Zwiesel. „Manchmal fallen diese Gespräche heftiger aus, manchmal ganz ruhig. Heuer ist es extrem“, sagte Nationalpark-Chef Dr. Franz Leibl kürzlich im Hog’n-Interview. Er meinte damit vor allem die Diskussionen mit der „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e.V.“ Doch was verbirgt sich hinter deren Kritik am Nationalpark Bayerischer Wald, zuletzt vor allem an den geplanten Ausweisungen von neuen Naturzonen? Welche Vorstellungen hat der Verein, der aus einer Bürgerinitiative gegen die nördliche Erweiterung des Nationalparks Mitte der Neunziger hervorging? Wie stellt sich die Gruppe um Vorstand Hubert Demmelbauer den Nationalpark vor? Das Onlinemagazin „da Hog’n“ hat versucht, gemeinsam mit dem 68-jährigen Vereinsvorsitzenden und früheren Leiter des Forstamtes Zwiesel diese Fragen zu beantworten.
Herr Demmelbauer, welche Ziele verfolgt die „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e.V.“?
Unser Anliegen ist es, dass der Bayerische Wald als naturnahes Waldgebiet möglichst unversehrt auf Dauer erhalten wird. Wir wollen, dass insbesondere die Wälder des Nationalparks unter Einhaltung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen verwaltet werden, damit sie ihre Schutz- und Wohlfahrtswirkungen erfüllen können. Hierzu zählen der Schutz der biologischen Vielfalt, die Sicherung eines ausgeglichenen Wasserhaushalts und speziell auch die Förderung von Tourismus und Erholung. Die Bürgerbewegung will nicht, dass der Wald total sich selbst überlassen wird, wie von den „Prozessschützern“ gefordert. Mit deren Ansprüchen sind wir nicht einverstanden, weil die fortschreitende Verwilderung der Landschaft mit ungewissem Ausgang nicht dem Zweck eines Nationalparks entspricht. Vielmehr soll unser wertvolles Naturerbe auch für künftige Generationen pfleglich bewahrt werden. Das ist nur möglich, wenn minimale, regulierende Eingriffe erfolgen – dort, wo es zur Sicherung der Lebensvielfalt notwendig ist.
„Vielfalt durch stichpunktartiges Eingreifen sichern“
Gewissermaßen ist der Verein also ein Befürworter der Waldwirtschaft?
So kann man es nicht generell sagen. Freilich sind wir dafür, dass die Waldbesitzer ihren Wald nachhaltig und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend bewirtschaften. Der Nationalpark hingegen ist ein Schutzgebiet, in dem die planmäßige wirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist. Zwar soll auch dort – wie schon vorher angesprochen – die Vielfalt durch gezielte minimale Eingriffe gesichert werden. Ein Wirtschaften mit dem vorrangigen Ziel eines finanziellen Profits darf aber nicht stattfinden.
„Natur Natur sein lassen“ – mit diesem Motto der Nationalparkverwaltung sind Sie nicht gänzlich einverstanden?
Die strenge Einhaltung dieses Grundsatzes steht im Widerspruch zu den Richtlinien der Weltnaturschutzunion für Schutzgebiete und den gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Natur in Deutschland und Bayern.
Die Ursprünge der Bürgerbewegung gehen auf eine Initiative gegen die nördliche Erweiterung des Nationalparkgebietes Mitte der Neunziger zurück. Eine nervenaufreibende Zeit, oder?
Absolut. 1995 war der Bund Naturschutz, unter Führung von Hubert Weinzierl, bestrebt, den Nationalpark Bayerischer Wald zu erweitern. Seine Begründung: Das Schutzgebiet ist zu klein, der zurzeit 13.000 Hektar große Nationalpark Bayerischer Wald platzte angesichts von 1,3 Millionen Besuchern pro Jahr aus den Nähten. Die Verantwortlichen wollten sich die Erweiterung zum 25-jährigen Bestehen des Nationalparks selbst zum Geschenk machen. In der gleichen Zeit allerdings hat sich im Altgebiet der Borkenkäfer großflächig ausgebreitet. Quadratkilometerweise ist der Wald abgestorben, schrecklich. Unsere Initiative wollte genau das im geplanten Erweiterungsgebiet verhindern, deshalb waren wir gegen eine Erweiterung.
Als damaliger Forstmann haben Sie also gegen die eigene Obrigkeit gekämpft?
Ich bin unter Druck gesetzt worden in der damaligen Zeit, weil ich als Leiter des Forstamtes Zwiesel darauf hingewiesen habe, welche Folgen eine Erweiterung für das neue Gebiet haben würde. Nach zwei Jahren voll von Streit und Diskussionen ist 1997 die Erweiterung des Nationalparks durch den Bayerischen Landtag beschlossen worden – mit speziellen Vorgaben zum Schutz des Waldes.
„Die Entscheidung wurde gegen den Bevölkerungs-Willen getroffen“
Und zwar?
Im alten Teil des Nationalparks hatte man Anfang der 80er erstmals große Waldgebiete ausgewiesen, die komplett sich selbst überlassen worden sind – sogenannte „Reservatswaldungen“. Der Begriff „Naturzone“ wurde erst später erfunden! Diese Reservate sollten dazu dienen, das Naturpotenzial zu sichern und anzureichern. Was aber nicht gelungen ist. Im Gegenteil. Der Borkenkäfer hat die alten, ökologisch wertvollen Bergfichtenwälder zerstört. Genau das musste im Erweiterungsgebiet verhindert werden. So beschloss der Bayerische Landtag, dass in einem Zeitraum bis zum Jahr 2017 die Ausbreitung des Borkenkäfers auf die Hochlagenwälder zwischen Falkenstein und Rachel zu verhindern ist. Im Jahr 2007 wurde der Zeitraum der Borkenkäferbekämpfung durch Ministerratsbeschluss auf 30 Jahre verlängert – bis 2027.
Also geht die damalige Bürgerinitiative und jetziger Verein als Gewinner hervor?
Nein. Besonders bitter: Der Nationalpark wurde erweitert, obwohl sich eine Vielzahl der Bürger und die Gemeinden gegen eine Erweiterung ausgesprochen hatten. Erst hatte Ministerpräsident Stoiber angekündigt, dass der Nationalpark nicht gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung erweitert wird. Letztlich wurde aber im Bayerischen Landtag doch der Erweiterungsbeschluss gefasst – weil der Nationalpark nicht nur den Ortsansässigen sondern der gesamten Bevölkerung Bayerns gehört. Eine große Enttäuschung für uns war es, dass die Nationalparkverwaltung schon kurz nach der Erweiterung begann, so genannte „Naturzonen“ auszuweisen, darunter eine große Fläche im Hochlagenwald östlich von Buchenau, wo sich dann der Borkenkäfer ungehemmt ausbreiten konnte. Heute sind weite Bereiche des ursprünglichen Hochwaldes nach Borkenkäferfraß abgestorben.
Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?
Es war Krieg (mit Nachdruck). Der damalige Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Reinhold Bocklet, wollte bei einer Großveranstaltung in Zwiesel nur unter Polizeischutz sprechen, als er die Pläne der Erweiterung vorgestellt hat.
Warum ging es nach der Ausweisung des neuen Gebietes mit der Bürgerinitiative – dann als Verein – weiter?
Wir versuchten, als „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e. V.“ dafür zu sorgen, dass der Nationalpark entsprechend den Vorgaben des Bayerischen Landtags in seinem Beschluss vom Juli 1997 verwaltet wird. Wir sind keine Gegner des Nationalparks, wie immer wieder behauptet wird. Vielmehr bestehen wir darauf, dass der Nationalpark Bayerischer Wald nach den Richtlinien der Weltnaturschutzunion als Schutzgebiet der IUCN-Kategorie II Nationalpark geführt und nicht in ein Wildnisgebiet der Kategorie I umfunktioniert wird.
Dieses Thema zieht sich bis in die Gegenwart. Kürzlich wurde über die Ausweisung neuer Naturzonen heftig diskutiert.
Aus unserer Sicht ist die Ausweisung von Naturzonen in den Hochlagen ein klarer Verstoß gegen die Nationalparkverordnung.
Ginge es dem Bayerischen Wald ohne Nationalpark besser?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin der Meinung, dass man mit dem Nationalpark eine große Chance verpasst hat, nämlich ein attraktives Schutzgebiet zu entwickeln, das einzigartig ist in Deutschland. Hier sollten doch Wälder heranwachsen, in denen die Bäume Jahrhunderte alt werden und Dimensionen erreichen, wie man sie nur aus alten Zeiten kannte. Das wurde uns Waidlern in der Anfangsphase des Nationalparks versprochen! Leider rückt dieses Ziel immer weiter in die Ferne. In zwanzig Jahren werden diejenigen, die nach uns kommen, besser einschätzen können, welchen Nutzen der Nationalpark dem Bayerischen Wald gebracht hat.
„Ist unser Nationalpark kein anerkanntes Schutzgebiet?“
Bei Ihren Forderungen ist Nationalpark-Chef Franz Leibl Ihr größter Widersacher.
Mit seinen Forderungen, in den Hochlagenwäldern Naturzonen auszuweisen, hält sich der Nationalparkleiter nicht an die Vorschriften der Nationalparkverordnung. Sein Vorgänger hat bei einer Informationsfahrt des Bayerischen Landtags im Frühjahr 2010 am Falkenstein den Mitgliedern des Landtags noch ausdrücklich erklärt, dass Kahlflächen im Hochlagenwald nicht als Naturzonen ausgewiesen werden können, weil das die Rechtsverordnung bis 2027 verbietet. Aber das soll jetzt auf einmal nicht mehr gelten! Ich wehre mich dagegen, dass gesetzliche Vorschriften frei nach Belieben ausgelegt werden.
Im Hog’n-Gespräch hatte Dr. Leibl erzählt, dass der Nationalpark erst anerkannt wird, wenn er zu 75 Prozent aus Naturzonen besteht.
Die Behauptung von Dr. Leibl ist falsch und leicht zu widerlegen. Die Schutzgebiete der Welt werden seit dem Jahr 1962 von den Vereinten Nationen nach den Kriterien der Weltnaturschutzunion in regelmäßigen Abständen aufgelistet und seit 1993 in Management-Kategorien zusammengestellt. Die aktuellste UN-Liste für die Schutzgebiete in aller Welt stammt aus dem Jahr 2014. Der Nationalpark Bayerischer Wald wird in den UN-Listen von 1973 bis 2014 als Nationalpark aufgeführt – seit 1993 als Nationalpark der Management-Kategorie II nach IUCN. Der Flächenanteil der Naturzone im Nationalpark Bayerischer Wald ist für die Klassifizierung als Schutzgebiet der IUCN-Kategorie II (Nationalpark) ohne jede Bedeutung.
„Sonst ist ein massenhafter Borkenkäferbefall vorprogrammiert“
Werfen wir einen Blick über die Grenze. Der tschechische Nationalpark Šumava hat etwas andere Vorstellungen als sein deutsches Pendant. Ihre Meinung dazu?
Auch der Nationalpark Šumava ist ein nach den internationalen Kriterien anerkanntes Schutzgebiet der IUCN-Kategorie II Nationalpark, obwohl dort der Anteil der Flächen, die bei uns Naturzonen genannt werden, nur 13 Prozent beträgt. Im Nationalpark Šumava wird seit einigen Jahren unter verschiedenen Regierungen um die Erstellung eines Managementplans gerungen. Nach dem großflächigen Absterben der Hochlagenwälder entlang des Grenzkammes infolge von Borkenkäferfraß wurde die Borkenkäferbekämpfung intensiviert, um den Böhmerwald zu retten.
Also genau Ihre Vorstellungen.
Es ist doch sinnvoll, dass man nach einem Sturm die Windwürfe aufarbeitet. Sonst ist ein massenhafter Borkenkäferbefall vorprogrammiert. Mit der Zeit würden dann auch die gesunden Waldbestände in der Umgebung vernichtet werden.
Eigentlich eine logische Sache.
Es gibt eine Zusammenstellung der Holzeinschläge im Nationalpark Bayerischer Wald. Daraus ist zu ersehen, dass in den Jahren 1995 bis einschließlich 2013 knapp 1,6 Millionen Kubikmeter Holz eingeschlagen worden sind. Auf Windwürfe entfielen 22 Prozent der Einschlagsmenge, auf Käferholzeinschläge 60 Prozent! Die Schadholzmengen, die in den Naturzonen angefallen sind, wurden nicht mitgezählt. Der fortschreitende Zerfall der Wälder in den Naturzonen – sie umfassen derzeit 58 Prozent der Nationalparkfläche – ist beängstigend.
„Die schöne Landschaft im Bayerischen Wald ist ein Schatz“
Bei den Diskussionen in Sachen Erweiterung der Naturzonen hat sich Regens Landrat Michael Adam zu Ihrem Verein bekannt. Eine große Bestätigung Ihrer Arbeit, oder?
Zunächst einmal war das für mich eine große Überraschung. Denn Landrat Michael Adam hatte sich nach seiner Wahl zum Landrat klar zu seiner Verpflichtung bekannt, als Mitglied bzw. Vorsitzender des kommunalen Nationalpark-Ausschusses die Vorschriften der Rechtsverordnung über den Nationalpark Bayerischer Wald konsequent auszuführen und zu vollziehen. Dazu gehörte auch der Vollzug des Paragrafen 12a, der nachträglich in die Nationalparkverordnung durch Ministerratsbeschluss im Kabinett Stoiber eingefügt worden war: Bis zum Jahr 2027 sind 75 Prozent des Nationalparkgebiets zu einer Fläche zu entwickeln, auf die der Mensch keinen Einfluss nimmt! Dass der Nationalparkleiter die Ausweisung von Naturzonen in einem Zug großflächig in den Hochlagen durchsetzen wollte – ohne den Landtag zu fragen – konnte der Landrat nicht akzeptieren. Er lehnte den Plan der Nationalparkverwaltung ab, fast 20 Quadratkilometer Waldfläche innerhalb eines Jahres überwiegend in den Hochlagen als Naturzone auszuweisen. Das hat uns sehr gefreut.
Abschließende Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Bayerischen Waldes?
Wir müssen alle Chancen nutzen, das zu bewahren, was an ursprünglicher Waldnatur noch unversehrt vorhanden ist. Die schöne Landschaft im Bayerischen Wald ist der Schatz, den wir für unsere Mitbürger und Nachkommen sorgsam pflegen müssen. So sollte auch der Nationalpark allen seinen Besuchern wieder Anregung und Erholung vermitteln.
Hoffen wir das Beste. Alles Gute und vielen Dank für das Interview.
Interview: Helmut Weigerstorfer
Hubert Demmelbauer hat vollkommen recht. Was hier gar nicht zur Sprache kam, ist auch der Umstand, dass die Nationalparkverwaltung in den „Naturzonen“ Wege, Forststraßen und Triftbäche unter Einsatz schwerer Maschinen herausreißen lässt, um die Gebiete unzugänglich zu machen und Kulturdenkmale als Zeugen menschlichen Wirkens in unserer Heimat zu tilgen.
Ich sehs nicht so wie Herr Demmelbauer. Der Sinn des Nationalparks war und ist es, eine Fläche zu definieren, die wie vor mehreren Hundert Jahren, von menschlichen Eingriffen verschont bleibt. Damals war der Wald nicht so dichst besiedelt und mit den wenigen Werkzeugen, konnte dem Wald nicht geschadet werden. Dies geschah erst, als durch eine dichtere Besiedlung, als man die wirtschaftliche Kostbarkeit des Holzes schätzen lernte und das abholzen begann. Der Nationalpark will den Wald, wie er früher war, bewahren für spätere Generationen, die dann erkennen können, das war der ursprngliche Bayerische Wald, wie er in Jahrhunderten sich entwickelte und somit zur Keimzelle des heutigen Bayerischen Waldes wurde. ..zum Schutz der Profigier der Menschen, denen die Tiere schon zum Opfer gefallen sind….Hunderttausende Besucher schätzen eben dies am Nationalpark Bayerischer Wald und es geht auch ohne den Eingriff des Menschen.