Mit Dolly klonte man im Jahr 1996 das erste Schaf. Eingriffe in das menschliche Ergbut sind schon seit langem en vogue. Ebenso künstliche Befruchtungen und Leihmutterschaften. Mit neuesten Technoligien haben wir die Möglichkeit die DNA des Menschen in bisher nie dagewesener Art und Weise zu verändern – schnell und kostengünstig. Die Frage ist: Wollen wir das?
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„Wir sitzen alle in einem Schnellzug, der ohne Lokomotivführer vorwärts rast – aufhalten können wir ihn nicht. Eine schwindelerregende Vorstellung. Aber wir haben zumindest das Recht, aus den Fenstern zu schauen.“
Mit diesen Worten beschrieb Gründer Israël Nisand die achte Ausgabe des Europäischen Forums für Bioethik, das vom 30. Januar bis 4. Februar in Straßburg stattfand.
Der Schnellzug, der an uns vorbeirast, das sind technologische wie medizinische Entwicklungen, die sich derzeit in atemberaubenden Tempo fortentwickeln. Unaufhaltsam und ohne Lokomotivführer ist dieser Schnellzug, da sich Wissenschaft wie Technologie nie gezielt in eine Richtung lenken lassen, sondern sich stets diffus und mehr oder weniger willkürlich in eine Vielzahl von Richtungen bewegen. Zudem ist es nicht nur die Wissenschaft, die ein Interesse daran hat zu erfahren, in welcher Art und Weise wir leben. Globale Megakonzerne wie Facebook, Amazon und Google investieren bereits heute Milliardenbeträge in Forschungsprojekte über die Produktion und Reproduktion von Menschen.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts verkündete der britische Philosoph und Jurist Francis Bacon, das oberste Ziel der Wissenschaft sollte lauten, die Natur und Umwelt zu erforschen, um diese zu beherrschen. Die Natur solle dem Menschen Untertan sein. Im 21. Jahrhundert, in Zeiten von Pflege-Robotern, autonomen Fahrzeugen und Künstlicher Intelligenz (KI), lautet die Frage nicht mehr, ob wir uns die Natur Untertan machen, sondern wie. Künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft und pränatale Eingriffe sind schon lange keine Fragen der Möglichkeit mehr, sondern Fragen der Ethik. Und spätestens hier wird es politisch.
Perfekt, fast perfekt – oder doch nicht ganz so perfekt?
Die Erschaffung eines „perfekten“ Menschen ist heutzutage kein Fall mehr für die Abteilung Science-Fiction, sondern schlichte Gegenwart. Mittels der sogenannten Crispr/Cas9-Technik beispielsweise lässt sich Erbgut mittlerweile einfach, effizient und relativ kostengünstig auf vielerlei Art verändern. Sie gilt aktuell als eine der „weltweit wichtigsten Innovationen zur Veränderung von Erbgut“. Die Frage ist nur, ob wir das wollen? Was passiert mit den nicht-so-ganz-perfekten Menschen? Mit den Überhaupt-nicht-perfekten? Wer entscheidet, was perfekt bedeutet? Wer definiert die Grenze zwischen gerade noch gut genug und nicht mehr gut genug, zwischen Leben und Nicht-Leben?
Das Alles sind höchst politische Fragen, denn sie betreffen den Kern unseres Zusammenlebens und die Frage, wie wir dieses organisieren wollen. Das Zusammenspiel, das sich hieraus ergibt, ist eines zwischen Wissenschaft, Politik und Kapital. Die Wechselwirkung zwischen den ersten beiden ist klar: Die Wissenschaft liefert Erkenntnisse über den menschlichen Körper, über Fortpflanzung, Leihmutterschaft, etc. Die Gesellschaft entscheidet dann (in Form von politischer Aushandlung), wie sie mit diesen Ergebnissen umgehen möchte. Konkret heißt das: Was ist erlaubt und was nicht? So ist in Spanien, Frankreich und Deutschland eine Leihmutterschaft beispielsweise verboten, egal ob kommerziell oder altruistisch. In Österreich oder Tschechien sind beide Formen der Leihmutterschaft gesetzlich nicht geregelt und können daher zumindest der Möglichkeit nach durchgeführt werden.
Leben und Profit, Profit oder Leben
Eine Art ethischen Vorzeigestaat stellt in dieser Hinsicht Frankreich dar. Alle sieben Jahre, so will es das Bioethikgesetz, kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Medizin und Ethik zusammen und bereiten eine breit angelegte Debatte. Auch Bürgerinnen und Bürger können ihre Meinung zu dem Thema kundtun. Am Ende dieses sechs Monate währenden Prozesses verfasst die „Comité Consultatif National d’Ethique“ (die Nationale Ethikkommission) einen Abschlussbericht, der als Grundlage für die weitere Gesetzgebung dienen soll.
Der Fall Frankreich stellt demokratiepolitisch also einen Art Idealfall dar: Alle relevanten Vertreter und Vertreterinnen sowie Bürger und Bürgerinnen kommen an einem (wenn auch in Teilen virtuellen) Tisch zusammen und diskutieren Fragen und Probleme die Organisation des Zusammenlebens betreffend. Der dritte Akteur im Bunde, das Kapital, verfolgt Interessen, die mit der gesunden Funktionsweise des menschlichen Zusammenlebens weniger zu tun haben: Profit bzw. die Aussicht auf diesen.
Die CEOs der weltweit größten Unternehmen, darunter Facebook-Gründer Sean Parker und Microsoft-Gründer Bill Gates, investieren Beträge in Milliardenhöhe in Forschungsbereiche der Biogenetik. Nicht aus Liebe zum Menschen. Das Sammeln von gigantischen Datenmengen via Facebook, Twitter, Kreditkarten, Tracking-Softwares und diversen Boni- und Treuekunden-Karten (kurz: Big Data) macht auch vor menschlichen Genen nicht Halt. Was die Biogenetik derzeit erlebt, ist ein milliardenschwerer Investment- und Innovationshype. Hieraus erhoffen sich Konzerne beispielsweise einen Vorsprung in Sachen Innovation im Hinblick auf verschiedene Therapiemethoden oder Medikamente. Die DNA eines Menschen dürfte also vor allem für Versicherungs- und Pharmaunternehmen interessant sein.
Gilead: Zwischen heiliger Schrift und Dystopie
Was dieses Szenario zu einer potentziellen Bedrohung macht: Der demokratische Aspekt bleibt in diesem Falle einfach außen vor. Was diese globalen Megakonzerne mit den gewonnenen Informationen machen, ist nämlich nicht Gegenstand demokratischer Aushandlung. Und dass allen voran Facebook und Google nur wenig am verantwortungsbewusstem Umgang mit Daten liegt, ist kein Geheimnis. Dass Pharmaunternehmen in vielen Fällen nur wenig an der Gesundheit eines Menschen liegt, ebenso wenig. Immer wieder kritisieren Ärzteverbände, Pharmariesen würden die Preise für Medikamente künstlich hochhalten, den eigenen Profit dem Überleben von Millionen von Menschen vorziehen.
So erwirtschaftete beispielsweise das Pharmaunternehmen Gilead Sciences, eines der größten Pharmaunternehmen der Welt, zwischen 2013 und 2016 durch den Verkauf von Hepatitis-C-Medikamenten einen Umsatz von sage und schreibe 28 Milliarden Euro – rund das 40-fache der eigentlichen Produktionskosten! Eine zwölfwöchige Hepatitis-C-Therapie mit dem Medikament Solvaldi kostet einer Patientin laut Recherchen des SPIEGELS 41.000 Euro – gleichzeitig liegen die laufenden Herstellungskosten bei rund 85 Euro. Dass Gilead ursprünglich die Bezeichnung eines biblischen Landes war und gleichzeitig im Roman „Der Report der Magd“ als Name für eine theokratische Militärdiktatur dient, passt irgendwie ins Bild.
Was den von Israël Nisand erwähnten Zug betrifft, sollte uns also etwas daran liegen, nicht nur aus dem Fenster zu schauen, sondern doch irgendwie auf die Fahrtrichtung des Zugs einzuwirken.
Kommentar: Johannes Greß
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Jubel, Trubel, Eitelkeit: Die EU-Kolumne von Johannes Greß
„Offene Grenzen, krumme Gurken, Wohlstand für Alle: Wohin, und wenn ja, wie viele?“ Hog’n-Mitarbeiter Johannes Greß wirft einmal im Monat einen Blick nach Brüssel, analysiert das Geschehen aus EU-Perspektive und gibt seine eigene Sicht auf den Lauf der Dinge wieder. (Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form auch auf www.2seitig.at)