Viechtach. Was geschieht, wenn ein im Tierkreiszeichen Steinbock geborener Mensch ein Buch über Berge unter die Lupe nehmen darf, selbst aber unter mittelschwerer Höhenangst leidet? Diese astropsychologisch höchst brisante Kombination ist kein Hindernis, das Werk in aller Ruhe im Tal zu betrachten. Und wer weiß, was danach geschieht…
Da liegt das Werk im handgroßen Format, geschmeidiger Umschlag mit schlichter Illustration. Ein wenig Grün hebt sich vom natursteinfarbenen Ganzen ab – ganz wie in den Bergen selbst. Kristina Pöschl und Eva Bauernfeind sind nicht nur die Herausgeberinnen des Buches, sondern Mitarbeiterinnen des kleinen und feinen Viechtacher Lichtung-Verlags. In diesem Leseband haben sie Texte über die Berge zusammengetragen – so vielfältig wie die Berge selbst.
Welche Berge denn?
Eins haben alle Berge gemein: Sie sind mehr oder minder hoch und haben neben einem Namen einen Gipfel. Sie können steinig sein oder begrünt – und sind meist mit einem Gipfelkreuz verziert. Denn nirgendwo ist der kraxelnde, wandernde Mensch Gott so nahe. Das sagt etwa auch Berge-Autor Gerd Holzheimer in seinem Beitrag über den „Heiligen Berg“. Und was wäre der Mensch denn, wenn er nicht überall ein Zeichen seiner selbst hinpflanzen würde? Das Lesebuch entstammt zwar dem Bayerischen Wald, behandelt aber nicht nur Arber, Lusen, Rachel und Co. Albert Sigl bleibt jedoch schön dahoam, was in seinem Text „I endlich amoi a poor Tog frei“ mehr als deutlich ummakimmt.
Berg und Mensch – wie kommen die zwei zusammen?
Dem Berg selbst mag der Mensch einerlei sein. Er steht unverrückbar da, hat sich irgendwann in der Erdgeschichte aufgewölbt und ragt ein wenig weiter in die Atmosphäre hinein wie der Rest des kleinen blauen Planeten. Der menschliche Glaube kann Berge nicht wirklich versetzen – auch wenn der Mensch glaubt, jeden Berg besteigen zu können. Das liegt in der Natur des Menschen, neugierig und vorwitzig wie er ist. Manchmal fällt er runter und überlebt das nicht, manchmal erfriert er im der eisigen Kälte – und manchmal wird die Luft ganz schön dünn in diesen Höhen. Kein Hindernis für den Menschen, es trotzdem zu versuchen.
Wie die beiden Herausgeberinnen im Vorwort so schön schreiben, ist es heute oft ein Leichtes, den Berg zu erklimmen. Erklimmen mit Händen und Füßen ist oft nicht mal mehr nötig, da sich Straßen bis zum Berggasthof oder zur Hütte hinaufschlängeln. Mit dem Auto, Motorrad oder dem Bergradl alias Mountainbike kann der Mensch also auch den Gipfel erstürmen. Oder mit der Gondel, Seilbahn oder – seinetwegen – mit dem Hubschrauber. Der Mensch macht, was möglich ist – und wählt dabei gerne den bequemsten Weg.
Echt wahr? Und Abenteuer? Nicht wichtig?
Doch, doch, das Abenteuer! Das echte, richtige Abenteuer ist gefragt wie nie in einer durchkalkulierten Welt, in der der Normalmensch abends auf dem Kanapee keinen Adrenalinschub mehr erfährt – es sei denn, er bemerkt, dass der Griff in die Chipstüte ins Leere geht. Darum heißt es: Auffe auf’n Berg! Am besten gleich einmal quer über die Alpen – und wenn das nicht geht, gleich einmal am Stück auf alle Bayerwaldberge. Beweisträchtig strahlen die Gesichter aus Social-Media-Accounts. Ich war da! Ich hab’s geschafft und bin ein vitaler Mensch, der sich Herausforderungen stellt! Mit ordentlichem Witz schreibt Franziska Wanninger über so ein echtes Abenteuer.
Früher, ja früher, da war das Bergsteigen noch ein richtiges Abenteuer. Mit einer Ausrüstung, die man heute bestenfalls als todesmutig bezeichnen würde, wagten sich die Menschen auf die Gipfel hinauf. Im 19. Jahrhundert mauserte sich das Bergsteigen zum regelrechten Hype. Daraus resultierten die „Bergfexe“, wie sie Jörg Graser sie skizziert. Schwindlig möchte einem da werden! Konsequenterweise folgt dem Text ein Einblick in die Welt eines Alexander Hubers – richtig, eines echten „Huberbuams„. Ich lese den Text absichtlich nicht – die TV-Beiträge, die mein bester Mann begeistert schaut, kann ich auch nur mit zusammengekniffenen Augen nebenbei verfolgen. Ein „Free Solo“ – das ist „much toooo much“ für mich.
Dann lieber Hüttengaudi, oder was?
Hüttengaudi ist ein Begriff, der gerne mit zünftig und urig und Kaiserschmarrn mit Jagatee einhergeht – und sogar dem Duden nicht mehr fremd ist. Seinen Ursprung hat die Hüttengaudi im Tourismusbereich. Der wandernde und brettlfahrende Mensch sollte einkehren und vielleicht auch nächtigen können – und dabei schön konsumieren. Das entspricht laut Kapitalismusformel ebenso dem menschlichen Naturell wie Abenteuer und Entdeckergeist.
Es geht aber auch „in charmant“ – und da wird die Hüttengaudi zur Einkehr. Mit Brotzeit und Musik und einem feinen Gespräch mit dem Wirt, der nicht selten ein sogenanntes Urgestein ist. So zu lesen in Karl-Heinz Reimeiers Liebeserklärung „Wenn i hoch drobm“.
Und was ist mit Achtsamkeit?
Gerne. Den Anfang des Buchs macht Marianne Gradl-Grams. Ganz poetisch beschreibt sie die „Stimme des Waldes“, wie sie bei einem Aufstieg zu hören ist. Wie es sich dann oben so anfühlt, sagt dem Leser Werner Schmidbauer in seinem Liedtext „Herobn“. Und was so ein Aufstieg alles mit einem machen kann, darüber erzählt Bernhard Straßer sehr eindrücklich.
Und was ist mit Bergromantik?
Ich werde nicht allein sein mit dieser Erinnerung: Abends auf den Lusen hinauf – und dann sitzen am steinernen Blockmeer. Im Kreuz das Gipfelkreuz, in der einen Hand das Gipfelbier, in der anderen die Hand eines lieben Menschen und vor sich einen Sonnenuntergang, der sich sehen lassen kann. So oder so ähnlich ist das auf jedem Berg praktizierbar. Und diese Momente sind es auch, die den Berg zum Sehnsuchtsort werden lassen, wie es die Herausgeberinnen nennen. Ein Ort, weit weg vom Alltag, erhaben über die widrigen Dinge im Leben. Ein Ort mitten in der Natur, der nicht so leicht zu haben ist – auch wenn das so nicht mehr stimmt (siehe oben) – aber sei’s drum. Friedrich Brandl kommt gleich mit drei Gedichten zu Wort, in denen er seine Liebe zum Lusen ausdrückt. Ebenfalls drei Gedichte steuert Friedrich Hirschl bei – schon auch romantisch, aber auch schön augenzwinkernd.
Und jetzt? Auffe!
Ich blättere noch ein wenig im Buch, finde Manfred Böckl, der gewohnt historisch was zu erzählen hat. Finde Anton Kirchmair, der die schöne Geschichte der „Meererin“ erzählt. Und am Ende kommt Anna Wheill zu Wort und erzählt mit ihren beiden Gedichten etwas, das mir sehr gelegen kommt. Poetisch sagt sie es, ein wenig verborgen drückt sie sich aus, lässt Raum für Interpretation und malt schöne Wortbilder. Vielleicht ist es auch so mit mir und den Bergen. Es ist ein Herantasten an eine mächtige Substanz mit mächtigem Reiz. Also ja – auffe!
Eva Hörhammer
„Berge – ein Lichtung-Lesebuch“, herausgegeben von Kristina Pöschl und Eva Bauernfeind, edition lichtung 2018, 168 Seiten, ISBN 978-3-941306-77-6, Preis: 20 Euro.
Liebe Eva Hörhammer,
vielen Dank für diesen wundervollen Bericht über dieses literarische Kleinod!