Passau. „Diese vielen kleineren Gräben vereinigen sich derzeit zu einem Grand Canyon, einer riesigen Schlucht, die uns in der Pandemie als gespaltene Gesellschaft entgegentritt“, beschrieb Prof. Dr. Ralf Hohlfeld, seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Uni Passau, im ersten Teil des großen Hog’n-Interviews die momentane soziale Lage. Diese ist vor allem geprägt vom Gegeneinander zwischen Impfbefürwortern auf der einen Seite und Impfgegnern auf der anderen.
Die Spaltung der Gesellschaft durch die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen wird am deutlichsten in den sog. Sozialen Medien sichtbar. Dort bekriegen sich die beiden Lager bis aufs Äußerste – Beleidigungen, Diffamierungen und Stigmatisierungen sind bei Facebook, Twitter und Co. an der Tagesordnung. Versöhnliche Töne, die mit einer vernunftbasierten, sachchlich-orientierten Diskussionskultur einhergehen, sind kaum (noch) zu finden. Im zweiten Teil unseres Interviews mit Prof. Hohlfeld haben wir diesbezüglich die Rolle der Sozialen Medien genauer untersucht. Ebenso ging der Passauer Kommunikationswissenschaftler dabei auf Funktion, Aufgabe und Verantwortung der Medienmacher ein.
„Dann kehren sie in die eigene Bubble zurück“
Nicht wenige betrachten – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie – die Sozialen Medien und die damit einhergehende Art der Kommunikation als Katalysator für überaus bedenklichen Entwicklungen, gerade was die Spaltung der Gesellschaft in punkto Corona/Impfen anbelangt. Inwiefern können Sie dieser These zustimmen?
Das ist zweifelsfrei so – und ich verfolge die Entwicklung des Internets und der Sozialen Medien diesbezüglich mit großem Bedauern. Natürlich darf man es sich nicht so leicht machen und sagen: „Das Internet ist an allem schuld.“ Gleichwohl haben wir es mit Technologien zu tun, denen die Menschheit offenbar nicht vollständig gewachsen ist. So großartig die digitalen Vernetzungsmöglichkeiten heute auch potenziell sein mögen – die Kehrseite sind nun einmal die algorithmenbasierten Filterblasen und Echokammern der Sozialen Medien. Sie führen dazu, dass Menschen sich in den kontroversen Debatten unserer Zeit nicht mehr zuhören, sondern nur nach der Bestätigung der eigenen Haltung suchen und nach dem Applaus der eigenen Peer-Group.
Die sozialen Netzwerke unterstützen den Austausch Gleichgesinnter und verhindern, dass wir – wenn wir unsere sozialen Filter ohne größere Aufmerksamkeit justieren – mit denjenigen Argumenten in Berührung kommen, die uns in unserer Weltanschauung irritieren könnten. Der Mensch versucht nun mal, kognitive Dissonanzen zu vermeiden und wendet sich den Umweltinformationen auf selektive Weise zu: Wir wollen, dass uns die anderen bestätigen, dass wir mit unseren Positionen und Haltungen richtig liegen. Die Likes und Shares, die digitalen Aufmerksamkeitsmetriken des Internets, unterstützen das in einer Weise, die eben jene Katalysatorfunktion für die Spaltung der Gesellschaft hervorbringt.
Ist es Ihrer Ansicht nach überhaupt (noch) möglich, in Sozialen Medien eine vernünftige Diskussionskultur zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern zu schaffen? Oder sind Plattformen wie Facebook generell ungeeignet für derlei kontroverse Themen, weil die Metaebene (sprich: die reele Verbindung zu meinem Gegenüber) fehlt?
Wie schon gesagt, Soziale Medien sind aufgrund der wirksamen Algorithmen ungeeignet, eine vernunftorientierte Diskussion zu befördern. Die Filterblasen existieren unabhängig voneinander und dehnen sich nur in Richtung der Bestätigung der dort kommunizierten Weltbilder und Werte aus. Die wenigen Berührungspunkte zwischen diesen Welten kommen durch Brandstifter zustande, die absichtlich bei Twitter oder Facebook in die Threads des anderen Milieus eindringen und in Kommentarform Brandsätze hinterlassen. Dann kehren sie in die eigene Bubble zurück und brüsten sich dort mit der Empörung, die sie in der jeweils anderen Sphäre angefacht haben. Kommunikation geht anders.
„Dort wird nun mal geliked, was die Emotionen schürt“
Stichwort Cancel Culture: Als wie weit verbreitet erachten Sie dieses Phänomen im Zusammenhang mit der Corona-Diskussion im Allgemeinen und der Impfthematik im Besonderen? Sprich: Wie sehr nehmen sich die entgegengesetzten Pole in ihren Anliegen überhaupt noch wahr? Wie sehr hört man sich überhaupt noch zu?
Ich verstehe unter Cancel Culture etwas anderes. Dabei geht es um das Negieren der Legitimität einer Gruppe, die sich aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Alter und Hautfarbe zu Themen äußern möchte, die meist einen progressiven Hintergrund haben und die Gesellschaft mit Blick auf vorangegangene Diskriminierungserfahrungen verändern möchte. Hier geht es um die Vielfalt der Identitäten, die ein Narrativ etabliert haben, welches es den Trägern von Mehrheitsmerkmalen – Stichwort „alter, weißer Mann“ – erschwert, an der Diskussion mitzuwirken. Abgeschnitten wird man in dieser Position vom Diskurs mit dem Hinweis, dass man als Mensch, der keine negativen Erfahrungen mit Minderheitenidentitäten oder Diskriminierung gemacht hat, hier kein Rederecht besitzt.
Bei Corona ist das anders: Zwar sprechen sich bei den Maßnahmen-Befürwortern und den Maßnahmen-Gegnern wie auch bei den Impfbefürwortern und -gegnern die Gruppen jeweils die Legitimität der Gegenargumente ab. Aber Hinweise, dass man als Nichtgeimpfter nicht über das Impfen sprechen darf und umgekehrt, habe ich bei alledem nicht vernommen. Was aber richtig ist: Das jeweils andere Anliegen wird in der Konsequenz genauso zurückgewiesen wie im Diskurs um die Identitätspolitik.
Welche Rolle spielen dabei generell die Medienmacher und deren Facebook-Auftritte? Welche Verantwortung tragen sie in diesem Zusammenhang?
Das ist eine wichtige und weitreichende Frage. Die Verantwortung der professionellen Journalistinnen und Journalisten ist immens groß und sie wird nicht immer angemessen wahrgenommen. Gerade der werbefinanzierte Onlinejournalismus, der auf Klickzahlen und Seitenaufrufen basiert, ist für die Metriken der sozialen Medien anfällig. Dort wird nun mal geliked, was die Emotionen schürt – gleich ob Liebe oder Hass, Witz oder Wut. Und das schlägt dann sofort auf die Nachrichtenagenden der Onlinemedien zurück. Man kann sich dem nur schwer entziehen, denn wenn die Mitglieder der digitalen Empörungsdemokratie (Bernhard Pörksen) bei Facebook, Twitter und Instagram mit dieser Nahrung versorgt werden, suchen sie diese auch in den Onlinemedien.
Wer das nicht bedient, gerät im Kampf um die Aufmerksamkeit in die Defensive. Deshalb sollten Kontroversen dort von den Profikommunikatoren nicht angeheizt, sondern intelligent moderiert werden. Dazu muss man zweierlei tun: Nicht jede politische Nachricht marktschreierisch in den Schlagzeilen mit gesellschaftlichem Zündstoff anreichern und den Zugang zu den Kommentarspalten durch Registrierung zivilisieren und mäßigen.
„Man wird sich trotzdem noch was wünschen dürfen…“
Was wünschen Sie sich persönlich für die künftige kommunikative Auseinandersetzung mit den Trigger-Themen Corona und Impfen im realen Leben und in den Sozialen Medien?
Auch wenn ich weiß, dass mir dieser Wunsch im schon zuvor skizzierten Sinn um die Ohren fliegen wird: Ich wünsche mir eine gut durchdachte, technisch gut gemachte und kommunikativ exzellent vermittelte allgemeine Impfpflicht, die uns alle – Impfgegner und Impfbefürworter – gemeinsam aus der Pandemie bringt. Und Frieden auf Erden. Und nein, ich glaube weder ans Christkind, noch an den Weihnachtsmann. Man wird sich trotzdem noch was wünschen dürfen…
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
- zum ersten Interview-Teil: „Prof. Ralf Hohlfeld: Keine zwei gleich große Gruppen mit gleicher Legitimität“