Waldkirchen/Karlsbach. Ein neues Haus bauen oder ein altes Haus sanieren? Das ist die Frage, vor der künftige Besitzer eines Wohnhauses stehen. Während Mirjam und Bernhard Altendorfer ein uraltes Gebäude instand setzen, haben sich Michael Stieglbauer und Karin Rauch für ein Häuserl im Neubaugebiet entschieden. Wir haben uns mit den beiden Familien über ihre unterschiedlichen Motivations- und Herangehensweisen an das „Projekt Eigenheim“ unterhalten.
Michael Stieglbauer öffnet per Fingerabdruck die Haustüre zu seinem Eigenheim. Der 36-Jährige hat zusammen mit seiner Freundin Karin Rauch (43) alles genau so umgesetzt, wie sie es sich vorgestellt haben: Drinnen gelangt man über einen schwarzen Fliesenboden in den Wohnbereich, links die moderne, offen gestaltete Küchenzeile, in der Mitte der große Esstisch, rechts das Wohnzimmer, nur durch einen Kamin vom Essbereich abgegrenzt.
„Nach unseren Vorstellungen, mit modernem Baustil“
Über die gesamte Länge des Hauses erstreckt sich eine durchgehende Glasfront, die den Blick freigibt auf das Neubaugebiet, wo die beiden sich ein 870 Quadratmeter großes Grundstück gekauft haben. „Kapellenfeld“ nennt es sich und verbindet die Stadt Waldkirchen mittlerweile nahezu mit dem benachbarten Erlauzwiesel.
206 Quadratmeter Wohnfläche stehen den beiden zusammen mit Karins drei Töchtern im Neubau zur Verfügung. Etwas weniger als dem Durchschnitt: Knapp 48 Quadratmeter bewohnt jeder einzelne Bayer laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks. Karin Rauch und Michael Stieglbauer hätten nicht unbedingt neu bauen müssen: Karin hat das Haus ihrer Oma geerbt, Baujahr 1964, 130 Quadratmeter Wohnfläche. Sie hat sich dagegen entschieden, dort einzuziehen. „Dieses Haus hätten wir abreißen müssen“, sagt Michael. „Für uns zu fünft wäre es zu klein gewesen.“ Außerdem wollten beide gerne modern wohnen – „nach unseren eigenen Vorstellungen, mit modernem Baustil“.
Zwischen 2014 und 2016 hat der Wohnbau in Bayern laut dem Landesamt für Statistik 3.314 Hektar Boden in Bayern versiegelt. Und genau deshalb geraten die neu angelegten Siedlungen immer mehr in Verruf. „Flächenfraß“ lautet das Stichwort.
„Uns konnte vorher keiner sagen: Was kostet das genau?“
Doch nicht jeder entscheidet sich für einen Neubau. Mirjam Altendorfer betritt durch ein Loch in der Außenmauer ihr zukünftiges Eigenheim. Eine Haustüre gibt es hier noch nicht. „Hör mal kurz auf zu kehren, sonst fällt uns der Staub hier unten auf den Kopf“, ruft sie ihrem Mann Bernhard zu, der oben unterm Dach gerade Bauschutt beseitigt. Seit knapp einem Jahr verwandeln die 33-Jährige und ihr 35-jähriger Mann ein Gebäude aus dem Jahr 1882 in ein Haus mit Neubau-Standards, das aber seinen Charme und sein ursprüngliches Wesen so weit wie möglich behalten soll.
Mirjam und Bernhard haben das ehemalige Gemeindehaus in Karlsbach für gerade einmal 33.000 Euro gekauft, inklusive 1.000 Quadratmeter Grund. Es steht direkt neben Mirjams Elternhaus, wo beide mit ihrer vierjährigen Tochter momentan noch das Obergeschoss bewohnen. „Eigentlich wollten wir nur keinen Nachbarschaftsstreit mehr“, sagt Mirjam und lacht. Mit dem Vorbesitzer des Hauses gab es öfter mal Ärger. „Also haben wir beschlossen, das Grundstück zu kaufen. Aber ich hab nie gedacht: Irgendwann kaufst du dir eine uralte Bude und renovierst sie.“ Ursprünglich war der Plan, das Haus abzureißen und neu zu bauen. „Aber wenn man dann zum Beispiel dieses alte Kuppelgewölbe hier hinten sieht – so etwas kann man nicht einfach abreißen.“
Als ihnen dann eine Förderung vom Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) im Rahmen der Dorferneuerung in Aussicht gestellt wurde, entschlossen sie sich für die Sanierung. Der große Haken dabei: „Bei einem Neubau kannst du die Kosten viel besser kalkulieren. Uns konnte vorher keiner sagen: Was kostet das genau?“ Denn ihr Sanierungskonzept ist umfassend: Den alten Dachstuhl zu erhalten wäre extrem zeit- und arbeitsaufwendig gewesen. Daher haben die beiden sich entschlossen, das Dach komplett neu zu machen. Auch das Fundament haben sie neu gegossen. Im Inneren des Hauses haben sie überall sechzig Zentimeter tief gegraben, um den Fußboden (inklusive Fußbodenheizung) komplett neu aufzubauen. Und schließlich haben sie alle Zwischenböden entfernt und neu eingezogen.
Ungeplante Arbeits- und Materialkosten tauchen dabei immer wieder auf. Um die Förderung des ALE zu erhalten, müssen sie beispielsweise wieder Segmentbogen-Fenster im Erdgeschoss einbauen. Die bekommt man aber nicht „von der Stange“, weil niemand sie in einem Neubau einsetzt. „Wir haben einen Fensterbauer gefunden, der sie für uns macht“, sagt Mirjam. Und sie fand es auch toll, dass die schöne Fensterform erhalten bleibt. Ob ein Fenster oben rund oder gerade ist, bedeutet jedoch an die 1.000 Euro Preisunterschied…
Wohnkonzepte in Walkirchen, Freyung und Perlesreut
Kernsanierung oder Neubau: Was unterm Strich teurer ist, lässt sich schwer sagen. Das Grundstück im Waldkirchner Neubaugebiet ist mit 95 Euro pro Quadratmeter fast doppelt so teuer wie ein Dorfgrundstück in Karlsbach. Der Neubau von Michael Stieglbauer und Karin Rauch dafür etwas günstiger als die Komplettsanierung der Altendorfers. Die wiederum haben aber am Ende mehr Wohnfläche zur Verfügung. „Ich bezweifle, ob man ein Haus in dieser Größe für das gleiche Geld neu bauen könnte“, meint Mirjam.
Trotzdem entscheiden sich viele für einen Neubau. Fast jede Gemeinde hat mittlerweile Neubaugebiete, um der hohen Nachfrage an Grundstücken für Bauwillige nachzukommen. Der Flächenverbrauch für Wohnbau ist mehr als doppelt so hoch wie der für Gewerbe. Neubaugebiete werden damit zum viel diskutierten Thema.
Auch die Bayerische Staatsregierung möchte etwas dagegen unternehmen, seit ein Volksbegehren der Grünen gegen den enormen Flächenverbrauch großen Anklang in der Bevölkerung gefunden hat. Konkrete Maßnahmen stehen aber noch nicht fest. Eine Obergrenze für Flächen, auf denen neu gebaut werden darf, möchte die CSU nicht einführen. Denn sie will nicht in das kommunale Selbstverwaltungsrecht eingreifen.
Es wird also Sache der Kommunen bleiben zu entscheiden, wo und wie gebaut wird. Im Landkreis gibt es dazu ganz unterschiedliche Konzepte: Der Freyunger Stadtrat startet gerade eine Initiative gegen Neubaugebiete. Stattdessen soll alte Bausubstanz erhalten und saniert werden. Waldkirchen dagegen setzt augenscheinlich stark auf Neubaugebiete – bald soll auf der ehemaligen „Augenweide“ gebaut werden, einer Wiesenfläche am Karoli, die Teil der Gartenschau war. Waldkirchens Bürgermeister Heinz Pollak will sich dem Hog’n gegenüber dazu allerdings nicht äußern. Auf seiner eigenen Webseite steht dazu: „Eine Stadt kann nur wachsen, wenn genügend Bau- und Gewerbegrundstücke zur Verfügung stellen (sic!). Für Pollak, selbst jahrelang in der freien Wirtschaft tätig ist es daher oberste (sic!) Ziel dafür zu sorgen, genügend Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Im ‚Schweinsgalopp‘ wie er selbst sagt, wurden daher seit 2014 mehr als 80 Bauparzellen ausgewiesen.“
Einen Mittelweg wählt die Marktgemeinde Perlesreut: Neubaugebiet ja, aber dort sollen nicht nur Einfamilienhäuser entstehen, sondern neue Wohnkonzepte: Jung und Alt, Singles und Familien sollen hier miteinander wohnen. Genaue Pläne will die Gemeinde demnächst zusammen mit ihren Bürgern erarbeiten.
„Super, dass wir es gewagt haben, alles genau so zu machen“
Im „Kapellenfeld“ in Waldkirchen hat Michael Stieglbauer hauptsächlich junge Familien als Nachbarn. Aber es gebe auch einige Ältere, die hier gebaut haben. Die Nachfrage nach den Bauplätzen ist groß, mittlerweile sind alle Nachbargrundstücke verkauft, ein Haus nach dem anderen entsteht hier.
Auch bei Michael Stieglbauer und Karin Rauch ging es schnell: Im Herbst 2016 hat die Baufirma das Kellergeschoss gemauert, im Frühling 2017 kam dann innerhalb von drei Tagen das Obergeschoss in Holzständerbauweise drauf. „Im August sind wir schon eingezogen“, erzählt Michael. Alles sei ohne größere Probleme oder Zwischenfälle reibungslos verlaufen. Die beiden haben das meiste der Baufirma überlassen und nur kleinere Arbeiten, wie beispielsweise das Bodenverlegen, selbst übernommen. „Es geht oft ja auch um Garantie und Gewährleistung“, erklärt Michael. Er hatte Angebote von vier verschiedenen Baufirmen. Wer ein Haus in modernem Stil neu bauen will, um den reißen sich die Baufirmen.
Ganz anders bei Mirjam und Bernhard Altendorfer. „Ich hätte gern einen Vergleich gehabt“, sagt die 33-Jährige bei einem Rundgang durch die Baustelle. „Aber viele Baufirmen haben das Haus angeschaut und sich nie wieder gemeldet.“ Nur eine hat ein Angebot gemacht – die ortsansässige. „Ein Zimmerer hat sogar zu mir gesagt: Reißt es ab.“ Wer schnell und unkompliziert ins Eigenheim einziehen will, muss neu bauen. Ein altes Haus zu renovieren, ist nicht ganz so einfach. Beim 136 Jahre alten Haus der Altendorfers war vieles selbst für erfahrene Handwerker unkalkulierbar: „Keiner wusste, ob nicht alles einstürzt, wenn wir das Dach abnehmen und so viele Wände rausreißen“, erzählt Mirjam.
Dann kam jener Samstag im Sommer 2017: Das Dach war ab, es standen nur noch die vier Außenwände und eine Art Gewölbegang in der Mitte des Hauses. Und dann fing es an zu regnen. „Es war überall Matsch“, erinnert sich Mirjam. Bernhard ging auf die Baustelle und sah: Das rund gemauerte Gewölbe im Erdgeschoss, das die beiden unbedingt erhalten wollten, drohte einzustürzen. Schnell half die ganze Familie zusammen: Sie stützten die Mauer ab und Bernhard drückte die einzelnen Ziegelsteine mit einem Besen wieder zurück in die Rundung. Am Ende ging alles gut. Mirjam kann mittlerweile über solche Schwierigkeiten beim Bau schmunzeln. „Jetzt sehen wir, dass das Konzept funktioniert, das wir uns überlegt haben.“ Und sie bekräftigt: „Es ist super, dass wir es gewagt haben, alles genau so zu machen.“
„Bautourismus“ am Wochenende – „da ist viel los hier“
Wenn Michael Stieglbauer und Karin Rauch auf ihrer Terrasse sitzen, blicken sie über das gesamte Neubaugebiet. Über die verschiedensten Häuser und Bauformen. Gleich nebenan steht ein komplett mit Holz verkleidetes Haus, ganz konträr zur modernen Schwarz-Weiß-Fassade der beiden. „Das ist gewöhnungsbedürftig, aber es stört mich eigentlich nicht“, sagt der 36-Jährige.
Sie haben es nie bereut, sich für das Grundstück im Neubaugebiet entschieden zu haben. „Es ist total ruhig hier.“ Nur am Wochenende sei manchmal viel los, wenn der „Bautourismus“, wie Michael Stieglbauer es nennt, durch die Siedlung zieht: „Manchmal kommt man sich vor wie in einer Musterhaussiedlung.“ Denn viele zukünftige Eigenheim-Bauherren schauen sich hier an, welche Möglichkeiten es gibt, sein Haus zu gestalten.
Die Altendorfers wollen im Dezember ihr 136 Jahre altes, komplett saniertes Haus beziehen. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Aber man merkt den beiden an: Sie würden alles wieder genauso machen, sich auch im Nachhinein nicht für Abriss und Neubau entscheiden.
Sabine Simon