Haag. 2013 erfolgte der totale Cut. Drei Jahre zuvor hatte sich Martin Waldbauer eine digitale Spiegelreflexkamera zugelegt. Grund dafür war eine Reise nach Nordamerika, von wo der 30-Jährige viele Fotos mit nach Hause bringen wollte. Die nötigen technischen Kniffe brachte sich der Hauzenberger selbst bei. Doch je mehr er sich mit Fotografie beschäftigte, desto unzufriedener wurde er mit seinen Werken. „Digitale Fotos gibt es inzwischen wie Sand am Meer“, sagt Waldbauer und verweist dabei auf die Unmengen von Bildern, die allein mit Smartphones gemacht werden und meist in irgendeinem Ordner auf dem PC verschwinden. Er jedoch wollte die Einzigartigkeit seiner Aufnahmen in den Vordergrund stellen – und entschloss sich, zur traditionellen Analogfotografie zurückzukehren.
„Verwunderlich, wie interessant der Normalzustand ist“
Eine wichtige Rolle bei der Selbstfindung spielte Raphael Guarino, Grafenauer Gastronom und Fotokünstler. „Er war damals ein Vorbild, ein Wegweiser. Inzwischen zählt er zu meinen besten Freunden.“ Hielt der in Haag bei Hauzenberg lebende Martin Waldbauer zunächst – und vor allem während seines USA-Aufenthalts – immer Ausschau nach besonderen und spektakulären Motiven, hat er inzwischen den Blick für die Einmaligkeit der Normalität gefunden. Der ganz banale Alltag, der Mensch von nebenan, schreibt die besten Geschichten bzw. liefert die aufregendsten Szenen – davon ist der gelernte Maschinenbauer überzeugt. Eine Erkenntnis, die nach und nach in seinem Inneren reifen musste. „Es ist immer wieder verwunderlich, wie interessant der Normalzustand ist.“
„Geht nur ein Arbeitsschritt in die Hose, war alles umsonst“
Doch nicht nur die Suche nach Motiven und die technischen Voraussetzungen der Analogfotografie haben den 30-Jährigen in ihren Bann gezogen. Insbesondere die Entwicklung der Fotos, das Verwenden unterschiedlichster Chemikalien, der Geruch und die Atmosphäre in der eigens eingerichteten Dunkelkammer ziehen den Familienvater magisch an. „Geht nur ein Arbeitsschritt in die Hose, war der ganze Aufwand umsonst. Doch genau das ist der Reiz“, betont Waldbauer. „Ein digitales Foto kann ich abspeichern und so oft viervielfältigen wie ich will. Ein analoges Bild ist ein Unikat.“ Mittlerweile hat er gelernt, dass Ausschuss zum Geschäft gehört – nicht alles kann immer und jederzeit klappen. Genauso unvorhersehbar ist auch die Suche nach neuen Models.
„Ich habe so gut wie immer meine Kamera dabei. Begegnen mir Leute, spreche ich sie einfach an. Oft sind sie damit einverstanden, dass ich sie fotografiere“, erzählt Martin Waldbauer von seinen fotokünstlerischen Ausflügen. Besonders interessant sei vor allem die dokumentarische Beobachtung gewisser Menschen über einen längeren Zeitraum. Manche Personen hat er seit Jahren abgelichtet – das Ergebnis: eine eindrucksvolle Bild-Biographie. Geplant sind solche Aktionen nicht, sagt der Hauzenberger. Vielmehr spiele das Spontane eine große Rolle. „Freilich ist Fotografie gewissermaßen ein Handwerk. Vor allem, wenn es um die Vorbereitung und die Entwicklung geht. Auf der anderen Seite ist Fotografie auch Kunst.“ Das Technische ist erlernbar, der Blick für ein besonderes (alltägliches) Motiv hingegen nicht…
Da es meist schwierig ist, Gesehenes in Worte zu fassen, stellt Martin Waldbauer im Folgenden einige seiner Bilder zur Schau. Er erklärt, wie es zu diesen Aufnahmen gekommen ist, und welche Atmosphäre sowie welches Licht während der Fotosessions auf ihn gewirkt haben.
(Zum Vergrößern auf die Bilder klicken)
Diese Motive sind das Ergebnis meines Langzeitprojektes „Neidlingaberg“. Aufgenommen wurden diese Bilder mit einer Großformatkamera in der Gegend um Neidlingerberg (Stadt Waldkirchen). Auf den Bildern ist immer dieselbe Person abgebildet, die sich etappenweise in die Landschaft bzw. den Wald einfügt – ein Spiel mit verschiedenen Stilmitteln, außerdem eine Kombination aus Landschaft, Atmosphäre und Porträt. Entstanden sind zeitlose, jahreszeitenunabhängige Werke. Diese Serie ist zudem noch lange nicht abgeschlossen – ich lasse mich treiben…
Hierbei handelt es sich um die Aufnahme eines Verwandten. Ich habe bereits länger den Gedanken verfolgt, ihn zu porträtieren – doch irgendwie klappte es zunächst nicht. An einem Tag waren er und ich gemeinsam zu Besuch bei meinen Eltern. Glücklicherweise hatte ich meine Kamera dabei und ich konnte ihn zu einer spontanen Sitzung überreden. Besonders auffällig sind seine Würde und sein Stolz in seinen Augen – jedoch ist auch ein gewisser Zweifel erkennbar.
Die junge Frau auf dem Bild tanzte zum damaligen Zeitpunkt noch Ballet – und ich wollte dies unbedingt dokumentieren, in der Umgebung ihres Elternhauses. Das Foto drückt einen Moment der Stille und Ruhe aus. Ich mag die Stimmung, das Licht, die Linien und Formen in diesem Bild. Es wirkt auf den ersten Blick sehr plakativ, hat jedoch subjektiv einen enorm dokumentarischen Charakter.
Raucherpausen – einerseits eine junge Frau während einer Porträtsitzung, andererseits ein behinderter Mitarbeiter während seiner wohlverdienten Pause. Beide Fotos waren nicht geplant und dienten rein als Dokumentation. Ich mag bei beiden Bildern den rohen und dunklen Charakter sehr gern und bin vor allem bei der Aufnahme des Mannes sehr froh, diesen völlig spontan vorgefunden zu haben.
Dieses Bild ist für mich eines der bisher wichtigsten und wertvollsten. Das kleine Leben klammert sich hilfe- und wärmesuchend an meinen Oberkörper und ich halte meine Tochter fest. Für mich ist dieses Foto, um ehrlich zu sein, sehr schwer zu beschreiben. Ich musste im Vorfeld den Ausschnitt korrekt einstellen und dann selbst vor die Kamera treten. Glücklicherweise ist alles sehr stimmig. Den Auslöser drückte meine Freundin.
Dieses Foto entstand in einer alten Stube, in der lange Jahre die Großmutter meiner Freundin lebte. Oma verstarb im vergangenen Jahr, dieses Stillleben fertigte ich noch zu ihren Lebzeiten an. Für mich ist die Aufnahme ein Sinnbild für das sprichwörtliche „gehen“. Ihr Stuhl, auf dem sie immer gesessen ist, steht nun alleine da – der Mensch ist gegangen. Ein ephemeres Bildnis in all seinen Einzelkomponenten.
Eine alte Austragsbäuerinnen auf dem Sterbebett – sie ist innerhalb weniger Wochen verstorben und ich habe sie die letzten Tage fotografisch begleitet. Dabei entstanden jeweils mehrere Aufnahmen und einige Rollen Film. Wenn ich das Bild betrachte – und das tue ich gerne -, dann kommen mir immer diese Erinnerungen hoch: Der Geruch, das Licht und die Atmosphäre im gesamten Raum. Für mich ist das Bild gar nicht traurig und ich fand es auch nicht seltsam, diese Frau abzulichten. Es ging mir nicht nur darum, ein dokumentarisches Abbild zu erhalten, sondern der Sterbenden in ihren letzten Stunden Würde und Achtung zu schenken. Der Fokus liegt bewusst auf den Händen, um ihr Tun zu unterstreichen.
Dokumentarische Bestandsaufnahme von alten Bauersleuten in meinem Geburtsort. Arbeit, Leben, Vergänglichkeit, Stolz, Würde, Zähheit und Glaube spiegeln sich in diesen Bildern wider. Die Frau greift mit starken Händen den Rechen, der Mann im Sonntagsgewand streicht mit seinen groben und arbeitsreichen Händen den Saum zurecht.
Eine alte Bäuerin beim Laubverbrennen im Herbst. Ich war damals zufällig mit der Kamera unterwegs und erblickte sie bei ihrer Tätigkeit. Sie willigte ein, dass ich sie dabei fotografieren darf. Besonders stolz war die alte Austragsbäuerin auf ihre Holzschwinge, welche bereits seit Generationen in Betrieb ist. Eine tolle zeitdokumentarische Aufnahme.
Der Wert eines Augenblickes! Die Bedeutung des Hier und Jetzt: stehen bleiben und meine Gefühle zu achten: diese Bilder ersetzen eine Therapie. Sie nehmen Zukunftsängste und lassen das Bedrückende der Vergangenheit vergessen. Danke.