Das TV-Duell zur Bundestagswahl 2017. Angela Merkel gegen Martin Schulz: Über 97 Minuten hinweg waren Zuschauer am Sonntagabend eingeladen, sich ein Bild von den beiden Kandidaten, ihren Positionen und ihren Zukunftsvorstellungen von der Bundesrepublik zu machen. Wer diese 97 Minuten durchgehalten hat, verdient allen Respekt. Denn sie hatten weniger den Beigeschmack einer Sternstunde der Demokratie als vielmehr eines tristen Behördengangs. Unsexy irgendwie. Und: Angesichts der brisanten Lage der Welt hätte man sich als interessierter Zuseher etwas mehr Ideenreichtum erwartet – sowohl von den Kandidaten als auch seitens der Moderation. Im Vergleich zum TV Duell lässt jedes handelsübliche Ü-Ei mehr Raum für Visionen…
Auf der einen Seite steht da Angela Merkel (CDU): Marke Weltpolitikerin, felsenfest, die Angriffe ihres Kontrahenten allenfalls mit einem lässigen Schmunzeln kommentierend. Aus der Fassung bringen? Keine Chance! Visionen, politische Würfe für die Zukunft – keine Chance! Auf der anderen Seite: Kandidat Martin Schulz (SPD), im permanenten Duckmäuser-Style agierend, jedoch stets bemüht, den ein oder anderen Treffer zu landen. Meistens bleibt es bei einem „bemüht“. So etwas wie „Duell-Stimmung“ will im gesamten Verlauf der Auseinandersetzung nicht aufkommen.
Politik?! Ja, schon mal gehört…
Aber wie auch? Während der zwölfjährigen Merkel-Regentschaft koalierte die Union aus CDU/CSU acht Jahre lang mit der SPD. Des einen Schuld war (und ist) auch immer irgendwie die des anderen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Parteiprogramme in den vergangenen Jahren im permanenten Kampf um die Mitte ohnehin rasant angeglichen haben – wirkliche Unterschiede lassen sich nur im Detail erkennen. Beide scheinen sich – ganz großkoalitionär – darauf geeinigt zu haben, dass man das mit der Politikgestaltung wohl mal besser sein lässt und sich aufs bloße Verwalten beschränkt. Irgendwie personifiziert doch eine Angela Merkel genau die Wunschvorstellung einer solchen Politik, die im Kern gar keine ist. Und insgeheim sehnt sich doch jeder Wähler innbrünstig nach einer solchen. Zwölf Jahre Merkel sprechen für sich…
Politik, die soll’s zwar geben, das sollen die da irgendwie hinbiegen. Ein bisschen Debatte darf dabei natürlich auch sein. Zu viel streiten jedoch nicht – nur den großkoalitionären Konsens nicht ins Wanken bringen. Politik?! Ja, schon mal gehört, das ist das mit Steuern rauf oder runter – was für Experten.
Alle vier Jahre mal zur Urne watscheln, seine Stimme – im wahrsten Sinne des Wortes – abgeben und die da mal eine Zeit lang machen lassen, am besten ohne viel Aufregung und Tam-Tam. Und in vier Jahren dann wieder hinwatscheln. Und wer bitteschön, wer hat diesen scheinbar sehnsüchtigsten Wunsch nach einer Politik frei von Politik und Konflikt in den letzten Jahren bis zur Virtuosität getrieben, wenn nicht die Mama Merkel?
Inhaltlich orientierte sich die TV-Debatte an exakt diesem Politikverständnis. Gleich vier Moderatoren stellen Fragen, die diesen Namen nicht verdient haben. Natürlich sprechen sich beide Kandidaten gegen islamistische Hassprediger aus und natürlich gehen beide Kandidaten davon aus, dass Integration eine schwierige Aufgabe ist. Wovon auch sonst? Statt Fragen zu wirklichen Herausforderungen zu stellen – und davon gibt es in den kommenden Jahren gewiss genug -, anstatt ideologischen Ansichten auf den Grund zu gehen, dümpelt man 45 Minuten mit den Thema „Flüchtlinge“ umher. Anschließend scheint es offenbar noch von Belang zu sein, womit sich Ex-Kanzler Gerhard Schröder und die russische Gasindustrie in Zukunft so ihre Zeit vertreiben und ob die FIFA-Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar im Jahr 2022 eine gute Idee sei. Brandaktuell…
Waren sie eigentlich am Sonntag in der Kirche?
Dass Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren der Welt beherbergt, sich Millionen Menschen ob prekärer Beschäftigungsverhältnisse mit Zukunfts- und Abstiegsängsten konfrontiert sehen: Wurscht! Lieber stimmt man in den Chor von Rechtsaußen ein und diskutiert etwaige Bedrohungs- und Gefährdungsszenarien, die Migration wohl unweigerlich mit sich bringt. Die Probleme im eigenen Land, etwa jenes, dass der Reallohn bei einem Großteil der deutschen Arbeitnehmer seit 1990 nicht nur stagniert, sondern gar gesunken ist, scheint nicht von großer Bedeutung zu sein. Man bleibt weiter beim innerdeutschen Klein-Klein – und wenn’s mal nicht läuft, dann rennt, schwimmt oder kraxelt sowieso der passende Sündenbock über Brenner, Mittelmeer oder Grenzzaun. Dass jeder siebte deutsche Rentner mittlerweile an Altersarmut leidet – ach komm, das will doch wirklich keiner hören. Waren Sie eigentlich am Sonntag in der Kirche?
In den Vereinigten Staaten ist König Ubu gerade dabei per Tweet einen Atomkrieg mit Nordkorea zu riskieren. Dass diese Menschheit ihren eigenen Planeten nicht irgendwann selbst in die Luft sprengt, wird von Minute zu Minute unwahrscheinlicher. Kurz: Uns steht die Scheiße bis zum Hals, es wäre in Sachen Zukunft vielleicht mal an der Zeit etwas kreativer zu werden. Aber solange Kanzlerin Merkel im „Klima-Engagement und dem Einsatz für die heimische Autoindustrie“ weiterhin „keinen Widerspruch“ sieht, kann’s so schlimm wohl nicht sein. Und die beiden Kandidaten tun gut daran, derartige Themen nicht anzusprechen – sind jegliche Themen, die irgendwie die nächsten Generationen tangieren, doch eher unpopulär. Die bedingungslose Bindung an ein Klimaschutzabkommen macht schon Sinn, aber Zukunft, Klima, Kinder, das ist halt eben Zukunft. Wahlen sind am 24. September.
Über das, was einmal war…
Von ganzen vier Moderatoren könnte man sich fragentechnisch – gelinde gesagt – etwas mehr Einfallsreichtum erwarten. Ob Merkel in ihrem Lippenbekenntnis zu Klima und Automobilindustrie vielleicht nicht doch einen Widerspruch sieht!? Ob Schulz glaubt, dass sich soziale Gerechtigkeit bei nur schwachem Wirtschaftswachstum in Zeiten der Globalisierung auch tatsächlich so verwirklichen lässt, wie er und seine Partei das vorschlagen? Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung mit sich!? Arbeitsmarkt, Kinderarmut, Bildung, Chancengerechtigkeit, Erbschaftssteuer!? Viel zu sehr verbohrte man sich in das, was ist und einmal war – kaum in das, was einmal sein soll.
Ein solches TV-Duell steht vor der unlösbaren Aufgabe, Dinge auf einen Punkt zu bringen, die sich nicht auf den Punkt bringen lassen. Schon gar nicht mit „Ja“ oder „Nein“. Ob einem unentschlossenen Wähler mit einem solchen „Duell“, wie wir es am vergangenen Sonntag gesehen haben, wirklich eine Entscheidungshilfe mit auf den Weg gegeben wird, wagt der geneigte Zuschauer sicher zu bezweifeln. Immer dann, wenn etwas inhaltliche Fahrt in die Auseinandersetzung zu kommen schien, funkte einer der Moderatoren dazwischen. In einem Duell, das diesen Namen auch verdient, darf auch mal gestritten werden, darf es auch mal ein Wortgefecht zwischen den Kandidaten geben, ohne dass diese dabei umgehend in die Schranken gewiesen werden. Ist Politik im Kern doch eigentlich ein Streit, ein Wettlauf verschiedener miteinander konkurrierender Meinungen – und keine Sache, die von vornherein schon feststeht und bei der am Schluss nur noch über rhetorische Nuancen diskutiert werden muss…
Am Ende der 97 Minuten kann man wohl kaum von einem „echten Knaller“ sprechen. Angela Merkel lässt – im Positiven wie im Negativen – wenig Raum für Überraschungen, wenig Raum für Neues. In gewohnter, ruhiger und selbstsicherer Manier schien so ziemlich alles an ihr abzuprallen, was von Seiten Schulz und Moderation an sie herangetragen wurde. Stellvertretend für ihr Wahlprogramm lässt sich wohl nur Merkels eigener Satz zitieren: „Sie kennen mich“. Schulz, stets „bemüht“, wurde immer dann stark, wenn er die rhetorischen Gefilde des Konjunktivs verließ und sich in die phonetischen Welten seines langjährigen Daseins als Bürgermeister von Würselen aufmachte. Mit Alltagsgeschichte über Handwerker und Flüchtlinge wusste er aufzutrumpfen, wirkte locker und selbstsicher. Auf dem Terrain eines großen Staatsmannes hingegen stellenweise unbeholfen.
Kommentar: Johannes Greß
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