Viechtach/Lam. Drei Teams, sechs Personen, fünfzehn Gipfel. In Zweierteams haben sich für das Buch „15 Gipfel“ je ein Autor und ein Fotograf auf den Weg gemacht, um den Bayerischen Wald neu kennenzulernen. Aus ihrer ganz persönlichen Sicht beschreiben sie ihre Wandertouren in Texten und Bildern. Sie tauchen ein in die Kultur und die Geschichte der Region und führen Gespräche mit Menschen, die hier leben und eine Verbindung zum jeweiligen Gipfel haben.
Das Nachhaltige: Die Start- und Endpunkte der Wanderungen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Außerdem können die einzelnen Gipfelwanderungen als zusammenhängende Routen miteinander kombiniert werden. Tageswanderungen, Zweitagestouren oder sogar mehrtägige Touren mit Übernachtungen über den vorderen, mittleren oder hinteren Höhenzug des Bayerischen Waldes sind damit planbar.
„Wie wenig man weit weg sein muss, um sich weit weg zu fühlen“
Zusätzlich zu den Gipfeltouren sind in „15 Gipfel“ drei Reportagen zum Wandern mit Kindern enthalten. Die Wanderungen führen auf markierten Wegen zu den bekanntesten und höchsten Gipfeln des Bayerischen Waldes. Doch nicht nur, denn die Region ist vielseitig, und für Gipfelerlebnisse braucht es nicht immer einen Berg. Herausgeberin Evi Lemberger, Fotografin aus Lam, erzählt im Folgenden, welches Konzept hinter ihrem Buch steckt – und berichtet darüber, mit welchen Gegenden der Bayerische Wald vergleichbar ist.
Evi, wie kam es zur Idee für dieses Buch?
Ich war im Sommer 2019 mit Freunden am Falkenstein wandern und wir übernachteten in der Schutzhütte. Viel gewandert bin ich schon zuvor, aber zumeist in meiner Region am Osser, Arber und Kaitersberg. Das war das erste Mal woanders im Bayerischen Wald – eigentlich verrückt, oder? Ich merkte, wie großartig so eine mehrtägige Wanderung ist. Gleichzeitig war es mir ziemlich peinlich, weil ich meine Heimat, den Bayerischen Wald, völlig unterschätzt hatte.
Inwiefern hast du ihn unterschätzt?
Naja, ich komme aus dem Oberen Bayerischen Wald und mit dem Osser, Kaitersberg, Hohen Bogen und Arber habe ich in meiner unmittelbaren Umgebung schon eine Vielzahl an Bergen quasi vor der Haustür. Irgendwie dachte ich: Kennst du die, kennst du alle. Aber das stimmt nicht – und ist um ehrlich zu sein echt arrogant und ignorant. Als ich zum ersten Mal am Falkenstein war, wurde mir schnell klar wie anders die Gegend dort ist – mit ihren wunderschönen Schachten, den Hochebenen, der Aussicht, den Dörfern und auch der wunderschönen Hütte.
Da hab ich auch festgestellt wie wenig man weit weg sein muss, um sich weit weg zu fühlen. Verrückt und echt dämlich, wenn man bedenkt, dass der Falkenstein nur rund 40 Minuten von zuhause entfernt liegt. Im Zuge dessen habe ich auch gemerkt, dass es möglich ist, längere Touren zu gehen, sprich: dass man nicht nur eine Tagestour macht, sondern mehrere Tage unterwegs sein kann. Das hätte ich so nicht gedacht bzw. war ich so nicht gewohnt. Aber klar, wenn man abends wieder in das eigene Zuhause kann.
„Ist das Wandern nicht wunderbar demokratisch?“
Die einzelnen Kapitel im Buch bilden jeweils ein einziges Wanderwochenende an einem Berg ab, jedes Kapitel enthält einen Hinweg zum Gipfel, einen Rundweg, einen Wegweg, außerdem Einkehr- und Übernachtungstipps, eine Karte und ein Interview. Die Autoren und Fotografen sind lange Strecken gegangen, bei jedem Wetter.
Der Grund für die langen Wanderungen war unter anderem die Idee, dass man den Bayerischen Wald im wahrsten Sinne durchwandert. Für mich besteht das Wandern nicht nur daraus, auf einem Gipfel zu sitzen und meine Höhenmeter zu zählen, sondern ich möchte die Gegend kennenlernen. Menschen, Dinge sehen und erfahren. Ich liebe das Gehen: draußen in der Natur sein, Schritt für Schritt mir die Umgebung erschließen. Und jeder in seinem Tempo. Ist das Wandern nicht wunderbar demokratisch? Fast jeder kann es sofort und immer machen.
Es wurden Anfangs- und Zielpunkte gewählt, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Eigentlich heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem reist die Mehrheit der Wanderer immer noch mit dem eigenen Auto an.
Ich finde es immer interessant, dass Wanderer eigentlich sehr naturverbunden sind und vermeintlich ihren Urlaub danach ausrichten und dennoch nicht darauf verzichten können, mit ihrem Auto anzureisen. Ich weiß, manchmal geht es nicht anders und manchmal ist das Auto unverzichtbar. Ich selber habe bei meinen Wanderungen oft darauf zurückgegriffen, weil es zeitlich sonst zu eng wurde. Wir wollen aber zeigen, dass es möglich ist, auch anders und vor allem wirklich ökologisch zu wandern. Und ganz ehrlich: Das ist doch nicht nur umweltfreundlich, sondern auch superpraktisch, weil man sich nicht darum kümmern muss, wie man wieder zu seinem Ursprungsort zurückkommt.
Wales, Süd-England und Spanien…
Mit welchen Gegenden dieser Welt, die du bereits bereist hast, ist der Bayerische Wald vergleichbar?
Puh, das find ich schwierig, weil der Bayerische Wald so unglaublich unterschiedlich ist, dass ich ihn nicht unbedingt nur mit einer Gegend vergleichen kann und möchte. Der Vordere Bayerische Wald für sich ist schon so unterschiedlich – mit dem Pröller und dem Geißkopf, die mit ihrem Mischwald strotzen vor saftigem Grün und mich daher ein bisschen an Wales erinnern. Dann die Triftsperre und die Flusswanderung, die eher an eine Wanderung in Süd-England erinnern. Dann hast du Gegenden wie den Kaitersberg, Arber, Hohen Bogen oder auch den Osser, die eher alpine Züge haben, mich aber viel mehr an das Hinterland im Zentrum von Spanien erinnern – grün, felsig, und nie erdrückend, aber auch nicht majestätisch.
Bitte das alles auch mit einem Fünkchen Humor nehmen. Denn natürlich ist Wales anders. Und das Hinterland Spaniens besteht nicht nur aus den Gegenden, die ich zum Klettern besucht habe. Wahrscheinlich lesen das jetzt einige und widersprechen mir sogleich, weil sie ganz etwas Anderes im Bayerischen Wald sehen und ganz andere Regionen für sie bedeutsam sind. Und genau das finde ich am Woid so toll. Er ist so unglaublich divers – und es gibt soviel Möglichkeiten.
Ihr habt viele Gespräche geführt mit Menschen, die im Woid leben. Was habt ihr von ihnen erfahren?
Viel (lacht)… ich finde es tatsächlich sehr schwer auf einen Punkt zu bringen, da sie alle so unterschiedlich waren und unterschiedliche Dinge gemacht haben. Allen voran steht natürlich Stilla Moritz, eine großartige und wunderbare alte Dame, die uns von ihrer Schulzeit in dem ehemaligen Dorf Leopoldsreut erzählt hat. Oder Martin Zoidl, der uns erklärt hat, wie das Wetter im Bayerischen Wald funktioniert. Oder auch Georg Rauscher, der uns erklärt hat, wie sich fliegen anfühlt. Oder Familie Piermeier, die Nostalgie-Ski fährt – oder auch der Kletterheld Christian Hartl. Oder, oder, oder. Ich könnte noch weitere Namen nennen, denn alle von ihnen haben uns für einen Moment in ihre Welt gelassen. Das empfinde ich immer als einzigartig – und als Ehre.
Der Gipfel
„Für Gipfelerlebnisse braucht es nicht immer einen Berg“, heißt es im Buch.
Für viele ist ein Gipfel ein – wie es auch der Duden sagt – höchster Punkt in der Landschaft. Wenn man aber dann weiterliest, gibt es auch folgende Definition: höchstes denkbares, erreichbares Maß von etwas; das Äußerste; Höhepunkt. Und diesen Gedanken mag ich, denn wodurch zeichnet sich ein Ort oder ein Ziel oder ein Moment aus? Weil er der größte und höchste im physischen Sinne ist? Das ist ja schon ein sehr eng gestricktes Gedankenkonstrukt, das nicht auf jeden Geschmack zutrifft.
Für mich ist zum Beispiel ein Gipfel: ein wunderschöner Ort an einer menschenverlassenen Schachtenlichtung mit Morgensonne auf meinem Gesicht. Die Sommerwiesen um den Brotjacklriegel mit diesen weiten, sanften Ausblicken. Die verschlungenen Naturpfade im Nationalpark, ein Sprung ins kalte Wasser, gutes Essen und Trinken auf einer Hütte mit lieben Menschen und guter Unterhaltung und Kartenspielen…
Was unterscheidet deiner Meinung nach den Osser vom Geißkopf?
Der Osser und der Geißkopf sind super unterschiedliche Berge. Der Osser ist schroff und besteht aus zwei sehr klaren, empor stehenden Gipfeln, die sehr steinig sind. Der Geißkopf hat auch einen Gipfel, aber er ist weitaus weicher und in die restliche Landschaft eingebettet. Vor allem aber unterscheidet sich der Osser und der Geißkopf durch seine Nutzung. So ist letzterer – zumindest für mich – ein Entertainment- und Sportberg. Dort kann man sowohl sommers als auch im Winter ein vielseitiges Sportprogramm vorfinden. Als ich das erste Mal für das Buch dort war, muss ich zugeben, dass ich erstmal erschlagen war von der Seilbahn, den unzähligen Mountainbikern mit ihren bunten Klamotten und die unzähligen Einkehrmöglichkeiten.
„Da ist für jeden etwas dabei“
Der Osser ist das komplette Gegenteil: Dort gibt es eigentlich nichts außer die wunderschöne und für mich schönste Bergwiese, die Osserwiese, die beiden sehr steinigen und prägnanten Gipfel sowie die Hütte, die man nur zu Fuß erreichen kann – und das Osserschutzhaus, wo man sich bei Bier und Leberkaas perfekt festsitzen kann. Ich persönlich würde immer den Osser bevorzugen – nicht nur, weil er mein Hausberg ist, sondern weil ich es mag, dass der Berg nur zu Fuß zu erreichen ist und sich eben keine oder nur wenige Biker bis ganz nach oben verirren; dass ich auch mal kraxeln darf und eventuell meine Ruhe habe, wenn auch der Osser mehr und mehr Besucher hat. Aber das betrifft nur meinen Geschmack – und das ist ja das Tolle am Bayerischen Wald: Da ist für jeden etwas dabei.
So schaut’s aus. Vielen Dank für Deine Zeit und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Evi Lemberger: „15 Gipfel“ – Reportagen und Touren zum Wandern im Bayerischen Wald, Klappenbroschur mit offener Fadenheftung, 16 x 22,5 cm, mit farbigen Fotografien, ca. 300 Seiten, edition lichtung, Viechtach 2022, 26 Euro, ISBN 978-3-941306-48-6