Zugegeben: Regeln, Gesetze und Richtlinien rings um den Naturschutz und den Nationalpark Bayerischer Wald sind nicht gerade die leichteste Kost – und daher für Laien oft schwer nachzuvollziehen. Dies ist sicher auch mit ein Grund, warum immer wieder dieselben Themen Gegenstand heftiger öffentlicher Debatten sind. In ihrer Replik auf das Hog’n-Interview mit Hubert Demmelbauer möchte die Nationalparkverwaltung für alle, die es wirklich einmal genau interessiert, eine Faktenübersicht zur Verfügung stellen, die Missverständnisse aufklären und falsche Interpretationen klar und transparent ausräumen soll.
Jedoch auch Hubert Demmelbauer, Forstbeamter im Ruhestand und Vorsitzender der „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e. V.“, scheint Bedarf an ein wenig Nachhilfe in Sachen Naturzone, IUCN-Richtlinien und Nationalparkverordnung zu haben und könnte daher von den Ausführungen profitieren. Er möchte, dass Richtlinien eingehalten werden? Das möchte die Nationalparkverwaltung auch! Ein Text von Nationalpark-Pressesprecherin Kristin Beck.
- Nationalpark versus Wildnisgebiet – Eine kleine IUCN-Kategorien-Kunde
- 75 Prozent Naturzone und internationale Anerkennung als Nationalpark
- Ausweisung von Naturzonen in Hochlagenwäldern – Recht oder nicht Recht?
Nationalpark versus Wildnisgebiet – Eine kleine IUCN-Kategorien-Kunde
Der Nationalpark Bayerischer Wald wird nach den Richtlinien der Weltnaturschutzorganisation IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources), die für die Kategorisierung von Schutzgebieten weltweit zuständig ist, als Schutzgebiet der Kategorie II, also als „Nationalpark“ verwaltet und entwickelt. Eine Entwicklung nach Kategorie Ib, also als sogenanntes „Wildnisgebiet“, wie von Herrn Demmelbauer befürchtet, steht nicht zur Debatte. Auch das aktuelle Management des Nationalparks Bayerischer Wald gibt keinerlei Anlass, dies anzunehmen.
Um das zu verstehen, muss man sich den Unterschied zwischen den beiden Kategorien verdeutlichen. Als Nationalpark, also Schutzgebiete der Kategorie II, definiert die IUCN „große natürliche oder naturnahe Gebiete, die dem Schutz ökologischer Prozesse großen Maßstabs sowie den dazugehörigen, regionaltypischen Arten und Ökosystemeigenschaften dienen, und die gleichzeitig eine Grundlage für eine umwelt- und kulturell verträgliche Besuchsmöglichkeiten zum Zweck der Bildung, Erholung, Wissenschaft und für spirituelle Zwecke bieten.“
Kategorie Ib, also ein Wildnisgebiet, ist definiert als „Schutzgebiet für meist großräumige Areale in unverändertem Naturzustand oder nur wenig beeinflusste Gebiete, die ihren natürlichen Charakter bewahrt haben. Diese Gebiete sind ohne menschliche Besiedelung und werden so gemanagt, dass sie ihren Naturzustand behalten.“ Von Gebieten der Kategorie II unterscheiden sie sich unter anderem dadurch, dass Besuchernutzung – wenn überhaupt – nur sehr eingeschränkt zugelassen wird und auf diejenigen beschränkt ist, „die die Fähigkeiten und die Ausrüstung haben, ohne Hilfestellung in der Wildnis zu überleben.“
Das ausgedehnte markierte Wander- und Radwegenetz im Nationalpark Bayerischer Wald (insgesamt rund 500 Kilometer), die mit großen Investitionen eingerichtete und mit großem Aufwand unterhaltene Besucherinfrastruktur (zwei Nationalparkzentren mit Info-Häusern und zwei Jugendbildungseinrichtungen direkt im Nationalpark, die rund 40 Parkplätze als Wanderzubringer im oder direkt am Nationalpark, 300 Bänke – zum Teil mit Tischen, 870 Wegweiser, 220 große und 570 kleine Infotafeln etc.), eine Zonierung, bei der rund 60 Prozent der Nationalparkfläche vollkommen frei betretbar sind und nur im Kerngebiet – zirka 40 Prozent der Nationalparkfläche – ein Wegegebot gilt (vergl. „Verordnung über die Einschränkung des Betretungsrechts im Nationalpark Bayerischer Wald“) und nicht zuletzt die rund 1 Million Besucher im Jahr (zum Vergleich: Schloss Neuschwanstein, eine von Bayerns Top-Touristenattraktionen, hat 1,5 Millionen) machen deutlich, dass von stark eingeschränkten und streng regulierten Besuchsmöglichkeiten nur für Wildniserprobte und einer vornehmlichen Zweckbestimmung für Naturschutz und Forschung, wie für Kategorie Ib vorgesehen, nicht die Rede sein kann.
75 Prozent Naturzone und internationale Anerkennung als Nationalpark
Bis zum Jahr 2027 sind 75 Prozent des Nationalparkgebiets zu einer Fläche zu entwickeln, auf die der Mensch keinen Einfluss nimmt. Diese Flächenanteile sind die sogenannten und viel debattierten „Naturzonen“, in denen als natürliche Prozesse z. B. Borkenkäferdynamik zugelassen und Windwürfe nicht aufgearbeitet werden. Die 75 Prozent und der Zeitraum sind in der vom Bayerischen Landtag und der Bayerischen Staatsregierung beschlossenen Nationalparkverordnung festgelegt, die den Charakter einer gesetzlichen Vorschrift hat und deshalb verbindlich von der Nationalparkverwaltung einzuhalten ist.
Dass die 75 Prozent in die Nationalparkverordnung aufgenommen wurden, beruht auf Richtlinien der IUCN für Schutzgebiete, die sich um internationale Anerkennung in einer bestimmten Kategorie bewerben: „Die 75-Prozent-Regel: Das für die Kategorie definierte Hauptziel soll für mindestens drei Viertel der Schutzgebietsfläche gelten“ (vergl. Originalrichtlinien der IUCN, S. 35). Bei Kategorie II ist dieses Hauptziel, wie bereits beschrieben und für den Nationalpark Bayerischer Wald umgesetzt, der Schutz ökologischer Prozesse großen Maßstabs (= „Natur Natur sein lassen“) bei gleichzeitiger umwelt- und kulturell verträglicher Besuchernutzung.
Nationalparke – ob in Deutschland oder im Ausland -, die zurzeit weniger als 75 Prozent Naturzone ausweisen, haben in der Regel die Zielmarke von 75 Prozent in ihren Verwaltungsvorschriften für die Zukunft festgehalten und gelten als sogenannte „Entwicklungsnationalparke“ (vergl. z. B. Nationalpark Harz). Deshalb werden sie als Nationalpark nach IUCN II gelistet. Die IUCN überprüft die bei ihr gemeldeten Schutzgebiete regelmäßig, unter anderem auf dauerhafte Defizite im Kategorie-gerechten Management. Werden solche Defizite festgestellt, werden sie von der IUCN angemahnt und eine Aberkennung bzw. Änderung der Kategorie ist in letzter Konsequenz möglich (vergl. Originalrichtlinien der IUCN, S. 44).
Es ist daher nicht korrekt, wenn Hubert Demmelbauer behauptet, dass die 75-Prozent-Naturzone nichts mit der internationalen Anerkennung als Nationalpark zu tun habe. Wenn der Prozessschutz in einem Schutzgebiet nicht ausreichend gesichert ist, liegt im Grunde „nur“ ein Landschaftsschutzgebiet vor (vergl. Original-IUCN-Definition Schutzgebiet-Kategorie V), womit seine besondere Naturausstattung gefährdet ist und der Leuchtturm-Charakter, den ein Nationalpark nicht zuletzt für Besucher entfaltet, verloren geht. So belegt beispielsweise eine aktuelle Besucherbefragung im Nationalpark Bayerischer Wald: Für rund 60 Prozent der Besucher spielte der Status Nationalpark eine große Rolle bei der Entscheidung für einen Besuch des Gebietes. Gut ein Fünftel wären ohne diesen Status gar nicht angereist. Außerdem waren 96 Prozent der Besucher mit dem Nationalpark als Erholungsgebiet zufrieden oder sehr zufrieden. Wenn Hubert Demmelbauer also eine Lockerung des Prozessschutzes für den Nationalpark Bayerischer Wald fordert, fordert er automatisch eine Änderung der Schutzkategorie und ist damit – entgegen seiner Aussage im Interview – in der Tat ein Gegner dieses Nationalparks. Oder, wenn das Label Nationalpark beibehalten werden soll, schlägt er damit im Grunde vor, dass Deutschlands erster und ältester Nationalpark, Vorreiter und Vorbild für viele andere Naturschutzprojekte dieser Größenordnung, qualitativ zur Mogelpackung wird.
Ausweisung von Naturzonen in Hochlagenwäldern – Recht oder nicht Recht?
Um bis zum Jahr 2027 das vorgeschriebene Ziel von 75 Prozent Naturzone zu erreichen, soll die dafür erforderliche Erweiterung „kontinuierlich und in angemessenen Schritten“ erfolgen, nicht etwa auf einen Streich am Ende der Entwicklungsphase. Das legt die Nationalparkverordnung fest. Wie diese Schritte genau aussehen sollen, beschreibt der Nationalparkplan (vergl. §12a, Nationalparkverordnung).
Festzustellen ist also, dass die Nationalparkverordnung die Ausweisung von Naturzonen im Hochlagenbereich des Falkenstein-Rachel-Gebietes schon vor 2027 nicht zwingend ausschließt. Der von der Nationalparkverwaltung im vergangenen Jahr vorgeschlagene erweiterte Naturzonenausweisung in den Borkenkäfer- und Windwurf-betroffenen Hochlagen des Erweiterungsgebietes ist also mitnichten ein Verstoß gegen die Nationalparkverordnung und damit auch kein Rechtsbruch, wie Hubert Demmelbauer behauptet.
Voraussetzung für eine solche Maßnahme ist vielmehr eine Fortschreibung des Nationalparkplans unter Berücksichtigung der aktuellen Waldentwicklung im Falkenstein-Rachel-Gebiet: Bedingt durch zwei Stürme 2007 und 2011 sind dort in den Hochlagen trotz Borkenkäfermanagement große Flächen entstanden, in denen kein reifer Fichtenwald mit älteren Bäumen mehr besteht, den man aktuell vor Borkenkäferbefall schützen kann und muss. Darüber hinaus lässt sich auf diesen Flächen eine Naturverjüngung von im Schnitt gut 2.800 Jungfichen je Hektar nachweisen (siehe Berichte aus dem Nationalpark, Heft 8/12: Waldentwicklung im Nationalpark Bayerischer Wald in den Jahren 2006 bis 2011, S. 36). Zum Vergleich: Wenn Fichtenwälder nach vergleichbaren natürlichen Störungen künstlich aufgeforstet werden, werden in der Regel zwischen 1.200 und 2.500 Jungfichten pro Hektar eingesetzt („Beim Setzen schon ans Ernten denken“. Der Fortschrittliche Landwirt, Graz, (8): 8-9, Neumann, M. (2003)).
Die Fortschreibung des Nationalparkplans zur Anpassung an Entwicklungen im Erweiterungsgebiet ist in seiner derzeit gültigen Ausgabe explizit vorgesehen (vergl. Nationalparkplan-Anlageband „Walderhaltungs- und Waldpflegemaßnahmen“, S. 7). Da der Nationalparkplan und somit konkrete Planungen für Naturzonenausweisungen – entgegen den Behauptungen von Hubert Demmelbauer – keine vom Landtag zu billigenden Richtlinien oder Managementvorgaben sind, erfolgt die Genehmigung einer Nationalparkplanänderung durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz nach Anhörung des Nationalparkfachbeirats und im Benehmen mit den Staatsministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie (vergl. §7 Nationalparkverordnung). Der Kommunale Nationalparkausschuss, der gemäß §16 Nationalparkverordnung „bei der Ausarbeitung und Aufstellung des […] Nationalparkplans mitwirkt“, wird selbstverständlich in seinem üblichen Mitsprache- und Abstimmungsverfahren ebenfalls in das Fortschreibungsverfahren einbezogen. § 14 der Nationalparkverordnung, der sich mit Maßnahmen zum Erhalt noch bestehender Fichtenwälder in den Hochlagen befasst, wird von einer derartigen Nationalparkplan-Fortschreibung nicht berührt.
Bestätigt wird die hier geschilderte Rechtslage übrigens durch eine rechtliche Überprüfung durch das Umweltministerium. Anwürfe, es werde Recht gebrochen, weist die Nationalparkverwaltung daher mit Nachdruck zurück.
Kristin Beck
Nationalpark Bayerischer Wald
Richtig so!
Herr Demmelhuber hat das Konzept des Nationalparks nicht verstanden, das ist alles!
Der Park muss nicht vor dem Käfer geschützt werden, sondern in erster Linie vor dem Menschen! Das geht nur, wenn man Natur Natur sein lässt!
Besuchsrecht für Homo sapiens JA
Hausrecht für Homo sapiens NEIN
Der Wald war vor dem Menschen da und hat Jahrmillionen ohne uns erst zu dem werden können, was er ist. Ganz ohne Bewirtschaftung, siehe und staune!