Die Bilder der 16-jährigen Greta Thunberg gehen derzeit um die Welt. Seit die junge Schwedin erstmals am 20. August 2018 der Schule fern blieb, um stattdessen vor dem schwedischen Parlament für die strikte Einhaltung der Klimaziele zu protestieren, schmückt sie die Titelseiten der Printmedien rund um den Globus. Sie sprach am Internationalen Klimagipfel im polnischen Katowice sowie beim World Economic Forum in Davos. Seitdem folgen zehntausende Schülerinnen und Schüler ihrem Vorbild und organisieren unter dem Motto Fridays For Future wöchentliche Schulstreiks. Dabei sind sie nicht das einzige Beispiel dafür, dass es zuletzt die Heranwachsenden sind, die die Älteren offenbar in die Schranken weisen müssen…
Bereits im Februar 2018 ging das Bild von Emma Gonzáles um die Welt. In Parkland, Florida, tötete ein Amokläufer an einer Schule 17 Menschen. Gonzáles war mit vor Ort, befand sich im Schulgebäude. Ihre Reden, in denen sie unter Tränen ihre Wut auf Präsident Trump und die Waffenlobby NRA zum Ausdruck brachte, fanden große Verbreitung in den Medien. Niemand zuvor hatte die Debatte um den Besitz und den Gebrauch von Schusswaffen in den USA derart befeuert wie die 19-Jährige. Dem von Gonzáles initiierten March for Lives schlossen sich alleine in Washington D.C. rund 800.000 Menschen an. Dass es nun erneut eine Teenagerin richten soll, ist kein Zufall.
Ein Grund, wieso es gerade Kinder und Jugendliche sind, die unsere verkorkste Klimapolitik wieder gerade rücken sollen, ist offensichtlich: Sie sind es, die am meisten unter den Konsequenzen zu leiden haben werden. Menschen, die heute über deren Zukunft entscheiden, sind meist über 50 Jahre alt und werden die gravierendsten Folgen maximal noch vom Fenster des Seniorenheims aus mitbekommen. Wenn Meeresspiegel steigen, Böden versalzen, Hitze- und Extremwetterereignisse zunehmen, Wirbelstürme ganze Städte verwüsten und Abermillionen ihre Heimat verlassen müssen; die Konflikte, die aus diesen massiven Migrationsbewegungen entstehen werden; all das werden jene, die sich heute gegen schärfere Klima-Bestimmungen zur Wehr setzen, nur noch am Rande miterleben.
Die Kunst und der Irrsinn einer ideologiefreien Politik
Die Rechnung für jene Profite, die heute mit dem massiven Ressourcenverbrauch von Öl und Gas, riesigen Produktionsanlagen, immer mehr Fahrzeugen, Schiffen, der Fleischindustrie usw. gemacht werden, muss die heutige junge Generation irgendwann bezahlen. Es ist ein wenig so, als würden bei einem Verwandtschaftsfest plötzlich alle Erwachsenen die Party verlassen, beim Hinausgehen noch vor die Tür kotzen und die Zeche den Zurückgebliebenen überlassen.
Der zweite Grund, wieso die Jugend dieser Tage so mächtig „zum Zuge“ kommt: Man kann einem Minderjährigen nur sehr schwer rein ideologische oder parteipolitische Beweggründe in die Schuhe schieben. Nicht, dass das bei Thunberg nicht versucht wurde: Auch hier gab es Vorwürfe, sie werde von ihren Eltern oder anderen Interessengruppen politisch instrumentalisiert. Wer der 16-Jährigen auch nur zwei Minuten zuhört, wird jedoch schnell erkennen, dass dies Schwachsinn ist.
Beginnend in den 1970er Jahren werden noch heute zahlreiche Versuche, schärfere Klimaschutzmaßnahmen zu etablieren, als „ideologisch motiviert“ abgeschmettert. Die Parteigeschichte der Grünen ist voll davon – bis heute. Was man auch immer unter einer „Ideologie“ verstehen mag (dazu gibt es Bibliotheken voll mit Literatur), ist es für Kinder und Jugendliche deutlich leichter sich diesem Vorwurf zu entziehen. Ihre „Sorgen“ werden auch tatsächlich als solche wahrgenommen. NGOs wie Greenpeace oder WWF, Parteien wie die Grünen oder die ÖDP versuchen seit Jahrzehnten exakt dasselbe voranzutreiben, was auch Thunberg und die Fridays-For-Future-Proteste forcieren wollen – nur mit deutlich weniger Resonanz.
Vollbeschäftigung!
Natürlich sind umweltpolitische Bestrebungen „ideologisch“ motiviert. Was auch sonst? Wer eine Politik ohne Ideologie betreibt, betreibt eine Politik ohne Idee, eine Politik frei von Politischem. Und so widersinnig es klingen mag, wird gerade dies heute vielfach versucht. Damit sind nicht jene gemeint, die die menschengemachte Erderhitzung ohnehin ganz offen in Zweifel ziehen. Sondern jene, die den Klimawandel quasi von innen heraus leugnen. Jene, die die Katastrophe zwar als solche anerkennen, aber alles Erdenkliche in die Wege leiten, um an ihren eigenen Privilegien festzuhalten.
Was man auf Klimagipfeln wie jenem in Katowice oder unlängst beim Wirtschaftsforum in Davos beobachten kann, ist genau jene Vorgehensweise: Die Klimakrise wird als solche anerkannt, die zur Änderung notwendigen Schritte werde man jedoch nur unter den Bedingungen umsetzen, dass auch jeweils nationale wirtschaftliche Interessen ausreichend berücksichtigt werden. Also nur wenn wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze garantiert werden, könne man demnach auch über den Klimawandel diskutieren. Nach dieser Logik sitzen wir irgendwann auf einem vertrockneten Planeten, der natürliches Leben so gut wie unmöglich macht und auf dem jede andere Spezies außer dem Menschen ausgelöscht wurde – aber es herrscht Vollbeschäftigung! Hurra…
Die Klimakrise ist nicht mehr weg zu diskutieren
Der eigentliche Trugschluss ist genau jenes Beharren auf der Annahme, politisch sei alles möglich, solange wirtschaftliches Wachstum garantiert ist. Einzig wirtschaftliches Wachstum sei die geeignete Maßnahme, die uns – ohne großes ideologisches Tamtam – zum guten Leben für alle führt. Man müsse nur die Ideologie aus der Politik verbannen, somit das Politische aus der Politik, um das größtmögliche Wohl für alle zu garantieren. An diesem fadenscheinigen Argument halten wir nun seit mehr als 250 Jahren fest. Es hat uns fernab vom guten Leben für alle vor allem zahlreiche Krisen eingehandelt. Sollten wir nicht bald zu der Einsicht kommen, dass dieses Experiment auch kein positives Ergebnis nach sich ziehen wird, war es das letzte Experiment für unsere Spezies auf diesem schönen Planeten.
In den Worten Greta Thunbergs: „Einige Leute, einige Unternehmen, vor allem einige Entscheidungsträger wussten genau, welchen unbezahlbaren Wert sie opfern, um weiterhin unglaubliche Mengen Geld zu verdienen.“ Je näher, je bedrohlicher und gegenwärtiger die Klimakrise wird – und auch davon profitieren Streikbewegungen wie Fridays For Future -, desto ent-ideologisierter wird sie. Mittlerweile gibt es mit dem IPCC-Specialbericht vom Oktober 2018 ein Werk, das bis ins Detail darlegt, welche Maßnahmen die Menschheit treffen muss, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Der Hitzesommer 2018, die verheerenden Waldbrände, Hungersnöte und tobende Wirbelstürme sorgen dafür, dass die Erderhitzung nicht mehr weg zu diskutieren ist.
Es sind Jugendbewegungen wie Fridays For Future, die mittlerweile neben Deutschland, Belgien, Schweiz, Italien auch in den USA, in Australien und sogar in Uganda existieren. Bewegungen, die diese Maßnahmen nun vorantreiben müssen – weil bisherige Entscheidungsträger kläglich versagt haben. Und weil heutige Entscheidungsträger weiterhin kläglich versagen. Indem sie etwa aus internationalen Klimaverträgen austreten. Indem sie, wie Deutschland, nationale Klimaziele nicht einmal ansatzweise erreichen. Indem wirtschaftliche Interessen und eigene Privilegien nach wie vor wider jede Rationalität verteidigt werden. Es sagt viel über den Zustand dieser Welt aus, wenn jene Menschen, die noch nicht einmal wahlberechtigt sind, den Ton angeben müssen, weil der Laden sonst gegen die Wand fährt. Ein wahres Armutszeugnis.
Kommentar: Johannes Greß