Viertel nach drei – 24 Stunden am Tag. Seit ich hier vor zwei Monaten angekommen bin, steht die große Turmuhr, das Wahrzeichen der Stadt Mbale, still. Zu stören scheint das die wenigsten. Ganz offensichtlich ist der „Clocktower“ nicht nur Wahrzeichen, sondern auch Sinnbild der Stadt. Zum einen zeigt es ganz deutlich, welchen Stellenwert Zeit hier innehat, zum anderen spiegelt es die Bescheidenheit der Menschen wider, denn immerhin steht die Uhr ja zweimal am Tag richtig. Natürlich hat sich auch während den Weihnachtsfeiertagen keiner der Zeiger auch nur einen Millimeter bewegt – und so startete die Stadt am 31. Dezember 2014 um Punkt 15.15 Uhr ins neue Jahr.
Auch für uns Volontäre gestalteten sich die Feiertage etwas anders als von zu Hause gewohnt. Für einige war es vielleicht das erste Weihnachten außerhalb des eigenen Nestes überhaupt – mit Sicherheit jeodch das erste Weihnachten auf einer Baustelle in Afrika. Während die meisten Ugander am 25. Dezember in schmucke Gewänder gehüllt in die Kirchen strömten, wartete in Busajjabwankuba noch ein Schuldach auf seine Fertigstellung. Nachdem dies erledigt war, gab’s für alle Mithelfer etwas Pork (Schweinefleisch) mit Matoke (Kochbanane) und eine Flasche „Maurer-Suppe“. Ziemlich genau vier Wochen brauchten wir zur Fertigstellung des Gebäudes – nur ein Anstrich und die Möbelierung stehen noch aus. Mächtig stolz auf unser Werk trampten wir in die Stadt zurück, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Nach nur kurzer Zeit nahm uns ein Muslim mit, der uns sogar bis vor die Haustür brachte.
Morgensport mal anders – Morgensport à la Afrika
Ohne Christbaum, ohne Weihnachtsmusik und natürlich auch ohne Schnee genossen wir zusammen mit Godfrey, einem der HIV-Patienten, ein leckeres Dinner und schauten gemeinsam „Kevin allein zu Haus“ – der erste Film, den Godfrey in seinen 18 Lebensjahren bisher zu sehen bekam. Ein etwas alternatives, aber durchaus gelungenes Weihnachtsfest. Ein paar Tage darauf starteten wir unsere Busreise nach Kampala, um dort gemeinsam Silvester zu feiern. Vor der Abfahrt jedoch gab’s eine böse Überraschung: Die Küche stand knöcheltief unter Wasser. Anscheinend war zwischenzeitlich wieder einmal der Zulauf ausgefallen und jemand hatte vergessen, den Hahn zuzudrehen. Naja, egal. Gemeinsam mit den Kindern schnappten wir uns ein paar Eimer und Tassen – und innerhalb kürzester Zeit war die Küche wieder wasserfrei und vor allem sauberer als je zuvor. Morgensport mal anders. Morgensport à la Afrika.
Schließlich ging es dann doch irgendwann los – wie gewohnt mit einstündiger Verspätung. Untergebracht in einem richtig schicken Haus eines Freundes kamen in Kampala sogleich alle in den Genuss einer ersten warmen Dusche in Afrika. Mit einem bunt gemischten Haufen aus Ugandern, Indern und Europäern ließen wir das Jahr 2014 zunächst gemütlich ausklingen, während sich im Laufe des Abends der ein oder andere dann doch dazu entschloss, sich mit Karacho ins Jahr 2015 zu katapultieren. Frei nach dem Hangover-Motto: Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas. Das selbe gilt auch für Kampala…
Vollmond, Bob Dylan und ein Dutzend Affen in den Bäumen
Nach etwas Erholung am Neujahrstag setzten wir die Reise Richtung Fort Portal, in den Westen des Landes, fort. Auf 1.500 Meter gelegen, wurde es hier abends deutlich kühler als in Mbale – und so konnte auch mein Wollpullover endlich sein Afrika-Debüt feiern. Landschaftlich unterscheidet sich der Westen des Landes deutlich vom Osten: Grüne, wildbewachsene Berge und Hügel, gepaart mit unzähligen Kraterseen und kleinen afrikanischen Dörfern machen die Gegend sehr reizvoll. Eines Abends saßen wir alle zusammen nahe des Lake Nkuruba am Lagerfeuer, bewunderten den Vollmond und lauschten den Klängen von Bob Dylan, während ein Dutzend Affen über uns in den Bäumen tollte. Wow!
Zwar ist das Leben hier relativ günstig, touristische Aktivitäten sind aber umso teurer. Jeder Nationalpark, jeder „walk“, jede Unterkunft, die irgendwie halbwegs an einem See gelegen ist, liegt leider weit über dem Budget eines jeden Volontärs. Also haben wir beschlossen, unsere eigene Wanderung zu machen. Anstatt eines Matatus bedienten wir uns einfach „Mrs. Maria Foot“ (auf Bairisch: „Fuaß-Mare“), um in die gut 15 Kilometer entfernte Stadt zu kommen. Durch die anscheinend letzten Dörfer dieser Erde schlenderten wir einen halben Tag lang vor uns hin, machten immer wieder kleine Pausen und unterhielten uns mit Einheimischen. Mindestens genau so reizvoll wie einer der Nationalparks – und um einiges günstiger.
Am nächsten Tag splittete sich unsere Gruppe dann. Für einen Teil ging’s zurück nach Mbale, auf mich und einen spanischen Volontär wartete noch der Südwesten Ugandas. Die Reise dorthin gestaltete sich teilweise „etwas afrikanisch“ – aber irgendwie schafften wir es dann doch bis zu unserem nächsten Zwischenstopp, Ishaka. Ein Fünfsitzer vollgepackt mit elf Personen, unseren Backpacks, etwas Reis – und einem Huhn (lebendig!) ist selbst für afrikanische Verhältnisse eine harte Nummer. Beinfreiheit? Eher nicht! Trotzdem war die Fahrt dorthin ein einziger Traum…
Zuerst fuhren wir kilometerweit schnurgerade durch die Savanne, bevor wir uns dann die Berge emporschlängelten und einen unvergesslichen Ausblick über die schier unendliche Steppe genossen. Kurz bekamen wir sogar einen Affen, ein paar Antilopen und ein „Weiß-ich-nicht-war-aber-schön-Tier“ zu Gesicht. Relativ schnell fanden wir dann auch unsere Unterkunft und schauten abends noch etwas Fußball in der „International-Ishaka-Arena“. Wahrscheinlich einer der wenigen Fleckchen Erde in Afrika, der mehr Schlaglöcher aufweisen kann als die Hauptstraße Mbales.
Gespielt wurde wahlweise ohne Schuhe, in Sandalen oder richtigen Fußballstiefeln, wahlweise im Trikot von Real Madrid, Manchester United, Bayern München oder „oben ohne“. Jedes der Teams hatte gefühlt mindestens 45 Spieler auf den Platz. Eine der Mannschaften hatte sogar ein paar Kühe in der Verteidigung platziert. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – ein richtig interessanter Fußballabend.
Vielleicht ein Konzept für die Zukunft – weltweit!
Weiterhin versuchten wir unsere Reise relativ kostengünstig zu gestalten und vermieden es, Geld auszugeben. So entschlossen wir uns, anstatt einen der Nationalparks lieber eine der Teefabriken zu besuchen. Kaum angekommen, wurden uns zwei weiße Kittel gereicht und der Chef persönlich führte uns durch die gesamte Anlage. Er erklärte uns Schritt für Schritt wie der Tee von den Plantagen in die Tasse kommt. Das Konzept der Fabrik hat mich schwer beeindruckt. Sie ist nicht im Besitz irgendeines Managers, sondern gehört 4.000 einheimischen Farmern, die die Fabrik mit bis zu 200.000 Kilogramm Teeblättern pro Tag beliefern. Im Gegensatz zu den anderen „Betrieben“, die wir auf dieser Reise noch kennen lernen sollten, eines der positiveren Beispiele – und vielleicht ein Konzept für die Zukunft. Weltweit.
Noch am selben Tag setzten wir unsere Reise in den südwestlichsten Zipfel Ugandas, nahe der Grenze zu Ruanda, zum Lake Bunjonyi, fort. Wie gewohnt in überfüllten Matatus und Privatautos. Von Kabale aus waren es nur noch knapp 20 Kilometer zum See – doch irgendwie gestaltete es sich relativ schwierig einen „Lift“ dorhtin zu finden. Schließlich trafen wir auf einen 27-jährigen Ugander, der zufällig der beste Freund eines Resortbesitzers direkt am Lake Bunjonyi war – Bingo! Obendrein war er der Gründer einer Charity-Organisation für benachteiligte Kinder in der Umgebung und bot an, uns mit auf eine Bootstour zu nehmen – mit im Programm: der Besuch eines Pigmy Tribes.
Nach einem kurzen Plausch mit seinem Kumpel konnten wir für nur einen Bruchteil der eigentlichen Kosten direkt am See unsere Zimmer beziehen. Der Blick auf die Preisspalte der Speisekarte bewegte uns kurzerhand dazu, doch lieber heimlich ein paar Bohnen am Gaskocher zuzubereiten. Qualitativ nicht das hochwertigste Abendessen, aber die Aussicht auf den See machte das wieder wett.
Bienen und Ziegen – „This is better than TV“
Der nächste Morgen startete mit einem kleinen Lacher für das gesamte Dorf: Ein paar Ziegen, am Fußgelenk mit einem Strick an einem Baum angebunden und daher flucht-unfähig, wurden von einem Schwarm Bienen angegriffen. Die anwesenden Farmer versuchten abwechselnd mit sämtlichen Mitteln die Ziegen vom Baum loszubinden. Doch sobald sich einer der Bauern den Bienen näherte, wechselten diese ihr Angriffsziel. Wild mit den Händen fuchtelnd, lauthals schreiend und von einem Schwarm verfolgt, ergriff ein Bauer nach dem anderen die Flucht. Alle Dorfbewohner hatten ihren Spaß – bis auf die Farmer natürlich… Jeder war sich einig: „This is better than TV!“
Schließlich traf auch der Rest der Teilnehmer unserer Bootstour ein: Eine zwanzigköpfige Truppe aus Ungarn, bewaffnet mit Spiegelreflex, Sonnenhüten, karierten Hemden und beigen Hosen. Stets in Begleitung ihres persönlichen Reiseguides und ihres persönlichen Kochs. Satte 7.000 Euro bezahlte jeder von ihnen für einen Monat Afrika. Auch wenn wir beide etwas andere Erwartungen an unseren Afrika Trip hatten als der ungarische Trupp aus Zahnärzten, Anwälten und Chirurgen, entwickelten sich ganz interessante Gespräche – und es stellte sich heraus, dass einer der Teilnehmerinnen sogar schonmal in Röhrnbach zu Besuch war. Je mehr Leute ich kennen lerne, umso kleiner kommt mir die Welt manchmal vor…
Keine Bildung, aber der Arm der Coca-Cola-Company ist lang genug
Am anderen Ende des Sees wurden wir dann mit indianerartigem Gejohle von rund 30 Pigmies begrüßt. Dieser Stamm aus Jägern und Sammlern wurde – wie viele andere Pygmäen-Stämme vor 50 Jahren auch – aus einem der Nationalparks zwangsumgesiedelt. In ihrer neuen „Heimat“ finden sie leider nicht mehr die Voraussetzungen für ihre traditionelle Lebensweise. Drogen und Alkoholmissbrauch scheinen daher kein seltenes Phänomen zu sein. Kein Wunder: Abgeschnitten vom Rest der Welt und ohne staatliche Unterstützung haben sie kaum Zugang zu Bildung. Auch wenn der Arm des Staates anscheinend nicht bis in dieses Dorf zu reichen scheint – der Arm der Coca-Cola-Company ist ganz offensichtlich lange genug… mit Getränken lässt sich bekanntlich mehr Geld verdienen als mit Bildung.
Da mein Reisepartner und ich nach Beendigung unseres Ausflugs eigentlich geplant hatten, den Mitternachts-Bus zurück nach Kampala zu nehmen, hatten wir noch massig Zeit übrig – und entschlossen uns dazu, die 18 Kilometer in die Stadt zurück zu laufen.
Dieses mal sollte unsere Betriebsbesichtigung etwas ernüchternder ausfallen. In Begleitung von ein paar Kindern marschierten wir den Berg hoch. Dass sich die Kinder deutlich weniger schinden mussten als wir, lag zum einen daran, dass sie die Hitze besser gewohnt waren. Zum anderen, dass wir beide mit unseren Backpacks unterwegs waren.
Als wir dann am ersten Steinbruch eine Pause einlegten, relativierte sich das allerdings wieder. Denn: Kinder im Alter von fünf Jahren waren hier damit beschäftigt, mit einem Hammer Steine zu zerkleinern, in einen Eimer zu füllen und anschließend auf einen Haufen zu schütten. Wir trauten unseren Augen kaum. Verdienst für einen vollen Tag Steine schlagen: 5.000 Shilling (also umgerechnet etwa 1.50 Euro) für Frauen und Kinder, für Männer gibt’s 8.000 Shilling. Für den Monatsausflug der ungarischen Reisegruppe müsste man also theoretisch 4.650 Tage (knappe 13 Jahre) Steineschlagen. Die Bilder der Kinder, die mit leerem Blick und ausgetrockneten Lippen am Boden sitzen und auf den Stein einschlagen, werden uns wohl beide noch länger verfolgen…
Mit Glück und einer gewissen „wiad scho wean“-Mentalität
Nach einer knackigen Wanderung kamen wir schließlich in der Stadt an, wo wir ziemlich schnell feststellen mussten, dass unser Plan, den Mitternachtbus nach Kampala zu nehmen, wohl nicht ganz aufgehen wird. Ausgebucht! Etwas unüberlegt sprangen wir also noch schnell auf den 20-Uhr-Bus auf, was bedeutete, dass wir die Hauptstadt um 2 Uhr morgens erreichen werden.
Leider zählt die Innenstadt Kampalas definitiv zu denjenigen Orten, an denen man sich zu dieser Zeit nicht aufhalten sollte. Schon gar nicht mit dem gesamten Gepäck, den Wertsachen und ohne Unterkunft. Und ohne wirklich zu wissen, wann der nächste Bus fährt. Mit einer gewissen „Wiad-scho-wean“-Mentalität versuchten wir im Bus etwas Schlaf zu finden. Irgendwie „is‘ dann aah woan“ – und um 4.30 Uhr bestiegen wir den Bus zurück nach Mbale. Nach insgesamt 13 Stunden Busfahrt kamen wir dann schließlich um 9 Uhr in unserer Wahlheimat an. Mein Sitzfleisch war mehr als dankbar dafür – Busfahrten durch Afrika sind wahrlich kein Zuckerschlecken.
Mittlerweile haben wir bereits damit begonnen, Kinder für unsere Schule zu registrieren, denn am 2. Februar, um 8 Uhr, wird’s ernst: Dann darf ich das erste Mal in „meiner“ Schule unterrichten. Bis dahin steht allerdings noch etwas Arbeit vor uns….
Etwas verspätete Weihnachtsgrüße und ein Gutes Neues Jahr aus Mbale wünscht
–> (1) Ist das Materielle Voraussetzung für ein glückliches Leben? Johannes Gress’ Reise nach Uganda
–> (2) “It’s like an angel pisses in your mouth” – Johannes Gress’ Umwege nach Uganda
–> (3) Uganda calling, oder: Johannes Gress kurz vor seinem großen Ziel
–> (4) Anderes Land, anderer Kontinent, anderer Planet – Johannes Gress’ erste Tage in Uganda
–> (5) Der gesunde Mix aus Planlosigkeit, Gleichgültigkeit und Chaos – der Alltag in Uganda
–> (6) Alltag in Ostafrika: Uganda – das Land der unnormalen Normalität
–> (8) Unterhaltung á la Uganda: “You whites, you got the watches, but we Ugandans, we got the time”
–> (9) Johannes Gress: “Manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend”
–> (10) Soll Afrika mal so aussehen wie Europa? Ist das das Ziel für alle Entwicklungsländer?
–> (11) Johannes Gress und sein ganz persönliches Osterwunder in Uganda