Grafenau/Wellington. Nach der Schule für ein Jahr als Au-pair ins Ausland. Dafür entscheiden sich viele junge Leute, die sich mit Ausbildung oder Studium noch etwas Zeit lassen wollen. So auch Karina Auer aus der kleinen Ortschaft Schlag bei Grafenau. Für sie stand nach dem Realschulabschluss fest: Erstmal eine Auszeit nehmen. Ein Jahr lang ein neues Land und neue Leute kennenlernen. Aber warum ausgerechnet ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland?
„Mein Bruder und ich haben oft gemeinsam die „Herr der Ringe„-Filme geschaut, die ja zum Teil in Neuseeland gedreht wurden. Irgendwann habe ich dann angefangen, auch Bücher zu wälzen und mir Dokumentationen anzusehen – und es hat mir gefallen“, beschreibt Karina ihre damals ersten Reisepläne. Im Juni 2010 war es schließlich soweit: Sie verließ Familie, Freunde und Heimat und setzte sich in ein Flugzeug, um in das fast 20.000 Kilometer entfernte Wellington zu reisen. Keiner ahnte damals, dass es ein Abschied für eine sehr lange Zeit werden würde. Hog’n-Mitarbeiterin Vera Neumann erzählte die heute 21-jährige Studentin, wie sie die erste Zeit bei den „Kiwis“ erlebt hat und wie aus einem Jahr nun schon fast vier Jahre geworden sind. Out of da Woid!
„Ich habe aus dem Fenster geschaut und konnte es kaum glauben“
Der Flug um die halbe Welt dauerte lang. „Es war sehr windig und grau als ich ankam“, erzählt Karina. „Meine Gasteltern Guy und Andrea haben mich vom Flughafen abgeholt, aber wegen Schneetreiben und eines Unfalls auf der Straße kamen wir erst sehr spät abends Zuhause an – da bin ich dann sofort ins Bett gegangen.“ Am nächsten Tag bot sich dem Neuankömmling dann ein anderes Bild: „Ich bin aufgewacht und habe aus dem Fenster geschaut – und konnte kaum glauben, dass ich in Neuseeland bin. Überall Schafe und grüne Wiesen soweit das Auge reicht!“ Lange brauchte die Waidlerin nicht, um sich einzuleben – jeder hat dazu beigetragen, dass sie sich von Anfang an wohlfühlte. Sie kümmerte sich von nun an um die beiden Kinder Jono und Lucy, damals drei und knapp zwei Jahre alt. „Am Anfang war alles etwas schwieriger, weil ich kaum Englisch verstanden habe. Die Kinder und ich kamen gleich gut zurecht. Ich konnte gut mit ihnen die Sprache lernen, auch zusammen Kinderbücher zu lesen hat mir sehr geholfen.“ Auch alle anderen, die Karina anfangs kennengelernt hatte, haben sich große Mühe mit ihr gegeben, sagt sie. Die Sprachprobleme wurden mit der Zeit immer weniger. Mittlerweile spricht sie Englisch fließend und gibt zu, dass ihr die deutsche Sprache etwas schwer fällt.
„Mir war es wichtig, viele Neuseeländer kennenzulernen“
Seit März 2012 studiert die ehemalige Realschülerin an der Victoria University in Wellington und möchte ihren Bachelor in Music Studies machen. Um überhaupt das Studium beginnen zu können, musste Karina vorher einen achtmonatigen Kurs für ausländische Studieninteressierte absolvieren, der schwerpunktmäßig Rechtschreibung und Grammatik, aber auch die Geschichte und Politik Neuseelands behandelte. Nachdem sie dies gemeistert hatte, reichen ihre Pläne noch weiter: „Ich würde gerne einen Master in Musik-Therapie dranhängen und auf diesem Gebiet einen Job finden – egal ob in Neuseeland oder woanders auf der Welt.“
Mit dem Studium hat sich Karinas Alltag komplett verändert. Sie muss viel nebenher arbeiten, um sich Ausbildung und Freizeit finanzieren zu können – staatliche Hilfen bekommt sie nicht. Drei Tage die Woche ist sie an der Uni, alle anderen sowie an den Wochenenden sind von verschiedenen Jobs geprägt, wie etwa Baby-Sitting in Wellington sowie Kellnern auf Hochzeiten oder im Restaurant. Als Au-pair verbrachte Karina die meiste Zeit mit den Kindern ihrer Gastfamilie, samstags und sonntags verbrachte sie in der Regel mit ihren Freunden. Die Grafenauerin lernte so auch weitere Au-pairs aus Deutschland kennen. Doch von Anfang an hat sie den Kontakt zu den Einheimischen gesucht. „Andere Au-pairs hingen immer nur mit ihren Landsleuten rum – mir war es wichtig, viele Neuseeländer zu treffen und zu sehen, wie sie ihre Freizeit verbringen.“
Rugby World Cup: „Das Land spielte verrückt – alle haben gefeiert“
Noch vor Karinas Abreise aus Deutschland witzelten manche ihrer Freunde: „Nicht, dass Du Dich da unten verliebst und dann am Ende nicht mehr heimkommst!“ Und als hätten sie’s geahnt: Eines Tages hat Karina Tyron getroffen. „Er war immer mit uns unterwegs“, erzählt sie. „Er und sein Kumpel haben mir und einer Freundin viel von der Gegend gezeigt.“ Die beiden kamen sich näher – und so wurde Tyron schließlich zu einem der Gründe, warum sich die Waidlerin gegen Ende ihres Aufenthalts dazu entschieden hat, diesen für unbestimmte Zeit zu verlängern. „Ich weiß nicht mehr genau, wann ich beschlossen habe, zu bleiben. Anfangs hatte ich auch so meine Zweifel. Aber mein Freund lebt hier und ich hatte auch noch nicht alles von der Insel gesehen“, erinnert sie sich. Heute bereut sie es kein bisschen.
Ein Erlebnis, das sie so schnell nicht vergessen wird, war der Rugby World Cup 2011. „Das ganze Land spielte verrückt – es war fast so wie bei der Fußball-WM in Deutschland“, erzählt Karina, mittlerweile ein echter All Blacks-Fan. „Tyron und ein paar seiner Freunde hatten schon im Jahr davor Karten für das Spiel Neuseeland gegen Frankreich gekauft – die Mannschaften sind große Rivalen. Einer musste kurzfristig absagen – also habe ich die Karte für das Spiel bekommen! Das war ein tolles Erlebnis, alle haben gefeiert, weil die Kiwis gewonnen haben.“
„Das Leben hier ist einfacher – aber dahoam is hoid doch dahoam“
Ob sie irgendwann mal wieder in den Woid zurück möchte? Ja. „Ich möchte Tyron meine Heimat zeigen“, erzählt die 21-Jährige. Einerseits würde sie sich auch im Grafenauer Land wohlfühlen, klar. Andererseits würde sie sicher die Mentalität der Kiwis vermissen, denn: „Die Neuseeländer genießen jeden Tag – das Leben ist einfacher, alles ist so unkompliziert. Aber dahoam is hoid doch dahoam.“ Nachhause geflogen ist sie in den gut drei Jahren noch nicht. „Dafür habe ich schon sehr viel von Neuseeland gesehen. Von den warmen Stränden in der Coromandel Peninsula im Norden der Nordinsel, bis zu den Schneebergen auf der Südinsel. Ich war Skifahren auf dem Mount Ruhapehu und schwimmen in Flüssen und im Meer“, schwärmt die Wahl-Neuseeländerin. „Hinter jeder Kurve könnte die Natur etwas neues zum Vorschein bringen.“
An das Autofahren hat sie sich aber erst gewöhnen müssen: In Neuseeland fährt man nämlich auf der linken Straßenseite. „Das war am Anfang etwas verwirrend – und ich bin auch öfters auf der falschen Seite gefahren“, gibt Karina zu und lacht.
Was sie besonders vermisst aus der Heimat? „Familie, Freunde und richtiges Brot! Hier gibt es nur Toastbrot“, klagt sie ihr „Leid“. „Aber mittlerweile habe ich mich so gut eingelebt, dass ich mir kaum Gedanken darüber mache, was hier anders ist als in Deutschland …“
Vera Neumann