Nach Feierabend besuche ich dann gemeinsam mit einer französischen Freiwilligenarbeiterin HIV-Patienten. Dabei bin ich immer wieder zu tiefst von deren Lebensmut und positiven Lebenseinstellung beeindruckt. Oft werden sie von Familie, Verwandten und Bekannten verstoßen und leben abgeschieden und alleingelassen in einer kleinen Hütte. Dass allein regelmäßige „Muzungu-Besuche“ dazu führen, dass sie gesellschaftlich wieder mehr akzeptiert werden, finde ich ehrlich gesagt etwas verstörend, steigert den Erfolg unserer Arbeit aber ungemein. Nur die Tatsache, dass wir beide eine hellere Hautfarbe haben und ihnen regelmäßige Besuche abstatten, führt anscheinend dazu, dass sich Familien wieder um sie kümmern und teilweise sogar wieder anfangen dürfen zu arbeiten. Ehrlich gesagt will ich diesen Gedanken gar nicht fertig denken.
Gress und die „Ich kaufs, aber bitte sei still-Kunden“
Die Wochenenden nutzen wir meist, um etwas die Gegend zu erkunden, machen Ausflüge und Wanderungen. Highlight war hier mit Sicherheit der Ausflug nach Jinja zum Ursprung des Nils. Alle noch etwas angeschlagen, da wir uns abends zuvor etwas in der Biersorte vergriffen hatten, ging es am frühen Morgen los ins zwei Stunden entfernte Jinja. Bei warmen Wetter und mächtig staubigen Straßen (langsam beginnt hier die Trockenzeit) bretterten wir mit einem der YY Coaches los. Immer wieder für einen Lacher gut war ein Händler, der während der kompletten Fahrt mit teils etwas ausufernden Gestiken versuchte, sämtlichen Kram an den Mann zu bringen. Angefangen bei Strümpfen über Zahnbürsten bis hin zu Mehl, pries er mit schier nie endender Leidenschaft und unerschöpflichen Enthusiasmus seine Produkte an. Meiner Vermutung nach hatte er es ganz klar auf die „Ich kaufs, aber bitte sei still – Kunden“ abgesehen.
Endlich in Jinja angekommen war ziemlich schnell zu erkennen, dass es sich hierbei um DAS Touristenzentrum Ugandas handelte. Hier machte keiner einen Hehl draus, wenn mal ein Europäer durch die Stadt marschiert. Die meisten Straßen hier waren geteert und es gab sogar vereinzelt Straßenschilder zu bestaunen – sowas gibt’s in Mbale überhaupt nicht. Das Hotel in dem die Queen 1952(!) mal eine Nacht verbracht hat, steht seitdem unter Denkmalschutz. Naja, hoffentlich hat sie wenigstens gut geschlafen. Mit einem kleinen Boot ging’s dann für uns in Begleitung eines Guides auf den Lake Victoria, der an Uganda, Kenia und Tansania angrenzt und zugleich größter See Afrikas ist. Dort bestaunten wir erstmal jede Menge Pelikane und andere exotische Vögel. Danach machten wir einen kleinen Rundgang auf einer Insel auf der ein kleines Fischerdorf gelegen war. Etwas verwundert fragte ich beim Guide nach, wieso denn hier einige in gelben Anzügen rumlaufen. Noch mehr verwunderte mich seine Antwort. Dies seien Häftlinge, unter ihnen auch Mörder und Vergewaltiger, die ihre Haft zu einem Großteil schon abgesessen hatten und hier auf der Insel etwas Freigang bekommen. Zum Abschluss durften wir dann noch den Ursprung des Nils, dem längsten Fluss der Welt, bestaunen.
Seinen Sitz teilt man sich mit mindestens (!) einer Person
Die Heimreise gestaltete sich dann etwas schwierig. Die Reisebusse waren um die Uhrzeit nicht mehr unterwegs, also mussten wir auf ein Matatu, eine Art Großraumtaxi, dessen Kapazität schier unendlich zu sein scheint, zurückgreifen. Es dauerte einige Zeit, bis wir ein solches gefunden hatten und noch länger, bis wir uns auf einen Preis einigen konnten. In Uganda gibt es nämlich für nichts feste Preise, alles wird irgendwie ausgefeilscht und vor allem meine Hautfarbe spielt mir da nicht immer in die Karten. Als wir uns dann endlich auf einen Preis einigen konnten, war es bereits dunkel und Überlandsfahrten in Uganda, noch dazu in einem Matatu, gehört zu den Erfahrungen auf die ich eigentlich hier gern verzichtet hätte. Mit bis zu 20 Personen in dem eigentlich nur für elf Personen zugelassenen Fahrzeug ächzten wir Richtung Heimat. Erstaunt bin ich immer wieder, wie gelassen das von allen hingenommen wird. Seinen Sitz teilt man sich mit mindestens (!) einer weiteren Person, Beinfreiheit geht stark gegen null und vom Geruch will ich gar nicht erst reden. Diesesmal hatte sogar noch eine Mitfahrerin die glorreiche Idee, die Fischausbeute des heutigen Tages mit ins Taxi zu nehmen. Wunderbar! Aber was soll’s.
Ein paar Tage später hat dann der Chef unserer Truppe beschlossen, es wäre doch wieder mal Zeit für etwas Kulturschock. Diesesmal im Programm: Beschneidungszeremonie. In Uganda gilt es als Tradition, sich noch im Jungenalter die Vorhaut enfernen zu lassen. Die ganze Zeremonie zieht sich über mehrere Tage und gilt als das wichtigste Ereignis eines jeden Uganders. Wer sich der Beschneidung widersetzt oder sich auch nur dafür entscheidet, sie im Krankenhaus durchführen zu lassen, was zweifellos die gesündere Variante wäre, wird es als Mann in Uganda schwer haben. Folglich entscheidet sich eine große Mehrheit dafür, der Tradition zu folgen und so wird gemeinsam mit sämtlichen Verwandten (afrikanische Familien haben meistens ein etwas anderes Ausmaß als europäische) über mehrere Tage gefeiert, gelacht und zu rhythmischen drumbeats getanzt.
Beschneidung? Ich möchte „im Ganzen“ wieder zurückkehren
Als wir, mittlerweile ganz typisch afrikanisch, mit übergroßer Verspätung gegen 4 Uhr nachmittag eintrafen, wurden wir erst einmal von einer Herde Kinder in Empfang genommen, begleitet von unzähligen Muzungu-Rufen. Die meisten Anwesenden hatten auch schon reichlich vom „local brew“ (Maisbier, das heiß serviert wird, Geschmack: ausbaufähig) gekostet und dementsprechend ausgelassen war auch die Stimmung. Mit offenen Mündern und großen Augen bestaunten wir die Tänze der Einheimischen und lehnten immer wieder dankend ab, wenn wir gefragt wurden, ob wir nicht auch die eigentliche Beschneidung beobachten möchten. Einige starteten sogar den Versuch uns dazu zu überreden, uns doch gleich selbst beschneiden zu lassen. Da ich aber ganz gern „im Ganzen“ wieder zurück nach Europa reisen möchte, musste ich auch hier leider dankend ablehnen.
Mittlerweile hab ich mich auch richtig gut in unser Volunteer-Team eingearbeitet. Die Truppe macht wahnsinnig Spaß, gerade weil es ein komplett bunter Haufen ist und jeder so seine Macken mit sich bringt. Da wäre zum einen die Französin mit dem chronischen Schluckauf, der Schwede, der sich seit Wochen ausschließlich von Bananen und Erdnüssen ernährt und der bärtige Spanier im Fidel-Castro-Look, der gerade wegen seines mäßigem Englisch und seines starken spanischen Akzents immer wieder für Stimmung sorg. Wenn ich mit ihm gemeinsam mit einer Macheete bewaffnet die Bananenplantage vom Unkraut befreie, fühle ich mich manchmal, als würde ich mich gerade gemeinsam mit Che Guevara auf die kubanische Revolution vorbereiten. Dazu kommt noch ein weiterer Haufen bunter Vögel. Nein, langweilig ist’s hier eigentlich nie. Nur mit der Weihnachtsstimmung hat jeder so seine Schwierigkeiten. Selbst wenn in einigen Ecken der Stadt immer wieder Weihnachtsmusik zu hören ist, fällt es bei den hiesigen Temperaturen etwas schwer sich so richtig auf Weihnachten zu freuen.
Liebe Grüße ins hoffentlich schon weihnachtlich frostige Niederbayern, genießt’s Euern Glühwein und lasst’s Euch die Platzal schmecken!!
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Johannes Gress aus Röhrnbach möchte an einer Schule für Waisen und sozial benachteiligte Kinder in Uganda rund drei Monate die dortigen Lehrer unterstützen. Um dorthin zu kommen, hat er nicht den herkömmlichen Weg – per Auto, Bahn, Flugzeug – gewählt. Nein: Der 21-Jährige versucht per Anhalter nach Afrika zu kommen. Von seiner Reise und seiner Zeit in Ostafrika berichtet er auf hogn.de.
–> (1) Ist das Materielle Voraussetzung für ein glückliches Leben? Johannes Gress’ Reise nach Uganda
–> (2) “It’s like an angel pisses in your mouth” – Johannes Gress’ Umwege nach Uganda
–> (3) Uganda calling, oder: Johannes Gress kurz vor seinem großen Ziel
–> (4) Anderes Land, anderer Kontinent, anderer Planet – Johannes Gress’ erste Tage in Uganda
–> (6) Alltag in Ostafrika: Uganda – das Land der unnormalen Normalität
–> (7) Kinder mit trockenen Lippen und leerem Blick – die andere Seite Ugandas
–> (8) Unterhaltung á la Uganda: “You whites, you got the watches, but we Ugandans, we got the time”
–> (9) Johannes Gress: “Manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend”
–> (10) Soll Afrika mal so aussehen wie Europa? Ist das das Ziel für alle Entwicklungsländer?
–> (11) Johannes Gress und sein ganz persönliches Osterwunder in Uganda