Waldkirchen. Lange Rede, kurzer Sinn. Der Kreistag hat seine endgültige Entscheidung, ob die „akutstationäre Versorgung“ im Landkreis Freyung-Grafenau auf die Standorte Freyung und Grafenau konzentriert werden soll, vertagt. Nach einer mehr als vierstündigen Diskussion sprach sich das Gremium mit 44:15-Stimmen dafür aus. Im Vorfeld der Sitzung hatte Landrat Sebastian Gruber die Beschlussvorlage, die er während der Versammlung vorgebracht hat, gemeinsam mit den Fraktionsführern ausgearbeitet (siehe Foto rechts). Es kommt also nicht zu einem Bürgerentscheid, der ursprünglich auf der Tagesordnung gestanden war. Bevor eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Krankenhäuser im Landkreis getroffen wird, soll für die Nachnutzung des Waldkirchener Standortes ein Konzept ausgearbeitet werden. Angedacht ist hier ein geriatrisches Zentrum, ein Fokus auf Onkologie und Palliativ sowie ein Facharztzentrum – genaueres soll demnächst eine Arbeitsgruppe prüfen.
Ein auf den ersten Blick unspektakulärer Ausgang einer nicht alltäglichen Kreistagssitzung. Denn nachdem sich der Strukturbericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes (BKPV) für das Ende der Akutversorgung am Krankenhaus Waldkirchen ausgesprochen hatte, gingen die Bewohner der größten Stadt des Landkreises auf die Barrikaden. So beteiligten sich am vergangenen Sonntag mehr als 5.000 Bürger an einer Demonstration, um gegen die Schließung des Waldkirchener Krankenhauses zu protestieren. Bürgermeister Heinz Pollak überreichte obendrein, gemeinsam mit seinen Stellvertretern Max Ertl und Hans Kapfer, dem Landrat 23.085 Unterschriften von denjenigen Landkreis-Bürgern, die einen Erhalt aller drei Krankenhaus-Standorte bevorzugen. Emotionaler Zündstoff war daher durchaus vorhanden. doch die Sitzung vor 420 Zuhörern, die wegen dieses Ansturms extra ins Freyunger Kurhaus verlegt worden war, verlief bis auf einige Beifallsbekundungen ohne besondere Vorkommnisse.
Zunächst stellte Bernhard Köhler vom BKPV den Strukturbericht vor: „Der Landkreis Freyung-Grafenau hat derzeit mit 5,23 Planbetten je 1.000 Einwohner eine vergleichsweise hohe Bettendichte“. Zudem lägen die drei Standorte in Freyung, Grafenau und Waldkirchen sehr nahe beieinander, sodass es mit 75 Prozent zu einer unterdurchschnittlichen Belegung gekommen ist. Zwar kämen viele Bewohner aus dem nördlichen Landkreis Passau nach Waldkirchen, um sich behandeln zu lassen – im Gegenzug nutzen viele Süd-FRGler die Innere Medizin im Nachbarlandkreis. In Folge der Strukturreform 2012 und der damit verbundenen Umstrukturierung der drei Standorte konnte das Jahresdefizit von 2,3 Millionen Euro (2011) auf 1,27 Millionen Euro (2014) reduziert werden, so Köhler. Dennoch bestehe nun weiterer Handlungsbedarf.
Baulich wie medizinisch-pflegerisch nicht auf dem aktuellsten Stand
Zum einen verfolge der Bund das Ziel, generell die Betten und Krankenhäuser zu reduzieren. Zum anderen sei das Waldkirchener Krankenhaus sowohl baulich als auch medizinisch-pflegerisch nicht mehr auf dem aktuellsten Stand: ein fachübergreifender Bereitschaftsdienst sei nicht mehr zeitgemäß, in Freyung gäbe es freie OP-Kapazitäten, die Nachbesetzung von leitenden Arzt-Stellen werde immer schwieriger, die Fixkosten an drei Standorten sei einfach zu hoch. Probleme, die gelöst werden müssen – und auch gelöst werden können, so Köhler. Der BKPV hat deshalb verschiedene Lösungsvarianten ausgearbeitet, empfiehlt jedoch die die Konzentration der Akutversorgung auf Freyung und Grafenau. Die Experten Andreas Diehm (Bayerische Krankenhausgesellschaft), Dr. Rudolf Reithmair (Ärztlicher Leiter der Kliniken gGmbH), Dr. Klaus Schulenburg (Bayerischer Landkreistag) und Gunther Schlosser (externes Mitglied des Aufsichtsrates der Kliniken gGmbH) bestätigten in ihren Ausführungen diesen Vorschlag.
Bevor es zur Diskussion und Abstimmung kam, ob die Kliniken gGmbH künftig „zweihäusig“ fahren soll, ob es zu einem Bürgerentscheid kommen und wie das Krankenhaus Waldkirchen künftig genutzt werden soll, unterbreitete Landrat Gruber dem Gremium eine alternative Beschlussvorlage, die er am vergangenen Wochenende gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden ausgearbeitet hatte. Diese besagt, dass der Kreistag den Bericht des BKPV zur Kenntniss nimmt und „sich dafür ausspricht, dass die Konzentration an den Standorten in Freyung und Grafenau angestrebt wird; Voraussetzung dafür ist eine Neuausrichtung am Standort Waldkirchen in den Bereichen Medizin und Pflege“. Heißt: Die endgültige Entscheidung, was die Zukunft der Krankenhäuser in Freyung-Grafenau betrifft, werde erst getroffen, wenn ein Konzept für die Nachnutzung des Gebäudes in Waldkirchen vorgestellt wird. Die Zweihäusigkeit stehe also noch nicht definitiv fest, wie etwa die Passauer Neue Presse online vermeldet hatte – die Konzentration auf Freyung und Grafenau werde lediglich angestrebt.
„Wir haben einiges erreicht, aber nicht meine Forderung“
Trotz des ausbleibenden endgültigen Beschlusses gibt es so manchen Gewinner der Kreistagssitzung vom Montagnachmittag. Zum einen zählt Waldkirchens Bürgermeister Heinz Pollak dazu. Als Initiator der Demonstration und der Unterschriftenaktion zeigte er auf, zu was eine Stadt und seine Bürger innerhalb kürzester Zeit imstande sind. Gegenüber dem Onlinemagazin „da Hog’n“ sagt er: „Es ist ein Erfolg, dass wir Waldkirchener es geschafft haben, dass die alte Beschlussvorlage abgesetzt worden ist. Weitere Erfolge sind, dass der Kreistag erst bestimmt, wenn ein medizinisch sinnvolles Konzept für Waldkirchen vorliegt und es keinen Bürgerentscheid gibt, der nur Geld gekostet hätte und nur zur Absicherung der Landratsmeinung gedient hätte.“ Trotz aller Erfolge gibt es aber auch Dinge, die Pollak weiterhin kritisiert: „Wir haben einiges erreicht, aber leider nicht meine Forderung, alles so zu lassen, wie es ist. Traurig ist, dass weder 5.000 Demonstranten noch über 23.000 Unterschriften den Landrat irgendwie beeindrucken.“
Und da wären wir auch schon bei einem weiteren, vielleicht sogar etwas überraschenden Gewinner: Landrat Sebastian Gruber. Mit seiner souveränen und sachlichen Art sowie einer detaillierten Vorbereitung managte der Neu-Landrat diese außergewöhnliche Kreistagsitzung auf gekonnte Art und Weise. Nachfragen, wie etwa diejenige Ex-Landrat und MdL Alexander Muthmann, der insbesondere die unterschiedlichen Fassungen und Interpretationen des Konzepts kritisierte, entkräftete der 34-Jährige mit stichhaltigen Argumenten. Auch Vorwürfe seitens Bürgermeister Heinz Pollak, dass der Zeitraum zwischen Bekanntmachung der Pläne bezüglich des Waldkirchener Krankenhauses und der entscheidungsfindenden Kreistagssitzung (elf Tage) zu knapp gewesen sei und dass den Mitarbeitern der Kliniken gGmbH verboten worden sei, sich zum Thema zu äußern, räumte Gruber aus dem Weg: „Sowohl Landratsamts-intern, als auch mit der Kliniken-Geschäftsführer und allen Beteiligten wurde alles durchgesprochen und analysiert.“ Krankenhaus-Chef Denk fügte hinsichtlich des Redeverbots hinzu: „Auch wir erwarten in schweren Zeiten Loyalität von Seiten unserer Mitarbeiter. Um sie zu schützen, haben wir vereinbart, dass nur die Geschäftsführung Stellung zu diesem Thema bezieht.“
Aktuell bleibt die Krankenhaus-Debatte wohl noch bis zum Herbst. Dann soll das Gesamtkonzept vorgestellt und endgültig entschieden werden. Bleibt zu hoffen, dass die Diskussion auf politischer Ebene weiterhin so fair und sachlich verläuft wie die Kreistagssitzung am Montagnachmittag. Die teils unter der Gürtellinie liegenden geistigen Auswüchse, die so mancher Kommentar auf der Social-Media-Plattform Facebook in den vergangenen Tagen hervorgebracht hat, und bei denen deutlich wird, dass die Zeiten des Kirchturmdenkens im Landkreis Freyung-Grafenau noch lange nicht passé sind, dürften sich bis dahin ebenfalls wieder reduziert haben…
Helmut Weigerstorfer
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Der dritte Gewinner ist der Landkreis – vorausgesetzt im Herbst wird der Beschluss endlich umgesetzt.