
Daniel Dareus (Karl M. Sibelius, im Vordergrund) bringt ordentlich Bewegung in den Kirchenchor. Fotos: Rupert Rieger
Eggenfelden. Fräulein Weiler geht gern ins Theater, wie Sie wissen. Am Wochenende hat sie sich am Theater an der Rott das letzte Stück der Saison angesehen: „Wie im Himmel“. Und so hat sie sich danach auch gefühlt…
So ein schöner Sommerabend. Draußen vorm Theater stehen die Menschen, plaudern noch vor der Aufführung, rauchen ein bisschen, lachen. Die Türen stehen weit offen, ich spaziere ins Foyer – es geht mir gut, auch wenn ich ein bisschen wehmütig bin. „Wie im Himmel“ ist das letzte Stück der Saison. Dennoch: Durchatmen. Nochmal genießen.
Es reißt mich in den Handlungsstrudel – mein Herz ist getroffen
Drinnen umarmen mich die Dunkelheit und die samtenen Arme des Stuhls. Das Theater füllt sich, es scheint keinen freien Platz mehr zu geben. Woran liegt das? Daran, dass es das letzte Stück der Saison ist? Daran, dass viele den Film gesehen haben, der nun hier auf die Bühne gezeigt wird? Daran, dass heute Karl M. Sibelius selbst auf der Bühne steht und die Hauptrolle spielt? Ich weiß es nicht und es geht los, es reißt mich in den Handlungsstrudel, der vor Ausdruckskraft, Emotionalem und ach – Regisseur Johan Heß hat es wieder geschafft. Schon in Ibsens „Gespenster“ hat er mein Herz getroffen, hat es geschafft, mich ganz tief zu berühren. Florian Angerers Bühnenbild ist eine hübsche Kulisse, die keineswegs vom Geschehen ablenkt. Wunderhübsch sind die unterschiedlichsten Lampen, die von der Decke baumeln – sie sind so unterschiedlich wie die Charaktere selbst.
Daniel Dareus liebt Musik – „Ich kann nur Musik.“ Er dirigiert, weil es sein Leben ist, dem er sich völlig hingibt. Erstaunlicherweise ist diese Hingabe nicht immer erfüllend und gesund. Er bricht zusammen, mitten auf der Bühne. Er überlebt, sucht aber den Abstand und erkennt: Wenn Wollen zum Müssen wird, zum höheren Streben – wenn der Erfolgsdruck im Nacken sitzt, wird die größte Leidenschaft zerstört. In seinem Heimatdorf möchte er die Ruhe finden, die ihm fehlt. Doch es gelingt ihm nicht. Er kann nur Musik. Und das kommt dem Kirchenchor zugute. Bevor sich Daniel versieht, ist er Kantor. Und er bewegt nicht nur die Stimmen, sondern auch die Gemüter – er trifft die Herzen und stößt nicht nur auf Gegenliebe. Denn er verändert etwas.
Karl M. Sibelius und Daniel Dareus: Viele Gemeinsamkeiten
Karl M. Sibelius und Daniel Dareus, die beiden haben viel gemein. Vielleicht würde auch Karl M. Sibelius sagen „Ich kann nur Theater“. Beide gehen auf in ihrer Leidenschaft, die ihr Leben ist. Er ist nicht nur Intendant, er ist auch ein großartiger Schauspieler – das dürfte spätestens jetzt bewiesen sein. Wie er im Schlafanzug – Sinnbild für nächtliches Umherwandeln, für die Unruhe im Ruhesuchenden, für die Überschreitungen der Grenzen – spielt, das fesselt den Blick, das rührt an. Die Stimme, mal ganz zart, dann wieder fest. Er steht da mit offenem Mund, schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen, pendelt hin und her wie ein Baum im Wind, kehrt sich unter den Teppich und verfällt in Starre. Er agiert eigentlich im Hintergrund und stößt die anderen dennoch so heftig an. Er ist so präsent und dennoch so subtil, so fein, so zerbrechlich. Karl M. Sibelius verschwindet als Daniel Dareus am Ende hinter dem Vorhang. Daniel Dareus stirbt und geht ins ewige Licht – Karl M. Sibelius verabschiedet sich für diese Saison, verabschiedet sich vielleicht schon ein Stück weit von Eggenfelden. Denn sie können ihn nicht brauchen, den Aufrührer, den Störenfried, den Andersartigen, den Unkonventionellen. Oder brauchen sie ihn vielleicht doch? Braucht es einen Karl Dareus, der zum Umdenken bewegt, zwingt – der zeigt, dass andere Wege möglich und wohltuend sind, wenn sie auch schmerzen?
Daniel Dareus polarisiert – der Kirchenchor wandelt sich
Der Pfarrer würde sagen: Nein. Conny würde sagen: Nein. Vielleicht würde auch Arne sagen: Nein. Und am Ende sagen sie doch: Ja. Oder? Der Pfarrer, weil er einen neuen Weg zu seiner Frau Inger gefunden hat, die wiederum endlich mal den Mut gefunden hat, ehrlich zu sein, ihm zu sagen, wie sehr sie diese bigotte Art nervt, dass sie leben will, dass sie leidenschaftlich sein will, dass ihre Weltbilder so nicht zusammenpassen. Norbert Heckner spielt die Eifersucht prächtig und sie steht ihm gut im Pfarrersgewand mit Beffchen – noch schöner ist es, als schließlich der weltliche Mensch im Unterhemd zu sehen ist, der seiner Frau Inger herzhaft an den Po greift. Ursula Berlinghof spielt ihren Wandel so echt und glaubhaft – es bleibt das herrliche Bild hängen, als sie in der Disco im grellen Scheinwerferlicht tanzt, dass die Haare fliegen.
Und auch Conny sagt am Ende: Ja. Conny, der Säufer, der die ganze Zeit mit Dosenbier an den Publikumsreihen vorbeiwankt, der seine Frau Gabriella nach Hause zitiert und sie dort schlagen wird, wie man offen munkelt, der Daniel seine Verachtung entgegenbringt. Stefan Lehnen hat in Tschechows „Möwe“ den Dandy gespielt, nun ist er das Gegenteil und verliert selbst in dieser verabscheuungswürdigen Rolle seinen Charme nicht. Vielleicht auch darum nicht, weil er am Ende ein weinendes Häuflein Elend ist. Gabriella verlässt ihn, schafft es, sich zu verabschieden von einem Leben in Unterdrückung. Daniel fordert diesen Wandel heraus, bestärkt sie mit einem Lied nur für sie allein. Und Julia Ribbeck singt dieses Lied so herrlich berührend, mit einem Erblühen im Gesicht. Dass sie singen kann, hat sie ja letztens schon in „Eine Sommernacht“ bewiesen…
Es geht um Liebe, um Wahrheit, um Echtsein
Und Arne, der komische, dauerrauchende Kauz? Auch er sagt Ja. Ja sagt er dazu, dass Tore, sein geistig zurückgebliebener Cousin, im Kirchenchor mitsingen darf. Anfangs lehnt er es ab – aber Daniels unkonventionelle Methoden integrieren den jungen Mann wunderbar ins Geschehen. Das überzeugt schließlich auch Arne. Armin Stockerer stellt zum wiederholten Male seine Wandelbarkeit unter Beweis. Und vor Matthias Kreinz ziehe ich den Hut: Wie überzeugend er es schafft, Tores Behinderung zu zeigen – mit Mimik, Gestik, dem ganzen Körper.
Daniel schafft es auch, das Leben von Florence und Erik zu verändern. Die beiden betagten Menschen erleben noch einmal die Liebe – weil es Erik schafft, den wichtigsten Schritt auf seine Angebetete zuzugehen. Christine Reitmeier und Eugen Victor sind durchwegs sympathisch. Sie versteht es bestens, das verhuschte Kirchenmäuschen zu mimen, er ist ganz der ewige Gentleman. Nicht zuletzt haut Holmfried auf den Putz, das ewig zu hänselnde Dickerchen. Leid kann es einem tun, wie lieb und gutmütig Lorenz Gutmann rüberkommt. Und Siv, die Entsetzte, auch sie schafft es, ihre Wahrheit endlich auszusprechen: Dass sie Lena im Kirchenchor völlig deplatziert findet, weil sie jedes Wochenende die Beine für jemand anderen breit macht. Ihre Ablehnung geht so weit, dass sie aus dem Chor austritt und sich am Ende doch wieder klammheimlich dazu schleicht. Vielleicht, weil die Gemeinschaft doch so stark ist? Sabine Martin überzeugt mich absolut, sie verkörpert eine Frau, die hierzulande der Prototyp eines Frauenbundmitglieds wäre.
Ja, und Lena… Das wilde Leben ist sie, dieser junge, hübsche Lockenkopf. Und sie verliebt sich heillos in Daniel – sie verliebt sich wirklich und geht so weit, dass sie für ihn ins kalte Wasser springt, um sich dann splitterfasernackt an ihn zu schmiegen, der in echten Herzensangelegenheiten im zwischenmenschlichen Bereich so unbeholfen ist wie ein Anfänger. Nackt! Hat das Publikum den Atem angehalten, weil es wieder einmal so weit war? Ich habe es getan – aber nur, weil die Szene wirklich unter die Haut ging. Und zum Schluss kommt Daniels Stimme aus der Ferne, um in Lenas Unterbewusstsein einzudringen, gerade noch rechtzeitig, bevor Daniels letzter Vorhang fällt: Er liebt sie auch. Natalie Ananda Assmann spielt so leidenschaftlich, so wirbelnd jung und frisch, dass man sie ins Herz schließen muss. Sie zeigt – wie das ganze Stück -, dass es im Leben um Liebe geht. Und um Wahrheit. Um Echtsein.
Besser als eine Klangmassage: Das Singen und Summen der Chöre
Und wissen Sie, wer mich neben Karl M. Sibelius am meisten berührt hat? Ich habe sie noch nicht einmal erwähnt, die Leute vom Theaterchor und vom Visinochor. Am Schluss, als Daniel hinter dem ewigen Vorhang verschwindet, reihen sie sich ums Publikum, stehen um alle herum, und singen und summen, so lange und so schrecklich, schrecklich schön anrührend, dass es mein großes Tränenfinale wird. Weil es so wunderbar ist. Weil es mich richtig angreift, streichelt, umfängt, um Welten zarter und lieblicher als der samtene Stuhl, auf dem ich sitze. Es ist besser als eine Klangmassage.
Gut, dass ich den Film nicht gesehen habe. Es ist ja auch nicht gut, wenn man zuerst den Film sieht und dann das Buch liest. Anscheinend gilt das auch für Theaterstücke. Vielleicht aber auch nicht. Der minutenlange Applaus beweist das Gegenteil. Die Menschen reißt es von den Sitzen, die Handflächen brennen und die Funken springen hin und her. Es ist ein großes Finale für die Saison. Ach, Theater – ich komme wieder… Und zwar noch vor Ende der Saison: Karl M. Sibelius hat mir das Interview endlich zugesagt, das ich mir noch so sehr gewünscht habe. Was er mir erzählt, lesen Sie demnächst hier!
Ihr Fräulein Weiler