Perlesreut/München. Er wolle nicht nur Symptome behandeln, sondern Probleme, die die Entwicklung im ländlichen Raum betreffen, ganzheitlich anpacken. Manfred Eibl von den Freien Wählern, seit Oktober 2018 Mitglied des neu gewählten bayerischen Landtags, hat ein politisches Steckenpferd, das er bereits während seiner Zeit als Perlesreuter Bürgermeister am liebsten „fütterte“, und jetzt auf höherer Ebene forcieren will: die Weiterentwicklung seiner Heimat.
„Die Akklimatisierung in München dauert noch an“, hat Manfred Eibl im ersten Teil des großen Hog’n-Nachwahl-Interviews verlautbaren lassen. Zu prägend sei nach wie vor seine Beziehung zum Woid. In München hat er ein kleines Büro (23 Quadratmeter) unweit des Maximilianeums bezogen – mit Schlafmöglichkeit, Nasszelle und Küchenzeile. „Bescheiden, aber ausreichend“, wie der 58-Jährige seine neue Bleibe in der Landeshauptstadt bezeichnet. „Wir Waidler haben da nicht die großen Ansprüche.“
„Was ist, wenn wir uns nicht mit der CSU einigen können?“
Hohe Ansprüche in Sachen Politik bringt er als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr indes sehr wohl mit, wie er im zweiten Teil unseres Hog’n-Interviews verrät. Die weiteren Themen: Die Rolle der Freien Wähler in der Regierungskoalition, Hubert Aiwangers Führungsrolle, die Debatte um die Sonderbeauftragten der Staatsregierung, die Diskussion um die Flutpolder entlang der Donau – und die Frage, wie in Bayern künftig genügend Wohnraum geschaffen werden kann.
Herr Eibl: Wie sehen Sie die Freien Wähler in der Regierungskoalition mit der CSU: Als „kleinen Bruder“? Als „Juniorpartner“?
Wir bezeichnen uns als gleichwertiger Partner – auch wenn das Größenverhältnis 1:3 beträgt. Die CSU verfügt über das Dreifache an Wählerpotenzial. Doch bei einer Koalition ist nun mal so, dass man nicht immer alles zu einhundert Prozent durchgesetzt bekommt – und bei der man auch mal gewisse Kompromisse schließen muss. Diese sind der entscheidende Weg in die Zukunft. Auch als Bürgermeister muss man immer Kompromiss-Lösungen finden, denn das Beharren auf der eigenen Meinung ist nicht zielführend.
Wir fordern natürlich die Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich bin in wichtigen Ausschüssen Mitglied – und ohne die Freien Wähler gibt es auch keine Mehrheit bei Entscheidungen im Landtag. Das darf man nicht vergessen: Auch die CSU muss sich bewegen.
Das heißt, man ist sich durchaus der eigenen Stärke bewusst.
Richtig. Es ist wichtig, dass die Wähler die eigene Handschrift bei den Umsetzungen erkennen. Natürlich wird immer wieder mal die Frage gestellt, ob es uns da nicht genauso geht wie der FDP, als diese Koalitionspartner der CSU gewesen ist. Dazu sage ich ganz deutlich: Nein! Denn der große Unterschied ist: Wir haben unsere Leute an der Basis – sprich: in jedem Gemeinde- oder Kreisrat – in Verantwortung sitzen. Wir wissen, was Sache ist.
Kritiker behaupten, Hubert Aiwanger habe sich insbesondere bei den Koalitionsverhandlungen zu sehr der CSU unterworfen. Freie-Wähler-Positionen seien am Ende zu wenig zur Geltung gekommen. Wie sehen Sie das?
Wie gesagt: Man muss Kompromisse schließen. Die Freien Wähler hätten im Voraus nicht gedacht, derart viele eigene Punkte im Koalitionsvertrag unterzubringen. Dass man auf der anderen Seite Zugeständnisse machen muss, ist notwendig. Die große Frage war für uns immer: Was ist, wenn wir uns nicht mit der CSU einigen können? Dann gehen wir wieder in die Opposition – und von all unseren wichtigen Themen können wir gar nichts umsetzen. Darum die Festlegung: Okay, wir können nicht alles, was wir an Forderungen haben, verankern – aber immerhin einen großen Teil unserer Forderungen, die vor allem die ländliche Region betreffen.
Die dritte Startbahn des Münchner Flughafens war dabei ein ganz entscheidender Punkt, wobei man hierzu ganz klar sagen muss: Auch wenn wir erreicht hätten, dass man die dritte Startbahn direkt ad acta legt und sie zurücknimmt – was wäre in fünf Jahren gewesen, wenn sich die Freien Wähler nicht mehr in Regierungsverantwortung befunden hätten? Dann wäre die dritte Startbahn gewiss wieder mit ins Programm aufgenommen worden. Wir haben jedoch eines erreicht: Fünf Jahre lang wird es nun keine Weiterentwicklung und keine Planungen hierzu mehr geben.
Was glauben Sie: Zu wie viel Prozent wurden die Vorstellungen der Freien Wähler letztlich in den Koalitionsvertrag übernommen?
Ich war bei den Gesprächen selbst nicht dabei, jedoch wurde uns mitgeteilt, dass rund 70 Prozent der Freien-Wähler-Positionen in den Vertrag mit eingeflossen sind.
Warum die zwei Beauftragen-Stellen angenommen wurden
Worin liegen denn Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen CSU und Freien Wählern?
Die Freien Wähler bezeichnen sich ausdrücklich als Vertreter der bürgerlichen Mitte. Den Freien Wählern ist es sehr wichtig, die Entwicklungen ländlicher Regionen zu thematisieren. Die Freien Wähler sind sehr kommunal-freundlich. Das ist einer der wichtigsten Punkte.
Wir wissen, dass wir Schwerpunkte setzen müssen in ländlichen Regionen. Wir haben hierbei versucht gerade die familienpolitische Ausrichtung – u.a. mit der Forderung nach der Kindergartenbeitragsfreiheit, die wir nicht ganz umsetzen konnten – weiter voranzutreiben. Auch bei den Themen ärztliche Nahversorgung, Erhalt von Krankenhäusern und Straßenausbausatzung konnten wir Akzente setzen.
Stichwort: Sonderbeauftrage der Staatsregierung. Nachdem die Freien Wähler selbst zwei der umstrittenen Posten besetzt und den Einspruch vor dem Verfassungsgerichtshof zurückgenommen haben, wirft die Opposition den Freien Wählern einen „unanständigen“ Deal und „verkaufte Moral“ vor. Wie sehen Sie das?
Es wurde jüngst durch eine Eingabe der Freien Wähler ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, weil bei den Beauftragten die gesetzesmäßige Grundlage gefehlt hatte. Andere Bundesländer haben auch Beauftragte, allein im Bund gibt es 38. Das Thema wurde im Vorfeld angeprangert, das ist klar. Wir haben jedoch erreicht, dass hierbei die Konditionen deutlich zurückgefahren werden: Das Budget der Beauftragten beträgt nunmehr 2.000 statt 3.000 Euro. Der Dienstwagen fällt weg, das Personal wird nur noch bei Bedarf gestellt.
Warum die Freien Wähler zwei der Beauftragen-Stellen angenommen haben? Weil dann die CSU diese beiden Stellen besetzt hätte – und so bekommen wir sie. Auch wenn wir alle nicht so recht glücklich sind mit dieser Geschichte. Doch die Beauftragten haben schon auch in gewissem Maße ihre Berechtigung – wenn ihre Arbeit für alle Seiten nachvollziehbar ist.
Also doch ein „unanständiger“ Deal mit „verkaufter Moral“?
Das sehe ich nicht so. Die Beauftragten waren Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Nochmals: Wenn ich meine Forderungen platzieren möchte, platziert im Gegenzug auch die CSU die ihrigen. Es gilt dann eben einen Kompromiss zu finden. Dieser beinhaltete die Beibehaltung der Beauftragten mit entsprechenden Reduzierungen.
Demnach ein fauler Kompromiss?
Würde ich auch nicht sagen. Es war ein zweckmäßiger Kompromiss, um eigene Ansätze auf die Agenda zu bringen, die sonst weggefallen wären.
Polder-Ausbau: Aktuell werden drei Gutachten ausgewertet
Anderes Thema: CSU und Freie Wähler haben drei Polder gestrichen – zum Entsetzen vieler Kommunalpolitiker. Die Grünen wittern gar Spezl-Wirtschaft. „Das Ansinnen, die Donau-Flutpolder herauszunehmen, ist astreine Klientel-Politik“, hat Christian Flisek im Hogn-Interview zuletzt moniert. Wie sehen Sie das?
Ich bezeichne das nicht als Klientel-Politik. Das Thema Flutpolder begleitet uns mittlerweile fast täglich, von Straubing bis Passau hat jeder Kreistag eine Resolution diesbezüglich auf den Weg gebracht. Man hat, wenn ich das so sagen darf, das Ganze nicht so glücklich gestaltet und hat die Namen derjenigen Polder genannt, die wegfallen könnten. Man hat sich damals, als diese Festlegung Gestalt annahm, auf ein Gutachten berufen, das aussagt, dass jene, mit einem gigantischen Aufwand und hohen Kosten geschaffenen Polder bereits in Straubing schon keine Auswirkungen mehr haben sollen.
Dadurch entstand die Diskussion, bei der man sich fragte: Schafft man es nicht, mit dezentralen Lösungen den gleichen Effekt zu erzielen wie mit diesen gigantischen Flutpolder-Baumaßnahmen?
Aktuell ist es so, dass nochmals alle Flutpolder grundsätzlich auf den Prüfstand kommen – dazu werden drei Gutachten ausgewertet. Beim ersten geht’s darum, mögliche Polder-Standorte zu definieren. Beim zweiten um die Frage, was diese möglichen Standorte bringen könnten, um einen Kosten-Nutzen-Effekt zu generieren. Das dritte Gutachten sagt aus, welchen Einfluss gewisse Flutpolder auf den Grundwasserpegel haben.
Wir haben uns – abgestimmt auf diese drei Gutachten – gemeinsam mit Umweltminister Glauber auf die Fahne geschrieben, eine Grundlage hinsichtlich der Frage zu erarbeiten: Wie geht es tatsächlich weiter beim Polder-Ausbau? Ob dann am Ende diejenigen drei Flutpolder, die jetzt zur Herausnahme ins Auge gefasst wurden, tatsächlich auch herausgenommen werden, würde ich nicht zu einhundert Prozent unterschreiben.
Aiwanger hat – und das ist ganz entscheidend – dazu gesagt: Wir können nicht bis 2028 warten, bis die Flutpolder in Gänze fertiggestellt sind. Denn mit unseren Extrem-Witterungseinflüssen, denen wir momentan ausgesetzt sind, können bis 2028 sehr viele Ereignisse eintreten, von denen wiederum große Probleme ausgehen. Aiwanger sagt deshalb weiter: Wenn man nun dezentral eine schnellere Lösung herbeiführen kann, nützt dies allen möglichen Betroffenen.
Wie könnte diese dezentrale Lösung aussehen?
Dass man etwa größere Flächen für die Wasserrückhaltung ausweist. Dies bedeutet vielleicht das Achtfache an Flächenbedarf gegenüber der Polderlösung. Dies bedeutet momentan vielleicht auch Mehrkosten beim Grundstückserwerb etc. Aber es wäre schneller umzusetzen und hätte vielleicht auch mehr Effizienz.
Dieses Thema wird in einer Art und Weise polemisiert, gegen die ich mich entschieden wehre. Die immer wieder vorgebrachten Punkte der Kritiker, dass Aiwangers Lebensgefährtin gleichzeitig Landrätin von Regensburg ist und ein Staatssekretär aus Neuburg-Schrobenhausen stammt, sind reine Polemik.
„Wir müssen den Wohnungsdruck aus den Städten nehmen“
Sie sind stellvertr. Vorsitzender des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr sowie Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung. Das sind genau die Themen, die Ihnen liegen, richtig?
Ja, ich habe in der Fraktion diese Ausschüsse gefordert, weil ich aus diesen Bereichen komme. Für mich ist Wirtschaft und Landesentwicklung ein absolut zentrales Thema für die Zukunft. Digitalisierung ist ein neues Themenfeld, das im Wirtschaftsausschuss begleitet wird – ein wichtiger Part gerade für den ländlichen Raum. Der weitere Ausschuss mit Wohnen, Bau und Verkehr betrifft uns ebenso. Es freut mich, dass ich hier zum stellvertretenden Ausschussvorsitzenden ernannt wurde. Ein Vertrauensbeweis seitens der Fraktion.
Wie kann in Bayern genügend Wohnraum geschaffen werden?
Wohnen ist ein differenziert zu betrachtendes Thema. Wir haben einerseits die Problematik in den Städten, wo immer weniger Wohnraum zur Verfügung steht, wo die Mietpreise durch die Decke gehen. Andererseits gibt es die ländlichen Regionen, die mit der Leerstandsproblematik zu kämpfen haben. Die große Herausforderung wird sein, diese beiden Pole in Einklang zu bringen.
Mein Ansatz ist folgender: Nur wenn wir es schaffen, ländliche Regionen dauerhaft so zukunftsfähig und attraktiv zu machen, dass die Menschen in den Regionen bleiben, werden wir auch die Wohnungsnot in den Städten einigermaßen in den Griff bekommen. Das ist ein schwieriger Spagat. Gerade im Ausschuss für Bauen und Wohnen sitzen viele Vertreter aus eher urbanen Regionen. Mein Ansinnen ist es, wie gesagt, die ländlichen Räume nicht zu vergessen.
Wir müssen den Wohnungsdruck aus den Städten nehmen – und es darf keine tendenzielle Entwicklung mehr geben, dass unsere gut-ausgebildeten Fachkräfte und jungen Menschen sich Richtung Stadt orientieren. Dabei ist es wichtig diejenigen Grundstücke, die sich im staatlichen Besitz befinden, nicht mehr an den Höchstbietenden zu veräußern, sondern an den nachhaltig entwickelten, genossenschaftlichen Wohnungsbau. Hier gibt es mehrere Ansätze.
Das alles funktioniert nicht von heute auf morgen, das muss klar sein. Dennoch: Nur wenn wir eine gesamtheitliche Entwicklung dieser Landstriche in Bayern haben, werden wir dieser Sache Herr werden. Anders bekommen wir ein großes Problem.
Wie schwierig ist der Spagat zwischen dem Schaffen neuer Gewerbeflächen auf der einen Seite und der Verhinderung von Flächenfraß auf der anderen?
Das ist gar nicht so schwierig. Betrachten wir einmal die Entwicklung bei der Ausweisung von Gewerbegebiets-Grundstücken – und dabei spreche ich nicht von den Überhand nehmenden Baumaßnahmen entlang der A 94. Ich spreche vom östlichen Landkreis Passau, dem Raum Freyung-Grafenau, Regen oder Deggendorf – hier wird es immer wichtiger werden, sich interkommunal aufzustellen und gemeinde-übergreifende Gewerbegebiete zu errichten.
Auch in Gewerbegebieten wird es künftig nicht mehr funktionieren, etwa dazugehörige Parkplätze für die Arbeitnehmer in der Fläche zu errichten. Man muss dabei in die Höhe gehen und mehrgeschossige Parkgaragen schaffen. Diese Ansätze gibt es bereits. Der Flächenfraß ist uns allen bewusst, hier besteht Handlungsbedarf. Es kann aber auch nicht so sein wie etwa die Grünen fordern, dass künftig mit klaren Entwicklungsvorgaben gearbeitet werden soll. Kommunen müssen sich auch in Zukunft entwickeln können.
AfD-Wählerschaft: „Wir müssen die Sorgen und Nöte aufnehmen“
Gerade in ihrem Stimmkreis hat die AfD bei den Landtagswahlen ein – nach der Bundestagswahl – erneut beachtliches Ergebnis eingefahren. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg der Rechtspopulisten in Ihrer Heimatregion?
Das gründet auf der Unzufriedenheit derjenigen Menschen, die sich vergessen fühlen. Viele haben ihr ganzes Leben lang gearbeitet, befinden sich jetzt im Ruhestand und können mit ihrer Rente nicht ordentlich leben. Nach wie vor gibt es Leute, die nicht offen sind für das bunte Leben bzw. die Vielschichtigkeit der Nationalitäten in diesem Land. Das Jahr 2015 hat viele geprägt. Wir waren alle auch Leidtragende. Viele Leute sagen, es ist zu viel des Guten. Es herrscht Angst davor, dass die Sozialsysteme überfrachtet werden.
Ich möchte nicht behaupten, dass es zum Großteil rechtsorientierte Wähler sind, die die AfD unterstützen, sondern es ist eine Vielzahl von Unzufriedenen, die mit ihrem Wahlverhalten ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen möchte.
Wie schafft man’s, diese Leute wieder auf die eigene Seite zu holen?
Das wird kein leichtes Unterfangen. Das geht nicht alleine auf landespolitischer Ebene. Da ist auch der Bund gefragt, um in eine gute Richtung zu kommen. Wir haben ja viele positive Beispiele für eine gelungene Integration. Es gibt aber immer wieder den ein oder anderen Ausrutscher. Wir müssen in diejenigen Bereiche, in denen ein großer Anteil an AfD-Wählern vorherrscht, noch besser hinein hören. Wir müssen die Sorgen und Nöte aufnehmen und versuchen diese ganz nach oben zu tragen, um dort klar aufzuzeigen sowie zu verbessern, was Stand der Dinge an der Basis ist und warum wir dieses Wahlverhalten haben.
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute für die Zukunft.
Interview: Stephan Hörhammer