Passau. Dahoam schmeckt’s am besten – doch wo kommt „regional“ eigentlich noch aus der Region? Internetrecherchen zu Hofläden, kleinen Handwerksbetrieben, Dorfläden oder regional einkaufenden Gastronomen sind aufwändig – und die auffindbaren Informationen oft sehr dürftig. Dabei ist Regionalität das zweitwichtigste Kriterium für Kaufentscheidungen.
Im vergangenen Jahr berichteten wir bereits über das Passauer Start-Up namens Regiothek. Die Regiothek entwickelt ein Online-Portal, das den Ursprung von Lebensmitteln bis ins Detail nachvollziehbar macht. Woher das Rind stammt, das sich in Gasthöfen der Umgebung wieder findet, oder wo das Mehl des niederbayerischen Dorfbäckers geerntet und gemahlen wird, lässt sich übersichtlich auf einer Karte auf der Webseite einsehen. Die Offenlegung der Lieferketten schafft Transparenz zwischen Anbietern und Verbrauchern. So lässt sich die regionale Kulinarik jenseits der Supermarktregale erschließen.
„Wir sind die erste Anwendung überhaupt, auf der für die Öffentlichkeit transparent aufbereitete Wertschöpfungsketten der Lebensmittelwirtschaft zutatengenau visualisiert werden können“, sagt Bastian Kühnel vom Gründerteam. Vernetzt werden kleine Betriebe aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel, Gastronomie sowie Verbraucher, die Wert auf nachhaltige Lebensmittelwirtschaft und Regionalität legen. Dabei steht besonders Transparenz im Mittelpunkt: Verbraucher können Informationen zum individuellen Angebot und Engagement für Nachhaltigkeit direkt vom Erzeuger erhalten und somit leichter nachhaltige Konsumentscheidungen treffen.
„Derzeit 1.000 Produkte von über 30 Partnerbetrieben“
Mittlerweile ist die Plattform online und Betriebe können sich eintragen lassen. Mit einem ansprechenden Profil, gelisteten Produkten und sogar dem einen oder anderen Video zum Betrieb bringt die Regiothek Licht in den niederbayerischen Lebensmitteldschungel. Die Verbraucher können Angebote durchforsten, sich inspirieren lassen oder gezielt nach dem benötigten Produkt suchen. Dann werden alle Anbieter in der Umgebung angezeigt, seine Lieblingsanbieter kann man sich sogar speichern.
Mit viel Tatendrang arbeitet die Regiothek weiter an ihrer Idee. Täglich werden Verbesserungen auf der Plattform durchgeführt, welche mit einer eigens erstellten Wissensbasis für Lebensmittel glänzt.
Die Vision der Regiothek ist es, qualitativ hochwertig hergestellte Produkte aus der Region durch bewussten Konsum wieder ihren Weg in die Gesellschaft finden zu lassen. Das Großartige, das kleine Betriebe mit täglicher Hingabe und Leidenschaft vollbringen, wird auf regiothek.de für Jedermann sichtbar machen. Ziel des Projektes ist es, kleinen handwerklich arbeitenden Betrieben beim Sprung ins digitale Zeitalter zu helfen und Verbraucher für nachhaltig produzierte und hochwertige Lebensmittel zu sensibiliseren. Da Hog’n hat sich darüber erneut mit den Machern des digitalen Lebensmittelprojekts unterhalten:
Ganz allgemein gefragt: Für wen ist die Regiothek geschaffen worden?
Die Regiothek ist für alle Verbraucher geschaffen worden, die Wert auf gutes Essen legen und bewusst konsumieren wollen – und für alle Betriebe, die „ehrliche Lebensmittel“ anbieten. Wir schaffen eine Beziehung zwischen Verbraucher und dem Betrieb, also eine Beziehung zum Essen und durch Essen. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, als Vermittlerorgan zu agieren und in die Öffentlichkeit zu tragen, was in den kleinen Betrieben so Großartiges vor sich geht.
Wichtigstes Alleinstellungsmerkmal: Lieferkettenvisualisierung
Was unterscheidet die Regiothek von anderen regionalen „Lebensmittel-Plattformen“?
Da gibt es einige Unterschiede. Zunächst sind wir die erste Anwendung überhaupt, die öffentlich einsehbar detaillierte Lieferketten auf einer Landkarte darstellbar macht: Wer bezieht welche Zutaten oder Produkte woher? Für den Verbraucher bekommt somit der oft missbräuchlich verwendete Begriff der Regionalität ein Gesicht. Die Lieferkettenvisualisierung ist unser wichtigstes Alleinstellungsmerkmal.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass wir nicht nur passive Informationen bereitstellen, sondern eine Plattform mit Community-Charakter schaffen. Auch Verbraucher können sich bereits jetzt registrieren, um in Zukunft beispielsweise aktuelle News ihrer Lieblingsbetriebe zu erhalten. Außerdem haben wir bereits mit unserem ersten Prototypen eine Anwendung geschaffen, die auf leichte Bedienbarkeit, Aktualität und Hintergrundinfos setzt, die man auf anderen Plattformen nicht bekommt. Wir haben dazu beispielsweise auch eine eigens entwickelte Ontologie, also Wissensbasis, für Lebensmittel geschaffen.
„Maximale Lebensmitteltransparenz vom Feld bis zum Teller“ lautet die Devise – gibt es diese Transparenz tatsächlich? Ist so etwas überhauupt schaffbar?
Es gibt diese Transparenz, aber natürlich nur selten zu 100 Prozent. Außerdem gibt es bei uns einen gewissen Kompromiss zwischen Bedienbarkeit bzw. Benutzerfreundlichkeit und diesem Anspruch nach möglichst hoher Transparenz – theoretisch könnte man über jede einzelne Kartoffel einen ganzen Artikel schreiben, was jedoch für kleine Anbieter logistisch nicht realisierbar ist. Durch die vollständige oder teilweise Darstellung geografischer Herkunft leisten wir aber jetzt schon einen Beitrag zu mehr Transparenz.
Da wir jetzt noch am Anfang stehen, haben wir natürlich noch lange nicht für alle Produkte sämtliche Daten gesammelt, die dafür notwendig sind. Mit der Zeit bildet sich aber ein immer dichterer Informationsgehalt, so dass für immer mehr Produkte die Rückverfolgbarkeit dargestellt werden kann. Einige Features, wie beispielsweise die Darstellung der Futtermittelherkunft bei Nutztierhaltung, sind außerdem derzeit in Entwicklung, aber noch nicht freigeschaltet.
Auch „regional“ heißt nicht automatisch „gut“…
Projektstart war der 1. Januar 2017 – warum hat es am Ende doch etwas länger gedauert mit der Fertigstellung der Homepage?
Am 1. Januar letzten Jahres hat, wie richtig bemerkt, das Projekt begonnen. Wir haben aber nicht irgendeine „Homepage“ gebastelt, denn dafür bräuchten wir keine zwei Wochen, sondern eine hochkomplexe Anwendung mit Technologien aus der Hochschulforschung. Dass wir nach nicht einmal einem Jahr einen aus dem Nichts geschaffenen funktionsfähigen Prototypen mit etlichen Features präsentieren konnten, die es sonst nirgends gibt, erachten wir vor allem auf den Zeitraum bezogen als Erfolg.
Gerade bei innovativen IT-Projekten kann man die Metapher des Eisbergs heranziehen: Als Außenstehender sieht man nur fünf Prozent dessen, was sich dahinter verbirgt. Die Leute, die sich ein bisschen mit IT-Entwicklung auskennen, staunen regelmäßig, wenn sie erfahren, mit wie wenigen Leuten und in wie kurzer Zeit wir das Projekt gestemmt haben.
Auch Supermärkte gehen mehr und mehr in Richtung „bio“ und „nachhaltig“ – ist das Eurer Meinung nach überhaupt möglich? Oder schließt sich das nicht von Vornherein aus: „bio“ und „Supermarkt“?
Natürlich kann sowohl das Etikett „bio“ wie auch „regional“ in Supermärkten durchaus realisierbar sein. Dabei muss man aber erst einmal hinterfragen, wie viel oder wie wenig sich hinter dem Schlagwort verbirgt: Wenn ein Bio-Produkt aus Übersee kommt, obwohl es auch bei uns wachsen würde, wird der Ökologie-Gedanke verfehlt – auch wenn das Produkt „bio“ heißt und entsprechend zertifiziert ist. Und wenn ein Supermarkt alles als „regional“ deklariert, was aus Deutschland kommt, führt dies die Begrifflichkeit ebenfalls ad absurdum. Auch „regional“ heißt nicht automatisch „gut“ – gerade in Deutschland ist die Lebensmittelwirtschaft stark industrialisiert. Großbetriebe ohne nennenswerte Bemühungen um Handwerklichkeit, Umwelt oder Geschmack gibt es auch bei uns. Weder das Schlagwort „bio“ noch „regional“ wird also der Komplexität dahinter gerecht.
„…ist aber nur die Marketing-Anekdote zur großen Show“
Das eigentliche Problem bei Supermärkten bzw. vor allem bei Discountern, ist vor allem das einer strukturellen volkswirtschaftlichen Macht. Wenn es der Einzelhandel tatsächlich ernst meinte mit einer fairen und nachhaltigen Lebensmittelwirtschaft, sollte er zunächst die Billig-Milch aus den Regalen verbannen, mit der mehr Umsatz erwirtschaftet wird als mit der Bio-Heumilch aus dem Premium-Segment. Letztere wird mit romantisierenden Bildern einer lokalen und kleinstrukturierten Landwirtschaft beworben, ist aber nur die Marketing-Anekdote zur großen Show.
Hier muss man aber ergänzen, dass es innerhalb des Handels große Unterschiede gibt etwa zwischen einem Discounter und einem inhabergeführten Supermarkt. Manche meinen es ernst, aber solange man im „System Supermarkt“ denkt, wird es immer dazu kommen, dass längerfristig über Preisdruck oder Abnahmevereinbarungen die wesentliche Marktmacht in den Händen weniger Akteure konzentriert wird. Nur zwei Voraussetzungen können das Überleben kleiner Betriebe gewährleisten: strukturelle Unabhängigkeit sowie bewusste Konsumenten.
Abschließende Frage: Wie lauten die Zukunftspläne für die Regiothek?
In diesem Jahr möchten wir unser Netzwerk in unserer Pilotregion Niederbayern fest etablieren. Anschließend wollen wir Schritt für Schritt in immer neue Gebiete des deutschsprachigen Raums expandieren. Dabei wird die Plattform ständig weiterentwickelt. Unsere nächsten Entwicklungsschritte werden z.B. mehr Interaktivität zwischen Anbietern und Verbrauchern ermöglichen und die Bedienbarkeit erleichtern. Langfristig soll die Regiothek auch als mehrsprachige Anwendung existieren. Denn gut und regional kann man überall essen, ob am Urlaubsort oder dahoam.
Vielen Dank für die Informationen – und weiterhin alles Gute.
Interview: da Hog’n