Perlesreut. Zigarre um Zigarre rollt eine junge Frau an einem alten, abgewetzten Holztisch. Dafür streicht sie mit einem großen Pinsel ein dunkelbraunes, ledriges Tabakblatt mit Zigarrenkleber aus Stärke und Wasser ein, bevor sie es fingerfertig in drei gleich große Teile schneidet und jeweils einen Teil um das bereits vorbereitete Innenleben einer Zigarre rollt. Draußen ist es heiß. Das Thermometer zeigt knapp 30 Grad im Schatten. Doch hinter den alten Mauern der Zigarrenmanufaktur ist es angenehm kühl – nur das alles überlagernde Aroma der Tabakblätter hängt schwer in der Luft.

Echte Handarbeit: Seit fast 100 Jahren werden in der „Cigarrenfabrik Wolf & Ruhland“ in Perlesreut im Bayerischen Wald handgerollte Zigarillos und Zigarren hergestellt.
Was sich anfühlt wie Havanna ist Perlesreut im Landkreis Freyung-Grafenau. In der Marktgemeinde liegt, ein bisschen versteckt in einem Hinterhof, die Zigarrenmanufaktur „Wolf & Ruhland“. Cornelia Stix leitet in dritter Generation den Familienbetrieb. „Viele lächeln süffisant, wenn ich sage, dass wir zehn Mitarbeiter haben“, sagt Stix. „Aber wir haben noch Mitarbeiter. Viele Zigarrenmanufakturen, die in den letzten hundert Jahren entstanden sind, mussten schließen.“ Stix‘ Manufaktur ist die letzte ihrer Art in Bayern, die noch Zigarren von Hand rollt.
„Dankbar für die Arbeit und dankbar für das Geld“
1909 gründete der Mannheimer Kaufmann Hermann Wolf mit seiner Schwägerin Käthe Ruhland die Zigarrenfabrik – und zwar in München. Denn ursprünglich war die Manufaktur in Perlesreut nur ein Zweitwerk. Die Fabrik in München wurde nämlich so erfolgreich, dass Wolf und Ruhland 1917 einen Standort für ein zweites Werk suchten. Dank der Freundschaft mit Karl Hilz, dem Großvater von Cornelia Stix, entschied sich Wolf für das Bayerwald-Dorf Perlesreut – und stellte 170 Mitarbeiter ein.
„Bei uns waren die Leute noch dankbar“, sagt Stix. „Dankbar für die Arbeit und dankbar für das Geld.“ Darum nannten die Perlesreuter den Firmenchef bald „Vater Wolf“. Sein Bild hängt noch heute an einer Wand in der kleinen Fabrik. Mit Vollbart und runder Brille lächelt der kräftige Patriarch auf die Arbeiterinnen hinab.
Die Zigarren werden in Perlesreut noch immer wie vor hundert Jahren hergestellt. Bianca Hofbauer ist eine von acht Zigarrenrollerinnen, die in der Fabrik angestellt sind. Bis zu 250 Zigarren schafft sie an einem Vormittag. Lediglich eine Maschine hilft ihr bei der Arbeit. Diese ist laut und wuchtig und stellt die Wickel her – also das Innenleben der Zigarre. Und ist selbst schon mehr als 60 Jahre alt.

Die „Torcata Torpedo“ ist die größte Zigarre im Sortiment. Sie wird einzeln in Holzkistchen verpackt und mit handgeschriebener Banderole versehen.
Für manche Zigarrenstile stellen die Frauen die Wickel auch in Handarbeit her – an einer Rollapparatur, die mit dem Fuß bedient wird. Dabei wird ein befeuchtetes Umblatt mit ausgewählten Tabaksorten befüllt. Insgesamt hat die Manufaktur 13 Formate im Sortiment. Von der größten, der „Toccata Torpedo„, deren Banderole die Firmenchefin von Hand beschriftet, bis zu den kleinen Zigarillos, die in Holzschachteln verkauft werden. Bianca Hofbauer arbeitet heute an der Virginia-Zigarre, dem Markenzeichen der Manufaktur.
„Ich liebe meine Heimat einfach viel zu sehr“
Diese schmale Zigarre mag Geschäftsführerin Cornelia Stix am liebsten: „Ihr Duft ist fantastisch. Nach Geräuchertem und Honig – eigentlich riecht die Virginia wie der Bayerische Wald.“ Für den besonderen Geschmack der Zigarren ist Stix‘ Sohn Martin zuständig. Er kümmert sich darum, dass die Tabakmischung stimmt und die Zigarren immer gleich schmecken. Die genauen Mischungen sind geheim, einige Rezepturen stammen noch von Karl Hilz, andere wurden dem heutigen Kundengeschmack angepasst. Aber: „Geschmacksverstärker oder Parfümierungen kommen bei uns sicherlich nicht in die Zigarre“, sagt Cornelia Stix.
Den Tabak bezieht die Firmenchefin aus Java, Sumatra oder Mexiko. Die teure Ware gelangt über den Seeweg nach Europa – ein großes hölzernes Schiff über den Arbeiterinnen erinnert daran. Lastwagen bringen den Tabak dann nach Perlesreut. Doch ganz einfach ist das nicht. Von der Autobahn bis nach Perlesreut sind es knapp 30 Kilometer, die Straßen sind schmal und die Kurven eng – oft geht es durch den Wald und die meiste Zeit bergauf. Das kostet die Lastwagenfahrer viel Zeit – und vor allem viele Nerven. Schon oft hat Stix überlegt, ihre Manufaktur näher an die Autobahn zu verlegen. Aber sie hat den Gedanken immer wieder verworfen. „Ich liebe meine Heimat einfach viel zu sehr“, sagt die Firmeninhaberin, „ich kann hier doch nicht einfach weg.“
Der Wendepunkt in der Firmengeschichte kam nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit den US-Soldaten hielt in Deutschland die Zigarette Einzug – die Zigarre war bald nicht mehr zeitgemäß. Das Stammwerk in München ist schon vor vielen Jahren geschlossen worden. Auch in Perlesreut fielen viele Stellen weg. In dieser schwierigen Zeit übernahm Karl Hilz die Firma.
„Das möchte ich meinen Kindern eigentlich nicht antun“
Allein von der Zigarrenproduktion ließ sich aber bald nicht mehr leben. Sein Sohn Hermann Hilz hielt sich mit einer Tankstelle und einer Autowerkstatt über Wasser. Auch Cornelia Stix, die seit 2006 das Unternehmen führt, hat einen zweiten Beruf – sie ist Lehrerin. „Es ist schwierig, die Manufaktur zu halten“, sagt sie. „Man wird nicht reich damit. Aber man kann über die Runden kommen und man kann die alten Gebäude erhalten – aber es ist nicht rentabel.“ Jeder Betriebswirtschaftler würde ihr „den Vogel zeigen“, sagt die 55-jährige Firmeninhaberin. Sie sieht ihre Aufgabe darin, die Firma lebendig zu erhalten. Aufgeben komme für sie nicht in Frage – „weil mein Herzblut dranhängt“, sagt sie.
Außer den acht Zigarrenrollerinnen arbeiten Stix‘ Mann, ihre Mutter und die erwachsenen Kinder in der Manufaktur mit. „Wir sind ein Familienbetrieb, da helfen alle zusammen. Oder müssen zusammenhelfen“, erklärt Stix und lacht. Ob einmal eines ihrer Kinder die Manufaktur übernehmen wird, kann sie heute noch nicht sagen. „Auch der Martin hängt wahnsinnig an der Firma, aber ich weiß, was für eine unfassbare Arbeit dranhängt“, sagt Stix. „Das möchte ich meinen Kindern eigentlich nicht antun.“ Trotzdem ist es ihr Herzenswunsch, dass es irgendwie weitergeht. Der Tradition zuliebe.
Text und Fotos: Stephanie Probst