Aus jeglichen Perspektiven betrachtet war das Jahr 2016 kein funkelndes. Die nachfolgende Generation wird diese Jahreszahl in den Schulbüchern wohl mehrmals fett unterstreichen. Nicht als das Jahr, in dem die Evolution des Menschen zu gipfeln schien. Eher so, wie man damals halt das Jahr 1939 markierte. Irgendwas von Aleppo und dem sogenannten Islamischen Staat wird in diesen Büchern wohl stehen. Irgendwas von Briten, die die Europäische Union satt hatten. Und, natürlich, irgendwas von einem amerikanischen Präsidenten, der schon in die Annalen eingegangen war, bevor er überhaupt sein Amt angetreten hatte. Etwas weiter unten dann noch was von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit junger Menschen, Rechtspopulismus, Terror, Umweltkatastrophen, Finanzkrise, Erdogan – spätestens hier schlagen die meisten Schüler dieses finstere Büchlein wohl wieder zu…
Arbeit ist heutzutage Identifikationsmerkmal Nummer eins
Die Arbeit (bzw. Nicht-Arbeit) einer Person hat sich zum „menschlichen“ Identifikationsmerkmal Nummer eins entwickelt. Arbeit hat erheblichen Einfluss auf die Wahl unseres Wohnsitzes. Arbeit ist in vielerlei Hinsicht maßgeblich für unser soziales Umfeld verantwortlich – schon allein durch die Kontakte zu den Arbeitskollegen. Arbeit ordnet den Leuten ihren sozialen Status zu, bestimmt, ob wir als „Maurer, Müllabfuhr-Fahrer, Arbeitsloser“ oder eben als „Banker, Anwalt oder Politiker“ wahrgenommen werden. Arbeit hat natürlich auch Einfluss auf unser Gehalt – was wiederum die Wahl unseres Wohnsitzes sowie unseres sozialen Umfelds beeinflusst. Die Jobs unserer Eltern sind bereits richtungsweisend für unseren eigenen Bildungsweg. Arbeiterkinder besuchen weit weniger eine Hochschule als die Kinder von Akademikern – und umgekehrt. Unsere eigene Arbeit wiederum ist richtungsweisend für die Arbeit unserer eigenen Kinder. Arbeit erfüllt uns. Arbeit frisst uns auf.
Hand in Hand: Erfindergeist und finanzielle Unabhängigkeit
Arbeit ist in vielerlei Hinsicht die wesentliche Determinante unseres Lebens – obige Liste ließe sich beliebig lange fortführen. Und – machen wir uns nicht vor: Bei 40 oder mehr Stunden Lohnarbeit die Woche bleibt nicht mehr viel Luft, um großartig die Welt zu verändern. Klimawandel, Hunger, Kriege, TTIP, Flüchtlinge – ändere die Welt, sie braucht es! Sicher. Meine Kinder brauchen mittags etwas zu essen, meine Mutter seit ihrem Schlaganfall viel Pflege und mein Chef mich morgen von 7 bis 5 im Büro. Wäre ein schönes Gegenargument. Zum Beispiel. Den Rasen mähen wäre auch mal wieder eine nette Sache…
Die großen „Weltveränderer“ der letzten Jahrhunderte – von Aristoteles über Leonardo Da Vinci, William Shakespeare, Immanuel Kant bis hin zu Sigmund Freud oder Albert Einstein – hatten alle eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sie alle waren in der glücklichen Lage, in eine Familie „hineingeboren“ worden zu sein, die ihnen finanzielle Unabhängigkeit zusicherte. Sie befanden sich quasi in der komfortablen Ausgangslage, sich ihrer Sache mit voller Hingebung widmen zu können. Anders wären derartig geniale Erfindungen und Errungenschaften nie möglich gewesen. Ausschlaggebend für den persönlichen Lebensweg ist also zu einem großen Teil die finanzielle Situation des eigenen Elternhauses sowie der Geburtsort – damals wie heute.
Finanziell unabhängige(re) Menschen tendieren dazu gesellschaftlich aktiver zu sein, mehr Mut für Veränderung zeigen zu wollen. Diejenigen, die im Sommer und Herbst 2015 – in manchen Fällen noch viele Monate darüber hinaus – in den Bahnhöfen die ankommenden Flüchtlinge mit dem Allernötigsten versorgt haben, waren überwiegend (nicht zu 100 Prozent) besser situierte Mitglieder der Gesellschaft, die finanziell unabhängiger waren als der Rest.
Wegfall der Lohnarbeit –> eine Gesellschaft voller Potenzial
Man stelle sich nun eine Gesellschaft vor, die zu 100 Prozent aus finanziell unabhängigen Menschen besteht. Eine derartige Daseinsform hätte schier unfassbares Potenzial. Sowohl, was das Soziale an sich betrifft, als auch enormes – nennen wir es einfach mal – „erfinderisches Weltveränderer-Potenzial“. Zu Zeiten Aristoteles‘ oder auch Kants war es eine kleine Schicht an der Spitze der Gesellschaft, die das Glück (und damit auch die Zeit) hatte, sich den Kopf über Dinge wie Demokratie oder Moral zu zerbrechen. Während der Rest sich den Kopf darüber zerbrach, was denn heute und morgen auf dem Mittagstisch landen wird. Der Pool der potenziellen Weltveränderer beschränkte sich also auf eine kleine, elitäre Gruppe.
Was, wenn sich dieser Pool nun auf die gesamte Gesellschaft erstrecken würde, indem man sie von Lohnarbeit befreit? Nicht nur der Pool der potenziellen Weltveränderer würde sich um ein Vielfaches vergrößern. Auch der Pool derjenigen, die sich gern um ihre Eltern kümmern würden, diese aber mangels Freizeit/zu viel Arbeit ins Altenheim abgeben mussten. Auch der Pool derjenigen, die sich gerne im Kinderchor einbringen würden, stiege vermutlich exponentiell an. Genauso der Pool derjenigen, die gerne mehr für die Obdachlosen im Ort tun möchten. Oder derjenigen, die einfach gerne mehr Zeit mit ihren eigenen Kindern verbringen möchten. All diese und noch viel weitere Pools – sei es auf dem Gebiet der Kunst, Wissenschaft oder Musik – würden sich rapide vergrößern.
Klingt fantastisch! Wie eine Art Fabelwelt! Und in Anbetracht der aktuellen Lage so realistisch wie Feen, Einhörner und Kröten, die sich in Prinzen und Prinzessinnen verwandeln. Eine gerechte Welt ohne Leid und ohne Missgunst – ach, wie herrlich!
Schafe klonen und Atomkerne spalten – da geht doch was!
Doch müssen wir uns damit abfinden, dass wir in einer ewig ungerechten Welt leben werden, in einem ewig vom Profitstreben dominierten kapitalistischen Mit- bzw. Nebeneinander, in dem zwar jeder reich werden kann (jedoch nicht alle!), in der die einen ewig obenauf sitzen und ungestraft nach unten treten können, während die anderen Schlag um Schlag wegstecken müssen ohne die geringste Chance, irgendwann einmal selbst die „erhabene“ Aussicht genießen zu können?!
Nein, natürlich nicht! Seien wir optimistisch, denken wir idealistisch, handeln wir utopisch – so, wie wir das in anderen Bereichen der Gesellschaft selbstverständlich auch tun. Eine Spezies, die es schafft, Menschen auf den Mond zu schießen, Schafe zu klonen, Körperteile zu transplantieren und Atomkerne zu spalten, wird es doch wohl hinbekommen, das Leben auf dieser Erde ein klein wenig erträglicher zu gestalten als bisher. Dies ist kein Ruf nach der Weltrevolution. Dies ist vielmehr ein Aufruf, nach jenen Punkten zu suchen, die das Potenzial haben, die Welt zu verändern, aber dennoch im Rahmen des Möglichen liegen. Die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist ein solcher Punkt. Das Volksbegehren in der Schweiz, die Debatten in Finnland und in der Mongolei oder das Pilotprojekt in Kenia zeigen deutlich wie erreichbar und realistisch dieses Ziel ist.
Wem nützen Innovation und Leistungswille denn?
Utopie!? Mag sein. Wir werden nicht drum herumkommen, unsere Produktion völlig neu zu organisieren. Solange die Produktivität der gesamten Weltbevölkerung schneller steigt als die Weltbevölkerung selbst, liegt es auf der Hand, dass irgendwann nicht mehr genügend Arbeitsplätze für alle vorhanden sein werden. Eine Erhöhung der Konsumption der Weltbevölkerung, also des Verbrauchs von Wirtschaftsgütern, wird sich schon aufgrund ökologischer Grenzen nicht ewig fortführen lassen…
Eine Einladung zur Faulheit!? In einer Welt, in der nur jene Produkte tatsächlich von Wert sind, die auch ökonomische Relevanz haben, ist dies in der Tat ein Aufruf zur Faulheit. Dem Kapitalismus spricht man häufig die Eigenschaft zu, er befördere Innovationen und den Leistungswillen der Individuen. Eine Annahme, die durchaus richtig sein mag. Nur wem nützen diese Innovationen? Wem nützt dieser Leistungswille? Das „Innovative“ an genmanipuliertem Saatgut und überschnellen Autos ist leicht erkennbar – nach dem gesellschaftlichen „Nutzen“ sucht man hingegen länger. Die Folgen des unnachahmlichen Verlangens nach Leistung finden sich im drastischen Anstieg psychischer Krankheiten, posttraumatischer Stresssyndrome und anderen Anhängseln.
Kommentar: Johannes Greß
Wirtschaftwissenschafter schätzen, das sich inzwischen weit über 3.000.000 eigentlich Arbeitslose in der „stillen Reserve“ befinden, die in keiner Statistik erscheinen und keine Leistungen erhalten, denn
das ist die Aufgabe der manipulierten und schön gerechneten Arbeitslosenstatistik, nämlich ein Eindruck zu erwecken, der oder die Arbeitslose oder prekär Beschäftigte sei an seiner Situation und damit verbundener Altagsarmut und Altersarmut selber Schuld. Ihm oder Ihr soll das Recht und die Moral auf sein im Grundgesetz und durch Europa verbrieftes Recht auf wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe damit verweigert werden, quasi eine Argumentations- und Rechtfertigungshilfe der Politik. Wer sich die Mühe mach die Situation zu analysieren der kann erkennen, das die Hauptursache für die Arbeitslosigkeit nach der Wendezeit dem fast völligen Zusammenbrechen und Ausschlachten der Wirtschaft in der ehemaligen DDR (von Kohls blühenden Landschaften war, außer schön gemachten Fassaden, nichts zu sehen), dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen (z.B. am Beispiel an der Metropolregion Nürnberg, bei AEG, Grundig, Zündapp, Quelle, Electrolux ua. sind durch Schließung oder Verlagerung massiv Arbeitsplätze weggefallen) und der massiven Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland geschuldet ist. Das bedeutet, das Arbeitsvolumen in der Bundesrepublik Deutschland sinkt in seiner Tendenz seit 1960. Lediglich in den Phasen der Hochkonjunktur stieg es jeweils vorübergehend an. Das Arbeitsvolumen sinkt, wenn die gesamte Wirtschaftsleistung eines Landes (BIP) langsamer wächst als die Arbeitsproduktivität (AP = Wirtschaftsleistung der Beschäftigten pro Stunde). Dies war in Deutschland langfristig seit 1960 immer der Fall, obwohl die Zahl der Arbeitskräfte um die Einwohner der DDR, Übersiedlern aus dem ehemaligen Ostblock und Zuwanderer um mehrere Millionen erhöht hat. Von Arbeitskräftemangel kann keine Rede sein, es besteht ein massives Überangebot von Arbeitskräften, die man ohne weiteres wenn man wollte und finanzielle Mittel bereitstellen wollen würde, qualifizieren könnte. Die Politik ist den einfacheren und billigeren Weg gegangen, nämlich das automatische verschwinden lassen und das Rausekeln der Arbeitslosen aus der Statistik zB. in die Stille Reserve, die freigewordenen Mittel können dann anderweitig verwendet werden (wie zB. eine Summe von 1,5 Milliarden Euro, die die Jobcenter in den letzten drei Jahren aus dem Hartz IV Fördertopf umgeschichtet haben um damit ihre eigenen Verwaltungskosten und Tariferhöhungen ihrer eigenen Mitarbeiter zu finanzieren), nützlicher Nebeneffekt für die Politiker ist, das sie Posten aufgrund ihrer geschönten Arbeitslosenzahlen leichter mit ihrer Bagage besetzen können ohne sich groß rechtfertigen zu müssen, da andere Bewerber nicht zur Verfügung stehen und standen.
Hier der Beleg für meine Darlegungen:
Die Zahl der Vollzeitstellen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Das schreibt die „Saarbrücker Zeitung“ und beruft sich dabei auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Danach wurden im zweiten Quartal dieses Jahres knapp 24,2 Millionen Vollzeitbeschäftigte gezählt. 1991, kurz nach der Wiedervereinigung, waren es noch 28,9 Millionen, also 4,7 Millionen mehr.
Hohe Beschäftigung liegt an Teilzeitjobs
Eigentlich erlebt Deutschland seit Jahren einen Beschäftigungsboom. Die Zahl der Beschäftigten wächst ungebrochen. Erst im Sommer meldete das Statistische Bundesamt einen neuen Rekord. Im zweiten Quartal zählte es 43,5 Millionen Beschäftigte.
Dieser Beschäftigungsboom geht offenbar auf Teilzeitjobs zurück. Denn seit 1991 hat sich die Zahl der Teilzeitarbeiter mehr als verdoppelt. Sie stieg von 6,3 auf gut 15 Millionen. Zu dieser Gruppe zählen neben den Arbeitnehmern mit einem versicherungspflichtigen Job auch geringfügig Beschäftigte und Ein-Euro-Jobber.
Parallel dazu ist das Arbeitsvolumen geschrumpft. Die Gesamtsumme aller geleisteten Arbeitsstunden ist im gleichen Zeitraum von knapp 52 Milliarden auf rund 50 Milliarden zurückgegangen.