Freyung. Die Entscheidung ist ihm nicht leicht gefallen, das merkt man Leonhard Mörtl deutlich an. Er wird sein „Café Mörtl“ nicht mehr aufsperren, aus der Corona-Pause ist ein Abschied für immer geworden. 37 Jahre lang stand er in der Backstube und kreierte Kuchen und Torten für seine Gäste. Doch weil die Corona-Auflagen im engen Gastraum schwierig umzusetzen wären, haben er und seine Frau Rosa beschlossen, dass nun Schluss ist. Wäre das Virus nicht gekommen, hätte der unermüdliche wie leidenschaftliche Konditor wohl noch einige Jahre weiter gemacht.
„Ich habe 58 Jahre lang nichts anderes gemacht als Kuchen gebacken“, sagt Leonhard Mörtl und schmunzelt. Seit Mitte März macht er das nun nicht mehr. Aber in den Fingern jucken würde es ihn immer noch. Die Regale in der Backstube wieder zu füllen, den Ofen wieder anzuschmeißen: Dieser Gedanke spukt dem 72-jährigen Konditormeister augenscheinlich weiter im Kopf herum. „Aber jetzt weiß es ja schon jeder, dass wir zusperren“, bedauert er. Der Mietvertrag ist bereits gekündigt, Leonhard und Rosa sind am Auf- und Ausräumen. Was sie mit dem Inventar ihres Cafés machen werden, ob es einen Nachfolger geben wird – das wissen sie noch nicht.
Eines der ältesten Cafés der Region sperrt zu
„Das Café Mörtl ist eines der ältesten Cafés in der Region“, erzählt Mörtl nicht ohne Stolz. Bevor er es übernahm, existierte das Café bereits etwa 30 Jahre lang unter anderem Namen. 1983 erfuhr er, dass es neu vermietet werden soll. Sein Vorgänger hörte aus Altersgründen auf. Mörtl wollte sich schon länger selbständig machen:
„Nach der Meisterprüfung entstand der Wunsch, was Eigenes zu betreiben“, erinnert er sich. Bis sich die Chance dafür ergab, arbeitete der damals 35-Jährige im Café Rosing in Waldkirchen, seiner Heimatstadt. Damals gab es mehrere Interessenten für das Café im Freyunger Stadtzentrum. Doch Mörtl erhielt den Zuschlag.
Nicht nur für ihn, sondern vor allem auch für seine Frau Rosa der Start in ein neues Leben: Zuvor hatte sie als Bürokauffrau gearbeitet, war jahrelang fest angestellt. Für das Café hat sie die Anstellung aufgegeben und stattdessen einen Servierkurs in einem Hotel in Passau besucht. „Im eigenen Café musste ich ja alles können: etwa Kuchen schneiden, den Straßenverkauf – das war schon eine Herausforderung“, sagt Rosa Mörtl heute. „Aber wenn es funktionieren muss, dann funktioniert es auch.“ Zur Seite standen ihr treue Angestellte: Eine von ihnen feierte vor Kurzem ihr 30-jähriges Jubiläum im Café Mörtl, eine andere verließ das Café nach 20 Jahren, um sich selbständig zu machen.
Tag für Tag in der Backstube – ohne Ruhetag
Von Anfang an lief das Geschäft gut. „Leonhard hatte Erfahrung und der Vorbesitzer hatte das Café gut geführt“, sagt die 66-Jährige. Die Lage des kleinen Gastraums im Freyunger Zentrum, an der belebten Kreuzung zwischen Stadtplatz, Busbahnhof und Krankenhaus, brachte zudem immer genügend Einheimische und Touristen ins Café. Die Stammgäste kamen teils auch von weit her: „Wir hatten Urlauber, die besuchten uns jedes Jahr“, erzählt Rosa Mörtl. „Auch wenn sie gar nicht in Freyung Urlaub gemacht haben, sondern in Bodenmais oder anderswo im Bayerischen Wald.“
Dann kamen zum Café-Betrieb und dem Straßenverkauf weitere Aufträge hinzu: Leonhard Mörtl belieferte 30 Jahre lang etwa die Klinik Bavaria am Geyersberg mit seinen Kuchen und Torten, später auch das Freyunger Krankenhaus sowie mehrere Betriebe in der Region. Wirtschaftlich lief es fast immer gut für das Ehepaar. Nur die Grenzöffnung nach Tschechien 1990 habe man gespürt: „Damals wollten alle am Wochenende Ausflüge ins günstigere Nachbarland machen“, erinnert sich der Café-Betreiber. Aber auch das habe sich bald wieder geändert. „Meist hatten wir eher zu viel als zu wenig zu tun“, stellt Leonhard Mörtl im Rückblick fest. „Wir haben immer an der Grenze des möglichen in unserer kleinen Backstube gearbeitet.“
Um die Lieferungen und den Verkauf im eigenen Laden zu bewältigen, gab es für ihn quasi nie einen Ruhetag. Erst vor vier Jahren führte er einen freien Tag in der Woche ein. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau geplant, sich nun bald einen oder zwei weitere Ruhetage zu gönnen. „Wir wollten etwas verlangsamt weitermachen“, sagt Rosa Mörtl. „So lange es die Gesundheit eben zugelassen hätte.“ Ganz aufzuhören – daran dachten die beiden nicht.
Abstandsregeln im engen Café einhalten? Schwierig…
Noch bevor es zum Corona-Lockdown und zur Zwangspause für alle Restaurants und Cafés in Deutschland kam, hatten die Mörtls im März dieses Jahres beschlossen, erst einmal Urlaub zu machen. Dass dieser dann derart lange dauern – und sich daraus schließlich der Abschied in den Ruhestand entwickeln würde, ahnten sie anfangs nicht. „Die Entscheidung ist ganz allmählich gefallen“, sagt der Konditormeister. Vor der Corona-Zwangspause sei er gesundheitlich „schlecht beinander“ gewesen. Eine Auszeit war nötig. Nun aber fühlt er sich wieder fit, wie er versichert.
Dass er nach wie vor Konditor mit Leib und Seele ist, merkt der Besucher schnell: Mörtl entschuldigt sich während des Gesprächs mehrmals, dass er der Autorin dieses Artikels keinen Kuchen anbieten könne, da er die Backstube bereits ausgeräumt hat. „Am liebsten würde ich noch mal anfangen“, überlegt er laut.
Wenn da nicht die vielen Vorgaben im Zuge der Pandemie wären – wie etwa der Mindestabstand, der im engen Café offensichtlich nur sehr schwierig einzuhalten ist. „Vor allem an Sonntagen, wenn die Leute sich den Kuchen abholen, wäre das ein riesiges Problem“, erklärt Rosa Mörtl. Denn weder im Café noch davor ist genügend Platz für wartende Kunden, um den Abstand zu wahren. „Die Leute können sich ja nicht entlang des Bürgersteigs anstellen“, sagt sie. „An Sonntagen war immer so viel los.“
Ruhestand ganz ohne Backen?
Von hundert auf null: Leonhard Mörtl haben die vergangenen Monate merklich zugesetzt. Was wird er nun in seinem (unfreiwilligen) Ruhestand machen? Weiterhin Backen? Der große Ofen aus der Backstube des Cafés passt leider nicht in die eigenen vier Wände, sagt er und schmunzelt. Doch überlegt hat er definitiv bereits mehrmals, ob er ihn nicht mit nach Hause nehmen könnte. Ein Lieferservice für Kuchen und Torten: Auch dafür wäre er wohl zu haben. Aber leicht umzusetzen ist das nicht…
Wer Leonhard Mörtl grübeln hört, wie er seiner großen Leidenschaft, dem Backen, auch in Zukunft treu bleiben kann, kommt schnell zu dem Schluss: Irgendetwas wird ihm schon einfallen. Vielleicht investiert er seine Zeit ja auch in ein Backbuch – und verrät all denjenigen, die nun nicht mehr persönlich ins Café kommen können, seine Rezepte: den beliebten Apfelstrudel etwa, die Beeren-Torten-Kreationen, die berühmte Bananensahne oder die Sarah-Bernhardt-Torte, seine Rhabarber-Blechkuchen…
Sabine Simon