Die „freie Marktwirtschaft” hat etwas für sich. Zumindest, wenn Sie zu jenen Menschen zählen, die mit ihrem Geld, ihrem Vermögen und Besitz gänzlich „frei“ wirtschaften können. Für den unglücklichen – aber statistisch wahrscheinlicheren – Fall, dass sie nicht zu dieser Gruppe gehören, sind Sie dennoch „frei“. „Frei“ zu konsumieren und zu kaufen, „frei“ Ihre Arbeitskraft feil zu bieten – und immer „freier“ von staatlichen Eingriffen, d.h. sozialer Absicherung. Das Spielchen geht demnach so: Wer hat, der bekommt; wer nicht hat, der zahlt. Und der Name dieses Spielchen lautet: „Kapitalismus“.
Nun gewiss, diese Entwicklung hin zur Ungleichheit lässt sich statistisch nachweisen, in eher unsexy daherkommenden Formeln darlegen oder in dicken, staubigen Wälzern nachlesen. Es gibt Leute, die machen das auch. Viele andere – wohl die Mehrheit – tun es nicht. Vorbei an Statistik, Mathematik und komplexer Wirtschaftsmaterie versuchte es Elizabeth „Lizzie” Magie Phillips, eine Quäkerin aus Virginia, gewissermaßen durch die Hintertür: Ihr Brettspiel „The Landlords Game“ (zu Deutsch: das „Vermieterspiel“) sollte anschaulich – quasi spielerisch – darlegen, wieso in unseren Gesellschaften Reiche für gewöhnlich reicher werden und Arme zumeist ärmer. Kapitalismuskritik für den Küchentisch.
Lizzie? Nie gehört!
„In kurzer Zeit, ich hoffe in sehr kurzer Zeit“, erklärte „Lizzie“ in einem Interview des Jahres 1906, „werden Männer und Frauen begreifen, dass ihre Armut daher kommt, dass Carnegie und Rockefeller möglicherweise so viel Geld haben, dass sie nicht wissen, was sie damit machen sollen“.
Zumindest zum Teil sollte der Wunsch der Quäkerin in Erfüllung gehen. Im Jahr 1904 patentiert, traf sie mit ihrem Spiel den Zahn der Zeit. Als großangelegte Gesellschaftskritik fand das Landlords Game schnell den Weg in die breite Bevölkerung. Zwei Dollar das Stück kostete eine Ausgabe des Brettspiels – zu dieser Zeit etwa so viel wie 50 Kilo Kartoffeln. Und: Spätestens 1936 war ihr Spiel in aller Munde – allerdings unter anderem Namen. Und ohne ihr Wissen.
Charles Brace Darrow, US-Amerikanischer Spieleautor und Verleger, hatte rund 30 Jahre später eine Idee, die „Lizzies“ Spiel auf verblüffende Weise ähneln sollte. Sein Brettspiel vertrieb er unter dem Namen „Monopoly” – als Referenz auf die monopolistischen Tendenzen innerhalb des Spielchens Kapitalismus. Lizzie? Nie gehört! Ich bin Charles Brace Darrow, der Erfinder und Urheber von Monopoly!
Am 19. März 2015 erwarb Parker (heute Hasbro) die Lizenzen von Darrow. In einem seit gut 80 Jahren andauernden anti-antikapitalistischen Anflug sorgt Hasbro seither dafür, dass auch jeder und jede zu ihrer maßgeschneiderten Monopoly-Variante kommt. Das Ganze mit ultra-fancy klingenden Namen wie: Monopoly Banking Ultra (für den gescheiterten Goldman-Sachs-Karrieristen). Monopoly Imperium (für Kolonialisten a.D.). Bass Fishing Monopoly (für glücklose, vereinsamte Fischer). Heinz Ketchup Monopoly (für Bratwurstultras und anderweitige Fleischwarenextremisten).
Monopoly Bayern: Eine riskante Marketingstrategie
So richtig ins Zeug gelegt hat man sich auch bei der Monopoly Bayern Edition (ja, die gibt’s auch – natürlich!). Hier kreist die spielerische Gier zwischen Schliersee, Regensburg und Passau umher, zwischen Maibaum und Schloss Neuschwanstein. Und den Verfassern der Produktbeschreibung kann man nicht unbedingt vorwerfen, sie hätten sich mit Lobhudelei zurückgehalten. Ein Blick in die Broschüre liest sich eher wie die Präambel zum CSU-Grundsatzprogramm:
„Bayern ist eines der schönsten und vielseitigsten Länder Deutschlands, das für seine unverwechselbare Lebensart, landschaftliche Schönheit und seinen kulturellen Reichtum allseits bekannt und beliebt ist. Hier (…) liegen pulsierende Städte und romantische Dörfer, weite Wald- und Wiesenlandschaften, liebliche Weinberge und natürlich das majestätische Alpenpanorama. Historische Burgen, Schlösser und Residenzen mit einer Fülle an Kunstschätzen versetzen Sie in die Zeiten der Ritter, Könige und Helden. Zahlreiche Klöster und Kirchen, vor allem im Stil des Barock und Rokoko in hoher Vollendung, zeugen von geistesgeschichtlicher Tradition. Nahezu grenzenlos ist auch Bayerns Freizeit- und Erholungswert mit weltbekannten Kurorten, herrlichen Badeseen und vielfältigen Sportmöglichkeiten – vom Radeln und Wandern bis hin zum Skilanglauf und Alpinski.“
Alle Achtung, da mag einem fast die Weißwurst steif werden. Aber das mag auch die Frage aufwerfen: Mal angenommen, Bayern sei tatsächlich derart paradiesisch – welcher Bewohner dieses Garten Eden käme dann verdammt nochmal auf die Idee, sich stundenlang an einen Tisch zu setzen und ein paar schnöde Figuren im Uhrzeigersinn reihum zu schieben? Marketingtechnisch ist das zumindest noch ausbaufähig…
Die ursprüngliche antikapitalistische Intention hat der Brettspiel-Monopolist dezent verfehlt
Nun gut. Ob „Lizzie“ wohl geahnt hat, dass ihr Brettspielprojekt mal derart aus dem Ruder läuft? Einst drohte es ja in der Motten-Kiste zu verschwinden. Doch von dem Tag an, als der „Erfinder“ Darrow „Lizzies“ Brettspiel wieder-erfunden hatte, war der Siegeszug des neugeborenen Monopolys unaufhaltsam. Im ersten Jahr konnte Darrow 35.000 Spiele verkaufen – und zwar wöchentlich.
Daran hat sich seither nicht viel geändert. „Würde man alle Bretter der bislang verkauften Spiele aneinanderlegen, könnte man 3,5-mal den Erdball umrunden“, heißt es vom Hersteller Hasbro nicht ohne Stolz. Der Brettspielklassiker ist eigenen Angaben zu Folge mittlerweile in 114 Ländern der Erde erhältlich – und in 47 Sprachen übersetzt worden. Mehr als eine Milliarde Menschen sollen bereits von „Los“ über „Frei Parken“ zur „Schlossallee“ vorgerückt sein. Wie viele Beziehungen, Freundschaften und Familien bei dem Versuch, „als Immobilienhai alle Mitspieler in den Bankrott zu treiben“ in die Brüche gingen, ist leider nicht dokumentiert. Die ursprüngliche antikapitalistische, globalisierungskritische Intention hat der Brettspiel-Monopolist jedoch dezent verfehlt.
Der Stärkere gewinnt – in diesem Fall war eben Darrow der Stärkere
Erst nach einem jahrelangen Rechtstreit, der bis zum US-amerikanischen Supreme Court ging, konnte nachgewiesen werden, dass Darrows Erfindergeist weit weniger hergab, als er das seinen Käuferinnen und Käufern glauben machen wollte. Wie das Urteil zeigte: Er hatte lediglich die Spielregeln von „Lizzies“ Landlords Game kopiert – und dabei sogar die Rechtschreibfehler übernommen. Bei Urteilsverkündung war Darrow bereits sechs Jahre tot, am marketingwirksamen Image als „Erfinder von Monopoly“ konnte das Gerichtsurteil bis heute nichts ändern. Und auch am weltumspannenden Erfolg nicht.
Rückblickend eigentlich eine schöne Episode, die das ursprüngliche Landlords Game in seiner Kernaussage nur bestätigt: Der Stärkere gewinnt. Und in diesem Fall war eben Darrow der Stärkere. Eben jener Darrow, der von Hasbro bis heute als Erfinder geführt wird. Die stärkste Burgmauer, so wusste schon Machiavelli, ist immer noch Beliebtheit im Volk. Aber immerhin – ein kleines Trostpflaster für „Lizzie“ gibt’s zumindest: Ein Text im Onlinemagazin da Hog’n, der nun auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam macht.
Johannes Greß