Viktor Frankenstein ist ein junger, lernbeflissener Student. Getrieben vom Drang nach Wissen, nach den Grenzen des Erfahrbaren, widmet er sich der Frage, wie man tote Materie zum Leben erweckt – mit Erfolg. Zunächst. Das Ergebnis seiner Kreation, der Unhold, tötet kurz nach seiner Erschaffung Viktors jungen Bruder Wilhelm. Viktor selbst verfällt in einen nicht enden wollenden Taumel bitterster Schuldgefühle. Das Werk Frankenstein, 1818 verfasst von der britischen Schriftstellerin Mary Shelley, gilt als einer der bedeutendsten englischsprachigen Romane – und markiert den Beginn einer ganzen Reihe kulturpessimistischer Literatur. Der Mensch, so die Kernaussage, solle seine Vernunft im Zaum halten, sofern möglich nicht Gott spielen, skeptisch sein gegenüber Neuem, gegenüber Experimentellem. Und in Japan geben sich 2010 Mensch und Maschine vorm Altar das Ja-Wort.
Mit Frankenstein – und viel mehr noch mit ihrem 1826 erschienenen Roman Verney, Der letzte Mensch – kreiert Shelley ein literarisches Genre, das uns heute als Dystopie geläufig ist. Zukunftspessimismus, Misstrauen gegenüber technologischem Fortschritt, Vorbehalte gegenüber entgrenzter menschlicher Vernunft sind die Motive, die sich immer wieder in diesen Romanen finden. Und bei weitem nicht auf das 19. Jahrhundert und das Zeitalter der industriellen Revolution beschränkt blieben.
Das Misstrauen kommt nicht von ungefähr
Angefangen bei George Orwells Romanen und dessen Verfilmungen über die Matrix-Trilogie, Resident Evil und The Purge skizzieren uns eine ganze Menge Romane und Filme eine dystopische Zukunft. Eine Zukunft, in der die Menschheit von Maschinen, Robotern und hyperintelligenten Wesen gnadenlos unterjocht und versklavt wird. In welcher der Mensch – degeneriert zum seelenlosen Zellhaufen – ein bescheidenes, sinnloses Dasein fristet und jeglicher Subjektivität beraubt seinem Schicksal überlassen wird. Das macht Sinn, diese Dinger verkaufen sich gut, wie das mit Schreckens- und Horrorszenarien halt so ist. Wenn es darum geht, wie wir über unsere Zukunft nachdenken, sollten wir uns diese jedoch nicht zur Norm machen.
Diese Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt scheint sich auch in unseren Alltagsverstand wohlig eingenistet zu haben. Spricht man dieser Tage von Digitalisierung, lässt die Sorge um unsere Arbeitsplätze meist nicht lange auf sich warten. Von der Künstlichen Intelligenz (KI) ist es oft nicht weit zur Herrschaft der Maschinen. Und gegenüber Blockchain und Eingriffe in die Genetik ist man grundsätzlich misstrauisch. Das Alles hat seine guten Gründe.
Digitalisierung und Technologisierung üben massiven Druck auf einen Großteil unserer Arbeitsplätze aus, drohen diese weg zu rationalisieren, wie das so schön widersinnig heißt. Im Namen der KI ist bereits viel Schund betrieben worden – und in demselben Namen wird auch in Zukunft noch viel Schwachsinn angestellt werden. Von Blockchain und Genmanipulation ganz zu schweigen. Will sagen: Das Misstrauen gegenüber neuen technologischen Entwicklungen hat durchaus seine Berechtigung.
Star Trek oder Matrix
Dem technologischen Wandel werden zwischen fünf und 40 Prozent aller Jobs zum Opfer fallen – je nachdem, welcher Studie man Glauben schenken will. Je nach Art der Beschäftigung, je nach Land. Das Entscheidende: Einen Großteil dieser Jobs, die dieser Entwicklung zum Opfer fallen, trauert man nach um der Arbeit willen – nicht, weil diese Tätigkeiten irgendetwas Sinnstiftendes in sich bergen. Tagein tagaus am Fließband stehend dieselben zwei Teile zusammenschrauben – das lässt sich nur schwierig als „erfüllend“ betiteln.
Der Weg, den wir derzeit – quer durchs politische Parteienspektrum – beschreiten, beschreibt den Versuch, möglichst viele dieser von Technologisierung und Digitalisierung bedrohten Jobs zu bewahren. Wenn Arbeitsplätze erhalten bleiben, Menschen weiterhin acht Stunden pro Tag am Fließband stehen und halbkomatös schrauben, wird das in aller Regel als Erfolg verkauft. Aber: Durch Technologiesierung geht Arbeit nicht verloren – sie wird jetzt nur von jemand anderem erledigt: einer Maschine. Und das sollte prinzipiell mal eine Frohbotschaft sein – und kein Verlust!
Jeder, der mit Star Trek und nicht mit Matrix groß geworden ist, weiß, dass es auch anders laufen kann: Während Maschinen die tägliche Arbeit verrichten und uns mit dem Nötigsten versorgen, haben Kirk und Spock die Muße über philosophische und ethische Fragestellungen des Universums zu elaborieren. Phänomene wie Krieg, soziale Ungleichheit, Ausgrenzung und Rassismus sind längst Geschichte. Selbst Geld existiert nicht mehr.
In Japan spielt der Roboter die Rolle des Helden
Der technologische Wandel wird sich nicht aufhalten, das Rad der Zeit sich nicht zurückdrehen lassen. Aber Wandel ist gestaltbar. Die Risiken, die KI, Blockchain und Co. in sich bergen mögen, haben genau so ihre positiven Seiten. Mittels Virtual-Reality-Brillen lassen sich mittlerweile Phobien und Ängste sehr erfolgreich therapeutisch behandeln. Mit der Genschere CRISPR lassen sich Erbkrankheiten aus der DNA eines Menschen entfernen – effektiv und kostengünstig. Mittels 3D-Drucker lassen sich Gelenke, Organe und Prothesen künstlich reproduzieren. Roboter und Maschinen können uns einen Großteil unmenschlicher Tätigkeiten abnehmen. Auch – und selbst wenn das befremdlich wirken mag – im Bereich der Pflege, der Therapie und in der Medizin.
„Kritik an der künstlichen Intelligenz übersieht allzu oft die natürliche Dummheit des Menschen“, schreibt Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik an der Uni St. Gallen in einem Beitrag in der ZEIT. Soll heißen: Es gibt eine Menge Dinge, die Roboter besser, zuverlässiger, effizienter und günstiger erledigen können als Menschen.
In Japan, einem Land in dem das Verhältnis zu Robotern und Maschinen ein gänzlich anderes ist, ist man in diesen Belangen den Europäern meilenweit voraus. Auch weil die Vorbehalte gegenüber Technologien lange nicht so ausgeprägt sind wie in unseren Breitengraden. In japanischen Filmen und Romanen schreibt man Robotern ein eigenes Wesen, eine Art Seele zu. Sie spielen in den allermeisten Fällen die Rolle des Helden – nicht die des Sklaventreibers. Ähnlich gestaltet sich auch das Verhältnis der Japaner und Japanerinnen zu Robotern. In der Pflege sind sie dort bereits gängige Praxis, selbst Beziehungen zu Robotern sind keine Seltenheit mehr. Im Juni 2015 gaben sich gar zwei Roboter das Ja-Wort.
Dieser Wandel lässt sich nicht aufhalten, aber steuern und gestalten
Ob man das nun für gut befinden will oder nicht, sei dahingestellt. Fakt ist: In dieser Frage gibt es kein „gut“ und kein „schlecht“ – es gibt nur die Frage nach dem „wie“. Diese Frage ist eng verknüpft mit der Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben? Sehen wir technologische Entwicklung vor allem als Konkurrenten zum eigenen Arbeitsplatz oder als Steigbügelhalter gesamtgesellschaftlicher Emanzipation? Wollen wir weiter auf Teufel komm raus künstlich Jobs schaffen und am Leben erhalten – oder sehen wir diesen Wandel als Chance uns zukünftig mit 20 Wochenarbeitsstunden und weniger abzufinden? „Recht auf Arbeit“ oder „Recht auf Faulheit“?
Technik ist nie neutral und führt auch kein Eigenleben. Mit der Erfindung des Automobils sind der Menschheit mühselige Fußmärsche und langwierige Kutschenfahrten erspart geblieben. Genau so wie wir jetzt, knapp 140 Jahre nach dessen Erfindung, an dessen Abgasen zu leiden haben. Und genau deshalb wird jetzt über den zukünftigen Umgang mit dieser „Technologie“ diskutiert: Fahrverbote, blaue Plakette oder E-Mobilität?
Eine Welt, die sich immer schneller digitalisiert und technologisiert, verändert unseren Alltag bis in den letzten Winkel. Vom Bestellen einer Pizza bis zum Arztbesuch läuft mittlerweile alles per Smartphone – das auch jedes Volksschulkind problemlos zu bedienen weiß. Dieser Wandel lässt sich nicht aufhalten, aber steuern und gestalten.
„Wir sitzen alle in einem Schnellzug, der ohne Lokomotivführer vorwärts rast – aufhalten können wir ihn nicht. Eine schwindelerregende Vorstellung. Aber wir haben zumindest das Recht, aus den Fenstern zu schauen.“
Mit diesen Worten beschrieb Gründer Israël Nisand die achte Ausgabe des Europäischen Forums für Bioethik, das vom 30. Januar bis 4. Februar in Straßburg stattfand. Im Rahmen dieses Forums kamen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an einem Tisch zusammen und diskutierten über die zukünftige Handhabe im Bereich der Bioethik. Auch Bürgerinnen und Bürger waren aufgefordert, ihre Meinung miteinzubringen. Am Ende dieses Prozesses steht ein Bericht des „Comité Consultatif National d’Ethique“ (die Nationale Ethikkommission), wie mit bioethischen Fragen zukünftig umgegangen werden soll.
Im Kern stellt dies ein Ideal dar, das wir uns für diese Art von Fragen als Beispiel nehmen können. Egal, ob Digitalisierung oder Technologisierung – wichtig ist, dass diese Fragen gesamtgesellschaftlich bearbeitet werden, weil sie auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben. Das umfasst die Einberufung von Ethikkommissionen genauso wie öffentliche Debatten und die Bewusstseinsbildung in Schulen. Nur weil jeder Achtjährige weiß, wie man per Smartphone Thai-Huhn bestellt, bedeutet das noch lange nicht, dass er sich auch über die genauen Konsequenzen seines Handelns bewusst ist.
Was ist ein gutes Leben – und wie kommen wir dort hin?
Das Beispiel China zeigt, wieso diese Fragen nicht ausschließlich von staatlicher Seite entschieden werden können. Dort arbeitet das Einparteien-Regime derzeit mit Hochdruck an einem sogenannten Social-Credit-System. Dabei handelt es sich um ein Bewertungssystem, das das Verhalten von Menschen im Alltag aufzeichnet und in ein entsprechendes Ranking einordnet. Welche Tageszeitung jemand liest, ob jemand am Zebrastreifen hält oder sich gesund ernährt und ausreichend Sport treibt, hat entsprechend dem Rankingsystem etwa Einfluss darauf, zu welchen Konditionen jemand Kredite bekommt, zu einer Hochschule zugelassen wird oder eine Wohnung beziehen darf.
Beispiele wie Facebook und Microsoft zeigen, dass diese Fragen auch keine reine Angelegenheit privatwirtschaftlicher Interessen werden dürfen. Deren Interesse am Sammeln von persönlichen Daten macht nicht bei Namen, Alter, Adressen und Alltagsgewohnheiten Halt. Mittlerweile investiert man Milliardenbeträge in die Erforschung von Biogenetik. Die DNA eines Menschen ist vor allem im Handel mit Versicherungs- und Pharmaunternehmen eine lukrative Information. Dass technologischer Fortschritt hier zu Gunsten aller genutzt wird, darf bezweifelt werden.
Aus einer OECD-Studie geht hervor, dass Technologie mittlerweile die Hauptantriebskraft hinter Einkommens- und Vermögensungleichheit ist. Umso wichtiger ist es, dass diese Fragen im Interesse aller verhandelt werden. Es ist unabdingbar, Fragen wie diese im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu bearbeiten: Was ist ein gutes Leben – und wie kommen wir, wir alle gemeinsam, dorthin? Eine gesamtgesellschaftliche Bearbeitung der Frage, wie wir mit Technologie umgehen wollen, ist eng verbunden mit grundlegenden philosophischen Fragen nach „Freiheit“ und „Selbstbestimmtheit“, die uns seit Jahrtausenden beschäftigen. Technologie darf weder zum Steuerungsinstrument der Massen noch zur Profitquelle einiger weniger werden.
Wir haben die Wahl!
Dass wir zukünftig den „perfekten Menschen“ erschaffen können, steht außer Zweifel – viel wichtiger ist, ob wir das auch wollen. Auch dass wir zukünftig in Supermärkten nicht mehr an der Kasse, sondern bloß noch per Eye-Scan bezahlen, ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr – was das zum Beispiel in Sachen Datenschutz bedeutet, steht auf einem anderen Blatt. Auch das Besiedeln fremder Planeten ist in greifbarer Nähe – und Grund genug, dass der US-Amerikanische Präsident Trump laut über eine Weltraum-Armee nachdenkt.
Romane wie Shelleys Frankenstein, Orwells 1984 oder auch Streifen wie Matrix und Star Trek präsentieren uns Versionen einer Zukunft, wie sie sein könnte. Sie kann aber auch ganz anders sein. Nochmals:Einmal ins Rollen gebracht, wird sich technologischer Wandel weder aufhalten noch zurückdrehen lassen. Nochmals: Das Entscheidende dabei ist, dass wir ihn mitgestalten können, dass wir die Wahl haben. Und ich hoffe, wir entscheiden uns für Star Trek.
Johannes Greß