Bayerischer Wald. Marion lernt ihren zukünftigen Ehemann kennen, als sie 17 Jahre alt ist. Drei Jahre später heiratet sie ihn, obwohl er sie zuvor bereits im Streit geschlagen hat. Sie bleibt bei ihm, obwohl er immer wieder grob zu ihr ist. Erst spät merkt sie, dass sie sich trennen muss, weil sie sonst kaputt geht. Allein mit zwei kleinen Kindern fängt sie ein neues Leben an. Wie sich jener Neubeginn gestaltet hat, darüber erzählt sie im dritten und letzten Teil unserer Themen-Serie.
„Mir ist lange nicht in den Sinn gekommen, dass ich mich trennen könnte“, sagt Marion heute. „Ich war es von klein auf gewohnt, dass jemand schlagen darf.“ Wenn ihr Mann ausrastet, sucht sie die Schuld immer bei sich. Erst als sie Angst bekommt, dass er auch die gemeinsamen Kinder angehen könnte, legt sich in ihr ein Schalter um. Sie weiß nun: So kann es nicht weiter gehen, sie muss es wagen sich zu trennen. Wahrlich keine leichte Entscheidung, wenn man danach alleine mit zwei Kindern, ohne Heim und ohne finanzielle Rücklagen dasteht.
Alles über den Haufen werfen, bei Null anfangen
Als Marion ihrem Mann eröffnet, dass sie die Trennung will und sie ausziehen wird, verlässt er die gemeinsame Wohnung. Ohne Diskussion, ohne Streit. „Er ist abgehauen, zu Verwandten“, erinnert sie sich. Zu Hause teilt sie auch ihrer Schwiegermutter mit, dass sie gehen wird. „Ich dulde nicht, wie er mit den Kindern umgeht“, habe sie ihr gegenüber ihren Beschluss begründet.
Jedoch sofort zu verschwinden, von jetzt auf gleich – das geht nicht. Marion hat zwei kleine Kinder und niemanden, bei dem sie spontan Unterschlupf finden kann. Drei Wochen lang bleibt sie in der gemeinsamen Wohnung, bis sie schließlich eine eigene findet. „Eine überhastete Flucht war nicht nötig. Er hat mich in diesen drei Wochen nicht geschlagen, ist nicht ausgerastet“, sagt sie. Er wollte die Kinder nicht verlieren, hat sogar um eine neue Chance gebeten. Doch als er ihr erneut Vorwürfe macht, weiß sie, dass sie nicht mehr kann – und er sich auch nicht ändern wird.
„Dann bin ich ausgezogen – ohne alles“, berichtet Marion. In eine Mietwohnung im Nachbarlandkreis, so weit weg wie möglich. Freunde helfen ihr beim Umzug. Viel ist es nicht, was sie mitnimmt: Kleidung, Spielsachen, einen Staubsauger und die Waschmaschine. „Ich habe mir gebrauchte Möbel günstig gekauft und mich über Wasser gehalten“, erinnert sie sich heute zurück an die schwere Zeit, in der sie ihr Leben völlig über den Haufen werfen und noch einmal bei Null anfangen musste. Das Kinderbett für ihren älteren Sohn kostet nur 17 Euro, das Babyzimmer für den kleineren bekommt sie für 50. Freunde leihen und schenken ihr viele weitere Sachen.
Marion ist allein für die Kinder da – und muss arbeiten gehen
Hilfe vom Amt nimmt Marion nicht in Anspruch. Sie weiß auch gar nicht, wohin sie sich wenden könnte. Sie will es alleine schaffen. „Ich hatte sofort Arbeit“, erzählt sie. Sie geht putzen, um Geld für sich und die zwei Kinder zu verdienen. Geld von ihrem Ex habe sie nicht bekommen. „Nach drei Wochen hat er meine EC-Karte einziehen lassen“, sagt sie. Sie hat zunächst nur noch das zur Verfügung, was sie selbst erwirtschaftet. Bis die ersten Unterhaltszahlungen eingehen, dauert es.
Ein Fehler, den sie in diesen ersten Wochen nach der Trennung begeht: Sie wendet sich nicht an das Jugendamt. „Ich wollte ihm sein Leben nicht versauen“, sagt Marion. Zur Behörde zu gehen und von der Trennung zu berichten, sei ihr daher erst gar nicht in den Sinn gekommen. Unterhalt für die Kinder fordert sie stattdessen über einen Anwalt ein. „Heute weiß ich: Man sollte nach einer Trennung sofort zum Jugendamt.“ Dabei geht es nicht darum, den Umgang der Kinder mit Mutter und Vater zu regeln. Zuallererst sollte man eine so genannte Titulierung des Unterhaltes anfordern. Das Jugendamt legt dabei den Unterhaltsanspruch schriftlich fest – die Mutter kann das Geld dann einklagen, wenn der Vater nicht zahlt.
Das Schwierigste am Neubeginn: Marion ist nun allein für die Kinder da und muss zusätzlich arbeiten gehen. „Ich hatte keine Zeit mehr, auf mich selbst zu schauen“, sagt sie. Wieder funktioniert sie einfach nur. „Aber ich war es ja gewohnt zu funktionieren und alles alleine zu stemmen“, sagt sie. Deshalb schafft sie es auch jetzt. Während sie arbeitet, sind ihre Kinder im Kindergarten untergebracht. Für die Ferienzeit organisiert sie sich eine Schülerin, die für fünf Euro die Stunde auf den Nachwuchs aufpasst. „Wenn’s gar nicht anders ging,durfte ich sie auch mal zur Arbeit mitnehmen.“
Heute weiß sie: Wer sich in einer solchen Situation befindet, sollte sich nicht scheuen, beim Jobcenter um Geld für den Neuanfang zu bitten. Wer sich von seinem Ehepartner trennt und danach selbst Geringverdiener ist, kann beim Amtsgericht einen so genannten Beratungshilfeschein beantragen. Damit erhält man Beistand durch einen Rechtsanwalt, die Kosten dafür trägt das Gericht – man selbst zahlt lediglich rund 15 Euro.
Ihr Ex habe behauptet, sie sei ihm fremd gegangen
Marion schlägt sich stattdessen alleine durch. Erst als ihr Kontostand nach etwa einem Jahr stark ins Minus fällt, bittet sie die Eltern, ihr Geld zu leihen. Nicht ohne Grund wartet sie damit so lange: „Meine Familie hat am Anfang nicht zu mir gehalten“, sagt Marion. Ihr Ex habe behauptet, sie sei ihm fremd gegangen – die Beziehung wäre nur deshalb gescheitert. Da sie selbst nie von seinen Ausrastern erzählt hat, glaubt ihr nun niemand, dass sie die Beziehung beendete, weil er sie geschlagen hat.
Dies ändert sich erst nach einem Termin beim Jugendamt: „Er hat mich vor den Jugendamt-Mitarbeitern gefragt, warum ich mich eigentlich getrennt habe“, erinnert sich Marion. Als sie erwidert, dass er sie geschlagen habe, habe er nur geantwortet: „Bist ja selber schuld, hast es ja nicht anders gebraucht.“ Danach hätten ihr alle geglaubt: „Meine Mutter hatte ein schlechtes Gewissen“, erzählt Marion. „Doch ich bin selbst Schuld, weil ich nie etwas gesagt habe.“
Trotz der Schwierigkeiten zwischen Marion und ihrem Ex will sie zu keinem Zeitpunkt, dass er die gemeinsamen Kinder nicht mehr sieht. Sie ermöglicht ihm von Anfang an den Kontakt, jedes zweite Wochenende sind sie bei ihm. „Zusätzlich wollte er sie nur an wichtigen Tagen wie Weihnachten“, sagt Marion. Wie Marion die Betreuung in den Ferien regelt, habe er dagegen ihr überlassen: „Seine Aussage war: Die Kinder leben bei dir, du wirst das mit den Ferien schon regeln.“ Wenn sie eine Ferienwoche bei ihm verbracht hätten, habe er ihr sofort etwas vom Unterhalt abziehen wollen.
Der Unterhalt wird zum Streitthema. Sie lässt die finanziellen Angelegenheiten gerichtlich klären. Geregelt ist mittlerweile auch, dass die Kinder vier Tage im Monat bei ihrem Vater verbringen. Warum überlässt man jemandem seine Kinder, von dem man befürchtet, dass er auch ihnen gegenüber grob werden und sie schlagen könnte? „Ich hab sie ihm nicht weggenommen, damit er es bei den Kindern gut machen kann“, sagt Marion. „Solange sie gerne bei ihm sind, will ich auch nichts daran ändern. Sie brauchen ihren Papa.“
„Der Schlüssel für andere, um ihr Gefängnis aufzuschließen“
Die Trennung liegt nun fast vier Jahre zurück. Marion ist in ihrem neuen Leben angekommen, hat einen neuen Partner gefunden. „Es geht bergauf“, sagt sie und lächelt. Ihr und den Kindern geht es gut, obwohl alle drei nach wie vor mit den schwierigen Jahren zu kämpfen haben. Abschließen will und kann Marion nicht völlig mit ihrer Vergangenheit. Denn sie will ihren Kindern nicht den Vater nehmen.
Doch Marion möchte aufräumen mit ihrer eigenen Geschichte. Sie will für sich selbst reflektieren, warum ihr Leben so verlaufen ist. Und sie will darüber sprechen, weil sie anderen etwas mitgeben möchte: „Man ist nicht hilflos“, sagt sie. „Mit der Trennung beginnt eine harte Zeit, aber die Trennung ist auch ein Wandel im Leben.“ Ein Wandel, der Marion glücklicher gemacht hat. „Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Frauen Mut machen“, sagt sie. „Vielleicht kann es der Schlüssel für andere sein, um ihr Gefängnis aufzuschließen.“
Marion bereut ihre Vergangenheit nicht. Sie sagt: „Meine negative Geschichte hat das aus mir gemacht, was ich heute bin.“ Sie sei stolz darauf, dass sie ein positiver, starker Mensch geworden sei. Ihr Wunsch für die Zukunft: „Wenn sich alle zusammensetzen und reden würden, wenn wir gemeinsam eine Familientherapie machen würden, dann könnten wir zusammen endlich das aufarbeiten, was passiert ist.“ Marion hofft, dass dies irgendwann möglich ist. Ohne Streit. Und ohne den Vorwurf, dass alles, was sie sagt, nur Verleumdung sei.
Sabine Simon