Mehr als einen Monat ist es her, als ich hier in Mbale Quartier bezogen hab und langsam verliere ich das Gefühl dafür, was ich als normal ansehen soll und was nicht. Eine Kuh, die gemeinsam mit einer Ziege seelenruhig die Stadt durchquert – normal. Erstmal einen Eimer Wasser befüllen, bevor man seine morgendlichen Exkremente ins Jenseits befördert – normal. Apotheken, Supermärkte und Bankfilialen, die von schwer bewaffneten Securitys bewacht werden – normal. Zu Fünft in der ersten Reihe eines LKWs sitzen – normal. „Normal“ war für mich schon immer ein sehr dehnbarer Begriff, aber seitdem ich hier bin, hat er sich nochmal um ein Vielfaches gedehnt. Es ist faszinierend, was von unserer Erziehung, Bildung und Gesellschaft als „normal“ vorgegeben wird, ohne dass wir es jemals ernsthaft hinterfragen. Genau das muss ich aber hier tagtäglich machen.
Bei jeder noch so simplen Handlung frag ich mich, warum sie sich von meinen afrikanischen Mitbewohnern und Kollegen unterscheidet. Hier ist es beispielsweise für Männer ganz normal, sich die Hand zu schütteln und anschließend den Handkontakt zu halten, um ein Gespräch zu führen. Auch wenn Homosexualität in großen Teilen der Bevölkerung leider nach wie vor stark verachtet ist (bis August diesen Jahres stand auf Gleichgeschlechtlichenliebe sogar noch die Todesstrafe und man wandert noch immer lebenslang ins Gefängnis, wenn man sich als homosexuell outet), ist es nicht unüblich, wenn zwei Männer Hand in Hand die Straße entlangspazieren. Ist man in westlichen Ländern eher darauf bedacht, Körperkontakt – vor allem unter Männern – auf ein Minimum zu reduzieren, ist es hier eher eine Geste der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens. Normal? Unnormal? Da darf sich jeder selbst seine Meinung bilden.
Die Leute fokussieren sich auf das, was sie sind
Würde in Europa niemand auf die Idee kommen, ein Shirt mit einem Loch oder gar einem Riss in der Öffentlichkeit zu tragen, ist das hier auch für den wohlsituierten Teil der Bevölkerung ganz „normal“. Warum denn auch wegschmeißen? Das gute Stück erfüllt doch weiterhin seinen Zweck – ob mit oder ohne Loch. Die Leute hier fokussieren sich eher darauf, was sie sind und weniger darauf, was sie besitzen. Ich könnte jetzt noch viele weitere Beispiele nennen, aber dann würde das hier wohl etwas aus den Fugen laufen. Es ist nämlich noch so einiges mehr passiert in den letzten Wochen.
Vergangenes Wochenende habe ich gemeinsam mit einer französischen Kollegin der Hauptstadt Ugandas, Kampala, einen Besuch abgestattet. Samstag frühmorgens ging’s pünktlich – ne Scherz, mit 20-minütiger Verspätung los. Wie gewohnt mit einem der YY Coaches mit köstlich unterhaltsamen Händlern an Board. Dieses Mal im Angebot: Socken, Schwämme und Seifen. Extraspezial: Handcreme, die wahre Wunder bewirkt (versprochen!). Auch wenn einige der Fahrgäste teilweise etwas genervt wirken, finde ich die Händler immer wieder auf’s Neue extrem amüsant – mal schauen, vielleicht stellt sich mal einer für ein Interview bereit. Gegen Mittag kamen wir dann in Kampala an und kämpften uns erstmal durchs örtliche Chaos zum nächsten Cafè. Erstmal verschnaufen, eine Tasse Kaffee trinken und ganz „tourimäßig“ durch den Lonely Planet blättern.
Im Bereich Tourismus und Kultur noch viel Potenzial
Erste Auffälligkeit: Hier gibt es neben Verkehrsschildern sogar Ampeln, allerdings haben die Farben hier andere Bedeutungen als in Europa. Grün heißt hier: Du darfst fahren – und Rot heißt hier: Du darfst fahren. Selbst wenn in der Mitte der Kreuzung ein wild pfeifender und fuchtelnder Verkehrspolizist steht, keine Sorge: Du darfst fahren. Dadurch bekommt auch Boda Boda-Fahren einen etwas nervenaufreibenden Touch. Ich war mehrmals in der Situation, dass sich meine besten Momente bereits vor meinem inneren Auge abspulten, nur die Fingernägel meiner Mitfahrerin, die sich bei jedem Beinahe-Unfall in meine Schultern bohrten, holten mich wieder in die Realität zurück. Auch wenn man der Stadt durchaus anmerkt, dass der Kapitalismus hier schon seine Wurzeln schlägt und teilweise westliche Standards zu erkennen sind, liegt im Bereich Tourismus und Kultur, nett formuliert, noch einiges an Potenzial verborgen.
Während das National Museum stellenweise eher an eine Abstellkammer erinnert, in die von Anthropologie über Vulkanismus und moderne Kunst alles hineingepfercht wurde, was irgendwie Platz hat, beschleicht einen beim Besuch des Mausoleums, in dem sämtliche Könige Ugandas inklusive Familien begraben sind, eher das Gefühl, man hat gerade 10.000 Shilling für den Besuch eines Waldfriedhofs bezahlt. Da unser beider Orientierungssinn leider nicht der bestausgeprägteste ist, hat’s uns auf der Suche nach dem Stadtzentrum leider etwas in die falsche Richtung verschlagen und es dauerte nicht lange, bis wir bemerkten, dass wir in einen der Slums gewandert waren. Alles andere als das Stadtzentrum und auch alles andere als ein Platz zum Wohlfühlen. Als ich nach kurzer Zeit auch schon einem Typen erklären musste, dass meine Hosentasche kein „Take Away“ ist und ich mein Handy doch bitte gern behalten würde, haben wir uns schnell wieder verabschiedet und uns auf die Suche nach einem richtigen Platz zum Wohlfühlen gemacht. Unsere Wahl fiel auf das Irish Pub „Bubbles O Larrys“.
Wenn Polizisten ihren Job nicht allzu ernst nehmen
In kurzen Hosen und T-Shirt am Ende eines langen Tages im Biergarten, ein kühles Guiness und etwas Weihnachtsmusik – das hat viel Schönes! Leider musste dann unser Couchsurfing-Host für diese Nacht kurzfristig absagen, als Entschädigung dafür bot er uns aber an, uns tagsdarauf etwas durch die Stadt zu führen. Für zwei Reisende mit einem Orientierungssinn, wie wir ihn haben, wohl kein schlechtes Angebot. Notgedrungen mussten wir also eine Nacht im Hotel verbringen, was sich aber als ganz witzig herausstellte. Die zwei Polizisten, die den Eingang bewachten, begrüßten uns ganz lässig mit einem Handschlag und machten ganz schnell deutlich, dass sie ihren Job nicht allzu ernst nahmen. Da wir beide beinahe am Verhungern waren, bestellten wir zügigst unser Abendessen. Gerade als ich meine Bestellung aufgeben wollte, erzielte der Lieblingsverein der Bedienung allerdings den 2:1-Führungstreffer, also wurde erstmal zwei Minuten lang dezent ausgeflippt. Naja, T.I.A.
Nach einer kleinen Tour durch die Stadt mit unserem Couchsurfing-Host bestiegen wir kurz nach Mittag den Bus Richtung „Heimat“, um noch bei Tageslicht in Mbale anzukommen, schließlich warteten einige Ziegel sehnsüchtig darauf, Teil unseres Schulgebäudes zu werden. Als nächster Schritt kommt schon das Dach auf unser Häuschen und mittlerweile haben wir auch begonnen das zwei Meter tiefe Loch für die Toilette auszuheben. Per Hand versteht sich! Klingt anstrengend? Ist es auch! Macht aber trotzdem wahnsinnig Spaß. Regelmäßig gesellen sich auch noch jede Menge Frösche zu uns in die Grube und einmal hatten wir sogar eine Maus zu Gast. Wie kleine Kinder liefern wir uns regelmäßig Schlammschlachten in unserer Grube und genau so regelmäßig verstopft sich der Abfluss unserer Dusche, wenn wir nach der Arbeit versuchen, uns von all dem Schlamm und Dreck zu befreien.
Der Begriff „Restaurant“ ist hier sehr dehnbar
Da ich ja zum Thema Afrikanische Küche befragt wurde, hier noch ein paar Sätze zum Thema Gaumenschmaus. Grundsätzlich darf man sich in Uganda schnell daran gewöhnen, etwas umfangreichere Portionen zu verschlingen. Wenn man sich dafür entscheiden sollte, hier ein Restaurant zu besuchen, bitte vorher sicher gehen, dass man auch wirklich Hunger hat. Selbst wenn man mit Nachdruck eine „small dish“ bestellt, gleicht die servierte Mahlzeit meist eher einer Wochenration. Ich kann von mir behaupten, dass mein Appetit leicht über dem Durchschnitt liegt, aber trotzdem stoße ich hier regelmäßig an meine Grenzen. Auch der Begriff „Restaurant“ ist hier sehr dehnbar, oft gleicht es einfach einem Unterschlupf mit paar Bänken und Tischen, Getränke werden selbst mitgebracht und wenn mal ein Huhn ihren Weg durch’s Restaurant macht, stört sich auch keiner dran. Meist setzt man sich dann an den Tisch, der Eigentümer gesellt sich dazu und erzählt, was er den heute so im Angebot hat, dann wird noch schnell über den Preis verhandelt und schon kanns losgehen.
Ganz allgemein ist es hier relativ schwierig, sich irgendwie ungesund zu ernähren. Ein Großteil der Nahrung wurde in der unmittelbaren Umgebung angebaut, industrielle Fertigung gibt es hier nicht. Vor allem Obst und Gemüse ist um ein vielfaches schmackhafter als in Europa, da einfach der Transportweg wegfällt. Faszinierend ist auch die unglaubliche Vielfalt an Früchten. Für alle, die sich mal in dieser Gegend aufhalten, kann ich nur die Jackfruit empfehlen! Ganz typische nationale Gerichte sind meistens sehr kohlenhydratreich und sehr einfach gehalten. Dazu zählen Matoke, eine Art gekochte Banane, Poscho (Maismehl, das einfach mit Wasser aufbereitet wird), Kabalagala und natürlich Reis. Kombiniert meistens mit Bohnen, Ground-Nut-Soße oder Fleisch. Ganz begehrt sind Chapatis, eine Art saurer Pfannkuchen, der entweder mit Gemüse oder einem Spiegelei gefüllt und dann zusammengerollt wird. Ganz typisch afrikanisch wird natürlich mit den Händen gegessen, am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile hab ich den Dreh schon raus. Manche der hier üblichen Gerichte sind auch schwierig mit Messer und Gabel zu verzehren.
Hebt’s ma a paar Plätzerl auf
Soviel mal zum Thema Küche, zu Safaris und anderen Sehenswürdigkeiten kann ich im Moment noch nicht allzuviel beitragen, da ich bisher selbst nur einen sehr begrenzten Teil gesehen hab. Werde das aber bei Gelegenheit gern ergänzen und mal näher drauf eingehen, wenn ich etwas mehr vom Land gesehen hab. Ich werde im neuen Jahr rund zwei Wochen etwas durch’s Land reisen, danach kann ich sicher etwas mehr berichten. Ansonsten wünsche ich Euch einen guten Start ins neue Jahr! Bleibt’s xsund und hebt’s ma a paar Plätzerl auf!!
Hochsommerliche Wintergrüße aus Ostafrika wünscht
Hannes
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Johannes Gress aus Röhrnbach möchte an einer Schule für Waisen und sozial benachteiligte Kinder in Uganda rund drei Monate die dortigen Lehrer unterstützen. Um dorthin zu kommen, hat er nicht den herkömmlichen Weg – per Auto, Bahn, Flugzeug – gewählt. Nein: Der 21-Jährige versucht per Anhalter nach Afrika zu kommen. Von seiner Reise und seiner Zeit in Ostafrika berichtet er auf hogn.de.
–> (1) Ist das Materielle Voraussetzung für ein glückliches Leben? Johannes Gress’ Reise nach Uganda
–> (2) “It’s like an angel pisses in your mouth” – Johannes Gress’ Umwege nach Uganda
–> (3) Uganda calling, oder: Johannes Gress kurz vor seinem großen Ziel
–> (4) Anderes Land, anderer Kontinent, anderer Planet – Johannes Gress’ erste Tage in Uganda
–> (5) Der gesunde Mix aus Planlosigkeit, Gleichgültigkeit und Chaos – der Alltag in Uganda
–> (7) Kinder mit trockenen Lippen und leerem Blick – die andere Seite Ugandas
–> (8) Unterhaltung á la Uganda: “You whites, you got the watches, but we Ugandans, we got the time”
–> (9) Johannes Gress: “Manchmal macht mich dieses Land einfach unglaublich wütend”
–> (10) Soll Afrika mal so aussehen wie Europa? Ist das das Ziel für alle Entwicklungsländer?
–> (11) Johannes Gress und sein ganz persönliches Osterwunder in Uganda