Lindberg. HeimatUnternehmer – das sind Menschen, die sich mit kreativen Geschäftsideen selbständig gemacht haben oder gerade dabei sind, beruflich ihrem Herzensprojekt zu folgen. Weil dieser Weg ein bisweilen recht einsamer und steiniger sein kann, unterstützen die Akteure einander in lokalen Netzwerken. Zu den bereits existierenden „Entrepreneurszellen“ in Tirschenreuth, der Bayerische Rhön, dem Allgäu, der Isar-Inn-Region, in Schwaben und dem Miesbacher Oberland soll künftig auch der Bayerische Wald gehören.
Ein entsprechender Verein befindet sich, so ARBERLAND REGio-Geschäftsführer Herbert Unnasch, worldwidewoid-Networker Jens Schlüter und JugendCafé-Leiter Christian Schwarz, bereits in der Gründung. Am Donnerstag und Freitag haben die drei Bayerns HeimatUnternehmer im „Haus zur Wildnis“ zum jährlichen großen Austausch empfangen. Geboten waren kurze Inputs, Talkrunden, neue Kontakte und ein frischer, junger Spirit, der für manche Überraschung sorgte.
Close-up-Zauberer, Mitmachbrauer, Lupinenröster …
Eingangs veranlasste Kunst- und Kulturreferent Roland Pongratz einen musikalischen „Aufgalopp“ in den Veranstaltungssaal. Sein Vortrag zeichnete die Entwicklung des Musikfestivals „drumherum“ nach. Was vor rund 20 Jahren als Idee für einen Musikanten-Veranstaltungsabend begann, wird heute mit 400 Gruppen und 50.000 Besuchern gerne augenzwinkernd als „Wacken der Volksmusik“ bezeichnet. „Alle zwei Jahre freut sich die Stadt Regen auf euch“, lud Pongratz die Teilnehmer ein, „aber kommt‘s an einem Montag – und ja nicht am Sonntag!“
Joe Wagner und Michi Pelikan ließen bei einer Vorher-Nachher-Slideshow ihre Renovierungsarbeiten an der „Alten Post“ Revue passieren. Als „Rote Res“ (benannt nach der Lebensgefährtin des legendären Räuber Heigl) steht das Veranstaltungswirtshaus in Bodenmais künftig kleinen und großen Interessengruppen, hungrigen Gästen und geselligen Einheimischen offen. Das gleichnamige Indian Pale Ale durften die HeimatUnternehmer bereits im Rahmen der Veranstaltung verkosten.
Dann präsentierte Sebastian Nielsen das „Adventure Camp Schnitzmühle“. Vor rund 15 Jahren haben er und sein Bruder Kristian den ehemaligen Viechtacher Gasthof mit ein paar Zimmern in dritter Generation übernommen. Heute machen die Gebrüder Hip(p)ster und Großmütter gleichermaßen glücklich: Mit einem Happen aus der Thai-Bay-Küche und hausgemachten Drink, Übernachtungen in der lässigen Hacienda, dem luftigen Lodge oder im Schwarzen Haus am Schwarzen Regen, Wellnessen im Emoji-SPA oder dem Bubble-Basin, Campen mit den Kindern, Hiken, Biken, Kanufahren oder Teambuilding.
Rhetorisch begeisterte „Kaff“-Leiter Christian Schwarz die Zuhörer. Er begann seinen Vortrag mit einem frühmorgendlichen Videomitschnitt aus Seattle: Ein Keynote-Speaker lobte das Zwieseler JugendCafé, welches – so weiß jeder in der Region – sehr viel mehr ist als eine klassische Jugendkultureinrichtung. Circa 20 Konzerte mit internationalen Künstlern werden hier pro Jahr von jungen Menschen ausgerichtet, die ihre Idole einmal in der Heimat erleben wollen. Wie das Beispiel von Heinz Spielvogel und seinem Unternehmen „GL Concerts“ zeigt, haben sich aus diesem jugendlichen Mitgestalten ganze Karrieren ergeben. Schwarz sieht seine Aufgabe so: „Rahmenbedingungen schaffen, damit sich was entwickelt.“
Aus den übrigen sechs bayerischen Netzwerken lernte man Close-up-Zauberer, Straußenfarmer, Mitmachbrauer, Alpaka-gestützte Therapeuten, Lupinenröster, Ledermanufakteure, Schauspieler, Achtsamkeitscoaches, Landwirtschaftsarchitekten und viele weitere sympathische Individualisten kennen.
„Dann kam einer, der wusste das nicht – und hat’s gemacht“
Den intensiven ersten Tag rundete Heinrich „Heini“ Staudinger ab. Der Waldviertler ist Geschäftsführer der Firma GEA, die rund 60 Läden in Österreich, Deutschland und der Schweiz betreibt. Verkauft – und zuvor unter ökologischen Gesichtspunkten in der EU produziert – werden Schuhe, Taschen, Matratzen und Möbel.
2017 erwirtschafteten seine 300 Mitarbeiter, an die er gerne auch Bio-Lebensmittel verteilt, einen Umsatz von 32 Millionen Euro. Staudinger hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für kleine und mittelständische Betriebe, denen er Internet-Giganten wie Amazon & Co. gegenüberstellte. Hier scheute der 66-Jährige auch vor unmissverständlicher Kritik an einem „Wettbewerb auf der Butterseite der Ausbeutung“ nicht zurück, der sich die Klima- und Flüchtlingskrise selbst generiere. Sein abschließender Appell – frei nach John Lennon – vom Träumer zum Werkler zu werden, erntete tosenden Applaus.
Wandernderweise ging es am zweiten Veranstaltungstag weiter vom „Haus zur Wildnis“ auf den poetischen Grenzsteig ins Wildnis Camp. Unterwegs präsentierte Hannes Lichtenmanegger aus Ramsau – beinahe ein Superstar unter Bayerns Gastgebern – sein klimapositives „Berghotel Rehlegg“. Ludwig Waas, Bürgermeister von Niederwinkling, und Hans-Jörg Birner, Bürgermeister von Kirchanschöring, stellten die Projektarbeit in ihren Gemeinden vor. Paul Hüttl und Johannes Gilch berichteten vom „Musikinitiative Vohenstrauß e.V.“, Lioba Degenfelder aus Weihmichl von ihrem Projekt „A.ckerwert,“ zur nachhaltigen Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, Johannes Maibom aus Emskirchen stellte die Initiative „Mausdorf hat Energie“ vor, Alexander Treml aus Passau die „Regiothek“, Helmut Ramsauer seine gemeinnützige Mitmachinitiative „Silicon Vilstal“ und die Lamerinnen Evi Lemberger und Hanna Späthe ihre kultige „Moaktblotzmettn“.
Auf die meisten HeimatUnternehmer, so Projektleiter Norbert Bäuml, Verwaltung für „Ländliche Entwicklung in Bayern“, und Regionalentwickler Franz trifft das Sprichwort zu: „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht – und hat’s gemacht.“ Moderne Infrastruktur sei auf dem Land zwar wichtig, sie brächte aber kein Leben in die Orte abseits der Metropolen. „Vielmehr beobachten wir“, so die beiden, „dass es umtriebige Menschen sind, die auf einmal mit frischem Wind daherkommen und andere mitziehen. Dieser Trend verstärkt sich gerade, denn das Leben am Land wird wieder hip.“
da Hog’n