Pleiskirchen. Fredl Fesls Frau Monika schenkt Kaffee nach, reicht ihm ein zweites Stück Kuchen. Ein Kostverächter war er nie, der gebürtige Grafenauer. Die Mutter, eine gelernte Köchin, hatte ihm bereits in frühen Jahren beigebracht, wie man die selbst zubereiteten Mahlzeiten degustiert. „Wenn’s schmecken soll, dann muss der Fredl kochen – bei mir sind die Erfolgserlebnisse sehr schwankend“, sagt Monika mit einem Lächeln und betont: „Ich backe gern, aber Herzhaftes wie die Schwammerlsuppe macht mein Mann.“ Genauso wie die Käsespätzle, die er bereits im Alter von elf Jahren erstmals allein im Wirtshaus seiner Eltern im mittelfränkischen Greding zubereitet hatte. Damals hat sich Fredl Fesl gedacht: „Jetzt brauch ich keinen mehr, jetzt bin ich erwachsen.“
Der Umstand, warum er mit seiner Familie in den 50er Jahren vom Bayerischen Wald nach Mittelfranken gezogen war, hatte mit Fredls Großmutter zu tun: Sie hatte Sehnsucht nach den Enkelkindern, war traurig, dass sie so weit weg wohnten. Daher hat die Oma um eine Wirtschaft Ausschau gehalten, die Fredl Fesls Vater, der bis dato einem sicheren Job in der Zulassungsstelle am Grafenauer Landratsamt nachging, letztlich pachtete. „Sie hat gemeint, das wäre das Richtige für uns“, blickt der einstige Sänger und Kabarettist mit gemischten Gefühlen zurück. „Mein Vater war plötzlich Wirt. Er hat alles gemacht, was gemacht werden muss. Aber mit Begeisterung war er nicht dabei.“
„Ich habe nie gewusst, was ich will“
In seiner Kindheit war Fredl Fesl viel im Wald unterwegs, meistens allein. Freunde hatte er nicht viele, Fußball interessierte ihn nicht. Er galt als Einzelgänger, bewegte sich lieber in seinen eigenen, phantastischen Abenteuerspielplätzen und Traumwelten, in denen er als Anführer seine Heerscharen um sich versammelte oder als Räuberhauptmann durchs Unterholz streifte. „Die Sonntagsschuhe wurden dabei vom Fredl gut am Bachufer versteckt, damit sie nicht dreckig werden“, erzählt Monika eine seiner Geschichten von früher. „Die Schuhe waren dann so gut versteckt, dass er sie nicht mehr gefunden hat.“
Erlebnisse und Berichte, die der Musiker in seiner 2015 erschienenen Autobiografie „Ohne Gaudi is ois nix“ niedergeschrieben hat – und in der er an diesem Nachmittag zwischen selbstgemachtem Apfelkuchen und Kaffeetasse immer wieder blättert. Darin ist auch das Zitat zu finden: „Ich habe nie gewusst, was ich will. Ich hab aber immer genau gewusst, was ich nicht will.“ Ein Lebensmotto Fesls, „das in allen Lebenslagen passt“, wie er heute bekräftigt. Ein Motto, das sich auch in der beruflichen Laufbahn des gelernten Kunstschmieds widerspiegelt. „I war ois“, sagt er, der unter anderem auch als Landschaftsgärtner und Bierfahrer unterwegs war. Jobs, die er vor seinem Bühnenleben praktizierte, um seine Miete und seine Rechnungen bezahlen zu können. Seine schönste Anstellung war die, „bei der es das meiste Geld gab“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Auch sein Schaufelbagger, mit dem er oft und gerne auf seinem Anwesen gegraben und seine Fischweiher ausgehoben hatte, kommt im Buch vor. Vor ein paar Jahren hat er ihn jedoch verkauft. Das Bagger fahren vermisst er nicht, sagt er. Ja, zuletzt hat es ihn sogar genervt, weil ständig Journalisten vorbeigekommen waren, die ein Foto von ihm und dem Kettenfahrzeug machen wollten. Das Fischen hingegen mag er nach wie vor.
Fredl Fesl hatte Anfang der 90er Jahre nach einem Hof in absoluter Alleinlage gesucht – und diesen in Häuslaign bei Pleiskirchen im Landkreis Altötting gefunden. Er wollte keine landwirtschaftlichen Aktivitäten unmittelbar um sich herum haben, weshalb die angrenzenden Wiesen gleich mitgekauft wurden. „Wenn einer hierher kommt, dann will er entweder zu mir – oder er hat sich verfahren“, sagt er.
Würdige Nachfolger: Schwarzmann und Binser
Beim Thema Musik beginnen seine Augen auch heute noch zu funkeln. Mehr als eine Million Schallplatten hat Fredl Fesl in seiner Blütezeit verkauft. „Und jedes Mal, wenn eine neue Platte erschienen ist, haben die alten wieder mitgezogen“, blickt er nicht ohne Stolz zurück. „In jedem Kaff“ habe er damals live gespielt, in Süd-Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz hatte er die meisten Auftritte. Ende der 70er Jahre den letzten in seiner Geburtsstadt Grafenau. „Wenn ein Konzert gut gewesen ist – und die meisten hab ich so empfunden -, war ich in den folgenden zwei Stunden so richtig aufgekratzt. Da ist mir oft noch was eingefallen, was ich dann in Gedanken durchgespielt habe. Die Reime hatte ich mir sogleich notiert“, so seine Erinnerung.
Heute, fast 15 Jahre nach seiner Abschiedstournee, hört er privat gerne Dixieland und Jazz – „aber da muss ich alleine sein, um mich darauf konzentrieren zu können“. An den beiden Musikrichtungen gefällt ihm vor allem das Element der Improvisation. „Ich hatte Trompete gelernt und habe mit dem Vater in der Blaskapelle gespielt“, fällt ihm dazu ein. „Mein Vater hätt’s gerne gesehen, dass wir Kinder große Künstler geworden wären – jedoch immer ein kleines bissal unter ihm – damit wir ihn hätten fragen müssen: Papa, wie macht man das?“ Die patriarchalische Note ist deutlich zu vernehmen.
Darauf angesprochen, welchen zeitgenössischen Künstler er als seinen würdigen Nachfolger betrachtet, kommen ihm nach kurzer Überlegung zwei Namen in den Sinn: Martina Schwarzmann und Helmut Binser. „Die sind vom Humor her ähnlich“, pflichtet ihm Monika bei, denn die beiden nehmen sich selbst auch gerne mal auf die Schippe. „Kein verletzender Humor auf Kosten von anderen. Skurrile Gedanken. So war’s beim Fredl früher auch.“
„Aber ich lass mir nichts anmerken“
Seit mehr als 20 Jahren ist Fesls Leben nun von Parkinson, einer bis dato unheilbaren Erkrankung des zentralen Nervensystems, geprägt. „Wann’s genau angefangen hat, weiß ich nicht mehr. Bevor’s endgültig diagnostiziert wurde, bin ich von Pontius zu Pilatus gelaufen. Ich habe gemerkt, dass ich komische Anzeichen und Symptome habe“, erinnert er sich. Eines der Anzeichen: Er konnte seine Gitarre irgendwann nicht mehr richtig halten.
Parkinson sei in Fredl Fesls Alltag permanent präsent, wie er sagt. Die Krankheit beeinträchtigt seine Motorik, Mimik, Gestik. „Ich muss alle vier Stunden Tabletten nehmen, auch nachts.“ Der Wecker steht immer auf dem Nachtkästchen neben ihm, reißt ihn heraus aus den tiefsten Träumen. „Aber ich lass mir nichts anmerken“, sagt er.
Sein Humor ist dabei eine große Stütze. „Ich weiß nicht wie’s ohne ihn wäre. Wahrscheinlich schwieriger.“ Und seine Frau Monika pflichtet bei: „Für mich ist der Humor sehr wichtig. Dass immer wieder mal Sätze kommen, bei denen man einfach lachen muss. Fredl wäre so voller kreativer Ideen – doch er kann sie nicht mehr umsetzen, weil die Fingerfertigkeit nicht mehr gegeben ist. Er hatte mehrere Stürze, die Schultern sind kaputt, er bringt die Arme nicht mehr hoch. Es ist schon schlimm, das alles anschauen zu müssen, weil man kann ihm ja nicht wirklich etwas abnehmen – außer organisatorische Sachen. Die Schmerzen kann man ihm nicht nehmen. Und dann ist’s schön, wenn der Humor durchkommt.“
„Es ist, wie wenn man am ganzen Körper einen schweren Muskelkater hat. Alles ist zäh und schwer. Es sind keine Schmerzen, bei denen man den ganzen Tag laut schreien könnte. Sondern vielmehr dumpfe Gelenkschmerzen“, versucht Fredl Fesl seinen Zustand zu beschreiben. Der Verlauf der Parkinson-Erkrankung sei bei jedem anders.
Fredls Ausflüge in die umliegenden Wälder, etwa zum Schwammerl-Suchen, gestalten sich mal schlechter, mal weniger gut, erzählt der 72-Jährige. „Manchmal kommt er heim vom Wald und ist ganz zerzaust, weil er hingefallen ist“, berichtet Monika Fesl. „Schade, dass er so ein Handy-Verweigerer ist.“ Fredl blickt sie an und sagt: „Ich mag nicht ständig überall erreichbar sein. Ich bin immer noch so gut beinand, dass ich aufstehen kann.“
„Ich denke, das kriegen wir schon hin“
Parkinson hat auch die Beziehung der beiden verändert. Es gebe viele Einschränkungen, sagt die 63-Jährige. „Sehr schade finde ich etwa, dass wir nicht mehr in den Urlaub fahren können. Fredl hat hier seinen Whirlpool zur Muskelentspannung, er hat sich alles so eingerichtet, dass es für ihn passt. Aber ich würde noch gerne mehr von der Welt sehen“, bedauert sie. Spontane Zusagen bei Einladungen zum Kaffee trinken gehören ebenso der Vergangenheit an. Denn dies sei stets abhängig von Fredls Tagesform. „Man kann sich auf nichts mehr so richtig freuen, weil man nicht weiß: Findet’s wirklich statt oder nicht“, verdeutlicht Monika. „Lange Autofahrten, lange Sitzzeiten – das ist einfach nichts.“ Woraufhin ihr Mann entgegnet: „Eine Weltreise können wir nicht mehr machen. Vor allen Dingen waren wir da schon.“ Da ist er wieder, der Moment des Humors, der die Stimmung zum Kippen bringt, sie ins Positive wendet.
„Fredl ist ein Kämpfer“, sagt Monika Fesl. „Auch das Gewichtheben hatte ihn an seine Grenzen gebracht – so ist es jetzt auch. Er geht immer an seine Grenzen – sehr zu meinem Leidwesen, weil ich oft Angst habe, etwa wenn er allein im Wald unterwegs ist.“ Was die beiden neu lernen mussten: Geduld zu haben. Im Umgang miteinander, gegenüber dem Partner sowie der eigenen Person. „Früher ging’s leichter, heute bin ich manchmal ungeduldig mit mir. Doch es ist auch das Alter“, meint Fredl Fesl. „Wir mussten uns wieder aneinander gewöhnen“, ergänzt Monika. „Fredl ist viel lieber unabhängig – und wenn’s eine halbe Stunde dauert die Schuhe anzuziehen, dann dauert’s eben solange.“ Seine Antwort: „Du übertreibst wieder mal. Höchstens 26 Minuten.“ Monika mit einem Lächeln: „Das ist ein Lernprozess – aber ich denke, das kriegen wir schon hin.“
Im Zuge der Erkrankung ergab sich eine weitere, eher unfreiwillige Veränderung: Monika hat sich mehr und mehr zu einer Art Sprachrohr ihres Mannes entwickelt – insbesondere beim Umgang mit Medienvertretern. „Ich wollte das eigentlich gar nicht, aber es hat sich so entwickelt“, berichtet die gelernte Informatikerin, die bei der Stadtverwaltung in Mühldorf am Inn für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist. „Es war nie meine Art, dass ich mich einschalte. Aber jetzt hat Fredl mit seiner Artikulation oft Schwierigkeiten und da ich meistens weiß, was er sagen will, erzähle ich die Geschichten fertig. Eine Ursache für die Schwierigkeiten ist, dass ihm während des Redens die Luft ausgeht – und dann ist er so mit der Sprach- und Atemtechnik beschäftigt, dass schon mal der Inhalt verloren geht.“
„Jeden Tag, den ich lebe, hab ich weniger Angst“
Anlässlich Fredls 70. Geburtstag im Jahr 2017 waren viele Journalisten und Fernsehteams nach Häuslaign gekommen. „Wenn man seit mehr als zehn Jahren nicht mehr auf der Bühne steht und seit 20 Jahren die Krankheit hat, finde ich das schon sehr erstaunlich, was da noch für ein Rummel herrschte und wie nett die Leute alle waren“, erinnert sich Monika Fesl. Gefeiert wurde in Altdorf bei Landshut, mit vielen alten und neuen Weggefährten.
Ob er sich selbst eher als Optimist oder als Pessimist bezeichnen würde? „Ich denke, ich bin ein Optimist. Aber – und das spricht eher für einen Pessimisten: Ich will alles bis zur letzten Konsequenz wissen.“ Etwa über seine Krankheit. Monika wirft dazu ein: „Unsere Meinungen sind da immer etwas unterschiedlich. Fredl sagt immer, er wäre der Realist. Ich denke, er ist doch eher der Pessimist.“ Was er nun tatsächlich ist, sei dahingestellt. Für ihn steht jedenfalls fest: „Jeden Tag, den ich lebe, habe ich weniger Angst.“
Stephan Hörhammer
- Hier geht’s zum ersten Teil: Kaffee und Kuchen bei Fesls: „Nein, ich bin nicht immer lustig“
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(Anmerkung d. Redaktion: Der Besuch der Hog’n-Redaktion im Hause Fesl fand im Oktober 2017 statt. Der verzögerte Veröffentlichungszeitpunkt hängt damit zusammen, dass die Aufzeichnungen und Notizen zwischenzeitlich verloren gegangen waren und erst kürzlich wieder aufgetaucht sind. Wir bitten diesen Umstand zu entschuldigen.)