Luxemburg macht’s vor: Als erstes Land weltweit muss man sich in dem Großfürstentum ab 2020 beim Betreten von Bus oder Bahn keine Gedanken mehr machen, welches Ticket es zu lösen gilt. Schon nächstes Jahr fahren die Luxemburger gratis. Bereits seit September 2018 tuckern auch die Bewohner der nordfranzösischen Stadt Dünnkirchen kostenlos durch die Gegend – um den öffentlichen Nahverkehr wieder attraktiver zu machen, wie deren Bürgermeister Patrice Vergriete erklärte. Auch in Deutschland, das in Sachen Mobilitätswende bekanntermaßen nicht gerade als Vorzeigestaat gilt, könnte eine solche Maßnahme für die Bürger von großer Bedeutung sein – auch im Sinne der Umwelt. Ein Gratis-ÖPNV ist keine Frage des Geldes, sondern eine des Wollens.
In Bonn, Essen, Herrenberg (Baden-Württemberg), Reutlingen und Mannheim sollte der Gratis-ÖPNV bereits getestet werden. Sollte. Alle fünf angedachten Modellstädte hielten von der Idee nur wenig, lehnten sie am Ende ab. Fallen die Einnahmen durch Tickets weg, müssen die Kosten nämlich an anderer Stelle wieder reingeholt werden. Prinzipiell gilt: Alles ist möglich – nur bezahlt muss es werden. Und beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf.
Aber warum das Dilemma nicht einmal von der anderen Seite her denken? Warum nicht erst einmal über Möglichkeiten und Notwendigkeiten reden – und dann über die Bezahlbarkeit?
Ländlicher ÖPNV: Angebot und Nachfrage, Nachfrage und Angebot
Deutschland hinkt den Zielen des Pariser Klimaabkommens massiv hinterher, vor allem was den Verkehr anbelangt. In vielen Städten sind die Luftwerte mittlerweile so schlecht, dass großräumige Fahrverbote drohen oder – wie in Stuttgart – bereits in Kraft getreten sind. Unsere Innenstädte sind verstopft. Und so ein eigenes Auto ist etwas, das sich viele Menschen nicht leisten können – oder schlichtweg nicht leisten wollen. Es gibt zahlreiche gute Gründe, um darüber nachzudenken, wie man den öffentlichen Verkehr attraktiver gestalten könnte. Und ein attraktiver ÖPNV käme vor allem Jugendlichen, Senioren und Pendlern direkt zugute – allen anderen zumindest indirekt.
Im Landkreis Freyung-Grafenau ist in den vergangenen Monaten hierzu einiges geschehen. Auch wenn der öffentliche Nahverkehr in „ländlichen Regionen eine herausfordernde Angelegenheit“ sei, wie Landrat Sebastian Gruber im Hog’n-Interview einst erklärte. „Da wenige Menschen auf verhältnismäßig langen Strecken befördert werden“, sind Fahrten zwischen 0 und zwei Kilometern mittlerweile kostenlos.
In ländlichen Regionen findet man sich in Sachen ÖPNV schnell in einem argumentativen Teufelskreis wieder: Es fährt keiner, weil zu wenige Busse fahren. Und es fahren zu wenige Busse, weil keiner damit fährt. (Wie das genau aussieht, durfte ich vor einigen Jahren schon einmal selbst erfahren). Und Klimaschutz hin oder her: Dass nun im 5-Minuten-Takt menschenleere Busse durch den Landkreis tuckern, kann auch nicht der ökologische Sinn der Sache sein. Dass mehr Personen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, hat nicht nur etwas mit dem Preis zu tun, sondern insbesondere etwas mit Gewohnheiten. In Tallinn, der Hauptstadt Estlands, stellte man bereits 2013 auf einen kostenlosen Nahverkehr um. Das Ergebnis: 14 Prozent mehr Menschen benutzten von da an den ÖPNV. Doch die Zahl der Autofahrer blieb gleich. Es waren vor allem jene, die üblicherweise zu Fuß gingen, die nun auf den Gratis-Bus oder die Gratis-Bahn zurückgriffen. Die Zahl der Autos auf Tallinns Straßen ging nicht zurück.
Auf ein verkauftes E-Auto kommen 36 verkaufte SUVs
Und in Deutschland, dem Mekka der Autofahrer, würde das wohl nicht viel anders ablaufen. Zur Verdeutlichung wie sehr Umweltschutz und individuelle Vorlieben hierzulande im Widerspruch stehen: Für jedes in Deutschland gekaufte E-Auto, kaufen sich 36 Deutsche einen SUV! (siehe dazu: „Imperiale Lebensweise“) Dass durch einen vergünstigten oder gar kostenlosen ÖPNV plötzlich alle das Auto in der Garage stehen lassen, gilt als unwahrscheinlich. Weniger Autofahren sollten wir trotzdem. Das wird nicht von heute auf morgen gehen – und der Fahrpreis kann hier nicht die einzige Stellschraube sein. Jedoch eine, bei der man ansetzen könnte.
Inhaberinnen eines ÖPNV-Jahrestickets im Landkreis FRG erhalten, sofern sie ihren Hauptwohnsitz auch hier gemeldet haben, einen vergünstigten Tarif: Für Strecken von bis zu vier Kilometern zahlen sie jährlich 326 Euro. Für eine Strecke von 20 Kilometern 823 Euro pro Jahr. Und wer regelmäßig bis zu 44 Kilometer mit dem Bus zurücklegen muss, den kostet das aufs Jahr gerechnet knapp 1.340 Euro. Das sind Summen, bei deren Wegfall man durchaus von einem „Anreiz“ sprechen könnte, auf das eigene Auto zu verzichten.
Wer soll das bezahlen?
Nach wie vor bleibt die Frage: Wer soll den Spaß bezahlen? Einerseits bedeutet mehr Kollektiv-Verkehr weniger Verkehrsaufkommen: Es können Kosten eingespart werden, die ansonsten zur Instandhaltung von Straßen und Brücken gebraucht werden. Andererseits kostet auch Umweltverschmutzung Geld: 97 Milliarden Euro Schaden, so rechnete die Umweltorganisation ICCT unlängst vor, entstehen in Deutschland jährlich durch die Auswirkungen des Verkehrs auf die menschliche Gesundheit.
Querfinanzieren ließe sich das Ganze auch, indem man etwa jene Autos höher besteuert, die den meisten Dreck durchs Auspuffrohr blasen. Oder indem man endlich mal anfangen würde, Kerosin zu besteuern. Zum Vergleich: So ein Flug von München nach New York ballert locker flockig mal 1,7 Tonnen CO2 in die Luft – und zwar pro Passagier! Ungefähr die Menge, die sie auf 22.000 Kilometern im öffentlichen Nahverkehr ausstoßen. Beträchtliche Einnahmen könnten auch generiert werden, wenn jene Betrüger zur Kasse gebeten werden, die deutsche Autos mit Schummel-Softwares ausstatteten. Und nicht zuletzt (das zeigt das Beispiel Tallinn): Schätzungen zu Folge verdient die estnische Hauptstadt am Gratis-ÖPNV sogar noch dazu. Denn: Die Gratis-Fahrer investieren ihr Geld stattdessen anderweitig, etwa in Waren und Dienstleistungen, was wiederum Steuereinnahmen generiert.
Dass wir zukünftig wohl besser gemeinsam in Bus oder Bahn als alleine im Auto sitzen, daran wird kein Weg vorbei führen. Auch wenn dies vielleicht im „Autofahrerland Deutschland“ nicht immer dem Selbstverständnis eines jeden entspricht. Gewohnheiten ändern sich nicht von jetzt auf gleich – das braucht Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr könnte diesem Unterfangen etwas Nachdruck verleihen. Die Instrumente dazu liegen auf dem Tisch! Denn dies ist keine Frage der Finanzierbarkeit, sondern eine des Wollens. Nicht die Frage eines Gratis-ÖPNV ist eine Utopie, sondern die Annahme, alles könne einfach so weitergehen wie bisher.
Kommentar: Johannes Gress
Der fahrpreisfreie ÖPNVließe sich leicht bezahlen, wenn man den Solidaritätszuschlag dafür nutzt und alle Mittel, die akut für den ÖPNV aufgwendet werden dort weiterhin hinfließen. Der Soli bringt schon mehr ein, als im ÖPNV über Fahrkarten verdient werden. Zusammen mit dem Geld für Fahrschüler im ÖPNV kann man so schon viele Verbesserungen durchführen. Oft heißt eine Verdoppelung der Kapazität nicht Verdoppelung der Kosten, weil längere Züge oder Busse mit Anhänger ohne Mehraufwand an Personal gefahren werden können. Und da die Pendler schon heute die günstigsten Fahrkarten nutzen, gehe ich davon aus, dass der Nulltarif vor allem Gelegenheitsfahrten auf den ÖPNV bringt. Und das ist oft möglich, ohne weitere Busse und Züge einzusetzen. Ein Verzicht auf Tarife senkt auch die Kosten für die Verkehrsbetriebe, die dann mehr Kilometer fahren können und es schafft die Folgekosten des Schwarzfahren ab, die auch in den ÖPNV investiert werden können. Der Bahnkundenverband schrieb dazu in seiner Zeitschrift Signal:
Gestern undenkbar, heute selbstverständlich – und umgekehrt
„“Vielleicht wird ein voll durch Steuern oder Abgaben finanzierter ÖPNV in 30 bis 40 Jahren so selbstverständlich sein, wie es heute die Umweltkarte ist. Und vielleicht wird man dann über das ganze Theater mit Fahrscheinautomaten, Kartenlesegeräten, Entwertern und Kontrolleuren so den Kopf schütteln, wie wir heute beim Gedanken an drei Schaffner in jedem Straßenbahnzug, die jeden Fahrschein vier mal lochen und kiloweise Kleingeld mit sich herumschleppen mussten.“
https://signalarchiv.de/Meldungen/10004149