Niederbayern. Der Fall sorgte jüngst bundesweit für Schlagzeilen: In einem Edeka-Supermarkt im oberfränkischen Lichtenfels hatte eine junge Mutter eine Verkäuferin an der Fleischtheke beleidigt, als diese zu ihrem Kind gesagt haben soll: „Wenn du weiterhin nichts für die Schule lernst, dann stehst du auch mal dort hinten!“ Ein durchaus despektierlicher Satz, der in der Folge eine Diskussion über die Wertschätzung von Handwerks-Berufen in Deutschland auslöste. Auch wir haben uns die Frage gestellt: Studienabsolventen genießen großes Ansehen, während auf die einfachen Handwerker herabgesehen wird – stimmt das tatsächlich?

In einem Edekamarkt in oberfränkischen Lichtenfels hatte sich der Vorfall, der überregionales Aufsehen erregte und durch den Filialleiter in den sozialen Medien entsprechend verbreitet wurde, abgespielt. Foto: Edeka
Qualifizierte Handwerker werden geschätzt
Hans Schmidt, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, ist überzeugt davon, dass Handwerker ein gutes Standing in der Gesellschaft haben: „Allgemein genießen Handwerker ein hohes Ansehen, da ihre Tätigkeit geschätzt wird. Die gute Auftragslage im Handwerk und das Bewusstsein, dass eine qualitativ hochwertige Handwerksleistung nur von qualifizierten Fachleuten erbracht werden kann, trägt ebenfalls zu einer hohen Wertschätzung bei. Nach der Allensbacher Berufsprestige-Skala von 2013 liegen Handwerker immerhin an fünfter Stelle.“
„Wenn du nicht lernst, endest du hinter der Fleischtheke“
Und was ist mit der Aussage, dass jemand nur dann Handwerker werde, wenn er keinen höheren Bildungsabschluss geschafft hat, also entweder gar keinen oder bestenfalls einen Mittelschulabschluss besitzt?
Laut einer Kundin, die im Edeka-Geschäft „Werner“ in Lichtenfels eingekauft hat, stimmt diese Aussage definitiv: Sie wurde dabei ertappt, wie sie ihrem Kind sagte: „Wenn du weiterhin nichts für die Schule lernst, dann stehst du auch mal dort hinten!“ Gemeint war eine Mitarbeiterin hinter der Fleischtheke, auf die die Kundin dabei zeigte.
Ein Abschluss in Respekt und Wertschätzung
Dies ließen sich die Filialleiter allerdings nicht bieten. Nachdem die Kundin den Versuch mit ihr zu reden abgeblockt hatte, postete Lebensmittelhändler Christian Werner auf der Facebook-Seite des Supermarktes:
„In unseren Filialen arbeiten nämlich nur gut ausgebildete Fachkräfte, mit Schulabschluss und abgeschlossener Berufsausbildung, viele mit Mittlere Reife, einige sogar mit Abitur. Einen Abschluss in Empathie und Menschlichkeit, Respekt und Wertschätzung erhält Ihr Kind nicht in der Schule – aber das erledigen wir später gerne für sie. Falls Ihr Kind doch den Abschluss schafft und mit etwas Glück dann doch hinter unserer Fleischtheke steht und eine Ausbildung macht, dann werden Menschen wie Sie trotzdem mit einem Lächeln bedient, da es bei uns gelernt hat, dass jeder Mensch Respekt verdient. Auch wenn es manchmal etwas schwerer fällt!“
Tausende von Menschen erreichte die Edeka-Filiale mit diesem Kommentar. Inzwischen sind es mehr als 100.000 „Gefällt-mir“-Angaben.
40 Berufsbilder im Lebensmittelhandel
Der Lichtenfelser Geschäftsführer steht mit seiner Aussage, dass ausgebildete Fachkräfte mit Schulabschluss in der Edeka-Filiale arbeiten, nicht alleine da. Wie die Edeka-Zentrale auf Hog’n-Nachfrage informiert, zähle der Lebensmittelhändler mit 17.147 Auszubildenden in fast 40 Berufsbildern zu den wichtigsten und größten Ausbildern in Deutschland. Die Berufssparten reichten dabei vom Fleischfachverkäufer bis zum Fachinformatiker, vom Weintechnologen bis zur Fachkraft für Lagerlogistik. Es gebe Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, viele Aufstiegschancen sowie ein Förderprogramm für jegliche Karrierestufen: etwa das zwölfmonatige Junioren-Aufstiegsprogramm für angehende Führungskräfte oder das Unternehmer-Kompetenz-Programm. Wer zusätzlich studieren möchte, habe die Möglichkeit duale Studiengänge in den Bereichen Wirtschaftsinformatik, Betriebswirtschaftslehre, Immobilienwirtschaft oder Handelsmanagement zu absolvieren.
„Gleichwertig mit akademischer Bildung“
Auch Hans Schmidt vertritt die Meinung, dass Handwerker mit Studenten mithalten können: „Die berufliche Bildung im Handwerk, darunter verstehen wir die Ausbildung sowie die darauf aufbauenden Fortbildungsmöglichkeiten, wie z.B. die Weiterbildung zum Handwerksmeister, ist nach unserer Auffassung gleichwertig zu einer akademischen Ausbildung. Dementsprechend befinden sich die berufsbildenden Abschlüsse im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) auf denselben Stufen wie die vergleichbaren Abschlüsse des allgemeinbildenden Bereichs: Auf Stufe 4 die duale Berufsausbildung (drei- und dreieinhalbjährige Ausbildungen) zusammen mit der Hochschulreife, auf Stufe 6 der Meisterabschluss zusammen mit dem Bachelorabschluss und auf Stufe 7 der Betriebswirt nach der Handwerksordnung zusammen mit dem Masterabschluss.“
„Immer mehr Lehrlinge haben Abitur“
Bei ihrer Untersuchung im vergangenen Jahr habe die Handwerkskammer festgestellt, dass es immer mehr Lehrlinge mit Abitur oder Mittlerer Reife gebe: Mehr als 53 Prozent der Lehrlinge besitzen demnach einen Mittelschulabschluss. Die Anzahl der Azubis mit mittlerer Reife sei auf etwa 35 Prozent angestiegen. Auch der Anteil an Auszubildende mit dem allgemeinen Abitur oder der Fachhochschulreife seien mit ihren insgesamt neun Prozent etwas angestiegen.
Aber wenn Handwerker genauso gebildet und wertgeschätzt sind wie Studenten, wieso sind dann im vergangenen Jahr die Gesamtzahlen an Azubis zurückgegangen? Laut Handwerkskammer haben 2018 5.516 Azubis eine Ausbildung im ostbayerischen Handwerk begonnen. Im Vergleich zum Vorjahr sind dies 3,21 Prozent weniger. Allerdings konnten einzelne Betriebe Zuwächse vorzeigen, so Schmidt: „Die beliebtesten Lehrberufe in Niederbayern und der Oberpfalz sind nach wie vor Kfz-Mechatroniker, Elektroniker, Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Schreiner und Friseur.“
„Modernes Handwerk ist digital und international“
Das Problem, dass weniger junge Menschen sich für einen handwerklichen Beruf entschieden, solle etwa durch bessere Aufklärung gelöst werden.
Denn viele hätten offenbar keine zeitgemäße Vorstellung mehr vom handwerklichen Berufsbild: Dr. Till Mischler, Handwerksreferent im Mainzer Wirtschaftsministerium, untersuchte 2017 „Die Attraktivität von Ausbildungsberufen im Handwerk“. Demnach hätten viele Jugendliche ein veraltetes Bild von Handwerksberufen. Die falschen Vorstellungen würden dazu führen, dass die jungen Menschen die Berufe als wenig attraktiv wahrnehmen. Auch der Grad der technischen Neuerungen im Handwerk werde unterschätzt.
Hans Schmidt sieht ebenfalls ein Problem in der mangelnden Aufklärung über das heutige Berufsbild: „Eine Studie zur wahrgenommenen Attraktivität von Handwerksberufen bei jungen Menschen in der Berufsorientierungsphase ergab, dass diese dem Handwerk umso positiver gegenüberstanden, desto besser ihr Wissen darüber war. Unter dem Titel ‚Ist das noch Handwerk?‘ soll 2019 vor Augen geführt werden wie modernes Handwerk wirklich aussieht – jung, digital und international unterwegs.“
Lexa Wessel