Waldmünchen. Totgesagte leben länger. Im Falle von Bernhard Setzweins neuem Roman „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ trifft dieses Sprichwort buchstäblich zu, denn: Der Prager Schriftsteller, der nach seinem frühen Tod im Jahre 1924 Weltruhm erlangte, stirbt darin nicht, sondern lebt weiter – untergetaucht, unerkannt und inkognito im Meran der Nachkriegszeit.
Bayerwald-Autor und Böhmerwald-Freund Setzwein lässt Franz Kafka seinen Tod vortäuschen und in diesem Zuge die Schriftstellerei an den Nagel hängen. Stattdessen führt dieser ein zurückgezogenes und unspektakuläres Leben als Billeteur in einem Südtiroler Lichtspielhaus. Wir haben dem 64-jährigen Autor Fragen zu seinem neuen Werk und Gedanken-Experiment gestellt – und dabei u.a. erfahren, dass Kafka nicht nur Unheimlichkeit und Rätselhaftigkeit in sich vereint, sondern auch humorvolle Seiten hat…
„Eine Bildlichkeit, die oft absurd und surreal ist“
Herr Setzwein: „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ lautet der Titel Ihres jüngsten Werks. Warum haben Sie gerade den Jahrhundertschriftsteller aus Prag als Protagonisten dafür ausgewählt? Was fasziniert Sie an Franz Kafka?
An erster Stelle natürlich seine Literatur. Ich bin mit ihr zum ersten Mal in der Schule in Kontakt gekommen. „Die Verwandlung“ wird es wohl gewesen sein, was wir als Klassenlektüre gelesen haben. Ich habe mir dann privat alles weitere besorgt – die Romane „Der Process“ und „Das Schloss“ – und war fasziniert von dem, was ich da las. So etwas hatte ich noch bei keinem anderen Autor gefunden. Das war so überwältigend, wie einen mitunter Träume überwältigen: Man begreift sie nicht, vieles ist rätselhaft, aber gleichzeitig bannen sie einen durch ihre Bildlichkeit, die oft absurd und surreal ist.
Nach und nach habe ich dann immer mehr über sein Leben erfahren. Nach der Wende mit den ersten Pragbesuchen, aber auch auf Reisen durch das übrige Böhmen habe ich begriffen, wo das alles seinen Wurzelgrund hat. Viele Texte lassen sich ja doch relativ genau lokalisieren. An seiner Biografie hat mich dieser bedingungslose Wille fasziniert, dem zu folgen, was er für seinen einzigen Lebenszweck hielt: nämlich zu schreiben. „Gott will nicht, dass ich schreibe, ich aber, ich muss.“ Und er ließ einfach nicht davon ab, scheiterte zwar in vielem – seine drei Romane blieben ja alle Fragment -, aber letzten Endes triumphierte er dann doch und ist heute einer der meist gelesenen Autoren deutscher Sprache weltweit.
In Ihrem Roman geht es darum, dass Kafka nicht – wie in der Realität – in jungen Jahren an einer schwerwiegenden Krankheit gestorben ist, sondern nach seinem Scheintod ein neues, unerkanntes Leben im Meran der Nachkriegsjahre führt – als schrulliger Platzanweiser in einem Kino. Ein durchaus interessantes Gedanken-Experiment. Denken Sie, dass der „echte Kafka“ jemals einen solchen Schritt gewagt hätte?
Dass Kafka einen starken Lebenswillen hatte, glaube ich schon. Er wollte sicher nicht sterben und trotzte dieser grauenvollen Krankheit über Jahre hinweg ja doch noch einiges ab, wenn man etwa nur an den letzten Roman „Das Schloss“ denkt. Vielleicht bin ich deshalb auf die Idee gekommen, ihn weiter leben zu lassen. Allerdings muss er bei mir für dieses Davonkommen, diesem dem Tod von der Schippe Springen, eine Gegenleistung bringen: Er hört das Schreiben auf. Das war ja sein großer Leidensgrund gewesen, dass er Leben und Schreiben nie in Übereinstimmung hat bringen können. Deshalb auch immer wieder die Flucht vor den Frauen, vor Ehe, Familie, Kindern. Er war der Meinung: Würde er all dem nachgeben, wäre es mit seinem Schreiben vorbei.
„… vom Leben einiger verrückter Schriftsteller“
Im Buch trifft Kafka auf einen jungen Mann namens Marek, mit dem er Hals über Kopf aus seinem Alltag ausbricht und auf Reisen geht. Mit ihm begibt er sich noch einmal in sein früheres Leben zurück, konfrontiert sich noch einmal mit seiner Vergangenheit als Schriftsteller. Ist das eine Art Roadtrip-Therapie, die Kafka hier vollzieht?
Ja, kann man sagen. Diesen jungen Mann hat es wirklich gegeben, Marek Hłasko, ein Schriftsteller aus Polen. Er ist bedeutend jünger als Kafka, die beiden bilden ein ungleiches Paar – und doch erkennt Kafka sich in dem jungen Kerl auch wieder und denkt sich: So war ich doch auch einmal. Die beiden organisieren sich ein Auto, genauer gesagt: Sie klauen es und machen sich auf zu einer abenteuerlichen Reise. Während der langen Autofahrt haben Sie viel Zeit zum Reden – und so kommt auch vieles aus Kafkas früherem, realem Leben zur Sprache.
Robert Klopstock, Dora Diamant, Kafkas Schwester Ottla – reelle Personen, die dem „echten Kafka“ nahe standen und nun auch in Ihrem Roman vorkommen. Eine Vermischung von Realität und Fiktion, die wohl genau so von Ihnen beabsichtigt war, oder?
Ich wollte halt auch für Leser, die nicht so bewandert sind im Leben Kafkas, vieles quasi unter der Hand mit erzählen aus seiner Biografie. Ich denke beziehungsweise Leser haben mir das auch schon bestätigt: Man weiß nach der Lektüre mehr über Kafka als vorher. Gleichzeitig erlebt man ihn aber auch in Situationen, die natürlich erfunden sind, aber quasi als Gedankenexperiment vielleicht einigen Reiz haben. Während dieses Roadtrips gelangen sie zum Beispiel auch nach Wien und treffen dort H. C. Artmann, einen in dieser Zeit, 1960, gerade berühmt werdenden Dichter unter anderem von Wiener Dialektgedichten. Mir hat das Spaß gemacht, die beiden in einen Disput zu verwickeln.
Wie lautet denn die Kern-Botschaft hinter dem Buch, die Sie Ihren Lesern mitteilen möchten?
Romane haben, glaube ich, nie eine Kernbotschaft. Romane erzählen vom Leben. In diesem Fall halt vom Leben einiger verrückter Schriftsteller, denn über diesen Marek Hłasko erfährt man auch einiges. Außerdem gesellt sich zu den beiden ja auch noch eine Frau, die ein Techtelmechtel mit dem Marek anfängt… so wie ja auch Kafka einige Techtelmechtel hatte. Hinter dieser Philomenia verbirgt sich in bestimmten Analogien die junge Ingeborg Bachmann. Alles interessante Menschen. Davon erzählt der Roman.
„Da ist man zwangsläufig für Kafka anfällig“
Wie wichtig ist das Stilmittel des Humors in Ihrem Roman? Kann man Kafka überhaupt auf humorvolle Weise darstellen? War sein reales Leben nicht viel zu ernst?
Ja, mein Roman ist streckenweise humorvoll, lustig, unterhaltsam. Aber auch sehr melancholisch, ich denke da zum Beispiel an eine Traumszene, in der Kafka seine geliebte Schwester Ottla noch einmal trifft, die bekannterweise in Auschwitz ermordet wurde, wie die meisten anderen Familienmitglieder auch. Mein Ideal bei allem, was ich schreibe, ist immer: Es muss beides da sein, wie im Leben auch: Tragik und Komik. Ich bin davon überzeugt, Kafka sah das genauso. Auch bei ihm gibt es humorvolle Seiten.
Welche autobiografischen Anteile in Bezug auf Ihre Person, Herr Setzwein, hat das Werk? Können Sie irgendwelche Parallelen erkennen?
Gewisse Dinge haben mich als jungen Menschen sehr angesprochen und ich hab Parallelen gesehen, zum Beispiel der Konflikt mit dem Vater, nachzulesen bei Kafka in dem ellenlangen „Brief an den Vater“. Ich war ein sehr melancholischer, zur Düsternis neigender Jugendlicher. Da ist man zwangsläufig für Kafka anfällig.
Was denken Sie: Für welche Art Leser ist „Kafkas Reise“ besonders geeignet?
Ein gewisses Interesse an Kafka ist natürlich nicht verkehrt. Und trotzdem verspreche ich: Man wird diesem Buch auch dann etwas abgewinnen können, wenn man noch nicht allzu viel über Kafka weiß. Freude an etwas eigenwilligen Figuren sollte man haben.
„Jetzt etwas verschnaufen“
Abschließend: Gibt es bereits ein neues Buch-Projekt, an dem Sie arbeiten und von dem Sie uns schon etwas verraten dürfen?
Aber nein! Ich bin froh, dass dieses Buch jetzt fertig ist. So einen Roman zu schreiben, ist eine ziemliche Kraftanstrengung, das kann ich versichern. Von daher würde ich ganz gerne jetzt etwas verschnaufen. Und die Leser können derweil den Kafka lesen. Erst meinen, dann ihn selber. Und wenn ihn alle gelesen haben, sehen wir weiter…
Ein guter Plan. Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen – und alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Bernhard Setzwein, „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“, lichtung verlag 2024, 304 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-941306-64-6