Bayern. Etwas großzügiger als bei Landtags- oder Bundestagswahlen ist das Kommunalwahlrecht ohnehin, denn: Bei Gemeinde- und Landkreiswahlen dürfen auch Bürgerinnen und Bürger aus dem EU-Ausland abstimmen. Sofern der „Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen“, wie es im Art. 1 des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes heißt, in der jeweiligen Gemeinde liegt. 14 Landtagsabgeordnete der SPD Bayern, darunter SPD-Chefin Natascha Kohnen sowie der Vorsitzende der SPD Passau, Christian Flisek, fordern nun, auch an der Altersgrenze von 18 Jahren zu rütteln. In einem Antrag (Ende Februar) fordern sie das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken – zunächst nur auf Kommunalebene.
Erstmals zur Anwendung kommen soll das neue Wahlgesetz dann am 15. März 2020. Dann nämlich wählen die Bayern ihre Gemeinde- und Landkreisvertreter neu. Durch ein Senken des Wahlalters soll Jugendlichen mehr Chancen auf gesellschaftliche Mitbestimmung gegeben werden. Denn die „wichtigste Form der politischen Teilhabe in einer Demokratie“, so heißt es in dem Antrag, sei nun mal das Wahlrecht. Nicht zuletzt die Protestierenden der Fridays-For-Future-Bewegung seien Beweis dafür, dass die Jugend von heute mehr mitreden möchte, als dies bisher der Fall sei, argumentieren die SPD-Abgeordneten. „Noch mehr“ würde man sich „natürlich freuen, wenn sich diese Jugendlichen auch in den Parteien, insbesondere in der SPD engagieren würden“, erklärt der Passauer Landtagsabgeordnete Christian Flisek auf Hog’n-Nachfrage.
Auch in anderen Bundesländern wird bereits ab 16 gewählt
Mit ihrem Vorschlag, bereits 16-Jährige an die Wahlurnen gehen zu lassen, ist die bayerische SPD keineswegs allein: In mehreren Bundesländern – wie etwa in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Thüringen – ist das Wählen ab 16 bei Kommunalwahlen bereits gängige Praxis. In Schleswig-Holstein dürfen die 16-Jährigen sogar bei den Landtagswahlen schon ran. Laut SPD-Antrag soll dies auch in Bayern irgendwann einmal der Fall sein. Das Senken des Wahlalters bei Gemeinde- und Landkreiswahlen solle so nur „der erste Schritt“ dahin sein, um „das aktive Wahlalter auch bei Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken“. Einen Schritt weiter als in Bayern sind in diesen Belangen ebenfalls unsere österreichischen Nachbarn: Seit einer Wahlrechtsreform im Jahr 2007 dürfen Österreicherinnen und Österreicher ab dem Alter von 16 Jahren an allen demokratischen Wahlen teilnehmen – von der Kommunal- bis zur Bundesebene.
Als im Jahr 1848 bei der Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung das erste Mal überhaupt in Deutschland demokratische Wahlen – jedoch immer noch unter Ausschluss der Frauen – stattfanden, durften nur Personen älter als 25 Jahre ihre Stimme abgeben. Seitdem ist das Wahlalter – in Deutschland wie anderswo – sukzessive gesenkt worden. Rein historisch gesehen, wäre demnach das Wählen ab 16 nur der nächste logische Schritt. Nur – und das liegt auf der Hand – lässt sich diese Logik nicht unendlich fortführen. Auch wenn eine Demokratie impliziert, dass alle in einer Gesellschaft lebenden Personen über die Geschicke eben dieses Gemeinwesens mitbestimmen sollten, sind diesem natürlich gewisse Grenzen gesetzt.
Ist das biologische Alter überhaupt ein geeignetes Kriterium?
Nun kann man sich darüber (ganz demokratisch) streiten, wo und wie man diese Grenze festlegt. Muss es unbedingt das biologische Alter sein, an welches das aktive Wahlrecht geknüpft ist? So manch interessierte 12-Jährige mag politisch mehr auf dem Kasten haben als so manch‘ politikverdrossener 34-Jährige. Und wer stellt sicher, dass ein 84-Jähriger immer „rationaler“ entscheidet als eine 14-Jährige? Will heißen: Es ist eine durchaus streitbare Frage, ob das Alter ein geeignetes Kriterium ist, um über die Fähigkeit zur demokratischen Mitbestimmung zu entscheiden.
Dass sich ausgerechnet die SPD für ein Senken des Wahlalters stark macht, überrascht dabei nur wenig. Sämtliche Erhebungen belegen, dass Jungwählerinnen und -wähler tendenziell eher Parteien votieren, die dem linken Spektrum zuzuordnen sind. Wirft man einen Blick auf die Bayerische U-18-Wahl, die in der Woche vor der eigentlichen Landtagswahl 2018 stattfand und rein repräsentativ durchgeführt wurde, bestätigt sich dieser Eindruck einmal mehr: Sowohl SPD als auch die Grünen schnitten bei den unter 18-Jährigen deutlich besser ab als bei der tatsächlichen Wahl durch die Ab-18-Jährigen. Gleichzeitig kamen CSU und Freie Wähler auf deutlich weniger Stimmen. Auch in Österreich waren es die Sozialdemokraten, die sich 2007 für das Wahlrecht der 16-Jährigen stark gemacht haben.
Andere wiederum, ganz prominent der US-Amerikanische Politikwissenschaftler Jason Brennan, plädieren dafür, das Wahlrecht an politische Kompetenzen zu koppeln. Nicht das Alter, sondern das politische Wissen soll entscheidend sein. Dieses soll zuvor in einer Art „Kompetenztest“ abgefragt werden, der in weiterer Folge darüber entscheidet, ob die Person wahlberechtigt ist oder nicht. Auch hier kommt freilich schnell die Frage auf, was denn nun politisches „Wissen“ beinhaltet. Was soll in so einem Test abgefragt werden? Muss ich wirklich Aufbau und Funktionsweise des Bundestags und seiner Gremien kennen, um für mehr Umweltschutz oder weniger Steuern stimmen zu können?
Klugheit schützt vor Dummheit nicht
Flisek hält von derlei Spielereien „überhaupt nichts“, wie er dem Hog’n gegenüber mitteilt. Nicht nur, dass diese Art von Ausschlusskriterium mit dem Grundgesetz kollidiere, man demnach eine Art „Klassenwahlrecht“ einführe. Auch historisch betrachtet spreche einiges gegen derlei Maßnahmen: „Die Geschichte“, so Flisek, zeige „deutlich, dass auch kluge, gebildete Menschen großes politisches Unheil anrichten können“. Zum Erstarken von Hitlers NSDAP waren es nämlich vor allem gebildete Eliten aus dem akademischen Umfeld sowie Industrielle und Unternehmer, die ein Interesse am Aufstieg der Nationalsozialisten hatten – und diese dabei tatkräftig unterstützten.
„Eine demokratische Haltung“, erklärt Flisek weiter, „wird einer Gesellschaft weder geschenkt, noch kann sie von oben verordnet werden“. Vielmehr plädiert er daher etwa für politische wie demokratische Bildung in Schulen. Nicht nur in Form von Frontalunterricht, sondern auch durch regelmäßige Workshops, Ausflüge oder zeitweiliger aktiver Mitarbeit in den Parlamenten. Durch das Senken des Wahlalters erhoffe man sich eine Art „self-fulfilling prophecy„, so der Passauer Landtagsabgeordnete: „Da dadurch die jungen Menschen früher in die verantwortungsvolle Position des Wählers gelangen und sich so noch ernsthafter mit der Funktionsweise unserer Demokratie auseinandersetzen können.“ Die Theorie: Wer sich mehr mit (praktischer) Politik auseinandersetzt, interessiere sich letztlich auch mehr dafür – und beschäftigt sich wiederum mehr damit.
Demokratisch gutes Zeichen: Demokratische Abstimmungen
Ein Phänomen unserer heutigen „Post-Demokratie“ sei, so erklärte etwa der Philosoph Steffen Herrmann von der Fernuni Hagen unlängst auf einer Tagung in Wien, dass in solchen Zeiten oftmals vehement nach alternativen demokratischen Beteiligungsformen gesucht werde. Etwa Wahlen (zumindest im begrenzten Rahmen) durch ein Losverfahren zu ersetzen.
Nicht zuletzt das Erstarken von Rechtsaußen-Parteien, die offen demokratische Institutionen attackieren, oder der Umstand, dass sich politische Partizipation mehr und mehr von den traditionellen Institutionen auf alternativen Formen verlagert, zeigt: Ein beträchtlicher Teil der Bürgerinnen und Bürger hat das Vertrauen in die Funktionsweise unserer demokratischen Institutionen verloren. Darüber nachzudenken, wie Demokratie zukünftig gestaltet werden soll, kann dabei eine durchaus fruchtbare Idee sein. Denn festzuhalten bleibt: Wann immer demokratisch darüber abgestimmt wird, wie zukünftig demokratisch abgestimmt werden soll, ist und bleibt ein gesundes Zeichen für die Demokratie.
Analyse: Johannes Gress