Waldkirchen. Herzlich begrüßt Rupert Berndl seine Besucher. Das große Haus wirkt einladend, am Treppenaufgang fallen die vielen Bilder – selbstverständlich alles Eigenwerke – sofort auf. Folgt man dieser Treppe ganz nach oben, findet man sich in Rupert Berndls Lieblingsraum wieder: dem Atelier. An die 400 Ölbilder und geschätzte 200 Aquarelle gibt es hier zu bestaunen. Auf dem Schreibtisch liegt das Skizzenbuch, an der Leinwand dahinter befindet sich das dazu passende Werk, das gerade in Arbeit ist. Gut ausgestattet, verbringt Berndl hier die meiste Zeit seines Schaffens. In seinem Stuhl vor dem gemütlichen Holzofen erinnert er ein bisschen an einen klassischen Bilderbuch-Opa, der die schönsten und spannendsten Geschichten erzählen kann. Und erzählen kann Rupert Berndl, einer von drei Kreisheimatpflegern des Landkreises Freyung-Grafenau, tatsächlich sehr gut.
„Ich wurde 1940 als Kriegskind in Passau geboren – aufgewachsen bin ich im Unteren Sand. Mein Vater war Bahnmeister – und als die Ruinen nach Kriegsende etwas beseitigt waren, sind wir in den alten Bahnhof gezogen. In Passau bin ich auch in die Schule gegangen und habe 1960 an der Oberrealschule mein Abitur gemacht. Danach bin ich nach München gegangen und hab mich an der Akademie der Bildenden Künste beworben. Ich habe das Glück gehabt, dass ich angenommen worden bin als einer von 80 unter 800 Bewerbungen.“ Wenn er erzählt, ist sein Blick noch genauso von Stolz erfüllt. Seine Augen glänzen, als wäre er immer noch 20 Jahre alt.
Im Ministerium wusste man nicht, wo Waldkirchen liegt
Ob der Gedanke, etwas mit Kunst zu machen, schon immer vorhanden war? „Der Wunsch, Lehrer zu werden, war schon sehr früh da, ja. Weil ich mir immer gedacht hab‘: Du machst es anders als Deine Lehrer. Ich wollte gerecht sein und all meine negativen Erfahrungen umdrehen. Jungen Leuten etwas so beibringen, wie ich es für den richtigen Weg halte – und der Umgang mit jungen Menschen allgemein hat mir schon immer sehr große Freude bereitet.“ Die Vermutung liegt nahe: Er muss mit seiner Art des Unterrichtens auch sehr viel richtig gemacht haben, denn: Aus seinen Leistungskursen sind mittlerweile einige neue Kunsterzieher hervorgegangen…
Nach dem ersten Staatsexamen hatte Berndl einen „Zweigschul-Einsatz“ in Waldkirchen als Referendar. Lächelnd erzählt er heute darüber: „Da hab ich mich auch extra hinbeworben – wegen der vielen Freunde und Verwandten. Ich wollte anfangs nicht für immer hier bleiben, sondern irgendwann wieder zurück nach München. Na ja, aber dann habe ich hier meine Frau kennen gelernt – und erst als jemand gefragt hatte, warum wir denn nicht gleich fest nach Waldkirchen ziehen, habe ich das erste Mal mehr darüber nachgedacht. Ich hatte das zunächst überhaupt nicht im Kopf…“ Die Folge: Rupert Berndl stellte einen Antrag, ihn für längere Zeit nach Waldkirchen zu versetzen.
Während er so erzählt, muss er plötzlich laut auflachen: „Im Ministerium sind zwei junge Männer vor einer riesigen Landkarte gesessen und haben mich gefragt, wohin genau ich gerne versetzt werden möchte. Als ich knapp mit ‚Waldkirchen“ antwortete, meinten sie nur: ‚Da haben wir ja gar keine Schule.‘ Ich habe nur gelacht und gesagt: ‚Doch, ich war ja dort. Natürlich ist da ein Gymnasium.‘ Ich hab ihnen dann gezeigt, wo Waldkirchen liegt. Ein kleines blaues Fähnchen steckte an dem Punkt in der Karte und gab an, dass dort gerade ein Gymnasium gebaut wird. Und somit bin ich schließlich nach Waldkirchen gekommen – an eine neue Schule, wo ich mir alles so aufbauen konnte, wie ich wollte. Ich habe die Kunsterziehung auf den Leib geschneidert bekommen.“
Vorschlag der Berufsberatung: Gartenbau-Ingenieur
Für Berndl waren die Bedingungen optimal, die er in dem kleinen Städtchen im Bayerwald vorfand. Als er dann zum ersten Mal Vater wurde, hat er mit seiner kleinen Familie zunächst im Rathaus gewohnt. Das Gymnasium war ja schon in Planung – und aus Platzgründen musste ein eigenes Haus her, das die Familie nun schon seit 1974 bewohnt. Von den insgesamt drei Kindern ist allerdings keines hier geblieben.
„Mein Vater konnte recht gut zeichnen, weshalb ich mich schon als kleiner Junge für die Kunst interessiert habe. Wenn ich jedoch den Vorschlag der Berufsberatung berücksichtigt hätte, wäre ich jetzt Gartenbau-Ingenieur. Doch daran hatte ich überhaupt kein Interesse – und ich hab mich an der Akademie beworben“, erinnert sich Berndl. „Neben der Akademie habe ich auch Bildhauerei studiert. Zu dieser Zeit sollte das Bauhaus wieder eingerichtet werden. Das heißt, junge Leute sollten gleichzeitig bei einem Handwerker und einem Künstler ausgebildet werden. Und in diese Klasse bin ich auch aufgenommen worden. Somit konnte ich vier Semester Architektur studieren. Allerdings war es zeitlich so aufwändig, dass ich dieses Studium nicht zu Ende brachte. Trotzdem kann ich davon noch heute in meiner Rolle als Kreisheimatspfleger profitieren.“
„Meine Aquarelle male ich ausschließlich in der Natur“
Aufgrund des Lehrerberufs war Berndl zeitlich sehr eingespannt, konnte nur abends oder an den Wochenenden künstlerisch aktiv sein. „Jetzt, in Pension, kann ich viel mehr machen. Diese Freiheit genieße ich sehr. Ich male hauptsächlich Aquarelle und Ölbilder. Die Aquarelle ausschließlich in der Natur. Und wenn ich mit Öl eine Landschaft malen will, mach ich mir draußen immer Notizen zu Farben oder Formen – und fertige das Bild dann in meinem Atelier an. Landschaften sind mir grundsätzlich irgendwie lieber als Menschen. Bei uns im Bayerischen Wald interessieren mich immer die Stimmungen und der Kontrast zwischen der weichen, geschwungenen Landschaft und den eckigen Häusern mit den klaren Linien.“
Er unterbricht kurz, um sein Skizzenbuch und den kleinen Farbkasten zu holen. „Geduld ist beim Malen mit Ölfarben wichtig, denn die Farben brauchen sehr lange zum Trocknen. Manchmal wurde mir das Zeichnen zu langweilig – dann habe ich hauptsächlich Schrott-Plastiken gemacht und viel geschweißt. Allerdings musste ich vor zwei Jahren damit aufhören, weil es viel zu anstrengend geworden ist. So große Figuren können schon mal zwei, drei oder vier Zentner schwer sein. Heute erschaffe ich höchstens noch Bronzeplastiken, die ich in Wachs fertige und dann gießen lasse. Und so pendle ich immer zwischen der Malerei und den Plastiken hin und her.“
Schreiben ist Berndls zweite Leidenschaft
Neben der Kunst hat Berndl noch eine weitere große Leidenschaft: das Schreiben. Der 74-Jährige mag es, den Menschen zuzuhören oder sie zu beobachten. Dabei holt er sich Anregungen für seine Geschichten, die oft ziemlich humorvoll sind. Zwei Bände hat er schon veröffentlicht: „Genau a so is“ und „Stimmt’s?“.
Als Kreisheimatpfleger hat er Bücher über den Bayerischen Wald und das Emerenz-Meier-Haus geschrieben. Und weil Rupert Berndl so vielseitig interessiert ist, verwundert es einen kaum, dass auch noch einige Kochbücher aus seiner Feder stammen. Entstanden sind diese auf kuriose Weise: „Ich habe auf einem Flohmarkt ein kleines Büchlein gefunden, das den Titel ‚Kochbuch der Maria Resch aus Sassbach‘ hatte. Sassbach ist ja ein Ortsteil von Waldkirchen. Als Heimatpfleger habe ich mich deshalb viel mehr für die Geschichte von Sassbach interessiert und weniger für die Rezepte. Darum stand das Büchlein lange Zeit im Regal.
Vor vier Jahren hat mich dann jemand vom Waldkirchener Stadtarchiv angerufen und gemeint, dass bei ihnen ein handgeschriebenes Kochbuch mit 760 Seiten aufgetaucht ist. Das sollte ich lesen, weil ich die altdeutsche Schrift noch beherrsche. Das Kochbuch war von mehreren Köchinnen, die im Gasthaus Meindl in Waldkirchen angestellt waren, verfasst worden. Da habe ich mich dann wieder an das kleine Kochbüchlein erinnert – und wollte die beiden vergleichen, da sie etwa zur selben Zeit entstanden waren. Nämlich im Zeitraum von 1835 bis 1895.“
Kochbücher über die kulinarische Geschichte des Bayerwalds
Jetzt glänzen Rupert Berndls Augen wieder und er erzählt begeistert weiter: „Ich wollte die Unterschiede zwischen der bäuerlichen Küche und die der Profiküche herausarbeiten. Das Spannendste für mich war jedoch: Anhand der Rezepte konnte man mittels der dort aufgeführten Mengenangaben sehr viel über die damalige Gesellschaft herausfinden. Manche Leute sind sogar von Straubing aus mit Kutschen nach Waldkirchen zum Essen gefahren und haben dann Speisen mit bis zu 18 Gängen zu sich genommen. Also gab es schon damals eine vergleichbare Küchenkultur. Allerdings kamen die ganz armen Leute in den Büchern nicht vor. Sie konnten oftmals nicht schreiben und sahen zudem auch keinen Sinn darin, ihr Essen aufzulisten.“
Sein Kochbuch „Kartoffelsterz und Hollerkoch“ handelt von der Zeitspanne 1900 bis 1947. Geschichtliches und Rezepte ergänzen sich. „Ironisch gesagt ist das Buch optimal für alle geeignet, die eine Diät machen wollen, weil es zu dieser Zeit einfach nichts zu essen gab. Ich selber habe ja an den Zweiten Weltkrieg noch große Erinnerungen. Auch wie es war, als man für Essen anstehen musste. Heute noch bekomme ich Gänsehaut, wenn irgendwo Sirenen losgehen, weil mich das immer noch an den Bomben-Alarm von damals erinnert.“
„Zufrieden bin ich mit fast keinem Bild“
Für einen kurzen Moment ist die Heiterkeit aus seinen Augen verschwunden – bevor er seine weiteren Pläne verrät: „Als nächstes möchte ich ein Buch über den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht eines Kindes schreiben. Es gibt viel zu wenig Bücher aus der Sicht von Kindern. Was sie gefühlt, was sie gedacht haben. Wenn ich mich an bestimmte Erlebnisse zurückerinnere, dann kommen wieder ganz viele neue Bilder in mir hoch.“ Beim Hinausgehen gleitet Rupert Berndls Blick über die Bilderwand im Treppenhaus. Je weiter links ein Bild hängt, desto unfertiger ist es. Aber auch die Werke, die am rechten Rand hängen, betrachtet er kritisch: „Zufrieden bin ich mit fast keinem Bild. Man könnte jedes noch irgendwie verbessern. Aber ich glaube, als Künstler darf man sowieso nicht zufrieden sein. Das wäre das Ende des Berufes.“
Ruth Zitzl