Hunderdorf. Danach gefragt, ob er an die Weissagungen des Mühlhiasls, des berühmten Sehers vom Rabenstein glaube, antwortet Dieter Schneider nüchtern: „Da wurde im Laufe der Zeit mit Sicherheit vieles dazugedichtet. Die Prophezeiungen sind sehr zweideutig und können so oder so interpretiert werden, ähnlich wie bei Nostradamus. Ich glaube nicht daran.“ Einen prognostizierten dritten Weltkrieg hält der heutige Besitzer der Mühlhiasl-Mühle für unwahrscheinlich. „Zu teuer, zu gefährlich – wenn“, so der 50-Jährige, „kommt etwas Größeres, ein atomarer Schlag oder eine schmutzige Bombe“. Die Geldgier der Menschen werde es soweit kommen lassen, sagt er – und klingt dabei ein bisschen wie derjenige, der vor mehr als 200 Jahren hier gelebt hat.
Die ehemalige Mühle befindet sich am Ende einer Straße, einsam und verlassen am Waldrand. Der Putz an den Wänden ist von tiefen Rissen übersät. Der Kitt in den Fensterrahmen brüchig. Der kleine Vorgarten von Unkraut überwuchert. Drinnen ist es finster. Etliche Augenpaare menschlicher Hinterglasbild-Porträts und ausgestopfter Wildtiere werfen dem Besucher misstrauische Blicke entgegen.
„Vieles hat sich hier verändert im Laufe der Jahrhunderte“
Zu hören ist das rhythmisch-sonore Pochen eines Mühlrads. Das Pochen wird lauter, je weiter man in das Innere des Gebäudes vordringt. Angstgefühle beschleichen einen unweigerlich. Ein Gefühl, das vielleicht auch von dem Wissen herrührt, dass hier einst einer der bekanntesten und sagenumwobendsten Söhne des Bayerwalds gelebt haben soll: Der Mühlhiasl.

Seit mehr als 100 Jahren dreht sich dieses Wasserad. Das Original aus Holz fiel einem Brand zum Opfer.
„Vieles hat sich hier verändert im Laufe der Jahrhunderte“, gibt der Mann mit dem markanten Schnauzer und den freundlichen Augen gerne Auskunft. Dieter Schneider gehört die sogenannte Obere Klostermühle von Apoig, einem kleinen Ortsteil am Rande von Hunderdorf im Landkreis Straubing-Bogen. In dem Haus ist laut den Aufzeichnungen des rund einen Kilometer entfernten Prämonstratenserklosters Windberg ein Kind namens Mathias (auch Matthäus) Lang, der von den Leuten nur „Mühlhiasl“ genannt wurde, am 16. September 1753 zur Welt gekommen.
Schneiders Vater Georg hat einen Teil des Gebäudes 1972 von der Tochter des letzten Müllers übernommen. Mitte der 90er gingen Haus und Anwesen vollständig in den Schneider’schen Besitz über. „Dass hier das letzte Mal Mehl gemahlen wurde, das ist schon lange her. Den alten Müller, den Josef Hobmeier, hab ich noch als kleiner Bub gekannt“, erzählt der jetzige Hausherr und deutet auf ein Schwarz-Weiß-Foto mit Hobmeiers Abbild, darunter seine Ehefrau. Auch deren Tochter Maria Gerstner kannte er gut, wuchs Schneider doch nur einen Steinschlag von dem Anwesen entfernt auf.
Vom Mühlhiasl selbst ist in der Mühle nichts übriggeblieben
Übrig geblieben aus der Zeit des Waldpropheten, der beide Weltkriege vorhergesagt haben soll, ist in der Apoiger Mühle nichts mehr. 1850 brannte das aus Holz errichtete Gebäude komplett nieder. Nach dem Wiederaufbau wurde es häufig umgemodelt und baulich verändert. Nicht einmal das alte Mühlrad hat überlebt. An dessen Stelle dreht sich heute ein moderneres, jedoch bereits in die Jahre gekommenes Wasserrad aus Eisen. Es wird vom vorbeifließenden Bogenbach angetrieben und ist mit einem kleinen Generator im Innern des Hauses verbunden.
Schneider stellt so seinen eigenen Strom her. Der gelernte Elektro-Techniker nutzt die Mühlhiasl-Mühle überwiegend als Werkstatt und Abstellkammer für allerlei Nützliches – und weniger Nützliches. Vieles erinnert noch an seinen Vater Georg, der ein begeisterter Hinterglasmaler und Jäger war – und die Obere Klostermühle nach seinem Tod an den Sohn übergeben hat.
Der ehemalige Wohnbereich wird nächstes Jahr abgerissen
Im nächsten Jahr soll das Gebäude erneut sein Aussehen verändern. Die eine Hälfte des Hauses, in dem sich das Wasserrad befindet, wird saniert. Das Rad soll durch eine Turbine zur Stromproduktion ersetzt werden. Die andere Hälfte, der ehemalige Wohnbereich der letzten Müllersfamilie Hobmeier, wird abgerissen, so Schneiders Plan. Für ihn ist es ein Haus wie jedes andere, aus dem Mühlhiasl-Kult macht er sich nicht allzu viel: „Extra stolz darauf, der Eigentümer dieses Hauses zu sein, bin ich eigentlich nicht“, gibt er ehrlich zu. Freuen tut es ihn immer, wenn Besucher vorbeischauen, um die Mühle zu besichtigen – was aber nicht allzu oft vorkommt. „Vielleicht so zwei, drei Leute im Monat, mehr nicht.“
Sich vorzustellen, wie der Mühlhiasl einst mit seiner Frau Barbara und den acht Kindern hier gelebt hat, fällt einem schwer. Zu viele Dinge neueren Datums und Zeichen aus einer jüngeren Zeit befinden sich in den Räumen. Das Selbstporträt, das im Generatoren-Zimmer an der Wand hängt, verleitet einen zum Fantasieren: Ja, so könnte er ausgesehen haben. Langer Bart, knollige Nase, rote Backen. Doch Dieter Schneider holt den Betrachter schnell wieder zurück in die Realität: „Das ist mein Vater Georg.“ Eine Liste von Weissagungen des Waldpropheten, angebracht an einer schweren Brandschutztür, entpuppt sich freilich schnell als Zeugnis aus der Neuzeit. Ebenso die darunterliegende handgemalte Zeichnung, die den Seher vom Rabenstein darstellen soll. Man sucht und sucht und versucht, etwa zu finden. Vergebens jedoch.
Begibt man sich über eine kleine Brücke auf die Rückseite des Anwesens, wo sich der Bach seine Wege bahnt, macht sich auch hier schnell Ernüchterung breit. „Früher war hier alles offen“, sagt Schneider und deutet auf eine unverputzte Mauer, hinter der das Wasserrad uneinsehbar vor sich hinklappert. Auf der kleinen Insel hinterm Haus befindet sich eine Marienkapelle, die Schneiders Vater einst selbst gebaut hat. Ein Ort der Besinnung, an dem die Mitglieder der Familie Schneider regelmäßig zusammenkommen. Gleich daneben steht ein hoher Holzturm, der Teil der Kulisse eines Mühlhiasl-Freiluftschauspiels war, das vor wenigen Jahren an dieser Stelle von den Hunderdorfern zuletzt aufgeführt wurde.
Am Ende der Tour ist es dem symphatischen Hausherrn fast schon ein bisschen peinlich, dass so rein gar nichts mehr vom großen Waldpropheten an diesem Ort übriggeblieben ist. Freundlich verweist er einen darauf, dass man sicherlich in der Windberger Klosteranlage noch so manche Indizien aus der Mühlhiasl-Zeit finden könne. Oder im Zwieseler Waldmuseum, fügt er an – und wendet sich nach der Verabschiedung wieder weltlicheren Dingen zu.
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Böckl: „Den Wald ohne den Mühlhiasl gibt es nicht“
Einer, der sich schon seit vielen Jahren mit dem Mühlhiasl beschäftigt und sich auf diesem Gebiet auskennt wie kein zweiter, ist Manfred Böckl. Der in Landau an der Isar geborene Autor und Schriftsteller lebt heute im idyllisch gelegenen Dörfchen Empertsreut bei Ringelai im Landkreis Freyung-Grafenau. Sein Roman „Mühlhiasl – Die Weissagungen des Sehers vom Rabenstein“ hat inzwischen die 10. Auflage erreicht. „Das ist nicht mein Verdienst“, sagt der 63-Jährige bescheiden, „sondern der des Mühlhiasls“. Sein Buch habe sich „fast von selber geschrieben“, binnen sieben Wochen, auf der Schreibmaschine.
Was ihn damals, vor mehr als 20 Jahren, am Mühlhiasl gereizt hatte: „Ich wollte wissen, welcher Mensch er war.“ Dabei hatte ihn auch der religiöse Hintergrund des Sehers fasziniert. „Möglicherweise war der Mühlhiasl ein überlebender Druide“, lautet eine Theorie Böckls, die während der Recherchen zu seinem Roman aufkeimte und sich in seinem 1998 folgenden Sachbuch „Der Mühlhiasl“ weiter verfestigte. Er sieht den Waldpropheten in der heidnisch-keltischen Tradition sakraler Hellseher, wie sie etwa die Ovaten waren, deren Aufgabe darin bestand, Ereignisse zu deuten bzw. vorherzusagen.
Hinweise auf die Verbreitung heidnischer Religionen im Bayerischen Wald gebe es einige, so Böckl. Die sogenannten Schrazllöcher zum Beispiel, auch „Heidenlöcher“, genannt. Oder auch ein vor 500 Jahren vom Passauer Bischof verfasster Brief, in dem dieser die Waidler aufruft, mit den Erdkulten aufzuhören. Auch der „Hirtenstock des Mühlhiasls“, der heute noch im Zwieseler Waldmuseum ausgestellt ist, sieht der Schriftsteller als Indiz für seine These.
Mit dem Kruzifix den Bruder geschlagen
Für seine Bücher kam Böckl auch häufig in die „Untere Klostermühle“, die sich unweit vom Geburtshaus des Sehers befindet. „Hier haben noch lange Zeit Verwandte des Mühlhiasls gewohnt“, weiß Böckl. An diesem Ort soll sich Mathias Lang zu so manchem Schäferstündchen mit seiner Braut Barabara verabredet haben. Es soll hier auch zum Streit zwischen dem Weissager vom Rabenstein und seinem Bruder gekommen sein, der damit endete, dass der Mühlhiasl seinen nächsten Verwandten mit einem Kruzifix geschlagen und schwer verletzte, so die Überlieferung der letzten Müllersleute. Das sogenannte Mühlhiasl-Kreuz existiert angeblich heute noch und soll sich in Privatbesitz befinden.
Wie wichtig Böckl das Thema Mühlhiasl war und immer noch ist, zeigt der Disput des Autors mit dem Volkskundler Dr. Reinhard Haller in den 90er Jahren. Dieser behauptete nämlich, dass es nie einen Bayerwald-Propheten namens Mathias Lang gegeben habe. In seinem Buch „Mühlhiasl“ sah sich Böckl veranlasst, diese These zu widerlegen – „und ich glaube, dass mir das auch gelungen ist“, sagt er heute rückblickend mit einem Schmunzeln. Der Dank der Waidler, dass er die Existenz der historischen Figur des Mühlhiasls belegen konnte, war ihm damals sicher. Heute ist seine Begeisterung für den Waldpropheten und dessen Bedeutung für den Bayerwald ungebrochen: „Der Mühlhiasl ist identitätsstiftend. Den Wald ohne den Mühlhiasl gibt es nicht!“
Stephan Hörhammer
Den Bericht empfinde ich als Sammelsurium unbeweisbarer „Fakten“. Und wenn ich lese, „Ein echter Mühlhiasl-Kenner: Autor Manfred Böckl“ kann ich nur so in mich hineiNachp grinsen, wie der Autor Böckl auf dem Foto selbst. Er schreibt halt, mehr muss man dazu nun wirklich nicht sagen. Ein wahrer Kenner, der die tatsächliche Mühlhiasl-Vita erforscht, in den Daten exakt erarbeitet und dann in heute nachweisbaren Fakten dargeboten hat, ist der alte Lehrer Sigurd Gall in Uttendorf (Haselbach). Aber dessen Werk wird geflissentlich von all den „informierten“ Schreibern umgangen, die sich, so oft sie auch „neue Fakten“ ihren Verlegerin vorlegen, gedruckt werden und sich eine goldene Nase verdienen. Nur an der Wahrheit, an der Prüfbarkeit all der Aussagen hapert es. Schade drum!
S. Michael Westerholz
Gerne werde ich mal lesen ob Herr Schneider den Dritten Weltkrieg noch immer unwarscheinlich findet.
Mann sieht doch verschiedene Weissagungen des Sehers Mühlhiasl wahrheit bekommen. Auch von anderen Seher, wie den Kriegsgefangene Elsasser und Alois Irlmaier.
(Excusez-moi, mein Deutsch is nicht so gut)