Freyung. Nun ist es also amtlich: Norbert Kremsreiter darf seinen „Klopapier&Fashion-Store“ nicht weiter als systemrelevantes Geschäft betreiben (da Hog’n berichtete). Das vermeintliche Schlupfloch Toilettenpapier, das er für sich entdeckt hatte, ist geschlossen. Er mag viel Beifall bekommen haben für seine Bemühungen. Hog’n-Redakteurin Sabine Simon hat die PR-Aktion trotzdem von Anfang an kritisch betrachtet.

Die Kombi aus Klopapier und Mode mag viel Aufmerksamkeit erregt haben. Aber verlockt diese PR-Strategie einen auch zum Shoppen? Symbolbild: da Hog’n
Der Einzelhandel leidet. Ganz klar. Vor allem für kleine Läden ist die Situation unbestritten schwierig. Keine Öffnungsperspektiven, ständig weitere Maßnahmen. Für den ostbayerischen Raum scheint die Lage zudem noch aussichtsloser zu sein als für den Rest Bayerns: Denn hier gilt die strenge „Notbremse“ bereits seit vier Monaten – und zwar durchgängig.
Einzelhändler sollten Energie lieber anders investieren
Das zermürbt, das verleitet dazu, auf die Corona-Politik zu schimpfen, all die kleinen und größeren Ungerechtigkeiten aufzudecken und über die eigene Lage zu jammern. Ändern wird das Jammern und Schimpfen an der eigenen Lage jedoch nichts. Kein Politiker wird sich in den nächsten Wochen trauen, alle Läden zu öffnen. Die Situation in den Krankenhäusern ist erneut zu angespannt, die dritte Welle rollt.

Zahlreiche Menschen in Ostbayern sehen derzeit schwarz – und bekunden ihren Unmut über die Corona-Politik öffentlich. Screenshot: facebook.com
Was also tun in Ostbayern? Demonstrieren? Bürgerinitiativen gründen? Auf die Zustände aufmerksam machen? All das hat bereits eine gewisse Wirkung erzielt: Die Grenzregion wird in Sachen Impfstoff bevorzugt, die Impfquote in Freyung-Grafenau kann sich sehen lassen. Es geht voran.
Für die Geschäftsleute allerdings gäbe es andere Möglichkeiten, ihre Energie zu investieren. Statt Sortimentsänderungen zu stemmen, statt immer wieder auf Öffnungen zu drängen und ein „Zurück zur Normalität“ einzufordern, sollten sie versuchen, sämtliche Chancen zu nutzen, die ihnen derzeit zur Verfügung stehen, um ihre Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Das Positive: Es gibt diese Möglichkeiten.
Zudem haben es die Kunden in der Hand, wie sehr die Geschäfte in unmittelbarer Nähe in existenzielle Bedrängnis geraten: Regionales Einkaufen lautet mehr denn je die Devise. Auch wenn es so viel bequemer oder günstiger scheint, bei einem großen Onlinehändler zu bestellen: Wer den Laden ums Eck liebt, muss auch dort die neue Jeans oder den neuen Mixer kaufen.
Grabesstimmung erzeugt keine Shopping-Laune
Kunden begeistern, ihnen Lust aufs Einkaufen machen – und das in Pandemiezeiten mit geschlossenen Geschäften. Click&Collect oder bestenfalls Click&Meet? Es kann funktionieren.

Ostbayern sieht schwarz – die Kunden dabei jedoch keine bunten Frühlingsklamotten. Screenshot: facebook.com
Allerdings nicht mit Videos, die eine gewisse Grabesstimmung im Einzelhandel vor Augen führen. Wenn etwa das Freyunger Modehaus „Trendline“ ein Video nach dem anderen online stellt, das schwarz-weiß eingefärbt und mit depressiver Stimmungsmusik untermalt ist, verdeutlicht das vielleicht die momentan schwierige Lage der Geschäftswelt. Lust aufs Shoppen macht es definitiv nicht.
Wenn hingegen ab und an in der Facebook- oder Instagram-Timeline eine junge Dame, eingekleidet mit den neuesten Frühlingstrends, über grüne Wiesen im Sonnenschein schlendert, macht das Appetit auf mehr. Appetit darauf, wieder mal Geld für eine neue Hose oder ein neues Shirt auszugeben. Es reicht allerdings nicht, der Kundschaft nur gelegentlich ein Frühlingsoutfit in den Sozialen Medien zu präsentieren…
Mit viel Energie und ganz ohne Klopapier klappt es auch
Wer will, dass seine Abnehmer fleißig Click&Collect nutzen, sollte sich mehr reinhängen. Wie dies funktionieren kann, zeigt etwa ein kleiner Modeladen in Regensburg: Inhaberin Betty Kerschbaum postet fast täglich Fotos oder kurze Clips in den Sozialen Medien, führt ihre Klamotten selbst vor, berichtet über Frühjahrstrends, neue Schnitte, Stoffe etc. Oder sie filmt kleine Modenschauen, auf denen sie selbst und ihre Mitarbeiterinnen Kleider, Pullis und Hosen präsentieren.

Mit Instagram-Posts wie diesem macht Betty Kerschbaum ihren Kunden Lust aufs Shopping – trotz Pandemie. Screenshot: instagram.com
„Ich mache derzeit etwa 60 Prozent meines normalen Umsatzes“, teilt sie dem Hog’n gegenüber mit. „Was mir fehlt, sind die umsatzstarken Samstage.“ 60 Prozent sind nicht hundert. Doch hinzu kommen noch die staatlichen Hilfen. Klar ist: Sie steckt derzeit sehr viel Energie in ihr Geschäft und hätte noch tausend weitere Ideen – ganz ohne Klopapier. „Ich könnte auch 36 Stunden arbeiten, wenn der Tag so viele Stunden hätte“, sagt sie lachend – und wirkt dabei so komplett anders als die schimpfenden Einzelhändler, die durch ihre Facebook-Postings Bedrücktheit und Schwermut verbreiten.
Online zeigen, was man hat
Ein weiteres positives Beispiel gibt ein neu eröffneter Stoffladen in Waldkirchen ab.

Susanne Zandt präsentiert in den Sozialen Medien nicht nur die Stoffe, die sie verkauft, sondern auch, was man daraus machen kann. Screenshot: facebook.com
Betreiberin Susanne Zandt hat ihr gesamtes Angebot in einen Onlineshop eingepflegt und präsentiert dabei allen Näh-Begeisterten ihre neu eingetroffenen Stoffe via Facebook und Instagram. Wer gerne näht, weiß demnach, was sie derzeit im Sortiment führt. Wenn die Einzelhändlerin dann auch noch selbst eine Bluse daraus fertigt und Fotos davon postet, bereitet dies dem Kunden Lust darauf, sich den Stoff zu kaufen – und selbst loszulegen.
Denn nur wer als potenzieller Kunde derzeit auch ohne ein Geschäft zu betreten die (Vorab-)Möglichkeit bekommt, sich möglichst viele Produkte (virtuellerweise) anzuschauen, kauft am Ende auch dort ein – und geht nicht zu Zalando oder Amazon. Eine gute telefonische Beratung unterstützt dabei zusätzlich. In Zeiten von schnellem Internet und Smartphones kann (ja muss) allerdings jeder noch so kleine Ladenbesitzer die digitalen Möglichkeiten nutzen, um Bilder, Videos oder gar Live-Beratungen via Kamera anzubieten.
Wer will, dass Geschäfte überleben, muss regional einkaufen
Großen Einfluss darauf, ob es die kleinen und mittleren Geschäfte in unserer Region noch länger geben wird, haben – wie bereits erwähnt – wir Kunden. Wenn wirklich jeder regional kauft, unterstützen wir die Geschäftsleute vor Ort statt der großen Onlineshops.

Wer diesen Slogan auf sein Profilbild pappt, sollte auch regional einkaufen – und nicht die großen Onlineshops aufsuchen. Screenshot: facebook.com
Für jeden, der momentan sein Facebook-Profilbild mit dem Slogan „Ostbayern sieht schwarz“ schmückt, sollte es selbstverständlich sein, die neuen Laufschuhe auch im Sportgeschäft vor Ort zu kaufen. Christkind und Osterhase müssen die Spielsachen, die sie den Kindern bringen, im lokalen Spielwarengeschäft abholen, statt sie im Internet bei mytoys oder smyths für zehn Euro billiger zu bestellen. Erwachsene sollten sich Gutscheine aus lokalen Geschäften oder Restaurants zum Geburtstag schenken (lassen). Und so weiter. Alles andere wäre Doppelmoral…
Das Discounter-Problem ist nicht neu
Dass sich nahezu jeder Einzelhändler darüber ärgert, wenn Aldi und Lidl neben Lebensmitteln auch Kleidung, Schuhe oder Gartenmöbel verkaufen und sie selbst ihr Geschäft nicht „normal“ öffnen dürfen, ist verständlich. Das Discounter-Problem gibt es allerdings schon viel länger als Corona. Es wird nur – wie so vieles – von der Pandemie verstärkt. Dass Aldi, Lidl und Co. mit Sonderangebots-Prospekten aggressiv Werbung betreiben und die Kunden beim Lebensmitteleinkauf dazu verleitet wollen, ein günstiges Shirt für zwei Euro mitzunehmen – das werden die Modegeschäfte auch nicht durch „normales“ Öffnen verhindern können. Der Kunde muss bewusste Kaufentscheidungen treffen – und darf sich nicht länger vom Slogan „Geiz ist geil“ leiten lassen…
Wir alle sollten in diesen Zeiten zu denjenigen Geschäften, die wir nicht verlieren möchten, halten und ihnen mit unserer Kaufkraft zur Seite stehen. Nur so können unsere regionalen Einzelhändler die Pandemie überstehen – und auch danach überleben.
Kommentar: Sabine Simon
Hallo!
Mit Brief und Siegel, das unterschreib ich gerne! Jeden einzelnen Satz.
Einen u.a. auch für mich interessanten Aspekt will ich ergänzen:
Dass sich der überwiegende Teil dieser „Geiz ist geil – Gesellschaft“ nur mit Hilfe der ach so sozialen Medien aus Übersee präsentieren kann und will:
erbärmlich und traurig zugleich!
regional und nah funktioniert z.b. beim hogn
https://www.hogn.de/
… und wer sich von dieser highspeed-Mentalität mal für ein paar Momente befreien kann, regional und nah funktioniert auch bei
https://ois.gmachtin.bayern/
Liebe Grüße
Peter