Krumbach. Adolf Weishäupl ist 1940 in Wiederbruck in der Gemeinde Außergefild (Kvilda) im ehemaligen Sudetenland geboren. Er kam im Zuge der Vertreibung im Jahre 1946 mit seinen Eltern und Geschwistern nach Eislingen in Baden-Württemberg. Nach seinem Abitur und Studium war er zwischen 1971 und 2004 als Lehrer an Gymnasien in Bayern tätig. Heute lebt er im schwäbischen Krumbach, wo er jüngst ein Buch mit den Geschichten des deutsch- und tschechischsprachiger Schriftstellers Karl Klostermann zusammengestellt hat. Titel: „Im Herzen des Böhmerwaldes“, erschienen im Ohetaler Verlag. Wir haben uns mit Adolf Weishäupl über sein Buch, seine eigene Vergangenheit und über das heutige deutsch-tschechische Verhältnis unterhalten.
Herr Weishäupl: Sie und Ihre Familie wurden – wie viele andere auch – nach dem Krieg aus Ihrem Heimatort im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet vertrieben. Sie waren damals ein Kind. Können Sie sich noch an diese Zeit erinnern?
Ich war damals ein Kind im Alter von sechs Jahren und habe eine recht gute Erinnerung an die Zeit um 1945/46: das Bauernhaus meines Großvaters, in dem wir wohnten, das Dorf Wiederbruck, welches aus etwa 20 Häusern bestand, von denen heute noch drei existieren, verschiedene Erlebnisse – und auch an Menschen, die in meinem damaligen Umfeld lebten.
„Vor allem das Lagerleben habe ich in schlechter Erinnerung“
Wie ergeht es Ihnen heute, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?
Ein Kind erlebt die Welt anders als ein Erwachsener. Ich weiß allerdings auch um das Elend und den Jammer der Leute um den Verlust ihrer angestammten Heimat und ihres Besitzes.
Wie ging es für Sie und Ihre Familie nach der Vertreibung weiter?
Na ja, nach einer dreitätigen Eisenbahnfahrt in einem Güterzug kamen wir in Göppingen im heutigen Baden-Württemberg an, wo wir eine Woche in einem Lager verbrachten, dann wurden wir auf die umliegenden Gemeinden verteilt, wo wir in Eislingen ebenfalls in einem Lager einquartiert wurden. Diese Zeit, vor allem das Lagerleben, habe ich in sehr schlechter Erinnerung. Dann kamen wir – damals zu dritt – in ein kleines Dachzimmer mit Abstellraum, was für vier Jahre unsere Wohnung war. Erst 1950 bekamen wir über den Arbeitgeber meines Vaters, der 1948 aus russischer Gefangenschaft entlassen wurde, eine Dreizimmerwohnung zugeteilt. Die Eingliederung in die neue Umgebung war zunächst nicht leicht, doch wurden die Schwierigkeiten bald überwunden – und das Leben nahm, wenigstens für mich, seinen normalen Verlauf.
Welche Rolle spielt Karl Klostermann in Ihrem Leben?
Obwohl ich Germanistik studiert habe und das Fach Deutsch unterrichtete, hatte ich von Karl Klostermann und anderen Schriftstellern des Böhmerwaldes – bestenfalls von Adalbert Stifter – keine Ahnung. Erst nach meiner Pensionierung, als ich mich mit meiner Herkunft beschäftigte und Ahnenforschung betrieb, wurde ich auf den Namen Klostermann aufmerksam, der in der Umgebung von Innergefild verbreitet war; und ich wurde auch auf den Schriftsteller Klostermann aufmerksam, der gerade um das Jahr 2000 neu entdeckt wurde. Ich besorgte mir Bücher dieses Autors und erfuhr, dass dieser ja meine nähere Heimat im Blickpunkt seiner Erzählungen hat.
„Karl Klostermann versucht beiden Seiten gerecht zu werden“
Warum haben Sie sich dazu entschieden, ein Buch mit Erzählungen des bekannten Literaten herauszugeben?
Gerold Dvorak, der große Verdienste um die Wiederentdeckung der Bücher von Karl Klostermann hat, hat im Jahre 2003 ein Büchlein herausgegeben mit dem Titel Faustins Erzählungen aus dem Böhmerwald. Darin veröffentlichte er in deutscher Sprache verfasste Geschichten des Autors, die dieser für die Prager Tageszeitung Politik geschrieben hat. Nachforschungen meinerseits ergaben, dass noch zahlreiche Erzählungen des Autors zwar als Übersetzung aus dem Tschechischen bekannt sind, aber im deutschen Original noch unveröffentlicht sind. Und dies wollte ich nachholen, indem ich dem Klostermann-Verein in Grafenau die Herausgabe der betreffenden, von mir recherchierten Novellen anbot.
Welche Geschichten Klostermanns sind in diesem Buch zu finden? Warum gerade diese?
Es handelt sich um Erzählungen aus dem Teil des Böhmerwaldes, den Klostermann besonders gut gekannt hat: das Dreieck Schüttenhofen/Bergreichenstein-Eisenstein-Außergefild und wiederum Bergreichenstein. Ich habe die Geschichten, die ich gefunden habe, nach regionalen Gesichtspunkten angeordnet. Die Erzählungen vermitteln dem heutigen Leser einen Einblick in das Leben der Menschen im Böhmerwald in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, über ihre Sorgen, Ängste und Nöte. Klostermann gibt aber auch viele Informationen über Landschaft, Natur und Siedlungsweise, die heute besonders wertvoll erscheinen, weil sich diese Welt komplett und unwiederbringlich verändert hat.
Welche Bedeutung hat Karl Klostermann heutzutage in Bezug auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen?
Die Beziehung zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen hat eine lange Geschichte. Das Verhältnis war offensichtlich nie ungetrübt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die nationalen Gegensätze immer deutlicher. Dieser Konflikt schlägt sich auch in den Werken der Schriftsteller nieder. Bei der älteren Generation um Adalbert Stifter, Josef Rank und Josef Meßner ist davon noch nichts zu spüren, bei der späteren Generation um Anton Schott, Johann Peter, Josef Gangl und Hans Watzlik ist deutlich die Furcht zu spüren, dass das Deutschtum im Böhmerwald und anderswo in Böhmen allmählich verdrängt werden könnte. Klostermann vertritt da eine Vermittlerrolle: Er versucht beiden Seiten gerecht zu werden, den Deutschen die bestehenden Ängste auszureden und den Tschechen Eindrücke über das Leben der Deutschen im Böhmerwald zu vermitteln.
„Ein friedliches Zusammenleben ist möglich und notwendig“
Mit welchen Gefühlen blicken Sie persönlich auf das heutige deutsch-tschechische Verhältnis?
Meine Gefühle, wenn ich die Heimat meiner Vorfahren besuche, sind etwas von Wehmut überschattet. Mein Geburtshaus und früheres Wohnhaus existiert ebenso wie fast alle Häuser unseres Dorfes nur noch als Trümmerfeld in einer Wiese. Das Gleiche gilt, wenn ich an die große Zahl der ausgelöschten Dörfer im Böhmerwald denke. Natürlich kann man die Geschehnisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht rückgängig machen – und die deutsche Seite hatte sich ja auch schuldig gemacht. Aber die Frage bleibt, ob das alles nötig war.
Welche Grenzen gilt es heutzutage Ihrer Meinung nach zu überwinden?
Die Zahl der Menschen, die unter der Vertreibung unmittelbar gelitten haben und die das Erlebte auch nie wirklich überwinden konnten, wird immer kleiner. Die kommenden Generationen sollten lernen, dass zwischen zwei Volksgemeinschaften mit unterschiedlicher Sprache und Kultur ein friedliches Zusammenleben möglich und notwendig ist, was gerade in der Intention des Schriftstellers Karl Klostermann liegt. Die Herstellung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen beiderseits der Grenzen ist meiner Ansicht nach eine wichtige Aufgabe. Was die politische Dimension anbelangt, ist wohl noch sehr viel zu tun, die immer noch bestehenden Gegensätze zu überwinden.
Die Interviewfragen stellte: Stephan Hörhammer