Freyung. „Wenn de Mei a Fastenspeis‘ kocht, bin i scha grantig“, sagt Andreas Sammer und lacht. Mit seinem Kollegen Günter Luksch – besser bekannt unter den Rufnamen „Schwånzl-Metzger“, „Schwånzei“ oder „Giggei“ – unterhält sich der 45-Jährige angeregt über ihre Passion, das Metzger-Handwerk. Die „eingefleischten“ Fachkräfte der Freyunger Metzgerei Sellner haben während ihrer beruflichen Laufbahn einen großen Wandel in der Branche durchlebt – vor allem der ältere der beiden, Günter Luksch, kann auf viele positive wie auch negative Einschnitte zurückblicken. Seit 1968 ist er als Metzger „beim Sellner“ aktiv – nun, nach 49 Jahren im Dienst des Fleischerhandwerks, verabschiedet er sich. Jedoch nicht im Groll. Im Gegenteil.
„Ijo, ijo – i g’frei me scha aaf mei Rente“, beteuert Luksch mit Nachdruck. Doch so ganz will man ihm diese so leicht dahergesagten Worte nicht abnehmen. Große Teile seines Lebens drehten sich um Leberkäse und Kochschinken, um Schweinsbratwürstl und Debreziner. Und wer den „Schwånzei“ kennt, der weiß, dass er seinen Beruf nicht „einfach so“ ausgeübt hat, sondern stets mit größter Leidenschaft bei der Sache war. Irgendwann ist es jedoch an der Zeit, sich zu verabschieden, wie der 63-Jährige weiß. „I kümmert me iatzt dann um mein Enkel“, sagt er – und freut sich auf das, was nun in der Metzger-Freien-Zeit auf ihn zukommt. Und versichert im selben Atemzug: „Owa wenn i brauchd wia, bin i do.“
„Koa Vagleich zu heid“ – die positiven Seiten des Wandels
Sein Blick wandert bei diesen Worten in Margit Petzis Richtung. In dritter Generation hat sie sich einst dazu entschieden, die Freyunger Metzgerei – nach ihrem Großvater Adolf Sellner und ihrem Vater Werner Sellner – weiterzuführen. Sie erinnert sich noch gut an ihre Kindheit, die naturgemäß eng mit dem Familienbetrieb verbunden war. Damals befand sich die Metzgerei noch direkt im Gebäude des im Zentrum der Kreisstadt gelegenen „Passauer Hofs“. Dort, wo heute noch ein kleiner Laden der Sellners untergebracht ist. Das Metzger-Handwerk war damals noch ein Handwerk im ursprünglichen Sinne: Es wurde geschlachtet, zerlegt und gewurstet – und das alles ohne maschinelle Unterstützung. Ein 12-Stunden-Arbeitstag war keine Seltenheit, sondern die Regel. Ein „Knochen-Job“ im wahrsten Sinne des Wortes.
Auf jene intensiven Zeiten kann auch Günter Luksch zurückblicken. Ebenso sein etwas jüngerer Freund und Kollege Andreas Sammer. Auch er weiß noch, wie es „Friahras“ zuging. „Schee is g’wen – owa aa hoat“, erinnert sich der „Schwånzl-Metzger“ und fügt hinzu: „Koa Vagleich zu heid.“ Zahlreiche Maschinen hatten die Tätigkeiten der Metzger um einiges vereinfacht, die Arbeitszeiten sind humaner geworden, berichten die beiden unisono. Gleichzeitig sei aber auch der Anspruch der Kunden gestiegen. Das Problem dabei: Viele sind nicht bereit für mehr Qualität auch mehr zu bezahlen, wie Chefin Margit Petzi verdeutlicht. „Genau da liegt die Krux vieler kleiner Metzgereien. Die Kunden schätzen durchaus unsere Qualität und die Regionalität. Sie möchten aber trotzdem nicht mehr ausgeben als beim Discounter. Viele vergessen dabei, dass die Dumping-Preise nur aufgrund der minderwertigen Waren möglich sind.“
Die Fleischskandale und ihre Folgen für die kleinen Betriebe
Weiter möchten sich die Freyunger nicht über die Geschäftsgebärden der Konzern-Metzgereien auslassen. „Net, dass na Anwälte schickand, weil se de werten Herrn beleidigt fühlen“, sagt Andreas Sammer und schmunzelt. Dass es in der Lebensmittelbranche längst nicht mehr um die Qualität gehe, sondern hauptsächlich um den Profit, sei hinlänglich bekannt. Die zahlreichen und immer wiederkehrenden Fleischskandale die logische Konsequenz. Hierbei seien wiederum die kleinen Betriebe vor Ort die Leidtragenden. „Solche Sauereien haben die Folge, dass zum Beispiel die Hygienevorschriften wieder und wieder verschärft werden. Während große Konzerne derlei Auflagen locker wegstecken, stellen sie uns vor immer größere Aufgaben, die viel Geld kosten.“
Generell habe sich das Kaufverhalten in und um Freyung im Laufe der Jahre stark verändert. Längst werden die Lebensmittel links und rechts der „Fressalien-Meilen“ Richtung Kreuzberg oder Waldkirchen erstanden. Das Stadtzentrum sei fast schon zu einer reinen Durchfahrtsstraße mutiert. Eine Entwicklung, die alteingesessene Geschäftsleute wie Familie Sellner wohl oder übel hinnehmen müsse. „Das typische kleine Lebensmittelgeschäft – egal ob Bäcker, Metzger oder Tante-Emma-Laden – verschwindet immer mehr“, stellt Margit Petzi fest. Auch ihr kleiner Acht-Mann-Betrieb hätte zu kämpfen – zumal sich die Metzgerei Sellner traditionell zwei Verkaufsläden in der Kreisstadt leistet. Das soll auch so beibehalten werden. „Im Waldvereinsweg ist unsere Hauptstelle, dort wird auch produziert. Vor allem Stammkunden kaufen dort ein. In den Laden im Passauer Hof kommt hauptsächlich die Laufkundschaft.“
„Nur, wei i in d’Rente geh, stirb i o ned“
Die veränderte Geschäftssituation ist das eine, die oft aussichtslose Suche nach Personal das andere. Eigentlich möchte die Metzgerei Sellner gerne selber ausbilden, doch: Bewerbungen bleiben aus. „Früher hatten wir regelmäßig Praktikanten hier“, berichtet Margit Petzi. „Da waren auch immer wieder welche dabei, von denen man sofort wusste, dass sie für den Beruf geeignet sind.“ Inzwischen habe das Metzger-Handwerk an Attraktivität eingebüßt. Viele würden mit dem Beruf nur Blut und harte, körperliche Arbeit verbinden. Ein Irrglaube, wie Andreas Sammer deutlich macht: „Im Gegensatz zu einem Bauarbeiter sind wir nicht dem Wetter ausgesetzt, haben geregelte Arbeitszeiten und legen größten Wert auf Hygiene. Und die Bezahlung ist auch nicht so schlecht.“
Trotzdem war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, einen adäquaten Nachfolger für Günter Luksch ausfindig zu machen. Viele Stelleninserate blieben erfolglos. Letztlich fand sich aber doch noch, über persönliche Kontakte, ein geeigneter Mitarbeiter – ein Tscheche in den Endfünfzigern. „Wir sind überzeugt, dass er perfekt in unseren Familienbetrieb passen wird“, ist sich Margit Petzi sicher. Denn das Miteinander spiele in solch kleinen Betrieben wie der Metzgerei Sellner eine große Rolle. Man versteht sich – und man vertraut sich. Flache Hierarchien sind im Kleinen längst Alltag. „Wir sind eine große Familie“, umschreibt es die 46-jährige Chefin.
Deshalb wird die bekannte Freyunger Metzgersfamilie auch das ein oder andere Tränchen verdrücken, wenn sich Günter Luksch nun zum Jahresende in den Ruhestand verabschiedet. Er selbst versucht seine Wehmut, die im deutlich anzumerken ist, mit einem Lachen zu überspielen. „Geh, doad’s eng ned oi. Nua, wei i in d’Rente geh, stirb i o ned.“ Nein, sterben wird der „Schwånzei-Metzger“ angesichts der allgemein gestiegenen Lebenserwartung vermutlich noch lange nicht. Wann im traditionellen Metzger-Handwerk die Lichter ausgehen, steht auf einem anderen Blatt. Sein Schicksal liegt in der Hand der Konsumenten…
Helmut Weigerstorfer
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Ergänzung am 10. November 2022: Und wieder verschwindet ein kleines Stück Freyunger Traditon. Zum 1. Dezember schließt die Metzgerei Sellner ihre Pforten. Chefin Margit Sellner, die den 70 Jahre alten Betrieb in 3. Generation leitet, gibt als Gründe allen voran Personalmangel an. „Unsere derzeitigen Metzger nähern sich dem Rentenalter – und es ist praktisch unmöglich, Nachfolger zu finden.“ Freilich schwinge bereits jetzt Wehmut mit, wenn sie daran denkt, dass das Ende nah ist. Margit Petzi ist aber irgendwie auch erleichtert: „Die letzte Zeit war schon sehr anstrengend, beinahe schon belastend.“ Zumindest etwas Sellner bleibt der @Stadt Freyung aber erhalten. Während die Metzgerei schließt, bleibt der Partyservice weiter aktiv…