Eggenfelden. Die Augen sind auf ihn gerichtet. Ganz schön viele. Gut 80 Menschen sind gekommen, wegen ihm. Sie sitzen im Theatercafé und warten, bis er spielt. Die Hälfte von ihnen sind Einheimische. Die andere Hälfte sind Asylbewerber, sämtliche Nationen sitzen hier nebeneinander und wollen nur eins: David spielen hören. David selbst ist auch Asylbewerber. Er kommt aus dem Iran. Doch gerade eben ist das nicht so wichtig. Jetzt zählt die Musik. Und die braucht keine Sprache. Die versteht jeder, auch wenn er kein Persisch kann.
Davids Protestlieder gehen ans Herz – Karl M. Sibelius übersetzt
David stellt sich kurz vor. Dann meldet sich Karl M. Sibelius zu Wort, der Intendant des Theaters an der Rott. Er spricht über die Lage im Iran, über diesen Staat, der die Religion als Machtinstrument nutzt, um die Menschen gefügig zu machen; über diesen Staat, der über Leichen geht. Karl M. Sibelius wird zu jedem Lied etwas sagen, wird zusammenfassen, worum es in den Texten geht. Freilich steht die Musik im Vordergrund. Aber Davids Musik besteht aus Protestliedern. Und da interessiert sich das Publikum schon auch dafür, wovon der Iraner singt.
Es ist ganz still, als er sein erstes Lied anstimmt, dessen Titel man mit „Die schmutzige Macht“ übersetzen kann. Er pfeift, bevor er mit einer sehr kräftigen und klaren Stimme in dieser fremden Sprache zu singen beginnt. Persisch – das klingt sehr melodisch, die ch-s werden betont wie in der Schweiz oder in den Niederlanden. David singt mit Nachdruck, laut, dann wieder leise. Karl M. Sibelius sitzt auf dem Barhocker daneben, schiebt die Brille beiseite, drückt die Finger auf die Augen. Er ist gerührt. Und die Menschen hören zu, die großen Menschen hören zu – und auch die kleinen, die vielen Kinder die gekommen sind. Das Pfeifen klingt unbeschwert, aber es steckt bittere Ironie dahinter. Davids Lieder sind voller Wut gegen das Regime – aber auch voller Hoffnung.
„Meine Musik ist politisch. Das passt dem Regime nicht“
Davids Musik ist der Grund, warum er nicht in seiner Heimat bleiben konnte. „Meine Musik ist politisch. Wer politische Musik macht, ist auch politisch aktiv – das passt dem Regime nicht“, sagt David in einem Gespräch nach dem Konzert. Er hat sich Zeit genommen und hat einen Übersetzer mitgebracht: Akbar, ein Iraner, der schon seit 1990 in Deutschland lebt. Akbars Frau Katja ist auch dabei, sie streut immer wieder Wissenswertes über den Iran ein. „Politische Musik darf nicht öffentlich gespielt werden. Ich hab es trotzdem gemacht. Darum musste ich mein Land verlassen“, erklärt David weiter. Weil er bedroht wurde? David nickt schließlich, möchte aber nicht weiter darüber sprechen.
Zu frisch ist alles für ihn, zu groß sein Misstrauen. „Weißt Du, ich muss aufpassen“, sagt er. Im Iran lebt immer noch seine Familie. Nur dreimal hat er mit seiner Mutter telefoniert, seit er vor 14 Monaten nach Deutschland gekommen ist. Er will sie nicht gefährden. Und er hat auch Verantwortung für seine eigene kleine Familie. David ist nicht alleine nach Deutschland gekommen. Der 32-Jährige hat seine Heimat mit seiner Frau Sudabeh verlassen. „Das Heimweh ist sehr groß. Meine Familie vermisst mich und ich vermisse sie. Ohne Sudabeh hätte ich es hier keinen Monat lang ausgehalten.“ Aber es gibt da jemanden, der die beiden ablenkt, jemanden, der sie braucht, der sie zum Lachen bringt, der sie im Augenblick leben lässt: Timas, ihr Sohn, sechs Monate alt.
Die Heimat verlassen zu müssen – ein starkes Stück
Die Heimat zu verlassen, ohne es zu wollen, ist ein starkes Stück. „Ich denke Tag und Nacht an meine Familie. Und ich kann noch immer nicht glauben, dass ich in Deutschland bin. Die Verbindung ist so stark“, sagt David, senkt den Blick, denkt nach. Zehn Stunden lang dauerte das Interview im Bundesamt für Migration, das ein jeder führen muss, der in Deutschland Asyl beantragt. Zehn Stunden am Stück. „Alles ist fremd, die vielen unterschiedlichen Mentalitäten im Asylbewerberheim, die Sprache. Das macht mir Angst.“ Vielleicht ist diese Angst der Grund, dass David in Deutschland keine neuen Texte geschrieben hat. Aber er weiß: „Eines Tages werde ich wieder schreiben, dann muss alles raus.“ Er empfindet die Situation im Heim als sehr schwierig. Mit seiner kleinen Familie lebt er in einem winzigen Zimmer, die Küche teilt er sich mit vielen weiteren Bewohnern. David gibt zu, dass er mit dem engen Zusammenleben große Schwierigkeiten hat, fügt aber deutlich an: „Ich will kein Mitleid. Und es ist mir sehr unangenehm, das Taschengeld vom Landratsamt anzunehmen.“
Die Frage, wie es mit David, Sudabeh und Timas weitergeht, lässt sich nicht beantworten. Wie lange das Asylverfahren dauert, weiß kein Mensch. Welche Taktik hinter der oft extremen Dauer steckt, lässt sich nur vermuten. Oft dauert es länger als zwei Jahre, bis die Antragsteller erfahren, was ihnen keine Ruhe lässt: Darf ich bleiben oder muss ich gehen? „In zwei Jahren gewöhnen sich die Leute ein. Und in zwei Jahren kann sich im Herkunftsland so viel tun… Für viele Asylbewerber durchläuft das Verfahren völlig undurchschaubare Instanzen“, erzählt Akbar.
Eine Zukunft als Musiker? Das ist Davids Traum
Seit kurzem hat David eine Arbeitserlaubnis. Seitdem versucht er, Arbeit zu finden. Leicht ist das nicht, schließlich muss jeder ausgeschriebene Job zunächst einem Deutschen angeboten werden. Das ist ganz schön hart, vor allem für gut Ausgebildete und Studierte. „Nur sieht das keiner. Welche Arbeit er findet, ist David erst mal egal. Sein Traum wäre es freilich, in der Musikbranche weiterzumachen – auch wenn er seine Chancen als gering einschätzt. Wer will iranische Protestlieder, wer will iranische Musik in Deutschland? Die 80 Menschen im Theatercafé wollen Davids Musik. Sie können gar nicht genug bekommen, nach jedem Lied will das Klatschen nicht abebben. Einen Tag danach soll die Deutsch-Iranische Gesellschaft in Passau im Theater an der Rott anrufen. Sie wollen auch ein Konzert von David.
Die Musik selbst ist sein Lebenselixier. Das ist deutlich zu spüren an diesem Abend, da unten im Theatercafé. David und seine Akustikgitarre, die kennen sich gut, die können wunderbar miteinander. Mehr als sein halbes Leben macht der 32-Jährige Musik – gewiss liegt es ihm in den Genen. Sein Vater war ein begeisterter Musiker. Im Privaten. Mit 14 Jahren durfte David Gitarrenstunden und Gesangsunterricht nehmen – schließlich spielten auch all seine Freunde Instrumente. „Gesungen habe ich schon immer. Später habe ich eigene Texte geschrieben, in denen ich das Geschehene in meinem Leben verarbeitet habe“, erzählt er. „Erst ist ein Bild, eine Fantasie in meinem Kopf, dann wird ein Text daraus.“
„Mein Frust musste ein Ventil finden“
Und noch später, im Jahr 2008, wurde der Inhalt der Texte politisch, gegen das herrschende Regime. „Mein Frust musste ein Ventil finden“, sagt David. Der damalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad war zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Ihm schiebt er jedoch nicht die Schuld am Zustand seiner Heimat zu. „Das gesamte Regime ist seit der Islamischen Revolution 1979 verkehrt.“ Damals wurde Schah Mohammad Reza Pahlavi gestürzt – und damit hatte die Monarchie im Iran ein Ende. Ayatollah Chomeini, der religiöse Führer, hatte die Islamische Republik zum Ziel. Mit allen Mitteln wollte er dieses Ziel erreichen – es galt, alle revolutionären Gruppen auszuschalten. Terror und Massenhinrichtungen waren an der Tagesordnung.
Im Iran hat nicht allein der Präsident das Sagen. Der so genannte Wächterrat sagt ebenso, wo es lang geht. Dort sitzen religiöse und juristische Köpfe. David: „Der Islam wird dazu benutzt, die Menschen klein zu halten. Ich bin mein Leben lang unter Druck aufgewachsen. Von Kind auf habe ich die Ungerechtigkeiten mitbekommen. Ohne Vitamin B geht zum Beispiel gar nichts, gute Beziehungen sind alles.“ Akbar kann Davids Gefühle gut verstehen. „Das islamische Regime möchte alles durchsetzen, was die Scharia vorgibt. Die arabische Tradition soll die iranische ersetzen.“ Dieser Druck führt dazu, dass die Menschen ein Doppelleben führen. „Die Öffentlichkeit ist nur Kulisse“, fasst Akbar zusammen.
Davids Hoffnung: ein friedlicher und freier Iran
Katja war auch schon in der Heimat ihres Mannes. Sie war beeindruckt und erzählt: „Die Frauen wehren sich still gegen das Regime, indem sie sich maskenhaft schminken, völlig übertrieben. Die jungen Frauen sind westlich eingestellt, an vorderster Stelle steht das Erlernen einer Sprache und das Studium. Verhaftungen sind durchaus üblich – und sie werden extrem viel belästigt.“ Dennoch schätzte sie das freundliche und gastliche Wesen der Iraner. Das Land selbst sei wunderschön. Akbar ergänzt: „Anwälte verteidigen die freiheitlich Gesinnten. Sie gehen dafür selbst ins Gefängnis. Wer mit dem Regime mitläuft, dem geht es blendend. Fünf Prozent von 80 Millionen Iranern haben das Sagen. Es gibt einen unheimlich starken Polizei- und Überwachungsapparat.“ Gibt es Hoffnung? Heuer haben die Iraner gewählt. Ein neuer Präsident lenkt nun den Staat, Hassan Rohani. Er versucht das Land mehr zu öffnen. Ob es gelingt, steht in den Sternen.
Doch Davids Hoffnung bleibt: „Ich wünsche mir nichts mehr, als irgendwann wieder heimkehren zu können. In einen friedlichen und freien Iran.“
Eva Müller