Prag/Passau/Oberplan. „Hluboké kontrasty – Tiefe Kontraste“ – so lautet der Titel des zweisprachigen Dokumentarfilms der tschechischen Regisseurin Lenka Ovčáčková, der sich der Vielfalt von Lebensbildern in der deutsch-tschechisch-österreichischen Böhmerwald-Region widmet. Zu sehen ist dieser unter anderem am Freitag, 12. Juni, um 18 Uhr im Adalbert-Stifter-Museum (Centrum Adalberta Stiftera) in Oberplan (Horni Plana) sowie am Dienstag, 23. Juni, um 19 Uhr im Scharfrichter Kino in Passau.
Deutsche, Tschechen und Österreicher kommen zu Wort
„Während der Filmaufnahmen wurde die Kulturlandschaft des Böhmerwaldes vollständig erfasst, beruhend auf dem Spektrum von Aussagen deutscher, tschechischer und österreichischer Grenzbewohnerinnen und Grenzbewohner, die schon immer in der Region gelebt haben“, heißt es in einer kurzen Beschreibung zum Film, der sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Vertreibung auseinandersetzt. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf jene deutsch-sprachigen Tschechen gelegt, die die Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten, auf jene, die bleiben konnten bzw. mussten – und auf jene Tschechen, Deutsche und Österreicher, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oder erst in den letzten beiden Jahrzehnten (nach 1989) in das Grenzgebiet des deutsch-tschechisch-österreichischen Böhmerwaldes umgesiedelt sind.
Trailer (neu)-Tiefe Kontraste/Hluboké kontrasty from Lenka Ovcackova on Vimeo.
„Der gesamte Dokumentarfilm wird durch eine poetisch-literarische Note geprägt und durch Zitate von Adalbert Stifter, Johannes Urzidil, Johann Peter, Josef Váchal und Karel Klostermann, sowie durch Gedichte von František Klišík aus Volary umrahmt“, wie Regisseurin und Drehbuchautorin Lenka Ovčáčková aus Prag im Hog’n-Interview (siehe unten) berichtet. Gefördert wurde die Realisierung des Films vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, vom Adalbert-Stifter-Verein und der TU Dresden. Im Anschluss an die Vorführungen von „Tiefe Kontraste“ in Passau und Oberplan besteht die Möglichkeit, Fragen an Lenka Ovčáčková zu stellen und über das Gesehene zu diskutieren.
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Lenka Ovčáčková: „Verhältnis ist natürlich, offen und grenzenlos“
Frau Ovčáčková: Was war Ihre Motivation, den Film „Tiefe Kontraste“ zu drehen?
Das Leben an der Grenze sowie die vielschichtige Wahrnehmung der Grenze ist das Thema aller meiner bisherigen Dokumentarfilme. Und obwohl ich mich mit dem Thema in verschiedenen Gegenden Mitteleuropas befasst habe, blieb mir der Böhmerwald bisher mehr oder weniger verschlossen. Erst nachdem mir Wolfgang Schwarz vom Adalbert-Stifter-Verein den ersten Impuls gegeben hatte, auch den Böhmerwald dokumentarfilmerisch zu erfassen, habe ich diese Idee begeistert aufgegriffen – und weiterentwickelt. Mein Anliegen war dabei, die historischen Ereignisse im deutsch-tschechisch-österreichischen Grenzgebiet ausgeglichen und versöhnend zu betrachten – und auf die heutigen grenzüberschreitenden Aktivitäten und das grenzenlose Lebensgefühl hinzuweisen.
Dabei wurde ich entscheidend durch die Böhmerwald-Schriftsteller Adalbert Stifter, Johannes Urzidil, Karel Klostermann, Johann Peter und Josef Váchal sowie František Klišík, einem Dichter aus Volary, inspirativ begleitet. Die Zitate aus Werken der erwähnten Autoren bilden den poetischen Rahmen des Filmes und tragen gemeinsam mit den Gesprächen hoffentlich dazu bei, die deutsch-tschechisch-österreichische Böhmerwaldregion auf eine tiefe, ganzheitliche, wesentliche und natürliche Weise wahrzunehmen.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Deutschen, Tschechen und Österreichern heutzutage?
Für mich persönlich ist das Verhältnis sehr natürlich, offen und grenzenlos. An der deutsch-tschechisch-österreichischen Grenze gibt es zahlreiche grenzüberschreitende Aktivitäten, die sich um eine gute Nachbarschaft nicht nur in Bezug auf die Bearbeitung der geschichtlichen Ereignisse, sondern auch auf kultureller und ideeller Ebene bemühen. Es gibt nicht nur Vereine, die aktiv sind, aber auch viele grenzüberschreitende, sich für die Versöhnung einsetzende und positiv denkende Einzelgänger, die durch ihr persönliches Engagement sehr inspirativ und motivierend wirken.
„Ein gutes Zeichen für die gemeinsame Zukunft“
Jahrzehntelang war der „Brünner Todesmarsch“ ein Tabuthema in Tschechien. Jetzt stellte sich die Stadt Brünn offiziell hinter das Gedenken und verabschiedete eine Versöhnungserklärung. Wie interpretieren Sie dieses Zeichen?
Es ist ein gutes Zeichen für die gemeinsame Zukunft, denn es ist sehr mühsam und kompliziert, ohne Versöhnung zu leben. Das ist nicht nur meine persönliche Überzeugung, sondern auch eine philosophisch-mystische Wahrheit. Eine sehr große Rolle hat diesbezüglich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg Přemysl Pitter gespielt – und zwar nicht nur in Bezug auf seine publizistische Tätigkeit, sondern auch durch seine konkreten Taten. Er hat unter anderem unmittelbar nach Kriegsende mehr als 800 Kinder gerettet – und zwar sowohl jüdische Kinder aus den deutschen Konzentrationslagern als auch deutsche Kinder aus den tschechischen Internierungslagern. Der Gedanke der Versöhnung hat das gesamte Lebenswerk Premysl Pitters geprägt. Sein Wirken möge für die deutsch-tschechisch-österreichischen Beziehungen der Leitstern für die Zukunft sein.
Interview: Stephan Hörhammer