur-Vater einst prägnant artikulierte: „Die Demokratisierung der Gesellschaft ist der Beginn der Anarchie, das Ende der wahren Demokratie.“ Die wahre Demokratie, Straußens Wort in Bayerns Ohr.
Prost, Happy Birthday und nichts für ungut!
Nun ja, die Tage ziehen ins Land, ein reaktionär angehauchter Jüngling entdeckt seinen Körper. Und bevor er im März 2018 zum Bayerischen Ministerpräsidenten gekrönt wird, klebt er noch kurz ein Straußposter übers Bett seines Jugendzimmers. Damit war eigentlich von Anfang an klar wohin die Reise geht. Maximilian II. hätte sich wohl nicht erträumen können, dass wir heutzutage Raketen zum Mond schicken, aber der gleiche kultur-folkloristische Simsams unter dem Zeichen eines irgendwie mit Biegen und Brechen zusammengeschusterten blau-weißen Hegemonieanspruches, nach wie vor – erfolgreich – zur Anwendung kommt. Und es wird noch besser! Bayern im Jahr 2018 hat beides vereint: Während jedes Jahr Millionen Volltrunkene durch nach Schweiß und Kotze riechende Bierzelte krakeelen – alles im Sinne des Brauchtums -, soll die Bavaria One demnächst Außerirdischen vom Segen der bayerischen Kultur berichten können. Heureka!
Ohne Übertreibung könnte man wohl sagen: Bayern im Jahr 2018, das ist wie Bratwurst mit Sauerkraut, wie Fußball und Freibier, wie Landtagswahl und Abschiebungen – die ultima ratio göttlicher Schöpfung eingepfercht zwischen Inn und Weißwurstäquator.
Also. Einige machen halt nicht mit. Die, deren Interessenshorizont großteilig in der Zukunft angesiedelt ist. Denen ein wahrlos zusammenkonstruiertes Konglomerat von althergebrachten Bräuchen, Riten und Sitten maximal von sekundärer Wichtigkeit ist – also am Arsch vorbei geht. Deren Identität sich nicht zwingend aus den Schlagworten „Vergangenheit“ und „Abgrenzung“ speist. Und Vegetarier, denn die mögen keine Weißwürste.
Heute lässt sich sagen: Hegel wie Marx hatten Recht! „Alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen ereignen sich sozusagen zweimal“. Zunächst als Tragödie: Maximilian II. Dann als Farce: Franz Josef Strauß. Und zu guter Letzt als billig-folkloristischer Abklatsch zum Zwecke des eigenen Machterhalts. Prost, Happy Birthday – und nix für ungut!
Ehrfürchtiger Gratulant: Johannes Gress