Berega/Neureichenau. Warum bin ich hier gelandet? Warum lebe ich für zwei Monate in einem Land, in dem es kaum sauberes Wasser gibt, Stromausfälle alltäglich sind und jede noch so unschuldige Mücke Malaria übertragen kann? Diese Frage haben mir viele gestellt, bevor ich nach Tansania geflogen bin, ein Land im südöstlichen Afrika, das die meisten wohl mit Safaris und dem feinkörnigen Sand Sansibars in Verbindung bringen. Doch mich zog es nicht in die gut versorgten touristischen Zentren. Nein. Ich wollte das wahre Leben in Afrika kennenlernen – und nicht Urlaub machen, sondern arbeiten.
Ich heiße Katharina Rathberger, bin 22 Jahre alt, stamme aus Neureichenau und studiere Medizin. Im Laufe meiner Ausbildung muss ich mehrere Praktika absolvieren. Und nachdem ich in Krankenhäusern und Arztpraxen in Altreichenau, Waldkirchen, Wegscheid und Regensburg viel gelernt hatte, wollte ich jetzt einen weiten Sprung weg von der Heimat wagen – weg vom gewohnten Umfeld, raus aus der Komfortzone und rein ins Abenteuer. Meine Familie schwankte ob meines Vorhabens zwischen Unglauben, Freude und Besorgnis, während ich nach einem Krankenhaus suchte, in dem ich arbeiten kann. Meine Wahl fiel auf das Berega Mission Hospital, ein kleines Krankenhaus, das eine Gegend mit 200.000 Menschen versorgt und mitten im Nirgendwo der tansanianischen Berge liegt.
Raus aus einer Welt, in der sauberes Wasser selbstverständlich ist
Anfang August ging es los, nach knapp 18 Stunden Flug und sieben Stunden Autofahrt landete ich in Berega. Das Dorf selbst ist winzig. Das sind das Krankenhaus, ein Waisenhaus und viele verschachtelte Lehmhütten. Und ein paar Häuser, die für freiwillige Helfer gedacht sind. Abgesehen von zwei Amerikanerinnen, die in der örtlichen Schule unterrichten, bin ich die einzige Weiße im Ort. Die Unterkünfte für die Freiwilligen sind absoluter Luxus im Vergleich zu den Lehmhütten der restlichen Dorfbewohner. Trotzdem bedeutete es eine große Umstellung für mich, in Tansania zu leben – raus aus einer Welt, in der fließendes, sauberes Wasser und umfassende medizinische Versorgung eine Selbstverständlichkeit sind, hin zu Duschen mit einem Kübel abgekochtem Wasser und Patienten, die sich jede verordnete Behandlung vom Munde absparen müssen.
Was mich am meisten begeistert, sind die Menschen hier. Vor meiner Reise habe ich mir durchaus Sorgen gemacht, dass die Einheimischen der neuen Weißen im Dorf Misstrauen oder Neid entgegenbringen würden. Doch im Gegenteil – sie sind freundlich und hilfsbereit. Sie sind bestrebt, mir ein paar Brocken Kisuaheli beizubringen und die Gegend zu zeigen. Deshalb habe ich mich schnell eingelebt. Und während ich meine Wäsche mit der Hand wasche, montags auf dem Markt („soko“ heißt er hier) einkaufe und natürlich im Krankenhaus arbeite, kommt mir mein Leben in Deutschland ganz weit weg vor.
Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Es gibt ein kleines Labor, das etwa zehn verschiedene Blutwerte bestimmen kann, ein Röntgengerät und wenn man sehr viel Glück hat, Ultraschall. Alles andere muss man nur anhand der Krankengeschichte und körperlichen Untersuchung herausfinden. Doch genau darin liegt der Reiz. Man kann sich als Arzt nicht hinter Geräten und aufwendigen Tests verstecken, man ist ganz nah dran am Patienten und man braucht große Erfahrung, um ihm zu helfen. Was macht man beispielsweise mit einer Frau, die nach einem Motorradunfall aus Nase und Ohren blutet und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma hat, es aber weder MRT noch Neurochirurg gibt? Sollte man bei einer vermuteten tiefen Beinvenenthrombose einfach so Heparin geben ohne sich der Diagnose sicher zu sein? Und was tun, wenn ein zwei Monate altes Baby mit einer doppelten, verschobenen Oberschenkelfraktur Hilfe braucht?
Größte Hochachtung vor der hiesigen Medizin
Die Antworten auf diese Fragen sind für mich nicht immer einfach. Oft ist es schwer, zu sehen, wie die Patienten hier unter Krankheitsbildern leiden müssen, die in Deutschland ohne Weiteres behandelt werden könnten. Doch gleichzeitig habe ich große Hochachtung vor der Medizin, die hier unter widrigsten Umständen praktiziert wird, und die es immer wieder schafft, mich zum Staunen zu bringen. So wie das Frühchen, das in der 29. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen ist und sich jetzt schon seit Wochen ohne Inkubator („Brutkasten“), nur in kangas (bunte Stoffe, in die sich die Frauen hier einwickeln) gehüllt und mit Sauerstoff versorgt, durchkämpft. Oder das Outreach-Programm, in dem man in abgelegene Bergdörfer fährt und dort Schwangere untersucht und die Jüngsten impft. Oder das Kind mit schwerster Malaria, das bei der Aufnahme schon nicht mehr ansprechbar war und der Puls kaum mehr tastbar war, das wir letzte Woche vollkommen gesund entlassen konnten.
All diese Patienten haben mir gezeigt, das das Leben hier zwar hart und das Leiden groß ist, doch auch, dass meine Arbeit sinnvoll ist, dass ich zumindest im Kleinen etwas verändern und verbessern kann – das ist ein Gefühl, das man als Noch-Studentin eher selten hat. An den Wochenenden habe ich ein wenig Zeit, die Gegend zu erkunden. Mit Kollegen aus dem Krankenhaus bin ich in das Uluguru-Gebirge gewandert, in der zwei Stunden entfernten Stadt Morogoro einkaufen gegangen (nur hier gibt es Äpfel, Milch und brauchbares Internet!) und in den Mikumi Nationalpark gefahren. Letzteres einen Tag nachdem ich positiv auf Typhus getestet wurde. Aber wer Elefanten und Giraffen sehen will, muss eben die Zähne zusammenbeißen.
Jetzt beginnt meine letzte Woche im Krankenhaus. Ich habe mich eingelebt, weiß wie der Hase läuft, ich habe gesehen, wie gefährlich Malaria werden kann, ich weiß jetzt, wie man Typhus und Schistosomiasis erkennt und behandelt, weiß, wie man eine HIV-Infektion so umschreibt, dass kein Bruch des Tabus über diese Krankheit zu befürchten ist, weiß, wann sich ein Patient die verordnete Behandlung eigentlich nicht leisten kann – und doch weiß ich eigentlich noch gar nichts. Es bräuchte wohl ein ganzes Leben, um die Mentalität, die Kultur und das Leben hier vollkommen zu verstehen. Doch ich fühle mich geehrt, dass ich in den zwei Monaten hier zumindest einen kleinen Teil des tansanianischen Lebensgefühls verinnerlichen konnte und komme reich an Wissen und Erfahrungen nach Deutschland zurück.
Katharina Rathberger
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Ihre persönlichen Erlebnisse hat die Neureichenauerin Katharina Rathberger im Rahmen eines Internet-Tagesbuchs festgehalten (einfach klicken)