Regensburg/Prag. Osteuropa ist in aller Munde. Die Chancen auf neue Märkte und neue Allianzen locken Unternehmen, Touristen zieht es in die böhmischen Weltbäder, nach Prag, ins königliche Krakau und ins romantische Budapest. Kurz nach der Grenzöffnung war das noch anders: Damals, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wagten sich ganz vorsichtig erste Pioniere über die Grenze, um den „Wilden Osten“ zu erkunden.
Die Slawisten an der Universität Regensburg gehörten dazu: Schon 1992 hatten sie die Idee, Deutschland und Tschechien auch wissenschaftlich stärker zu vernetzen. 1996 fand die Idee auch beim bayerischen Kultusministerium Gehör und es entstand ein – auch heute im 25. Jahr seines Bestehens – in dieser Form bis heute deutschlandweit einzigartiges universitäres Forschungs- und Ausbildungszentrum, das sich ausschließlich mit Kultur, Geschichte, Sprache und Wirtschaft Böhmens beschäftigt.
Havel: „Eine unglaublich wichtige Sache“
„Tschechisch ist an der Universität Regensburg längst kein Exot mehr“, sagte Bohemicum-Leiter Marek Nekula, Professor für Bohemistik und Westslavistik, bereits zum 20. Geburtstag 2016. Der tschechische Sprach- und Kulturwissenschaftler mit Auslandserfahrung in Harvard, lehrt seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Universität Regensburg. In der zweisemestrigen, studienbegleitenden Zusatzausbildung in tschechischer Sprache, Kultur, Geschichte und Wirtschaft lernen die Studenten so ziemlich alles über das Nachbarland, im bevorstehenden Sommersemester 2021 beispielsweise von „Fantastischen Abenteuern bis Cyberpunk: Tschechische und deutsche Science-Fiction Literatur“ über „Wirtschaftsbeziehungen zu den Mittel- und Osteuropäischen Staaten“ bis hin zu „Tschechischer Kultur im tschechischen Film„.
Das Bohemicum wirkt beinahe seit dem ersten Tag weit über die Mauern der Universität hinaus und hält engen Kontakt mit der Wirtschaft. So mündeten die Ergebnisse einer Untersuchung von Sprachsituationen in internationalen Unternehmen in wichtige Empfehlungen für das deutschsprachige Management in den Betriebsstätten deutscher Firmen in Tschechien.
Die höchstmögliche Anerkennung erhielt das Bohemicum allerdings nicht aus der Wirtschaft, sondern aus der Politik: Im Jahr 2000 hat der inzwischen verstorbene damalige tschechische Staatspräsident Václav Havel das Tschechien-Zentrum an der Universität Regensburg mit einem Staatsbesuch im Hörsaal geadelt. Havel war begeistert von der Regensburger Einrichtung: „Das ist meiner Meinung nach eine unglaublich wichtige Sache, die dabei hilft, das lang andauernde und über Jahrtausende bestehende und in einigen Aspekten symbiotische Zusammenleben des deutschen und tschechischen Elements zu erneuern und wieder zu beleben“, sagte Havel damals.
Bohemicum und weitere Osteuropa-Projekte
Die Absolventen des Regensburger Bohemicums sind heute auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt und arbeiten inzwischen in Brüssel, in Ministerien, in Anwaltskanzleien, in Vertretungen von internationalen Unternehmen oder Botschaften. Das Centrum Bavaria Bohemia zeichnete das Bohemicum mit dem Preis „Brückenbauer – Stavitel mostu“ aus – für den vorbildlichen und nachhaltigen Einsatz für die Verständigung zwischen den Nachbarregionen Bayerns und Tschechiens.
Seit der Schaffung des Bohemicums hat die Universität Regensburg ihre Tschechien- und Osteuropa-Kompetenz kontinuierlich ausgebaut. Ende 2007 folgte ein weiterer Meilenstein: In Kooperation mit der renommierten Prager Karls-Universität entstand der erste und bisher einzige binationale Studiengang „Deutsch-tschechische Studien“, der in drei Jahren Studenten aus beiden Ländern zu einem Doppeldiplom führt.
Mit einem anderen Osteuropa-Projekt machte die Regensburger Universität in den vergangenen Jahren europaweit Schlagzeilen: den Ost-West-Studien. Bei diesem in seinem Konzept ebenfalls einzigartigen Masterstudiengang erforschen junge Leute aus ganz Europa Kulturen, Mentalitäten und Stereotypen: Was hat die russische Einstellung zum Eigentum mit der Weite der Steppe zu tun? Warum ist es so schwierig, Vertrauen zwischen Ost und West zu schaffen? Wieso werden Rechtsnorm und Rechtsempfinden in Ost und West so unterschiedlich gewertet? Organisiert und koordiniert wird das Studienprogramm vom Europaeum der Universität Regensburg, dem im Jahr 2000 gegründeten zentralen Ost-West-Zentrum. Als Vorzeige-Projekt gilt auch das bundesweit einmalige Forschungs- und Kontaktzentrum für Osteuropa „Bayhost„.
Institutsverlagerung mit positivem Effekt
Auch die bayerische Staatsregierung setzt auf die Bündelung der Osteuropa-Kompetenzen in Regensburg. 2002 beschloss das Kabinett, das Institut für Ostrecht, das Osteuropa-Institut und das Südost-Institut aus München nach Regensburg zu verlagern. Während die Institute in München zuvor ein bisweilen vernachlässigtes, finanziell wie personell vielfach ausgezehrtes Anhängsel gewesen waren, erfahren sie jetzt in Regensburg eine neue Blüte: als wichtiges Kompetenzzentrum für den viel beschworenen Brückenschlag in den Osten.
da Hog’n/ obx-news