Manila/Aleppo. „Die Sonne sickert wieder langsam hindurch. Ein fahler Strahl, der durch die Wand aus Staub und Schutt einen Weg sucht. Mauerstücke und Möbel fallen vom Himmel, verkrüppelter Stahl hängt in Fetzen von Häuserfassaden. Eine schwere Stille hängt über der Straße wie ein Laken. Gestalten entsteigen aus diesem Inferno, wankende und hustende Schatten. Niemand spricht. Unglaube und Angst steht in ihren Gesichtern. Die Augen weit aufgerissen, erstaunt, noch am Leben zu sein. Der Staub verklebt Haare, er verkrustet auf schweißnasser Haut und macht die Menschen grau.

„In den drei Wochen, die ich in der Stadt war gab es keine Stunde, in der nicht in der Nähe geschossen wurde oder irgendetwas explodiert ist.“ Fotos: Stormer

Ein Straßenzug in Aleppo, der umkämpften Metropole im Norden Syriens. Dessen Bewohner binnen eines Wimpernschlags aus dem Leben gerissen werden, mit der Wucht von zwei Raketen, abgefeuert aus einem Kampfflugzeug der syrischen Armee. Sie trafen das oberste Stockwerk eines Mietshauses, aus dem fünften Stock tänzeln Flammen. Die Explosion hat Balkone abgerissen, Fensterscheiben zerspringen lassen, Mauern geknackt.“

Aleppo: „Stadt der Spuren – Notizen eines Alltags, der keiner mehr ist“

Diese Zeilen schrieb Carsten Stormer in sein Notizbuch. Titel: „Stadt der Spuren – Leben und Sterben in Aleppo – Notizen eines Alltags, der keiner mehr ist“. Der 39-jährige Kriegsreporter („Das Leben ist ein wildes Tier„) ist erst vor wenigen Wochen aus der nordsyrischen, vom Bürgerkrieg schwer gezeichneten Stadt zurückgekehrt. „Die Lage ist wesentlich schlimmer, als berichtet wird. Der Bürgerkrieg hat an Brutalität unglaublich zugelegt“, lautet das ernüchternde Fazit des Journalisten, den es immer wieder dorthin zieht, wo die Gefahr am größten ist. Er will mit seinen Reportagen denjenigen Menschen eine Stimme geben, die keine haben.

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„Auch die Rebellen verüben Verbrechen, aber es steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Regierung treibt.“

„Man muss Leuten sein Leben anvertrauen, die man kaum kennt“

Herr Stormer: Sie sind erst vor kurzem aus Aleppo zurückgekehrt, haben von dort unter anderem für Spiegel TV berichtet. Wie ist die Lage dort wirklich? Wie schwierig war die Arbeit für Sie vor Ort?

Ich beschäftige mich seit März dieses Jahres mit Syrien und war dazu einmal im Libanon und zwei Mal mehrere Wochen in Nordsyrien. Die Arbeit ist nicht nur gefährlich, sondern auch unglaublich schwierig. Beim ersten Mal musste ich illegal unter einem Grenzzaun hindurch kriechen. Man muss Leuten sein Leben anvertrauen, die man kaum kennt. Und es gibt keine Front im eigentlichen Sinne. Die verschiebt sich ständig. Mal ist sie vor einem, dann dahinter, mal links, mal rechts. Die meisten Angriffe kommen aus der Luft; durch Kampfhubschrauber und Flugzeuge, Granaten, abgeschossen von Artillerie oder Panzern. In Aleppo ist man nirgends sicher. In den drei Wochen, die ich in der Stadt war gab es keine Stunde, in der nicht in der Nähe geschossen wurde oder irgendetwas explodiert ist.

Die Lage ist wesentlich schlimmer, als berichtet wird. Der Bürgerkrieg hat an Brutalität unglaublich zugelegt. Die Berichterstattung in Deutschland ist unterversorgt, weil es kaum Redaktionen gibt, die Leute nach Syrien schicken. Die Rebellen haben inzwischen auch ihre Unschuld verloren. Was als friedlicher Protest begann, ist nun ein erbittert geführter Bürgerkrieg. Auch die Rebellen verüben Verbrechen, aber es steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Regierung treibt. Und es ist wohl die logische Konsequenz eines Aufstands, in dem eine Regierung die Proteste seines Volkes mit unglaublicher Gewalt niederzuschlagen versucht.

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Die Journalisten Carsten Stormer und Stefan Maier über ihren Syrien-Einsatz:

„Die Weltgemeindschaft sollte endlich Haltung und Position beziehen“

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um dem Leid der Menschen in Syrien ein Ende zu setzen? Besteht überhaupt Hoffnung, dass sich in nächster Zeit etwas ändert?

Ich glaube nicht, dass sich in nächster Zeit etwas ändern wird. Der Krieg wird noch brutaler werden, noch viel mehr Menschen werden sterben. Die syrische Regierung hat jetzt sogar das Mobilfunknetz und Internet abgeschaltet. Um das Leid der Syrier zu lindern, sollten Flüchtlinge aufgenommen werden, zum einen. Viel wichtiger ist es, eine Flugverbotszone einzurichten, damit Assads Luftwaffe nicht mehr die Zivilbevölkerung bombardiert. Ich habe es selbst täglich erlebt und gesehen. Es gibt ja kaum Bodenoffensiven, weil Unmengen von Assads Soldaten schon desertiert sind und sich den Rebellen angeschlossen haben. Fast alle Angriffe kommen aus der Luft. Die Weltgemeinschaft sollte endlich Haltung und Position beziehen, damit das Sterben aufhört. Niemand kann wissen, was danach kommt. Es wird so oder so passieren.

Sie waren bereits in Afghanistan, Darfur oder Irak als Kriegsreporter „im Einsatz“. Was treibt Sie an, sich als Journalist immer wieder dorthin zu begeben, wo die Gefahr am größten ist?

Ein Freund und Mentor sagte mir einmal, dass man als Journalist eine Haltung annehmen und Verantwortung übernehmen muss. Und Leuten, die keine Stimme haben, eine geben. Das klingt pathetisch, ist aber so. Die Abenteuerlust war anfangs bei mir die treibende Kraft. Heute nicht mehr, wobei mir das abenteuerliche Leben, und alles, was damit zusammenhängt, gefällt.

„Ich will mir meine Naivität bewahren, dass meine Arbeit etwas bewirkt“

Was war für Sie der bisher prägendste Moment in Ihrer noch jungen Laufbahn als Kriegsreporter?

Davon gibt es einige. Sei es als ich das erste Mal unter Beschuss in Afghanistan geriet, Freunde von mir im Einsatz starben oder die vielen Menschen, die mich aufgenommen haben, ihr Schicksal geteilt haben, mich beschützt haben. Aber es gibt zwei Momente die herausstechen: Einmal geriet ein philippinisches Mädchen ins Kreuzfeuer und starb, als sie meine Hand hielt. Der andere Moment war im März 2012, als ich dazu beitragen durfte, das Leben zweier syrischer Kinder zu retten.

Sie haben auf Ihren Reisen so viel Leid und Unrecht aus nächster Nähe erfahren wie nur wenige andere. Glauben Sie noch an „das Gute“ im Menschen? Wie schützen Sie sich selbst vor all diesen Eindrücken, vor dem emotionalen Overkill? Wie verarbeiten Sie die vielen Bilder in Ihrem Kopf?

Ich will mir meine Naivität bewahren, dass meine Arbeit etwas bewirkt. Zudem weiß ich, dass die Welt auch gut sein kann – besonders in Kriegen habe ich bewundernswert mutige und gute Menschen kennengelernt. Es klingt paradox, aber: Kriege bringen das Beste und Schlechteste im Menschen hervor. Ich will die Bilder in meinem Kopf gar nicht verscheuchen. Sie treiben mich an. Und ich habe eine robuste Natur. Ich wache nachts nicht von Alpträumen geplagt auf. Ich kann das Leben auch genießen. Aber man verändert sich. Das Gesehene und Erlebte geht natürlich nicht spurlos an mir vorbei. Wie sollte es auch? Aber wenn ich merken sollte, dass mich Einsätze und das Schicksal der Menschen, über die ich berichte, nicht mehr berühren, muss ich mir einen neuen Job suchen.

„Es gibt viele Kollegen, die ich für ihr Engagement sehr schätze“

Reporter-Legende Peter Scholl-Latour hat früher das gemacht, was Sie heute machen. Welche Vorbilder haben Sie?

Mein Vorbild ist der Fotograf Uli Reinhardt, der mir beigebracht hat, dass Journalismus kein Selbstzweck ist. Und es gibt viele Kollegen, die ich für ihren Mut und ihr Engagement schätze.

Abschließende Frage: Wohin zieht es Sie als nächstes? Über welche Brandherde dieser Welt möchten Sie „gerne“ noch berichten?

Im Augenblick bin ich in Nord-Sumatra. Danach mache ich Urlaub mit meiner Frau. Und im Februar geht es wieder nach Syrien.

Herr Stormer: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.

Interview: Stephan Hörhammer


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