Viechtach. Hubert Ettl, ehemaliger lichtung-Herausgeber und langjährige Verlagsleiter, hat vor gut einem Jahr das Buch „zweifelnd glauben. Über Religion und Spiritualität in der heutigen Zeit“ veröffentlicht. Er geht in seinem Buch davon aus, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens in der heutigen Zeit nach wie vor aktuell ist, genauso wie die Frage nach dem Jenseitigen. „Auch wenn den traditionellen Kirchen die Leute davonlaufen – Religiosität und Spiritualität sind den Menschen in Europa nicht verloren gegangen“, davon ist Ettl überzeugt. Ein Gespräch über Glaube, Kirche, Religion, über Gott und Spiritualität, über das Leben nach dem Tod – und den Sinn des Lebens.
Herr Ettl: Ihr neues Buch heißt „zweifelnd glauben. Über Religion und Spiritualität in der heutigen Zeit“. Sind Sie eher ein Zweifler oder eher ein Glaubender?
Ich bin wieder ein religiös Glaubender und zugleich ein Zweifler. Jeder Mensch hat ja seinen Glauben – auch diejenigen, die sich als säkulare, weltliche Menschen ohne Religion verstehen. In der heutigen Zeit ist für die religiös Gläubigen das eigene Nachdenken, sind Aufklärung und Vernunft wichtig. Kritisches Denken gehört heute zum Christentum. So ist heute gewiss der Zweifel der Bruder des Glaubens.
„Entwicklung vom Nicht-Gläubigen zum Christen“
Es heißt, Sie haben viele Menschen in Ihrem Umfeld mit diesem Buch überrascht. Warum?
Als Verleger des lichtung verlags und der Zeitschrift lichtung war ich immer in einem Kreis von kritischen Geistern, von kulturell Engagierten. Und da ist das religiöse Thema fast ein Nicht-Thema, fast ein Tabu-Thema, soweit es einen selbst betrifft. Ich hab meine eigene Entwicklung vom Nicht-Gläubigen wieder hin zum Christen natürlich auch nicht hinaus posaunt. So waren viele erstaunt, dass ich mich plötzlich öffentlich in die Debatte um Religion und Spiritualität einmische.
Worum geht es in Ihrem Buch?
In der ersten Hälfte geht es mehr um Fragen wie: Ist es in der heutigen Zeit denn überhaupt zu verantworten vor seiner Vernunft, bei der heutigen Orientierung an den Wissenschaften, an eine göttliche Kraft, an einen göttlichen Geist oder Gott als Gegenüber, der sich ansprechen lässt, zu glauben? Da muss man etwas ausführen zur Anthropologie des Menschen. Klären, wo liegen die Grenzen der heutigen Wissenschaften. Im zweiten Teil geht’s darum, wie man denn heute von Gott reden kann. Was das Neue an Jesu Lehre war. Über Glauben in Freiheit und auch darum, dass Glauben kein Besitz, sondern ein offener Weg ist.
Sie gehen in Ihrem Buch davon aus, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens in der heutigen Zeit nicht zum Schweigen gebracht ist. Haben Sie den Sinn des Lebens in Ihrem Leben bereits gefunden?
Ich werde heuer siebzig. Da wär’s fast zu spät, wenn ich den Lebenssinn nicht gefunden hätte. Für mich ist die Familie ganz wichtig. Dann war ich zehn Jahre gern und engagiert Lehrer. Danach über 25 Jahre Geschäftsführer des lichtung verlags, den ich mit viel Herzblut aufgebaut habe. Und schließlich habe ich mich lange, mehr als 20 Jahre, mit Fragen beschäftigt, die man oft die großen Fragen nennt: Jenseits, Gott, Schöpfung, das Leid in der Welt. Das verortet einen irgendwie in dem großen Ganzen.
„Glaube war ein Gehorsamsglaube, kein Verstehensglaube“
Noch eine „große Frage“: Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ich bin davon überzeugt. Ich glaube, dass ein Kern unseres Geistes, unserer Seele, unserer Person in einem neuen Leben weiter existiert. Im Lichte Gottes? Wir können da natürlich nur hoffen und spekulieren.
Warum kehren heute immer mehr Menschen der Kirche den Rücken?
Die Kirchen bewegen sich heute in einer säkularen, verwissenschaftlichten, entzauberten Welt. Der einzelne Mensch will selbst sein Leben gestalten. Sind die Kirchen da wirklich in der modernen Zeit angekommen mit ihrer Verkündigung? Das frage ich mich.
Ich selbst habe nach einer frommen Kindheit und Jugend, in der ich Ministrant war, sogar Priester werden wollte, als Student den Glauben an den alten Gott verloren – und den Gottesglauben gleich dazu. Die Kirche war damals noch sehr moralinsauer. Der Glaube war ein Gehorsamsglaube, kein Verstehensglaube. Ich hab die Kirche da Ende der 1960er als unterdrückende Institution empfunden. Und sie hatte den strafenden, rächenden, Vergeltungsgott in den Mittelpunkt der Verkündigung gestellt.
Warum sind Sie nach Ihrer Abkehr vom Glauben wieder zum Glauben zurückgehrt?
Ich bin im letzten Jahr bei Lesungen oft gefragt worden, ob ich so ein Saulus-Paulus-Erlebnis gehabt hätte. Ich muss die Frager dann immer etwas enttäuschen: Nein, mein Zurückkommen war ein langer Prozess, bei dem zum einen mein säkulares Weltbild ohne Gott immer löchriger und fragwürdiger wurde – und ich mir meine Religiosität, meinen Glauben wieder neu aneignen musste. Für mich selbst war da die intellektuelle Auseinandersetzung wichtig.
Andererseits sind es die persönlichen Erfahrungen des Lebens. Und dann auch die Erfahrungen, die man bei der Glaubenspraxis macht: Meditation, Gebet, Gottesdienst. Man spürt dann, was einem das bedeutet. Ich habe mich ein paar Jahre auch mit dem Buddhismus auseinandergesetzt. Aber schließlich war mir klar, dass ich mich mit meiner alten Religiosität, in die ich als Kind hineingewachsen bin, auseinandersetzen muss. So bin ich wieder zurückgekommen.
Herr Ettl: Wie sieht Ihr Gott heute aus?
Ich meine, auch heute ist das Gottesbild der christlichen Kirchen noch von einer viele tausend Jahre alten Religionsgeschichte geprägt: Hier der strafende Vergeltungsgott, dem die Menschen Opfer darbringen müssen, damit er uns die Sünden verzeiht, damit er uns nicht abstraft. Dort der liebende, barmherzige, vergebende und versöhnliche Gott. Ich glaube, Jesus hat uns dieses Gottesbild verkündet: Gott ist die Liebe. Nur ein solches Gottesbild macht auch Sinn. Alles andere ist zu vermenschlicht.
„Dass die christlichen Kirchen in der Jetztzeit ankommen“
Wieso sehnen sich die Menschen heute mehr denn je nach Spiritualität und Sinn im Leben?
Die Sehnsucht vieler Menschen ist auch heute noch da, über den Alltag hinaus etwas zu spüren, etwas zu erfahren, das über den Materialismus unserer Zeit hinausgeht. Über das verplante Räderwerk des Alltags, in dem ein jeder steckt. Das eigene Innerste zu erfahren. Und dass dies mit etwas Großem, dem Ganzen, etwas Göttlichem verbunden ist. Und dass man dieses göttliche Gegenüber, diesen Gott ansprechen kann.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass die christlichen Kirchen in der Jetztzeit ankommen, die Erfahrungen der heutigen Menschen wichtiger nehmen als die Traditionen, Lehrsätze und Dogmen. Und so als offene Herbergen vielen Sinnsuchenden eine spirituelle, religiöse Heimat bieten können.
Vielen Dank für Ihre Zeit und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer
Ein wunderbares, erhellendes Interview, vielen Dank dafür!