Oberfrauenau. Zwei Männer, eine Blockhütte – und jede Menge unberührter Woid drumherum. Nach unserer Ankunft auf dem Verlorenen Schachten, wo sich Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer und sein Spezl Florian im Spätsommer 2017 eine Auszeit genehmigten, hieß es zunächst gewisse Grundlagen für den mehrtägigen Aufenthalt zu schaffen – um sich im Anschluss ein erstes Mal von diesem unsagbar wohltuenden „Nichts“ umarmen zu lassen (siehe Teil 1). Schon am Tag darauf kam die Wanderlust über die beiden Abenteurer, die sie hinauf auf den Gipfel des Rachels führte – und den ein oder anderen Kollateralschaden hinterließ…
Unsere erste Nacht in der Hütte auf dem „Poschinger-Schachten“ – dieser heißt im Volksmund so, da er sich schon seit Jahrhunderten im Familienbesitz der in Oberfrauenau ansässigen Freiherrn von Poschinger befindet – fiel etwas durchwachsen aus. Zumindest aus meiner Sicht. Kumpel Florian pennte auf seinem in der Hütte aufgestellten Feldbett den Schlaf der Gerechten – und sägte dabei genüsslich die umliegenden Wälder mit seinen Schnarchlauten zu Kleinholz. Doch dank Oropax und ein paar kräftigen Remplern gegen die bebenden Rippen des treuen Freundes konnte am Ende auch ich meine Augen für ein paar Stunden zutun. Zum Schlafen sind wir jedoch ohnehin nicht hierher gekommen…
Nach der Katzenwäsche im Adamskostüm ran ans Frühstück
Draußen vor der Hütte hatten es sich bereits die ersten Wanderer auf den Bänken bequem gemacht, um eine kleine Pause einzulegen. Sie schnatterten dabei fröhlich vor sich hin, während sie Wurstbrote und Radler auf dem Brotzeittisch ausbreiteten. Ein Ereignis, das sich in den kommenden Tagen weitere Male wiederholen sollte – und eine willkommene Abwechslung bot. Denn auf mehr als 1.000 Metern über dem Meeresspiegel kommt man schnell mit anderen ins Gespräch, ist offener für menschliche Begegnungen als weiter unten „im Tal“. Hier wird sich ohne Umschweife geduzt – und man erfährt innerhalb kürzester Zeit mehr als sonst von seinem Gegenüber. Diese Mischung aus Höhenluft, Natur und Abgeschiedenheit macht die Leute offenbar redseliger und zugänglicher.
Die Körperpflege fiel freilich etwas spartanischer aus als in den heimischen vier Wänden: Das Wasser in unserer an einem Baum angebrachten Solar-Dusche fühlte sich so früh am Morgen selbstverständlich noch recht zapfig an. Katzenwäsche im Adamskostüm war angesagt. Sprich: Gesicht, Oberkörper, Arme und Beine einseifen – und dann mit dem Rinnsal aus dem schwarzen Solar-Beutel wieder abwaschen.
Es folgte der Gang zur Toilette im kleinen Häuserl neben der Hütte, um das morgendliche Geschäft zu verrichten – umgeben von einem Duft, der in einem ruralen Plumpsklo nunmal zu erwarten war. Doch der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier…
Zum Frühstück gab’s in der Eisenpfanne gebratene Eier, Zwiebeln und Schinkenstücke, dazu Tomaten, Käse, Würstchen, löslichen Kaffee und Milch. Alle verderblichen Lebensmittel hatten wir in unserem „Hütten-Kühlschrank“ deponiert, einem zirka einen Meter tiefen wie breiten und über eine Luke im Fußboden erreichbares Erdloch. Von der Ergiebigkeit des Kühlschranks konnten wir uns immer wieder aufs Neue überzeugen, etwa anhand des Butterstücks, das wir täglich im streichfesten Zustand aus der „Truhe“ holen durften.
Wenn Dir die Bundeswehr-Ballerinas plötzlich wegschlabbern
Gestärkt und guter Dinge machten wir uns gegen Mittag auf zum 1.453 Meter hoch gelegenen Rachelgipfel – mit ein paar Äpfeln, Bananen, Müsli-Riegeln und ein paar Flaschen Trinkwasser im Gepäck. Etwas mehr als 500 Höhenmeter hatten wir somit zu bewältigen. Auch die Sonnencreme durfte nicht fehlen: Es sollte ein angenehm-warmer Spätsommertag werden…
In Sachen Schuhwerk hatte ich mich für meine Bergstiefel aus längst vergangenen Bundeswehrtagen entschieden: knöchelhohe Boots mit gutem Seitenhalt, nicht zu schwer und nicht zu leicht sowie mit ansprechendem Profil an der Schuhsohle. Zuletzt dürfte ich die Dinger, deren Äußeres immer noch neuwertig erschien, nach der Grundausbildung am Tag des Gelöbnis‘ getragen haben. Das war vor etwas mehr als 16 Jahren… Wir wählten die harte Tour – und stiegen zunächst ein paar Höhenmeter gen Tal hinab, um uns schließlich auf denjenigen Weg zum Gipfel zu begeben, der uns durch steiles und teils sehr wildwüchsiges Gelände zum Ziel führen würde.
Auf zwei Stunden und 45 Minuten war die Strecke terminiert, die uns zunächst über feine Sandsträßchen geleitete und wenig später abrupt in einen Dschungel aus wildem Gehölz, rauschenden Bächlein und steinigen Pfaden überging. Wir sollten die Tour in zwei Stunden und 15 Minuten schaffen. Eine Zeit, die gerade uns weniger geübte Bergwanderer mit Stolz erfüllte. Die am Ende jedoch auch ihren Preis forderte…
Denn: Je weiter wir uns im Schweiße unseres Angesichts durch die Nationalpark-Idylle – geprägt von wunderbaren Ausblicken auf die umliegenden Hügelketten und einer mehr als beeindruckenden Flora und Fauna – bergan kämpften, desto mehr Probleme machten irgendwann auf halber Strecke meine zuvor so hochgelobten Stiefelchen: Nicht nur, dass die Innenseiten der Bundeswehr-Ballerinas an den Fersen heftig scheuerten, nein – auch die Gummisohlen schienen sich mehr und mehr in die ewigen Jagdgründe verabschieden zu wollen, da sich zunächst die eine, dann die andere vom restlichen Schuhwerk abzulösen begann. Ich sah mich schon mit Wollsocken auf dem Rückweg über verschnörkeltes Wurzelwerk und spitze Steine straucheln. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und Tränen in den Augen.
Dann sagte auch die zweite Gummischicht leise „Servus“
Als wir – ziemlich geschafft – endlich am Waldschmidthaus angelangt waren, hingen die Sohlen nur noch an einem seidenen bzw. „gumminen“ Faden. Die letzten Meter „schlabberte“ ich buchstäblich über die Hochebene dahin, bei jedem Schritt klappte das schwarze Etwas an meinem Schuh vor und zurück. Feststand: Die Dinger mussten sofort runter. Ein des Weges schlendernder Wandersmann hatte schließlich Erbarmen und reichte mir netterweise sein Taschenmesser, mit dem ich die Absätze vom Rest meiner Treter abtrennte. Darunter kam eine weitere Gummischicht zum Vorschein, die die Hoffnung auf eine glimpfliche Rückkehr aufkeimen ließ. Doch bei genauerem Betrachten fiel auf, dass diese nicht sonderlich dick war. Jetzt half nur noch beten…
Unabhängig davon hatten sich unsere Mühen jedoch definitiv gelohnt – und nach dem fünfzehnminütigen Aufstieg vom Waldschmidthaus zum Gipfel des Rachels wurden wir mit einem herrlichen Ausblick auf den Bayerischen Wald sogleich belohnt. „Es war jede Sekunde wert“, zog Kumpel Florian, dessen eigentliches Motto frei nach Winston Churchill „No Sports“ lautet, ein überaus positives Resümee zu unserem Gipfelerlebis, das wir ein paar Minuten auskosteten, bevor es wieder zurück zur Hütte ging. Ich gönnte meinen Füßen eine kleine Freiluft-Pause, in der sie sich etwas regenerieren konnten. Die Blasen an den Fersen pochten bereits…
Der Abstieg vom Rachel – wir wählten denselben Weg zurück – gestaltete sich erwartungsgemäß beschwerlich. Ich achtete besonders darauf, dass ich beim Gehen (es war vielemehr ein hoppsendes Humpeln) nicht mit den Fersen die Innenseite des „Restschuhs“ berührte, sodass ich meine Zehenspitzen „auf Anschlag“ gegen die Schuhspitzen presste. Die zweite Gummischicht am Absatz hielt etwa bis zur Hälfte des Rückwegs stand – dann sagte auch sie leise „Servus“. Die letzte, undefinierbare Schicht vor den Socken überdauerte – Gott sei Dank – unbeschadet den Marsch bis zur Ausgangsposition am Verlorenen Schachten.
Zwischendurch machten wir immer wieder mal Halt, tranken von kaltem, klaren Quellwasser und stärkten uns mit Blaubeeren vom Wegesrand. Trinkwasser hatten wir uns etwas zu wenig eingepackt, wie wir uns im Nachhinein eingestehen mussten. Auch wunderten wir uns während des Abstiegs von mal zu mal aufs Neue ob des jetzt doch etwas länger erscheinenden Rückwegs. „Sind wir da wirklich hinaufgestiegen?“, fragten wir uns verblüfft.
Zur Belohnung gab’s Steckerleis, Melone und Radler
Als wir an unserem ein paar hundert Meter unterhalb der Schachten-Hütte geparkten Auto angelangt waren, mussten wir unseren geschundenen Körpern Tribut zollen. Wir waren fix und alle – und sehnten uns in der sengenden Nachmittagssonne nach einer eiskalten Radler-Halbe. Zur Belohnung. Für die reife Leistung. Und dafür, dass wir beide – bis auf einige Blessuren – wieder gesund und munter zurückgekehrt waren. Wir schnappten uns den Jeep und fuhren nach Frauenau, um uns dort mit frischen Getränken, Melone und Steckerleis einzudecken. Eine wahre Wohltat.
Zurück in unserem Auszeit-Domizil, warf ich sogleich die ramponierten Bergstiefel in eine Ecke, zog die Socken aus und kümmerte mich um die schmerzenden Blasen an den Hacken, während Kollege Florian sich ums Feuerholz kümmerte. Ein unschöner Anblick, der mich da erwartete: Beide Fersen waren wundgescheuert und nässten bereits ordentlich. Doch alles Jammern und Klagen half nichts – es war mein Verschulden, mich mit den alten Bundeswehr-Tretern in die Wildnis aufzumachen…
Den Abend ließen wir erneut am Lagerfeuer ausklingen – bei Bier, Brotzeit und einer beeindruckenden Atmosphäre unterm Sternenzelt. Meinen Fersen gönnte ich eine wohltuende Frischluft-Kur, bevor wir uns zeitig in unsere Schlafsäcke kuschelten.
Stephan Hörhammer
Im dritten Teil der Hütten-Auszeit berichte ich Euch davon, warum eine Schachtenwanderung trotz ordentlichem Blasen-Schaden an den Hacken Spaß machen kann…
–> Teil 1: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (1): Wenn Dich das Nichts umarmt…
–> Teil 3: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (3): Schwammasterz und Woidschratzl
–> Teil 4: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (4): Time to say Goodbye!