Finsterau. Es stand Spitz auf Knopf. Keiner wusste so recht, ob die Pisten halten, ob überhaupt alle Wettkämpfe durchgeführt werden können. Tauwetter, starke Regenfälle und stürmischer Wind haben die Schneereserven im über 1.000 Meter hoch gelegenen Skistadion in Finsterau regelrecht dahinsiechen lassen. Der Langlauf- und Biathlon-Weltcup für Menschen mit Handicap stand kurz vor dem Aus. Der „Worst Case“ konnte aber glücklicherweise noch abgewendet werden. Zum einen zeigte sich das Wetter wieder von seiner winterlichen Seite. Zum anderen haben die vielen fleißigen Helfer ganze Arbeit geleistet: In unzähligen Nacht-Stunden haben sie den Schnee herangekarrt und bearbeitet, sodass die Wettkämpfe am Ende doch noch stattfinden konnten.
Von 7 bis 20 Uhr im Einsatz
Ein Kraftakt, den vor allem Sigi Köck mit Argusaugen beobachtete. Der 61-Jährige ist Stadionchef. Täglich zeichnet er dafür verantwortlich, dass die vielen Absperrungen, die unzähligen Wegweiser und der Startbereich im Finsterauer Stadion auf- und später wieder abgebaut werden. „Das ist nötig, weil natürlich jeden Tag der Schnee neu bearbeitet werden muss. Wir wollen ja einwandfreie Bedingungen“, erklärt der Finsterauer, während er den Athleten beim Aufwärmen zuschaut. Heute – die Langläufer starten über die lange Distanz – ist Köck mit dem frostigen Wetter und den Pistenverhältnissen zufrieden. Von 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends ist er an diesem Tag wieder vor Ort, eventuell auftretende Probleme sollen schnellstmöglich aus der Welt geschaffen werfen. Um dies alles bewältigen zu können, hat er sich extra Urlaub genommen.
Impressionen vom IPC Weltcup mit einer Einschätzung von Chef-Organisator Christian Eder:
So wie viele seiner 249 Kollegen. Der SV Finsterau um Vorsitzenden Christian Eder hat das Sport-Event auf ehrenamtliche Beine gestellt – unterstützt vom Landkreis und einer kleinen Abordnung der Freyunger Bundeswehr. Keine einfache Aufgabe, wenn man bedenkt, dass im kleinen Bayerwald-Dorf an der tschechischen Grenze der größte Weltcup dieser Art stattfindet, wie Christian Eder nicht ohne Stolz erklärt. Rund 130 Athleten aus 19 Nationen gehen bei den insgesamt acht Wettkämpfen an den Start. Inklusive Trainingseinheiten sowie Eröffnungs- und Abschlussfeier dauert die Veranstaltung ganze zehn Tage. Enorme Dimensionen – immerhin hat Finsterau gerade einmal 500 Einwohner.
„Irgendwer muss ja helfen“
Und diese scheinen an diesen Tagen ausnahmslos Wintersport im Kopf zu haben. Jeder hilft mit, jeder wird gebraucht. Darunter auch Andreas Wilhelm. Ohne ihn geht gar nichts. Der 43-Jährige ist als Chauffeur eines Neunsitzers dafür zuständig, dass die Athleten von ihren Unterkünften zur Wettkampfstätte kommen, dass die Zuschauer von den Parkplätzen ins Skistadion gelangen. „Egal, ob Fahrten nach Mauth oder Hohenau – ich bin täglich von 7.30 Uhr bis 17 Uhr im Einsatz“, beschreibt er sein Arbeitspensum. Als Saisonarbeiter ist er in der kalten Jahreszeit nicht auf Montage, hat in diesen Tagen praktisch Winter-Urlaub. Für ihn ist es deshalb selbstverständlich, dass er beim IPC-Weltcup mit dabei ist. „Irgendwer muss ja helfen“, erzählt er in seiner sehr pragmatischen Art und Weise.
Olympiasiegerin vom (Böhm-)Winde verweht
Zwei, die Wilhelm gerade im Start-/Zielbereich hat aussteigen lassen, sind Anja und Volker Wicker. In der Szene der paralympischen Sportler ist die 24-Jährige keine Unbekannte, darf sie sich seit den Winterspielen in Sotschi doch Olympia-Siegerin nennen. In Finsterau belegte sie bisher einen 6. Platz. Es wäre mehr drin gewesen, wie sie selbstkritisch zurückblickt, aber „der Wind hat mir größere Probleme bereitet“. Da die beiden Stuttgarter sehr angetan sind von der Organisation und den Bedingungen im Bayerwald, lassen sie es sich nicht nehmen, an für sie wettkampffreien Tagen auch die anderen Rennen zu beobachten. „Die Verantwortlichen geben sich sehr viel Mühe. Man fühlt sich wohl hier. Deshalb freue ich mich schon jetzt auf die Weltmeisterschaften im kommenden Jahr.“
Ricco Groß zählt er zu seinen Freunden
Währenddessen geht Erich Grünzinger am Biathlon-Stand ganz vertieft seiner Arbeit nach. Die Vorbereitungen fürs Nachmittagstraining laufen. Geübt befreit er die Schießstände vom Neuschnee, erklärt mit schnellen Handbewegungen, dass die Liegeflächen „haargenau im Wasser“ liegen müssen – und dass er während der Wettkämpfe jeweils bis zu 30 Helfer benötigt. „Da kann ich schon ein bisschen lauter werden“, erzählt er. „Aber das muss sein – wir wollen ja, dass alles reibungslos hinhaut.“ Da er seit jeher eine Leidenschaft für den Biathlonsport hat und den ehemaligen Weltklasse-Athleten Ricco Groß zu seinen Freunden zählt, wurde er eigenen Aussagen zufolge schlichtweg in logischer Konsequenz zum Biathlon-Chef ernannt. „Ja, mei. So ist das halt“, kommentiert er diese „Berufung“ mit einem Schulterzucken. Glücklicherweise ist der Landratsamts-Mitarbeiter während des IPC-Weltcups vom Dienst befreit. Während der Vorbereitungen seien aber auch schon einige Urlaubstage draufgegangen.
110 laut gröllende Schüler aus Neuschönau
Etwas weiter vorne, im Startbereich, jubelt indes eine Gruppe junger Fans den Langläufern mit Handicap zu. Die Heinz-Theujahr-Grundschule Neuschönau ist heute nach Finsterau gekommen. Und egal, welcher Nation der jeweilige Athlet angehört – die knapp 110 Kinder feuern jeden frenetisch an. Gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass die Buben und Mädchen mit ihren mit Brotzeit und Pausentee gefüllten Rücksäcken auf die Absperrgitter klettern, um alles überblicken zu können. Wenn schon Fan, dann richtig. Ihre Lehrerin Doris Stadler (42) erklärt: „Wir möchten den Kindern zeigen, dass man auch mit einem Handicap tolle Leistungen vollbringen kann. Außerdem ist ja die ganze Welt zu Gast in Finsterau – die vielen verschiedenen Nationen sind für die Kinder sehr interessant.“
14-Stunden-Reise ins „perfekte Finsterau“
Koreaner, Ukrainer, Briten, Finnen und Schweden – das Sprachen-Durcheinander im deutsch-tschechischen Grenzgebiet nimmt fast schon babylonische Ausmaße an. Ein Musterbeispiel dafür ist Kaspar Werz. Der 63-Jährige ist Trainer der kanadischen Abordnung. Neben seiner Landessprache beherrscht der Sohn einer Schweizerin auch Deutsch. Angesprochen auf den Weltcup in der Gemeinde Mauth gerät er regelrecht ins Schwärmen: „Die Strecken sind top, das Essen gut, die Leute sympathisch – einfach perfekt.“ Zwölf Stunden Flugzeit und zwei Stunden Fahrzeit von München in den Bayerischen Wald liegen hinter dem Team Kanada. Finsterau gehört zu seinen Favoriten im Weltcup-Kalender.
–> Ergebnisse und weitere Infos rund um den IPC-Weltcup in Finsterau gibt’s hier (einfach klicken)
Helmut Weigerstorfer