Traitsching. Wer kennt sie nicht, die „Agents“ und „Detectives“ des FBI und der CIA made in Hollywood? Durchtrainiert, schwarzer Anzug und ernster Gesichtsausdruck. Dienstausweis und Waffe stets griffbereit und notfalls blitzschnell gezückt. Unermüdlich auf Verbrecherjagd, immer im Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, zum Schutze der Verfassung und des Vaterlandes.
Nicht aus Hollywood, sondern aus dem Landkreis Cham stammt ein leibhaftiger Ex-Agent, der als Insider ganz genau weiß, dass – nicht wirklich überraschend – die Realität mit der Filmbühne nur wenig zu tun hat. Wir sind zu Gast im Haus von Wilhelm Dietl: Journalist, Autor und ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. Jetzt Verleger – und noch vieles mehr…
An den Wänden: Das Who is Who der Zeitgeschichte
Schon im Eingangsbereich des weitläufigen Hauses bedarf es zunächst weniger Worte, so bass erstaunt, ja sogar überwältigt ist man erst einmal. Wohin das Auge auch blickt: Fotos berühmter Persönlichkeiten, Souvenirs aus aller Welt, Sammlungen, Gemälde, Bilder, Memorabilia. Ein Museum der neueren Zeitgeschichte, gemischt mit musikalischer Weltgeschichte.
Auch im Esszimmer gibt es an den Wänden viel zu bestaunen: Fotos von Dietl mit Mutter Teresa in Kalkutta, mit dem einstigen PLO-Chef Jassir Arafat, mit Ruhollah Khomeini, ehemaliger oberster Führer des Iran, beim Begräbnis von Indira Gandhi (1984) und des iranischen Schah (1980), dessen Trauerzug zehn Kilometer lang war – Dietl ganz vorne mit dabei. Libyens Muammar al-Gaddafi beim Fußballspiel mit seinen Sicherheitsleuten, bei dem der Gewinner schon vorab feststand. Mit Aerobic-Queen und Schauspielerin Jane Fonda in Jerusalem oder neben Stones-Frontmann Mick Jagger – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Es mutet fast wie ein Lokal an, in dem sich internationale Celebrities die Klinke in die Hand drücken – hier eher Celebrities politischer Art, die auch nicht immer ganz unumstritten waren.
Wenn der Journalist aus seiner schier unglaublichen Vita berichtet, ist es zuweilen schwer, den Ausführungen zu folgen – so abenteuerlich sind teilweise die Geschichten, die er erzählt. Aber man fängt am besten mit seiner eigenen Geschichte an – von vorne:
Über die eigene Abschlussfeier berichtet
Wilhelm Dietl, Jahrgang 1955, Bad Kötztinger Urgewächs, arbeitete bereits als Achtklässler der hiesigen Realschule freiberuflich für die Kötztinger Zeitung. Er verfasste den Polizeibericht und schrieb über Geburtstage. Bereits vor dem Schulabschluss hatte er dort seinen Ausbildungsvertrag in der Tasche. So konnte der Volontär auch gleich über die eigene Abschlussfeier berichten. Die Produktion einer Zeitung, die Recherche, das Schreiben – kurzum: die journalistische Arbeit – faszinierte ihn von Jugendjahren an. Und so blieb er ihr auch treu – bis heute.
Stationen journalistischer Tätigkeit
Nach dem Volontariat bei der Lokalzeitung folgten zahlreiche Redaktionsstationen: Furth im Wald, Neumarkt, Amberg, Nürnberg, Regensburg – und schließlich landete er bei der Süddeutschen Zeitung in München. Mit gerade einmal 22 Jahren. Das war schon eine Hausnummer, Journalist bei einer der renommiertesten deutschen Tageszeitungen zu sein. Zwei Jahre später traf sich Wilhelm Dietl mit Jochen Wolff, dem damaligen Ressortleiter „Aktuelles“ bei der Illustrierten Quick, für die er dann ab 1981 schrieb. Ebenso für die noch heute existierenden Magazine Stern und Spiegel.
Eine neue Heimat: die Welt – allem voran: der Nahe Osten
Die Quick-Macher schickten Dietl in die große weite Welt hinaus, wie man so schön sagt. Und so begann seine langjährige Karriere als Auslandsjournalist. Egal, ob Präsidentschaftswahl, Terroranschlag oder Naturkatastrophe – Willi Dietl war vor Ort und live dabei. Vor allem im hochexplosiven Nahen Osten fand er sein spannendes Einsatzgebiet. Und noch heute kennt er die Gegend wie kein anderer. „In Jerusalem oder Beirut hätte ich nach einer Weile problemlos Taxis lenken können“, bemerkt er nebenbei. So hat er den verstorbenen PLO-Chef Jassir Arafat diverse Male getroffen, die beiden Männer haben sich Dietl zufolge gut verstanden.
Doch: Wie lief nun so ein Treffen mit einer Person ab, die maximal bewacht und abgeschirmt lebt(e)? Eine Begegnung blieb Dietl besonders im Gedächtnis: „Es war der 9. November 1989, der Mauerfall – deswegen weiß ich es noch so genau. Wir trafen uns in Tunis. Die Treffen fanden immer nach Mitternacht statt. Ich wartete in einem Hotel und wurde dann abgeholt und in das Hauptquartier der PLO in Tunis gebracht. Dann unterhielten wir uns und ich wurde anschließend wieder zurückgebracht.“ Danach gefragt, ob er denn gerade in brenzligen Situationen Angst um sein Leben hatte, ja auch mal etwas wie Todesangst verspürte, versichert Dietl recht nüchtern und glaubhaft: „Nein, nie.“
Auch Khomeini, den iranischen Religions- und Staatschef (1902-1989) hat er einmal getroffen. „Das war sensationell“, erinnert sich Dietl. Ebenso sei Afghanistan ein Land, dessen Gefüge ihm sehr vertraut ist. „In den 80er Jahren war ich mehrfach illegal im Land – ohne Visum und mit den Mudschahidin. Allerdings musste ich zehn Jahre auf mein Visum warten. 1989 bekam ich es dann“, blickt der 68-Jährige mit einem Lächeln zurück.
Der Bundesnachrichtendienst klopft an
Im Laufe der Zeit baute sich der Nahost-Experte ein umfangreiches Netzwerk an Kontakten in aller Welt auf. Und so weckte er auch das Interesse des Bundesnachrichtendienstes. Von 1982 bis 1993 war Dietl für den BND als Mitarbeiter tätig, die genauere Berufsbezeichnung lautet „Beschaffungshelfer“. Die sehr undramatisch deutsche Version des amerikanischen Begriffs „Agent“. Unter dem Decknamen „Dali“ bereiste er den Nahen und Mittleren Osten sowie Süd- und Zentralasien.
„Die Arbeit für den BND war natürlich komplett anders als für das Magazin. Bei Quick war es so, dass ich beispielsweise eben in Beirut angekommen war, mich ein Anruf ereilte, dass in Jerusalem etwas passiert war – und ich umgehend dorthin reisen musste, um berichten zu können. Der BND verfolgt hingegen andere Zielsetzungen: Ich war für zwei Wochen in einer Stadt oder Region eines Landes und hatte klare Vorgaben, was dort zu tun war“, erklärt er die Aufgabenstellung.
Staats-Geheimnisse mussten beschafft werden – nicht nur Informationen, die man veröffentlichen konnte. Journalismus kann in manchen Ländern lebensgefährlich sein. Hinzu kommt, dass die Arbeit für Geheimdienste in höchstem Maße strafbar ist. Geheimdiensttätigkeit ist aber doch auch wie Journalismus, nur viel spezifischer: Wie ist die Lage in Zeiten eines Bürgerkriegs im Land? Wie sieht die Situation bei den streitenden Parteien aus? Unzählige Fakten mussten beschafft werden, mit denen man arbeiten konnte. Hier kam Dietl natürlich die Expertise als Journalist zugute. Als freier Journalist war es ihm möglich, all die politisch wichtigen, oft schwer erreichbaren Menschen zu treffen.
Final kehrte er dem Agentenleben schließlich 1993 den Rücken, als der damalige Staatsminister im Kanzleramt Bernd Schmidbauer fremde Lorbeeren einheimste. Es ging um die Freilassung zweier entführter deutscher Geiseln im Libanon, bei der Schmidbauer nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Die wahren Strippenzieher blieben jedoch im Hintergrund. Die Medien feierten den Staatsminister triumphal, als er mit den Geiseln in Köln empfangen wurde. Dietl kritisierte das Verhalten des Staatsministers öffentlich, kam jedoch nicht zu seinem Recht – und schloss dann die Akte BND für immer.
Das Leben nach dem Agenten-Dasein
Ein neues Betätigungsfeld fand der umtriebige Journalist natürlich bald: Er wurde ab 1983 als freier Mitarbeiter beim Nachrichtenmagazin Focus engagiert. Bis 2004. Von da an war er zehn Jahre als Sicherheitsberater in der freien Wirtschaft tätig. Seine Bücher schrieb er nach wie vor „nebenbei“. Ehrenamtlich ist er seit 2005 beim Rotary Club Cham aktiv, ab 2013 als Präsident, 2018 als sog. Governor, der in dieser Funktion mehr als 70 Clubs betreute. In Cham und Bad Kötzting führte der Publizist zudem zwei Buchläden. Der Vielseitigkeit dieses Mannes kann man in diesen wenigen Zeilen wohl nicht gerecht werden…
Alle waren sie schon da
Nur einen Tag nach der Begegnung mit dem Onlinemagazin da Hog’n schaute das Pro7-Team aus München bei Willi Dietl vorbei, um ihn für ein TV-Magazin zu portraitieren. „Alle namhaften Sender waren schon hier“, erzählt er. Die staunten wahrscheinlich nicht schlecht, als sie in das „Schwimmbad“ im Untergeschoss des Hauses geführt wurden. Badekleidung benötigt man hier nicht mehr. Eher mehrere Leben, um sich durch (geschätzt) Millionen von akribisch geordneten Zeitungsartikeln, Hunderttausende von Büchern, alle Ausgaben von Spiegel, Focus oder Stern hindurch zu lesen.
Und freilich alles fein säuberlich archiviert und gegliedert: Terrorismus, Spionage, BRD, DDR, Naher und Mittlerer Osten, Afghanistan, Taliban, China und noch vieles mehr. Aus einschlägigen deutschen Tageszeitungen archiviert Dietl die Artikel seit Jahrzehnten thematisch. Wie lange er durchschnittlich mit dem Lesen verbringt? „An einem Tag ohne Auswärtstermine sind es schon mal acht Stunden“, berichtet er und ergänzt mit einem Lachen: „Ich nutze jede Wartezeit zum Lesen – deswegen fahre ich auch so gerne mit dem Zug.“
Er sei zudem ein Nachtarbeiter. „Dass ich nicht allzu viel Schlaf brauche, kommt mir in meiner Tätigkeit natürlich sehr gelegen“, sagt er. Und dass er mehrmals täglich Nachrichten aus dem In- und Ausland verfolge, versteht sich von selbst. Immer up-to-date sein, immer möglichst nah am Zeitgeschehen – das war schon fast sein ganzes Leben so.
Die neue Berufung als Verleger
Das Schreiben ist seit Jugendtagen Wilhelm Dietls Beruf und Berufung. Nun hat er gemeinsam mit seiner Frau, der ehemaligen Fernsehjournalistin Dorit Schatz, den Verlag Memoir gegründet. Der Name verrät das Verlagsprogramm bereits. „Es gibt so viele Menschen, die eine hochinteressante Geschichte zu erzählen haben, aber die großen Verlage lehnen sie ab, weil sie unbekannt sind. Genau diesen Menschen möchten wir eine Plattform bieten“, erklärt der Verleger das schlüssige Konzept.
Dietl fungiert dabei entweder als Ghostwriter oder Co-Autor, wie zum Beispiel für das Buch „Die Jagd“, das er gemeinsam mit Zvi Aharoni verfasst hat. Aharoni, eigentlich Hermann Aronheim, Mossad-Agent, war maßgeblich an der Festnahme von Adolf Eichmann (1906-1962), dem Architekten des Holocausts, in Buenos Aires verantwortlich. Ihn hatte eine Spezialeinheit des Mossad in einer waghalsigen Entführungsaktion nach Israel gebracht, wo ihm der Prozess gemacht und die Todesstrafe gegen ihn vollstreckt wurde. Aktuell arbeitet Dietl – um nur eines seiner Verlagsprojekte aufzuführen – mit einem ehemaligen KBG-Kollegen des russischen Präsidenten Wladimir Putin an dessen Memoiren. Insgesamt hat Dietl bislang 17 Bücher geschrieben.
Die Stones – eine jahrzehntelange Liebe
Wilhelm Dietl beschäftigt sich jedoch nicht ausschließlich mit Terrorismus und Spionage. Und neben seiner Ehefrau gibt es noch eine weitere große Liebe in seinem Leben: die Rolling Stones.
Sie sind Dietls allerliebste Lieblingsband, der er bis heute gerne weltweit nachreist – ein paar Tage Kuba oder Shanghai -, um sie live zu erleben. Wie man bei diesem bewegten Leben getrost erwarten kann, traf er sie selbstverständlich schon mehr als einmal – und stieß mit Frontmann Mick Jagger höchstpersönlich auf einer Party an.
Es bleibt abschließend abzuwarten, bis Wilhelm Dietl seine eigenen Memoiren verfasst. Das dürfte wohl ein mehrbändiges Mammutwerk werden. Eine Biografie, die den Leserinnen und Lesern gewiss nicht langweilig wird…
Melanie Zitzelsberger